soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"
  

Die Soziale Stadt - Zusammenhalt Sicherheit, Zukunft

Gerhard Schröder, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland


Verehrter Herr Minister, meine Damen und Herren, verehrte Gäste, unsere moderne Welt wäre nicht vorstellbar - dies ist in den Ausführungen des Ministers deutlich geworden - ohne attraktive, gesunde und das heißt lebenswerte Städte. Städte, das sind Zentren wirtschaftlicher, aber eben auch gesellschaftlicher Entwicklung. Aber sie sind auch Brennpunkte der ökonomischen, der sozialen, auch der ökologischen Probleme unserer Zeit.

Über einen Großteil der Chancen einer Gesellschaft im internationalen Wettbewerb, also auch unserer Gesellschaft, wird ohne jeden Zweifel in den Städten entschieden. Aber Städte sind ebenso Testgelände, wenn ich das so sagen darf, für verschiedene, nach vorne gerichtete Entwicklungen im Ökonomischen wie im Ökologischen, aber vor allem auch im Sozialen. Ob die Integration aller Bürgerinnen und Bürger in einem Gemeinwesen wirklich gelingt, ob die Teilhabe von Menschen auch und nicht zuletzt an den Entscheidungen in einer Gesellschaft gelingt, ob dies gewährleistet werden kann, auch darüber wird vor allem in den Städten entschieden.

Städte leben nicht von einer Funktion allein, sie müssen auch weiterhin Orte vielfältiger Interaktion bleiben, Orte mithin, in denen Handwerk, Gewerbe, Wissenschaft, Wohnen und Kultur nebeneinander bestehen und voneinander profitieren - die Stadt also als eine Lebensform, in der sich Individuum und Gesellschaft nur miteinander entwickeln können. Dies verlangt von jedem einzelnen ebenso Gemeinsinn wie auch Toleranz vor allem gegenüber Andersdenkenden und Menschen, die anders sind.

Ziel einer sozialen Stadtpolitik war und ist es, die Lebensform Stadt und deren Entwicklungschancen zu fördern. Und das heißt zunächst, wirksam darauf hinzuarbeiten, Gefahren der Ausgrenzung und des Zurückbleibens ganzer Stadtteile und der Menschen, die in diesen Stadtteilen leben, entgegenzuwirken. Dazu braucht es natürlich eine Basis, eine politische Basis. Und wir meinen schon: die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland ist die bewährte institutionelle Grundlage für eine solche Politik. Sie hat den Stadtgemeinden die Möglichkeit gegeben, eine eigene Sozialpolitik, eine eigene Wohnungsbaupolitik zu betreiben. Dabei haben die Städte, das ist ja deutlich geworden, sehr unterschiedliche Konzepte und Konzeptionen entwickelt. Aber all diese unterschiedlichen Konzepte und Konzeptionen waren von dem Gedanken getragen, dass die Stadt eben Gemeinwesen ist, gebildet von den Bürgerinnen und Bürgern, und dass diese zuallererst über die Geschicke der Stadt entscheiden.

Für den Erhalt und die Entwicklung lebenswerter, dynamischer Städte brauchen wir also mehr als nur den Willen zu einer solchen Politik, die Ausgrenzung verhindert. Wir brauchen breite Koalitionen in den Städten gegen eine solche Ausgrenzung und für eine nachhaltige Entwicklung. Wir haben, auch das ist angeklungen, eine sehr gute Tradition sozialer Stadtpolitik. In unseren Städten in Europa, zumal in Deutschland, haben sich nie Slums entwickeln können, wie wir sie von vielen anderen Städten in der Welt kennen. Insofern war die europäische Stadt immer eine soziale Stadt, und das gilt ganz besonders für die deutschen Städte. Und das hat nicht nur mit dem Vergleich zu anderem relativ großem Wohlstand zu tun, sondern - davon bin ich überzeugt - das hat auch damit zu tun, dass wir kommunale Selbstverwaltung haben und dass wegen dieser kommunalen Selbstverwaltung die Städte gleichsam mehr Acht auf sich geben, als dies anders der Fall wäre.

Die Bundesregierung will diesen Traditionen gerecht werden. Sie ist sich also der Verpflichtungen, die damit verbunden sind, auch sehr bewusst. Wir haben dafür Initiativen ergriffen - das ist auch schon angeklungen. Wir haben die klassische Städtebauförderung um das Programm Soziale Stadt und um den Stadtumbau Ost ergänzt sowie alle drei Instrumente zu einem Gesamtkonzept verknüpft. Heute investieren wir mit 640 Millionen Euro doppelt so viel wie noch 1998. Bis 2009 werden Bund, Länder und Gemeinden insgesamt 2,6 Milliarden Euro für den Stadtumbau Ost aufwenden. Wir haben mit der Wohngeldnovelle und der Reform des sozialen Wohnungsbaus mehr Gerechtigkeit in der Wohnungspolitik geschaffen. Erstmals seit zehn Jahren ist das Wohngeld wieder deutlich gestiegen. Auch der soziale Wohnungsbau wurde endlich grundlegend reformiert und wirksam auf die schwächeren Haushalte konzentriert. Dadurch sind ohne jeden Zweifel neue Akzente für eine soziale Stadt gesetzt worden.

Der Übergang von der Industrie- zur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft macht sich längst auf den Arbeitsmärkten bemerkbar. Zwar hat die Industrie nach wie vor große Bedeutung für die städtische Ökonomie, aber in den Städten nimmt die Zahl der Arbeitsplätze in der Fertigung stärker ab als irgendwo anders. Über viele Jahrzehnte hatten die großen Städte immer die niedrigsten Arbeitslosenquoten. Heute dagegen sind die Arbeitslosenzahlen gerade in den alten, traditionellen Industriezentren und Städten häufig besonders hoch. Das hat zu tun mit dem rasanten Strukturwandel, und daraus folgt natürlich, dass es gewaltige Anpassungsprobleme insbesondere in den Städten gibt. Die Konsequenz ist, dass man die Städte damit nicht allein lassen kann. Deswegen können sich die Städte auch weiterhin auf unsere Unterstützung verlassen.

Es ist schon erwähnt worden: was wir brauchen - und wie werden das in der nächsten Legislaturperiode anpacken -, ist eine neue Finanzbeziehung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden schlicht deshalb, damit die Städte ihre Investitionsnotwendigkeiten erfüllen und auf diese Weise mit dazu beitragen können, dass der Strukturwandel, von dem ich gesprochen habe, auch wirklich gelingt.

Übrigens, zu diesem Vorhaben gehört die Verzahnung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Aber natürlich kann das nur geleistet werden im Rahmen der Neuordnung der Finanzbeziehung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Es wäre alles andere als fair, wenn man Aufgaben verteilte, ohne die finanziellen Ressourcen mitzuliefern. Das werden wir nicht tun, weil das nicht verantwortbar wäre.

Dabei bleibt klar: neue Arbeitsmöglichkeiten in den Städten entstehen heute vor allem im Bereich der Dienstleistungen. Dabei geht es um eine wachsende Zahl von hochqualifizierten Tätigkeiten. Gerade auf diesem Sektor gibt es gewaltige Zukunftsaussichten. Gleichzeitig entstehen in den Städten aber immer mehr Arbeitsplätze, bei denen die durchschnittlichen Verdienste geringer sind als in der traditionellen Industrie. Mir ist wichtig, dass man diese Entwicklung nicht einfach laufen lässt nach dem Motto: na ja, wenn es mit einem Job nicht reicht, ein auskömmliches Leben zu führen, dann können es ja auch drei sein. Das hätte Konsequenzen, die man, ohne mit dem Finger darauf zu zeigen, in anderen Gesellschaften studieren kann, und das wären keine besonders erfreulichen Konsequenzen, wenn ich z.B. über notwendige Erziehungsarbeit nachdenke. Es bleibt deswegen eine wichtige Aufgabe, Einkommen und Auskommen möglichst so zu gestalten, dass Auskommen auch wirklich möglich ist für diejenigen, die eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit wollen und brauchen. Darüber hinaus haben wir mit dem Mainzer Modell, das wir auf das ganze Bundesgebiet ausdehnen wollen, verantwortbare Formen der Förderung niedrig bezahlter Arbeit geschaffen.

Zur Veränderung der Wirklichkeit gehört auch, dass in unseren Städten, wer wüsste das besser als Sie, immer mehr Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft leben. Die Städte machen in dieser Hinsicht einen Modernisierungsprozess durch. Ethnisch homogene Städte sind in allen ökonomisch entwickelten Ländern ein Phänomen, das vergangen ist. Das übrigens sollte der eigentliche Kern der Debatte um die Steuerung von Zuwanderung sein, dass nämlich unsere wirtschaftliche Zukunft nur durch eine Öffnung für diejenigen Spitzenleute und Fachkräfte zu sichern ist, die bereit sind, ihr Wissen, ihre Arbeitskraft in Deutschland, in unseren Unternehmen, in den Städten zu investieren. Dies ist die eine Seite dessen, was wir zu leisten haben und mit dem Zuwanderungsrecht, das wir verändert haben, leisten wollen. Die andere Seite ist, dass wir genauso selbstverständlich unseren humanen Verpflichtungen, die sich aus dem Grundgesetz entwickeln, nachkommen. Beides, das Akzeptieren der humanen Verpflichtung, Menschen, die an Leib und Leben verfolgt sind, Schutz zu gewähren, und mehr Internationalität auch und nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, beides zusammengenommen bestimmt den Inhalt des neuen Zuwanderungsrechts. Die Gestaltung der pluralen Stadt, einer Stadt ohne Diskriminierung und ohne Ausgrenzung, dies ist eine der ganz wesentlichen politischen Herausforderungen des beginnenden 21. Jahrhunderts.

Die Bundesregierung ist bereit, die Städte bei ihrer schwierigen und für unsere Gesellschaft so wichtigen Integrationsarbeit zu unterstützen. Aber natürlich wissen wir - deswegen die Neuordnung der Finanzbeziehungen -, dass dies vor allem Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung ist und auch bleiben soll. Wir wollen diese stärken und Hilfe soll hier ergänzen, keineswegs ersetzen. Aber wo die Hilfe benötigt wird, wollen wir sie auch gewähren.

Die Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt ist dafür ein, wie ich finde, guter Beweis. Sie zeigt auch, dass wir gemeinsam daran arbeiten, die soziale, kulturelle und ökologische Modernisierung unserer Städte zu ermöglichen. Wenn es stimmt, dass die Städte Laboratorien für neue Formen der sozialen Integration sind, dann muss dieser Integration unsere ganze Aufmerksamkeit gelten. In vielen Städten müssen wir leider beobachten, dass sich soziale Problemlagen in bestimmten Quartieren konzentrieren; die Gefahr besteht, dass Stadtviertel von der allgemeinen Entwicklung der Stadt abgekoppelt werden. Erfahrungen aus anderen Ländern lehren uns, dass man schon den ersten Anzeichen einer solchen sozialräumlichen Polarisierung entschieden entgegentreten muss. Das Wohnen etwa in einem benachteiligten Viertel kann rasch zu weiteren Benachteiligungen für die dort lebenden Menschen führen. Genau dem wollen wir mit dem Programm Soziale Stadt entgegenwirken. Indem wir Investitionen fördern, den Arbeitsmarkt unterstützen und indem wir sozial- und jugendpolitische Instrumente gezielt einsetzen, wollen wir dieser möglicherweise beginnenden Verelendung ganzer Stadtviertel entgegenwirken.

Dabei geht es natürlich um Geld, aber eben nicht nur. Es geht allemal auch um die Stärkung von sozialen Zusammenhängen, es geht um soziale und kulturelle Integration in den Stadtteilen und damit um die Integration in die Stadt und in die Gesellschaft insgesamt. Natürlich hat das auch zu tun mit der Verbesserung des alltäglichen Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen und Lebensstile in den städtischen Nachbarschaften. Wir wollen und wir müssen gemeinsam verhindern, dass eine wachsende Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern von der Teilhabe am Wohlstand, also am Haben in unserer Gesellschaft, aber auch von den Entscheidungen, dem Sagen in der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Eine große Gefahr des sozialen Auseinanderfallens in den Städten liegt ganz offensichtlich bei den allgemeinbildenden Schulen. In Zeiten eines dynamischen, sozialen und ökonomischen Wandels machen sich Eltern zu Recht Sorgen um die Zukunftschancen ihrer Kinder. Wenn Eltern den Eindruck haben, dass das Leistungsniveau nicht ausreicht, um die Fähigkeiten der Schüler zu entfalten, melden sie ihre Kinder in einer anderen Schule an oder verlassen entsprechende Stadtviertel gleich ganz. Das ist besonders auffällig dort der Fall, wo die Anteile von Schülern mit einer nicht-deutschen Herkunftssprache sehr hoch sind. So entsteht die Gefahr, dass sich die Chancen für eine gute Schulbildung innerhalb ein und derselben Stadt stark ausdifferenzieren. Länder und Kommunen tragen eine besondere Verantwortung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Die Schulen müssen für ihre Aufgaben in einer pluralen Stadt noch besser vorbereitet werden. Ihnen kommt eine zentrale Bedeutung für die Integration in unserer Gesellschaft zu. Unsere Schulen sind die wichtigsten Agenturen für die Integration und für eine gerechte Gesellschaftspolitik, in der die Fähigkeit eines jeden Einzelnen zur Geltung kommen kann. Wir wissen natürlich um die verfassungsrechtlich verbürgten Zuständigkeiten, die bei den Ländern liegen und, so weit es um die sachliche Ausstattung geht, bei den Kommunen. Und wir wissen um die Empfindlichkeiten, die sich daraus ergeben, jedenfalls ergeben können. Und wir wollen diese verfassungsrechtlich verbürgten Zuständigkeiten überhaupt nicht infrage stellen. Aber ich meine, das, worüber ich eben gesprochen habe, ist wirklich eine gesamtgesellschaftliche Frage. Und deswegen soll es ungeachtet der formalen Zuständigkeiten ein bundesweites Programm "Zukunft, Bildung und Betreuung" mit einem Investitionsvolumen von vier Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren geben.

Wir wollen damit die Länder und auch die Kommunen unterstützen, die Betreuungs- und Bildungsangebote zu verbessern. Ein Beispiel: Nach überschlägigen Berechnungen könnten, wenn man die Mittel darauf konzentrierte, mit einem solchen Programm bis 2007 in Deutschland 10 000 zusätzliche Ganztagsschulen geschaffen werden. Das wäre ein wirklicher Durchbruch, was die Ganztagsbetreuung angeht. Wir sollten uns gemeinsam vornehmen, dies auch zu schaffen, aus den Gründen, über die wir, besser gesagt: Sie heute reden, aber auch aus einem ganz anderen zentralen Grund: Es ist wenig sinnvoll, sich über mangelnde Emanzipationsmöglichkeiten von Frauen, gut ausgebildeten Frauen, in unserer Gesellschaft auszulassen, wenn man nicht erkennt, dass angesichts der Verteilung der Familienlasten - ob es einem gefällt oder nicht - die geforderten Emanzipationsschritte objektiv nur dann möglich sind, wenn ausreichend Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder vorhanden sind.

Unser Programm Soziale Stadt eröffnet neue Ansätze und Perspektiven einer modernen und sozialen Politik in den Stadtteilen. Dies ist, wie wir meinen, der richtige Weg. In einer solchen Initiative müssen verschiedene Politikfelder und damit auch verschiedene Bedürfnisse zusammengeführt werden. Deswegen braucht sie eine größtmögliche Bürgerbeteiligung, denn die Bewohnerinnen und Bewohner wissen am besten, welche Probleme in ihrem jeweiligen Viertel dringlich sind. Zur Mitarbeit gewinnen wir sie nur, wenn wir ihnen auch die Möglichkeit geben, nicht nur mitzureden, sondern auch mit zu entscheiden. Dies ist in einigen Städten unmittelbar dadurch der Fall, dass ein Fonds bereitgestellt wird, über den die Bürgerinnen und Bürger in Zusammenarbeit mit der Verwaltung entscheiden können. Berlin beispielsweise hat damit gute Erfahrungen gemacht.

Zu einer städtischen Koalition gegen Ausgrenzung gehört auch - das möchte ich an dieser Stelle unterstreichen - das Engagement der Wirtschaft. Viele Defizite, etwa im Bereich der beruflichen Bildung oder bei der Nutzung neuer Technologien, können am besten durch eine Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft beseitigt werden. Dafür gibt es gute Beispiele. Aber auf diesem Gebiet kann und muss noch mehr getan werden. Auch die produzierende und die Dienstleistungen produzierende Wirtschaft hat ein elementares Interesse an einer funktionierenden Stadtkultur. Die Unternehmen müssen davon überzeugt werden, dass sich ihr Image nicht nur durch das Sponsoring von Kunst- und Kulturprojekten verändert, und das heißt verbessern lässt, sondern auch durch Engagement in sozial-integrativen Projekten.

Gerade im Hinblick auf die Zukunftsaussichten der zweiten Generation von Zuwanderern ist das für diese Menschen, aber vor allem auch für die Stadt von herausragender Bedeutung. Wenn junge Menschen erfahren, dass sie erwünscht sind und gebraucht werden, dann reagieren sie anders, als wenn das Gegenteil der Fall ist, dann ist Integration möglich, während sie auf andere Weise verunmöglicht wird.

Wie die Bürgerinnen und Bürger miteinander umgehen, ob und wie sie sich gegenseitig unterstützen, ob sie eine wirkliche Gemeinschaft bilden, all dies kann Politik nicht verordnen. Hier ist Bürgersinn gefragt, zwischenmenschliche Solidarität und die Identifikation mit dem eigenen Lebensumfeld in der Nachbarschaft. Gewiss, es ist nicht genug. Menschen, die sich in sozialer Notlage befinden, bloß zur Selbsthilfe aufzufordern. Das tut von uns ja auch keiner. Aber auf der anderen Seite leben die Stadtteile auch vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger, und dieses muss gefördert, aber auch gefordert werden. Es gibt viele gelungene Beispiele für ein derartiges stadtteilbezogenes Engagement. Deswegen bin ich den Initiatoren des Wettbewerbs Soziale Stadt 2000 dankbar, dass sie solche Beispiele durch eine Auszeichnung nicht nur ermutigt haben, sondern ausdrücklich zur Nachahmung anregen. Die Projekte im Programm Soziale Stadt zeugen von einer großen Vielfalt, was die Art der Stadtteile, die Problemorientierung, auch was die Träger anbetrifft. Die prämierten Projekte zeichnen sich vor allem durch das kooperative Engagement von Vereinen, Genossenschaften, Bewohnerinitiativen, Wohlfahrtsverbänden, Wohnungsbaugesellschaften, kommunalen Behörden und natürlich auch der Kirchen aus. Die Resonanz auf unser Programm Soziale Stadt zeigt, dass das zivilgesellschaftliche Engagement blüht, und dass auch die Viertel, die bisher eher im Schatten der Entwicklung gelegen haben, auf die Solidarität der Stadtbewohnerschaft rechnen können.

Da gibt es das soziale Management einer Wohnungsbaugesellschaft in Lünen, "Wohnen plus" genannt, die es geschafft hat, ein weit verzweigtes Netzwerk von öffentlichen Trägern, Wirtschaftsunternehmen und bürgerschaftlichen Vereinigungen aufzubauen.

Die Vermietergenossenschaft Ludwig Frank in Mannheim hat in einem Stadtteil, für den die Stadtverwaltung kaum mehr eine Perspektive gesehen hatte, mit viel persönlichem Engagement die Initiative ergriffen und die bauliche Erneuerung mit dem Aufbau der sozialen Netzwerkstruktur verbunden. Dadurch konnten sich die Bewohnerinnen und Bewohner wieder mit dem Quartier identifizieren. Die Folge kann man an einem solchen Projekt studieren: Die Gewaltbereitschaft hat abgenommen, und die soziale Integration der jüngeren Generation konnte entscheidend verbessert werden. Besonders hervorzuheben ist, dass es dabei gelungen ist, die ausländischen Bewohnerinnen und Bewohner in die Genossenschaft zu integrieren. Das ist gewiss kein leichtes Unterfangen.

In Dortmund hat der Projektverbund Nordstadt ein Praxisnetzwerk für eine bewohnerorientierte Erneuerung von Quartieren in der Nordstadt entwickelt, in dem auch Initiativen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger eine wichtige und gewichtige Stimme haben.

Ein besonders originelles Projekt ist die Kunstplatte in Stendal. Dort wurden leerstehende Ladenlokale in einem Plattenbaugebiet genutzt, um soziokulturelle Projekte anzustoßen, Projekte, die nicht nur das Image, sondern auch die Identifikation mit dem Wohngebiet erheblich gestärkt haben.

Wir wollen in den kommenden Jahren in drei Bereichen neue Akzente für mehr Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt in den Städten leisten, indem wir

  • bezahlbaren Wohnraum auch und gerade in den Großstädten sicherstellen,
  • innovative Konzepte für eine soziale Stadtentwicklung umsetzen und
  • einen bezahlbaren öffentlichen Personenverkehr gewährleisten.

Ich will Letzteres ausdrücklich unterstreichen, weil wir in den Städten, aber auch in der Mobilitätsfrage insgesamt überhaupt nur weiterkommen, wenn wir uns mehr als in der Vergangenheit bewusst sind, dass die unterschiedlichen Verkehrsträger nicht einzeln für sich selbst genommen ausgebaut und weiterentwickelt werden können. Wir haben vielmehr die wirklich große Chance, Mobilität in all ihrer differenzierten Form zu gewährleisten, wenn wir zu einer Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger kommen. Selbstverständlich hat dabei der öffentliche Personennahverkehr für die Städte eine herausragende Bedeutung - dies wird niemand bestreiten, auch nicht jemand, der gelegentlich als "Automann" apostrophiert wird.

Nicht zuletzt wollen wir unsere Städte für die Bürgerinnen und Bürger sicherer machen. Und auch das müssen wir. Ich will das sehr deutlich sagen: Sicherheit vor Kriminalität für Bürgerinnen und Bürger ist ein Grundrecht, ist ein Bürgerrecht. Und insbesondere für diejenigen, die nicht in der Lage sind, für ihre eigene Sicherheit zu bezahlen, wird das ein Grundrecht von herausragender Bedeutung. Deswegen ist es so wichtig, dass insbesondere diejenigen, die sich Gedanken über lebenswerte Städte machen, diesen Aspekt der Gewährleistung von Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger - neben all den Notwendigkeiten zur sozialen Integration - nicht unterschätzen. Die Menschen und gerade die Familien brauchen zuverlässigen Schutz vor Kriminalität und Gewalt. Und dazu ist eine ausreichende Präsenz auch der Sicherheitskräfte nötig.

Wir wissen auch, dass das allein nicht genügt. Wir brauchen die attraktive Belebung der Innenstädte und eine gut ausgebaute Infrastruktur mit sicheren öffentlichen Verkehrswegen. Besonders die Kommunen sind gefordert, im Zusammenwirken mit privater Initiative geeignete Konzepte für eine soziale Stadtentwicklung zu entwickeln. Politik für eine soziale Stadt wird in dem Maße erfolgreich sein, wie es gelingt, eine breite Solidarität unter den Stadtbürgerinnen und -bürgern und mit öffentlichen wie mit privatwirtschaftlichen Institutionen zu erreichen. Ich denke, wir haben wichtige Anstöße gegeben, und wir wollen diesen Prozess nach Kräften weiterhin unterstützen. Das allein kann unsere Aufgabe sein, der Rest muss, wie man so schön sagt, vor Ort geleistet werden.

Städte haben die europäische Kultur geprägt, in einem wirklich guten Sinne. Sie sind zentrale Orte der Teilhabe von Menschen. In unseren Städten wird die aktive Bürgergesellschaft fassbar und erfahrbar. Unsere Politik für eine soziale Stadt ist und bleibt diesen europäischen, zumal deutschen Traditionen verpflichtet. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Ihr Verständnis, dass ich meinen Termin mit dem Landwirtschaftskommissar der Europäischen Kommission wahrnehmen muss. Ich wünsche Ihrem Kongress recht viel Erfolg.


  
 

Quelle: Kongress Die Soziale Stadt - Zusammenhalt Sicherheit, Zukunft, Dokumentation der Veranstaltung am 7. und 8. Mai 2002 in Berlin, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, November 2002

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