![]() ![]() ![]() |
Bärbel Wartenberg-Potter, Landesbischöfin, Nordelbische Evangelisch-lutherische Landeskirche, Lübeck
Suchet der Stadt Bestes! Zum Besten unserer Städte hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen diese vielstimmige Suche heute hier organisiert, an der ich mich als Frau der Kirche gerne beteilige, weil die Kirchen in der Tat zum Wohlergehen der Menschen in den Städten beitragen wollen. Denn wer wagt es, in der pluralistischen Gesellschaft postmoderner Zeit noch, eindeutig festzulegen, was das Beste sei. Verständigung ist nötig darüber: Was sind die Werte, an denen wir unsere sozialen Maßnahmen orientieren? Was ist noch gesellschaftlicher Konsens im Blick auf die soziale Dimension der Städte? Wer ist in der City überhaupt präsent? Macht die Stadtluft noch immer frei? Suchen wir also gemeinsam. Ich spreche zu Ihnen nicht als Expertin in Städtefragen. Ich würde mich allerdings selbst als einen Stadtmenschen bezeichnen. Ich bin vom Land in die Stadt übergesiedelt, weil mich die Freiheit, die Vielfalt, die Lebendigkeit der Stadt angezogen hat. Ich habe als Frau mit einem langen Engagement in Fragen der Dritten Welt, oder wie wir heute richtiger sagen, der Einen Welt alle Arten von Städten in Nord und Süd, Ost und West kennen gelernt, die einen das Fürchten lehren: Städte,
Als Christin interessieren mich die Fragen des menschlichen Zusammenlebens in den Umbrüchen der heutigen Lebenswelt außerordentlich; mich interessiert die Globalisierungsdynamik, weil nach meinem Verständnis christlicher Glaube von Anfang an eine urbane Religion gewesen ist. Sie hat im ersten Jahrhundert in den Städten des Römischen Reiches von Antiochien über Ephesus, Korinth bis nach Rom schnell Fuß gefasst und Menschen in den Umbrüchen der damaligen Zeit neuen Sinn und eine neue Identität gegeben. Das Christentum war die Religion der "oikumene", das heißt der ganzen bewohnten Erde und hatte von Anfang an jene Art von Globalisierung im Blick, in der nicht zählen soll, ob man Jude oder Grieche, Herr oder Sklave, Frau oder Mann ist (Gal. 3: 28). So jedenfalls charakterisierte der Apostel Paulus den neuen Glauben. Ich gehöre zu den Kirchenmenschen, für die Glaube damit zu tun hat, Gerechtigkeit "innerhalb der Tore" der Stadt zu errichten und die diesen Glauben auf dem "Marktplatz" mitten in die Komplexitäten des sozialen, ökonomischen und politischen Lebens hinein einbringen. In meinem Beitrag werde ich die Sprache benutzen, die ich gelernt habe, die Bilder- und Metaphernsprache der Bibel, die im Blick auf die Stadt erstaunlich reich ist und die es ermöglicht, uns für einen Augenblick über den Pragmatismus des tagespolitischen Diskurses zu erheben. Sie versorgt uns nicht mit moralischen Imperativen, die uns ermüden und an denen wir scheitern, sondern führt uns Visionen vor Augen, die Kraft und Inspiration ausströmen. Ich möchte vier Schritte tun: einen kurzen Schritt der Diagnose, einen zweiten Schritt über das Ethos des menschlichen Zusammenlebens und Stadterfahrungen in der Bibel, einen dritten über die Vision einer zukünftigen Stadt und schließlich einen vierten Schritt mit einigen konkreten Schlussfolgerungen als Diskussionsgrundlage. 1. Schritt: DiagnoseDie Diagnose scheint klar: Im Rahmen der strukturellen Veränderungen, die die neue Welt der Kommunikation und Ökonomie, der Europäisierung und der Globalisierung mit sich bringt, haben wir es mit dramatisch veränderten Bedingungen des Alltags zu tun. Es verdichten sich die sozialen Probleme, besonders in den Wohnquartieren, in denen Arbeitslose, Migrantinnen und Migranten, alleinerziehende Frauen und Kinder, viele von denen, die im ersten Armutsbericht der Bundesregierung genannt werden, zusammenleben. Binnenmigration verändert das Gesicht der Innenstädte. Als Kirchen sind wir davon elementar betroffen. Jugendliche, die keine Räume und keine Zuwendung haben, werden gewaltbereit. Einsamkeit, Anonymität und Isolation nehmen zu, das soziale Desinteresse ebenso. Die im Klima neoliberalen Wirtschaftens propagierte Mentalität - "Jeder ist sich selbst der/die Nächste und muss sich selbst aus dem Sumpf ziehen" - verdrängt genuine Erfahrungen sozialer Einbindung, aktive Zusammenarbeit, positive Gemeinschaftserfahrung und Nachbarschaftshilfe. Ethnische Stadtviertel sind entstanden infolge fehlender Einwanderungspolitik und mangelnder Integrationsbemühungen. Von den so genannten Schläfern bis zu den Amokläufern haben wir genügend Anlässe, uns zu fragen: Wieso merkt da niemand etwas? Zugleich gibt es beachtliches zivilgesellschaftliches Engagement und intensive Stadtteilarbeit. Städtebauliche Planungen und Infrastrukturpläne allein genügen nicht, um die soziale Stadt zu schaffen. Unsere Städte und Wohnquartiere sind angewiesen auf das soziale Gewissen ihrer Planerinnen und Planer, ihrer Geldgeberinnen und Geldgeber, ihrer Erbauerinnen und Erbauer, ihrer Verwalterinnen und Verwalter und besonders ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, auch ihrer Kirchen. 2. Schritt: Ethos des menschlichen Zusammenlebens/ Stadterfahrungen in der BibelAm Beginn der Bibel wird die Geschichte des ersten missglückten Städtebaus der Menschheitsgeschichte berichtet, die Geschichte des Turmbaus zu Babel. Dort heisst es: "Die Menschen sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen" (1. Mose 11, 4). Interessant ist das Motiv dieser Stadtplanung. Es sollten nicht bessere Lebensbedingungen für die Menschen geschaffen oder der menschliche Zusammenhalt und Schutz erhöht werden, sondern der Wunsch nach Ruhm und Selbsterhöhung stand im Vordergrund. Diese Fehlplanung fand, so die Geschichte, ihr Ende dadurch, dass "Gott herniederfuhr und die Sprachen der Menschen verwirrte". (1. Mose 11,7). Um solche misslingenden Menschheitsprojekte zu verhindern, berichtet die Bibel, dass Gott dem nomadisierenden Volk auf seinem Weg zur Sesshaftwerdung Wegweisungen für das menschliche Miteinander gegeben hat. Ihr Ziel ist, das Leben der Menschen richtig, das heißt im biblischen Verständnis gerecht zu gestalten, sodass Gott, Mensch und Schöpfung einander gerecht werden und so leben, dass das Leben aller im Schalom, im friedlichen Ausgleich von Geben und Nehmen, ermöglicht wird. Zu diesen Wegweisungen gehören auch die zehn Gebote. Wenn die Stadtforscher Recht haben, dann entstanden die ersten Städte dort, wo sich Wege kreuzten und dadurch Begegnung, Tausch und Handel möglich wurden. Sie entstanden auch dort, wo man die Toten begraben hat, die man, nomadisierend, zurückließ. Dort wurden Kultstätten errichtet, an denen die Lebenden Orientierung, Sinn und das, was über das irdische Leben hinausging, die Transzendenz, suchten (vgl. Lewis Mumford, The City in History, London 1966). Die meisten Städte in biblischer Zeit waren mit Schutzmauern umgeben. Man betrat sie durch "das Tor", das auf einen größeren Versammlungsplatz führte. Dort wurde im alten Israel öffentlich Recht gesprochen, sodass die Gemeinschaft immer wieder an das gemeinsame Ethos und die die Gemeinschaft verbindenden Rechtsnormen erinnert wurde. Die spätere städtebauliche Triade von Markt, Kirche und Rathaus wird hier schon sichtbar. Heute verändert sich das Konzept der Städte, und es muss uns zu denken geben, wenn wir diese Triade bewusst oder unbewusst verändern. Der Beginn der Rechtsprechung ist im jüdisch-christlichen Erbe religiös verankert. An ihrem Anfang steht die Gottesverehrung. Sie ist die Grundlage jeglicher Rechtsnorm. Das Recht gerade der Schwachen, die sich nicht selbst helfen können, wird durch die Autorität Gottes geschützt, die der Richter oder der rechtsprechende König verkörpern und vollziehen soll. Für unsere Frage nach der sozialen Stadt sind folgende Rechtsnormen besonders interessant:
Auf diesem Ethos des Miteinander und des Schutzes der Schwachen wird das Zusammenleben begründet. Vom Misslingen menschlichen Zusammenlebens in den Städten wird ebenfalls berichtet. Sodom und Gomorrha scheitern an der Brutalität und Gewalttätigkeit ihrer Bürger. Ninive entgeht dem verdienten Untergang durch die Fürbitte des Propheten Jona. In einer säkularisierten Gesellschaft lassen sich das Recht und die Normen menschlichen Zusammenlebens nicht mehr auf religiöse Weise begründen. Wie aber begründen wir sie? Das biblische Ethos weiß, dass langfristig nur die Lösungen haltbar sind, die am Wohlergehen der gesamten Gemeinschaft der globalisierten Welt orientiert sind. Dieses Ethos hat sich auch entscheidend in den Menschenrechten, im deutschen Grundgesetz und der Sozialgesetzgebung niedergeschlagen. Es bleibt mir nichts anderes, als für die Plausibilität und Zukunftsfähigkeit dieser an einer Welt-Gemeinschaft orientierten Ethik zu werben. 3. Schritt: Visionen der zukünftigen StadtErstaunlicherweise stehen am Ende der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, als Hoffnung der endlich ans Ziel der Geschichte gekommenen Menschheit kein Naturidyll, keine ewigen Jagdgründe, sondern das Bild einer visionären Stadt: des himmlischen Jerusalem. Wie schmerzlich ist es, diese Vision angesichts der Lage im heutigen Jerusalem zu lesen. Das neue Jerusalem ist das Gegenbild zu der von Gewalt, sozialer Missachtung, Größenwahn und Repräsentationssucht geprägten Stadt Babylon, die in der Johannesapokalypse gleichbedeutend ist mit dem damaligen Rom, dem Imperium Romanum. Aus dieser Vision habe ich einige Verse ausgewählt.
Das Licht der Stadt war gleich dem alleredelsten Stein klar wie Kristall. Sie hatte eine große und hohe Mauer und hatte zwölf Tore, nach Osten drei, nach Norden drei, nach Süden drei, von Westen drei. Aus zwölf Perlen waren die Tore... Die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie. Die Völker werden wandeln in ihrem Licht; und die Könige auf Erden werden ihre Herrlichkeit in sie bringen. Und ihre Tore werden nicht verschlossen sein am Tage, denn da wird keine Nacht sein. Man wird die Pracht und den Reichtum der Völker in sie bringen. Und nichts Unreines wird in sie kommen und keiner der Greuel tut und Lüge... und er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall mitten auf dem Platz und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölf Mal Früchte, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker, (Offenb. 21, 10 - 22, 2 in Auswahl)
Das zentrierende Prinzip dieser Stadt ist freilich die Anwesenheit Gottes, der der Inbegriff der Gerechtigkeit ist, der richtigen, einander gerecht werdenden Beziehungen, die den Schutz des Lebens und der Schwachen gewährleisten. Was sind die Orientierungspunkte, die diese Vision für unseren Diskurs über die soziale Stadt liefert?
So weit einige Aussagen über die Stadt der Zukunft und Hoffnung, die endzeitliche Vision urbanen Zusammenlebens. 4. Schritt: Schlussfolgerungen für heuteAuch die Städte des 21. Jahrhunderts können Gesamtkunstwerke menschlichen Zusammenlebens sein. Viele verschiedene Interessen sind in ihnen am Werk. Sie sind der Testfall unserer Menschlichkeit und Zukunftsfähigkeit. "Die Stadt kann der Idealfall für die Realisierung der menschlichen Gemeinschaft sein, weil sie das konkrete Leben, dem Wesen der menschlichen Natur entsprechend, aus der gegenseitigen Abhängigkeit (Interdependenz) heraus gestaltet…Im Individualismus ist jede Person unabhängig, selbstverantwortlich, sie/er tut alles für sich selbst. In der Stadt sind die Arbeitsaufgaben geteilt, jeder tut einen Teil, und die Schönheit des Lebens ist keine Solo-Präsentation, sondern eine Symphonie. Eine Gemeinde, eine Stadt, das sind nicht Straßen und Häuser, es sind die Menschen." (M. Eugene Boring, Revelation, A Bible Commentary S. 219, eigene Übersetzung). Aus dem bisher Gesagten und aus meiner begrenzten Einsicht in die Lebenswelt der modernen Städte möchte ich einige Sätze für die Zukunftsfähigkeit der Städte und ihrer sozialen Ausrichtung zur Diskussion stellen.
Das Programm Soziale Stadt des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hat sich vorgenommen, die Menschen in der Stadt zu aktivieren und aktiv an der Gestaltung der Stadt zu beteiligen. Lewis Mumford, ein englischer Städteforscher, beschrieb die Zukunftsaufgabe so:
"Wir müssen die Städte nicht in erster Linie als Geschäftszentren und Regierungsviertel konzipieren, sondern als wesentliche Orte, an denen sich eine neue menschliche Persönlichkeit entfalten kann: ein Mensch, der in der Einen Welt lebt… Die alte Trennung von Mensch und Natur, Stadt- und Landmensch, Gebildeten und Ungebildeten, Einheimischen und Ausländern kann nicht länger aufrechterhalten werden. Denn durch die Kommunikation ist der ganze Planet ein Dorf geworden. Deshalb muss auch die kleinste Wohneinheit als ein Modell der größeren Welt geplant werden. Der individuelle und korporative Wille seiner Bürger/innen, die nach Selbsterkenntnis, Selbstregierung und Selbstaktualisierung streben, muss in der Stadt verkörpert sein." (S. 653)
Ich möchte hinzufügen: Gerade auch in der Stadt muss Gemeinschaft und Solidarität erfahrbar sein, wenn die Städte nicht zu Monstren fragmentierten Lebens werden sollen. Schließen möchte ich mit dem Wunsch aus einem der Psalmen, in dem der Stadt jene urbane Lebensqualität gewünscht wird, die aus ihr einen Ort der Zukunft macht: "Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein" (Ps. 46,5). Es ist erstaunlich, dass schon vor zweieinhalb Jahrtausenden den Menschen die Heiterkeit der Stadt wichtig war, ein Wunsch, der die vorgetragenen Perspektiven noch einmal zurechtrückt und der sozialen Stadt jene Freudigkeit verleiht, die sie haben soll und an der wir uns alle freuen werden. |
![]() ![]() ![]() |
Quelle: Kongress Die Soziale Stadt - Zusammenhalt Sicherheit, Zukunft, Dokumentation der Veranstaltung am 7. und 8. Mai 2002 in Berlin, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, November 2002 |