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Christine Becker, Referentin für Standortmarketing bei der Wirtschaftsförderung Region Kassel GmbH
Die Wirtschaftsförderung Region Kassel GmbH (im Folgenden WFG genannt) ist einer der Akteure zur Beratung von Unternehmen sowie Existenzgründerinnen und -gründern in der Kasseler Nordstadt, dem hessischen Modellgebiet des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt.
Die Wirtschaftsförderung wurde 1990 aus dem Liegenschaftsamt der Stadt Kassel heraus als GmbH gegründet, zunächst mit der Stadt Kassel als einziger Gesellschafterin. Dann kam der Landkreis Kassel als Minderheitsgesellschafter hinzu; mittlerweile sind Stadt und Landkreis Kassel gleichberechtigt (das heißt zu gleichen Anteilen) die Hauptgesellschafter. Hinzugekommen sind im Jahr 2000 die Gesellschafter Industrie- und Handelskammer Kassel, Handwerkskammer Kassel, Kasseler Sparkasse und Kasseler Bank eG. Damals wie heute sind die Hauptaufgaben der WFG "die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen" im Raum Kassel.
Diesen Aufgaben versucht die WFG in erster Linie dadurch gerecht zu werden, dass ansiedlungswillige Unternehmen darin unterstützt werden, in der Stadt Kassel oder in einer der Landkreis-Kommunen Gewerbeflächen zu erwerben. Hinzu kommen die Beratung und Betreuung von Unternehmen, die sich erweitern/vergrößern oder modernisieren müssen. Insbesondere die Vermarktung von Flächen im Bereich des Industrie- und Gewerbeparks Kassel-Waldau und im daran angrenzenden Güterverkehrszentrum steht im Zentrum der Tätigkeiten der WFG. Weiter kommen hinzu die Beratung besonderer städteplanerischer Maßnahmen wie Reaktivierung städtischer Industriebrachen oder Konversion von ehemaligem Kasernengelände. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der WFG nehmen außerdem an den Sitzungen von Arbeitsgruppen zu Masterplanungen für bestimmte Stadtteile wie Rothenditmoldt teil; dort gehen das Gelände des (ehemaligen) Hauptbahnhofs und das des Industriestandorts Thyssen in Rothenditmold ineinander über.
Zum WFG-Personal gehören:
Alle Stellen sind Vollzeitstellen. Mit diesem Personal müssen theoretisch 9 000 Unternehmen unterschiedlichster Größe, Struktur und Branche in Stadt und Landkreis Kassel betreut werden.
Die eigentliche Unternehmens- bzw. Unternehmerinnen- und Unternehmerberatung bei Existenzgründungen wird von der WFG direkt an die zuständige Kammer oder an das RKW weitergeleitet. Besondere Beratung und Begleitung erfahren Unternehmen, die in irgendeiner Form investieren wollen oder müssen und die dafür die so genannten GA-Zuschüsse, reine Zuschüsse von bis zu maximal 28 Prozent aller investiven Ausgaben, aus dem Bund-Länder-Programm zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft in Anspruch nehmen wollen. Diese Zuschüsse sind allerdings an die Bedingung geknüpft, dass das Unternehmen mit den Investitionen entweder Arbeitsplätze schafft oder erhält, und dass der Absatz der Produkte oder Dienstleistungen zu mehr als 50 Prozent "über-regional" ist, also außerhalb eines Radius von 50 Kilometern liegt.
Hieraus resultiert eine erste Schwierigkeit, die die WFG mit der Förderung, Beratung und Begleitung von Unternehmen hat, die ausschließlich ihr nahes Umfeld versorgen, das heißt die zur Lokalen Ökonomie gehören. Hinzu kommt, dass es keine uns bekannten Förderprogramme, also Finanzhilfen, für Investitionen im Einzelhandel und/oder für KFZ-Betriebe gibt. Allerdings gibt es durchaus auch hier Programme zur Wiedereingliederung von Arbeitslosen und Ausbildungsplatzförderungsprogramme.
Als direkter Ansprechpartner auf Seiten der Stadt Kassel gilt bei Kaufinteresse für städtische Flächen das Liegenschaftsamt, das direkt dem Kämmerer der Stadt untersteht. Angesichts der Haushaltslage hat die Stadt ein großes Interesse an der Vermarktung ihrer eigenen Flächen. Allerdings muss das Flächenangebot noch mindestens zehn Jahre vorhalten, was die Angebotsstrategie auf besonders arbeitsplatzintensive Unternehmensansiedlungen beschränkt. Bei allen anderen unternehmerischen Entscheidungen, die mit dem Bau oder dem Kauf einer Immobilie in der Stadt Kassel zu tun haben, ist der Baudezernent (CDU) der erste Ansprechpartner. Unternehmen, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, wenden sich in der Regel zuerst an den Oberbürgermeister der Stadt Kassel (ebenfalls CDU), der auch der Dezernent für Wirtschaft ist.
Im Soziale Stadt-Gebiet in Kassel, der Nordstadt, gibt es bereits seit einigen Jahren das so genannte Nordstadt-Projekt. Es wurde von der Sozialdezernentin (SPD) ins Leben gerufen und wird auch von ihr am Leben gehalten. Auch der Dezernent für Kultur wird von der SPD gestellt.
Das Nordstadt-Projekt und auch das Programm Soziale Stadt werden nach Einschätzung der Autorin nicht als gesamtstädtisch relevante Projekte oder auch nur als Teile einer gesamtstädtischen Entwicklungsplanung verstanden. An keiner der Veranstaltungen im Rahmen des Nordstadt-Projekts oder des Programms Soziale Stadt hat der Oberbürgermeister oder der Baudezernent teilgenommen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Planungsamt waren jedoch an sehr vielen Gesprächen und Konferenzen beteiligt. Auf dieser Ebene ist das Verständnis für die Notwendigkeit eines integrativen Handelns für die soziale Stadtteilentwicklung durchaus vorhanden.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Planungsamts haben naturgemäß die Aufgabe, den städtischen Raum zu planen und zu entwickeln. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wirtschaftsförderung (insbesondere aber die Akteure, die die IHK zu den Arbeitstreffen im Programm Soziale Stadt entsandt hatte), sind überhaupt nicht daran gewöhnt, über die einzelbetriebliche Förderung, Beratung und Begleitung hinaus zu wirken. Sozialraumbezogene Wirtschaftsförderung wird bei der WFG nicht zu den Kernkompetenzen gezählt.
Die Förderung der Lokalen Ökonomie in einem Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf stellt die WFG vor besondere Herausforderungen. Nach ausführlichen Gesprächen und ersten Beratungen von bis zu zehn Unternehmen aus der Nordstadt hat sich folgendes Muster ergeben:
Es waren ausschließlich Unternehmer türkischer Herkunft, die sich an die WFG wandten.
Sie waren in der Regel schon zwei bis fünf Jahre auf dem Markt; zum Teil hatten sie die eigenen finanziellen Möglichkeiten völlig ausgeschöpft; mussten jedoch erweitern oder neu bauen. Dafür erhofften sie eine Förderung in Form von Zuschüssen - entweder direkt von der WFG, von der Stadt oder mit Unterstützung der WFG einen einfachen Zugang zu Darlehen ihrer Hausbank.
Bei allen beratenen Unternehmen stellte sich heraus, dass die Bereitschaft der Gesprächspartner, sich auf das in Deutschland übliche Geschäftsgebaren und auf die von den Banken geforderte sehr weitgehende Transparenz und Einsicht in die Geschäftsunterlagen und -strukturen einzulassen, zu gering war. Nach Kenntnis der Autorin wurde keines der Beratungsangebote oder der Seminare zur Unternehmensführung, wie die IHK oder das RKW sie anbieten, in Anspruch genommen. In solchen Fällen von - zumeist kulturell bedingter - Beratungsresistenz kann auch die WFG nicht dabei helfen, über die Hausbanken ein Darlehen zu bekommen.
Zudem handelte es sich bei diesen Unternehmen in der Regel um Einzelhandel (türkischer Sonderpostenmarkt), KFZ-Handel, Taxi-Betriebe oder Gastronomie, Gewerbebetriebe ohne allzu hohes Ansehen bei den Kammern und bei den Banken, auch nicht bei den Kommunalpolitikerinnen und -politikern - und damit ohne Lobby.
Die Stadt Kassel hat bis heute kein eigenes Förderprogramm (Zuschüsse, Bürgschaften) für Kleinst- und Kleinunternehmen, die zur Stabilisierung und zur Nahversorgung in dem Programmgebiet beitragen, entwickelt.
Die Beantragung von besonderen Darlehen der DtA (Deutschen Ausgleichsbank), z.B. zur Modernisierung von Heizungsanlagen oder anderen Investitionen, die den Energieverbrauch senken oder auch das Grundwasser schützen, ist sehr aufwendig und konnte von den Unternehmen nicht ohne sehr anhaltende Unterstützung bewältigt werden. Die Steuerberater oder Architekten der Unternehmen hatten jedoch mit diesen Programmen und Anträgen keine ausreichende Erfahrung.
In der Nordstadt gibt es noch einige große Unternehmen (vor allem Tochterunternehmen großer Mutterkonzerne, die nicht selbst in Kassel ihren Sitz haben). Dazu zählt Bombardier (früher AdTranz), die Schwerlastlokomotiven in Kassel produzieren. ThyssenTransrapid baut Stratorpakete für den Transrapid in der Nordstadt. Daimler-Chrysler baut dort Achsen für Schwerlastfahrzeuge. Von keinem dieser Unternehmen haben leitende Angestellte oder Geschäftsführer an den Sitzungen der Arbeitsgruppen des Nordstadt-Projekts oder der Sozialen Stadt teilgenommen. Nach Auskunft eines Personalleiters von einem dieser Unternehmen rekrutieren sie ihre Arbeitskräfte kaum aus dem sie umgebenden Stadtteil. Durch die Abspaltung weiter Teile der ursprünglichen Produktion und den damit verbundenen Rückgang von Beschäftigten gibt es ausreichend Parkplätze, und die Straßenbahn direkt vor den Werkstoren ermöglicht es auch nichtmotorisierten Beschäftigten, gut zur Arbeitsstelle zu kommen. Als Probleme wurden von diesen Gesprächspartnern hauptsächlich die zu geringen Deutschkenntnisse und die unzureichende Arbeitshaltung vieler - zumal jugendlicher - potenzieller Arbeitskräfte aus dem Stadtteil beschrieben.
Eine erhebliche Bedeutung für die öffentliche Wahrnehmung der Nordstadt spielt auch die Universität, die im südlichen Bereich des Stadtteils ihren Hauptsitz hat. Sie bildet mit ihrem Standort am Holländischen Platz auch die Schnittstelle oder den Übergang zwischen der Innenstadt, der City, und der Nordstadt. Von Seiten der Universitätsleitung oder des Studentenwerks hat - so jedenfalls die Erinnerung der Autorin - niemand an den Treffen, bei denen sie anwesend war, teilgenommen.
Die hier geschilderten Erfahrungen und Beobachtungen machen für das Modellgebiet Kassel-Nordstadt deutlich, dass es nach Einschätzung der Autorin hier kein integriertes Handlungskonzept zur sozialen Stadtteilentwicklung gibt. Weder wird dieser Ansatz zwischen den verschiedenen Dezernaten der Stadtverwaltung verfolgt, obwohl dies wohl durchaus im Interesse der Sozialdezernentin wäre, die sich jedoch in dieser Sache nicht gegen die beiden Dezernenten für Wirtschaft und für Bauen (mit Planung) durchsetzen kann. Noch wird der Ansatz von den verschiedenen Einrichtungen der Wirtschaftsförderung (IHK, HWK, WFG) verfolgt. Schon innerhalb der WFG gibt es keine Strategie, wie man auf die sozialräumlichen Rahmenbedingungen für eine bessere einzelbetriebliche Entwicklung einwirken könnte. Eine solche Strategie zu entwickeln, ist auch bislang kein Auftrag der Stadt (als Hauptgesellschafter) an die WFG. Allerdings versteht sich die WFG auch nicht als eine Institution, die ihre Erfahrungen in Projekten wie dem der Nordstadt wieder konstruktiv in die zuständigen Entscheidungsebenen von städtischer Politik und Verwaltung zurückkoppelt.