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Anlass zum Handeln: die sozialräumliche Spaltung der Städte
Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbruch zieht soziale Ungleichheit nach sich, vor allem in den Bereichen (1) Erwerbsarbeit (Abdrängen in befristete oder niedrig bezahlte Beschäftigung, Arbeitslosigkeit), soziale Beziehungen (Verlust unterstützender sozialer Netze, soziale Isolation) und soziale Rechte (erschwerter Zugang zu Angeboten, Institutionen, Lebensstandards). Diese soziale Ungleichheit tritt auch räumlich differenziert in Erscheinung: in einem tiefgreifenden sozialräumlichen Strukturwandel, der eine zunehmende Fragmentierung mit auf- und abgewerteten Stadtteilen zur Folge hat (sozial-räumliche Segregation) (2) . Mit dem Zurückfahren des Sozialen Wohnungsbaus, der Aufhebung von Sozialbindungen im Wohnungsbestand durch Rückzahlung der öffentlichen Mittel und Privatisierung sowie mit der weiteren Liberalisierung des Wohnungsmarkts vergrößerte sich die Kluft zwischen der wachsenden Zahl von Bevölkerungsgruppen mit Einkommen aus Transferleistungen der öffentlichen Hand (im Weiteren: Transfereinkommen) wie Arbeitslosen- und Sozialhilfe und dem für ihre Wohnungsversorgung verfügbaren sich drastisch verringernden Wohnungsbestand.
Je nach Bodenwerten und -verfügbarkeit, Mietenniveaus, Milieus und Images zerfallen die Städte zunehmend in Quartiere, in denen einkommensschwache und in schwieriger sozialer Situation lebende Haushalte konzentriert sind, und in privilegiertere Stadtteile. Umzugsbewegungen wirken zusätzlich räumlich selektiv und verstärken den Entmischungseffekt: Haushalte, die es sich noch leisten können, ziehen aus den benachteiligten Gebieten weg - sei es im Interesse der Kinder wegen der als problematisch erachteten nicht nur schulischen, sondern auch gesamten Situation im Gebiet, sei es wegen der allgemein angespannten Stimmung im Stadtteil. "Schulsegregation" erweist sich immer deutlicher als ernster Gefährdungsfaktor für die kulturelle und soziale Integration in den Städten (3) .
Die Bevölkerung in den benachteiligten Stadtteilen ist von unterschiedlichen Ausgrenzungsprozessen betroffen, die sich teilweise auch noch überlagern (4) : "in ökonomischer Hinsicht, indem sie keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt mehr finden; in institutioneller Hinsicht, indem sich zwischen ihnen und den politischen bzw. sozialstaatlichen Institutionen unüberwindliche Schranken aufbauen; in kultureller Hinsicht, wenn Stigmatisierung und Diskriminierung zum Verlust des Selbstwertgefühls und zum Verlust der moralischen Qualifikation führen ...; und schließlich in sozialer Hinsicht, wenn durch soziale Isolation und das Leben in einem geschlossenen Milieu die Brücken zur normalen Gesellschaft' verloren gegangen sind."
Kinder und Jugendliche entwickeln eine "abweichende Kultur", da sie in einem Umfeld mit nur wenigen positiven Vorbildern und Repräsentanten eines "normalen" Lebens den Sinn von Schule, Ausbildung und Beruf nicht mehr ausreichend vermittelt bekommen; im Gegenteil: es erfolgt ein "negatives soziales Lernen". Vielen Stadtteilen haftet ein Negativimage an, das bis zur Stigmatisierung reicht. Je mehr sich die problematische Situation in den Gebieten verfestigt, desto stärker wirken die Quartiere zugleich auch benachteiligend - zumindest aber die gesellschaftliche Randlage verfestigend.
Bundesweit haben sich so in den letzten etwa zwanzig Jahren Stadtteile herausgebildet, die von gesamtgesellschaftlichen und gesamtstädtischen Entwicklungen weitgehend abgekoppelt sind. In diesen Gebieten häufen sich Benachteilungen und Belastungen, die sich auf die Lebensbedingungen und Lebenschancen sowie Stimmungen und das soziale Klima im Quartier auswirken (5) :
Hauptziel: die "Abwärtsspirale" stoppen und umkehren
Ohne sozialstaatliche Intervention, wenn die Quartiere sich selbst überlassen blieben, würde sich die Abwärtsspirale in den Stadtteilen weiter drehen. Die hier ablaufenden Prozesse verstärken sich selbst, wenn sie nicht durch koordinierte Anstrengungen von Politik, Verwaltung, Bewohnerschaft, Wirtschaft und anderen lokal engagierten Akteuren unterbrochen werden. Mit dem Programm Soziale Stadt sollen nun Revitalisierungs- und Entwicklungsprozesse angestoßen, integrative Maßnahmenkonzepte erarbeitet und umgesetzt sowie die lokalen Selbstorganisationskräfte mobilisiert werden. Die ressortübergreifende Kombination von Förderprogrammen, die stärkere Berücksichtigung nicht-investiver Ansätze und die Erprobung neuer Verwaltungs- und Managementstrukturen sollen dazu dienen, die vorhandenen Ressourcen für eine umfassende und integrierte Stadtteilentwicklung zu bündeln und den Mitteleinsatz zielgenauer, effizienter und gleichzeitig auch flexibler zu gestalten. Die Bundesregierung will mit dem Programm "neue stadtentwicklungspolitische Akzente" setzen und "erreichen, dass in gefährdeten Stadtteilen stärker als bisher städtebauliche Maßnahmen mit Maßnahmen anderer Politikfelder verknüpft werden" (6) .
Schlüsselfunktionen für die Programmumsetzung hat der "Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt'" der ARGEBAU (7) , in dem Ziele (in den Handlungsbereichen Bürgermitwirkung/Stadtteilleben, Lokale Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung, Quartierszentren, Soziale, kulturelle, bildungsbezogene und freizeitbezogene Infrastruktur, Wohnen, Wohnumfeld und Ökologie) und methodisch-technische Hinweise für die Programmumsetzung (fachübergreifende Umsetzung, Rechtsinstrumente, Mitteleinsatz, Erfahrungsaustausch, Erfolgskontrolle und Begleitforschung) formuliert sind. In der jährlich neu abzuschließenden Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die Länder (8) wird die Berücksichtigung dieses Leitfadens bei der Programmumsetzung statuiert.
Insgesamt geht es darum, mit dem Programm die physischen Wohn- und Lebensbedingungen (überwiegend durch baulich-investive Maßnahmen und Projekte), die individuellen Lebenschancen (durch Vermittlung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen, Eröffnung von Zugangsmöglichkeiten in den Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie Hilfen zur Selbsthilfe) sowie Gebietsimage, Stadtteilöffentlichkeit und Identifikation mit den Quartieren (auf Basis konkreter Stabilisierungs- und Revitalisierungsmaßnahmen) zu verbessern. Dabei werden Integrationsziele (im weitesten Sinne) verfolgt:
Voraussetzung für den Einsatz von Mitteln des Programms Soziale Stadt ist die Ausweisung von Gebieten. Dies ist zum einen der Logik und Tradition der Städtebauförderung geschuldet, zum anderen dem Ziel, unmittelbar an Problemen und Potenzialen in der räumlichen Lebenswelt anzusetzen, denn gerade in den Quartieren der Sozialen Stadt leben weniger mobile Bevölkerungsgruppen, die besonders auf das Gebiet, seine sozialen Netze, Angebote und Einrichtungen angewiesen sind. Damit erfährt das Quartier als "Ressource zur ebensbewältigung" (12) eine Aufwertung. Die Dimension Raum wird insgesamt verstanden als Überlagerung von physischen Bedingungen, Ort von Erfahrungen und Lernprozessen, als Raum mit Orientierungs-, Symbolisierungs-, Identifikations-, Aneignungs- und Nutzungsfunktionen und damit auch als "Statusmerkmal und als Ort der sozialen Selbstdefinition" (13) .
Die lokale Orientierung und die Tatsache, dass mit dem Programm allein die aufgeworfenen Probleme nicht zu lösen sind, verweisen auf die Notwendigkeit, dass quartiersbezogene Strategien durch gesamtstädtische ergänzt werden müssen. Dies betrifft in erster Linie Fragen der Bildungs- und Beschäftigungspolitik, der Wohnungsversorgungspolitik sowie der sozialen und kulturellen Infrastruktur.
(1) Hierzu und zum Folgenden Martin Kronauer, Die neue soziale Frage: Armut und Ausgrenzung in der Großstadt heute, in: Walther (Hrsg.), S. 47 ff.
(2) Vgl. zu den Hintergründen und Ursachen, die zur Entstehung von Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf geführt haben, sowie zur Einbettung des Programms in politische Reformansätze Thomas Franke, Rolf-Peter Löhr und Robert Sander, Soziale Stadt - Stadterneuerungspolitik als Stadtpolitikerneuerung, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, II. Halbjahresband (2000), S. 244 ff.
(3) Vgl. Hartmut Häußermann, Global, lokal, sozial. Die Unteilbarkeit der Stadt, in: Walther (Hrsg.), S. 78.
(4) Hierzu und zum Folgenden Hartmut Häußermann, Die Krise der "sozialen Stadt", in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 10-11 (2000), S. 13.
(5) Vgl. dazu Kapitel 3 "'Besonderer Entwicklungsbedarf' - die Programmgebiete der Sozialen Stadt".
(6) Krautzberger/Richter, S. 37.
(7) ARGEBAU, Ausschuss für Bauwesen und Städtebau und Ausschuss für Wohnungswesen, Leitfaden der Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt", Zweite Fassung vom 1. Februar 2000 (vgl. Anhang 9).
(8) Vgl. den Text der Verwaltungsvereinbarung des Jahres 2002 im Anhang 10.
(9) Vgl. weiter Kapitel 7 "Quartiermanagement" und Kapitel 8 "Aktivierung und Beteiligung".
(10) Vgl. weiter Kapitel 4 "Integrierte Handlungskonzepte".
(11) Vgl. weiter Kapitel 6 "Kooperation und Koordination - Bündelung der Ressourcen"
(12) Vgl. dazu Ulfert Herlyn und andere zitiert bei Barbara Lang, Was macht eine Stadt sozial? Perspektiven für die soziale Stadt im 21. Jahrhundert, in: Die alte Stadt, H. 1 (2000), S. 16; dazu auch Monika Alisch, Stadtteilmanagement - zwischen politischer Strategie und Beruhigungsmittel, in: dieselbe (Hrsg.), Stadtteilmanagement. Voraussetzungen und Chancen für die soziale Stadt, Opladen 1999, S. 8.
(13) Kronauer, S. 52.