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Klaus Buß, Innenminister des Landes Schleswig-Holstein
Für Fachleute und interessierte Laien ist eines klar: Der Entwicklungsbedarf in benachteiligten Quartieren wächst, auch in Schleswig-Holstein. Die Finanzmittel, die uns dafür zur Verführung stehen, sind relativ bescheiden. Mit den überforderten Nachbarschaften geht der überforderte Staat Hand in Hand. Es muss uns daher gelingen, die Effizienz der zur Verfügung stehenden Mittel zu steigern. Die Ziele und Strategien städtebaulicher Erneuerung müssen zu einem Konzept aus einem Guss werden. Die Städtebauförderung hat zwar auch einen investiven Ansatz, sie hat aber zugleich den Anspruch, verschiedene, stadtentwicklungspolitisch zusammenwirkende Teilmaßnahmen und -programme zu bündeln. Damit bietet sie eine sehr gute Basis für einen umfassenden Politikansatz. Nicht bauliche Themen und die Beseitigung städtebaulicher Missstände stehen im Vordergrund, sondern die Frage, ob und wie künftig unsere Städte lebenswerter werden können und sozial gefährdeten Nachbarschaften geholfen wird. Es geht um die Schaffung zukunftsfähiger ökologischer, ökonomischer und sozial-kultureller Standards für alle Bürgerinnen und Bürger unserer Gesellschaft. Die Instrumente hierfür sind alle bekannt: Ressourcen bündeln, Politikfelder verzahnen, Ressortegoismen aufgeben, die Zielgenauigkeit der Förderungsinstrumente erhöhen, integrierte Handlungskonzepte aufstellen und umsetzen, neue Kommunikations-, Kooperations- und Organisationsstrukturen aufbauen, die Potenziale der Zivilgesellschaft durch eine neue Verteilung der Verantwortung nutzen. Die Begriffe gehen uns leicht über die Lippen. Niemand zweifelt ernsthaft die Richtigkeit eines integrierten, sektoral- und ressortübergreifenden Handlungsansatzes an. Er ist der einzig gangbare Weg, um benachteiligte Stadtteile zu stabilisieren und in ihrer Entwicklung voranzubringen. Aber wie sieht die Praxis aus? 1998 wurden im Rahmen des Landesprogramms Städtebauförderung in Schleswig-Holstein an zwei Standorten - in Flensburg und Lübeck - Projekte einer sozialen Stadtteilentwicklung angeschoben. Beide Projekte, die mittlerweile nahezu abgeschossen sind, gelten als außerordentlich erfolgreich. Noch vor wenigen Jahren wurde Flensburg-Engelsby als sozialer Brennpunkt beschrieben. Es gab viele Leerstände. Heute hat das Wohnungsunternehmen Wartelisten potenzieller Mieterinnen und Mieter. Der Weg zum Erfolg war nicht immer einfach. Er war mit sehr hohem Engagement der beteiligten Personen verbunden. Gerade deshalb ist es uns auch gelungen, die Instrumente der Städtebauförderung und der Wohnungspolitik zu verzahnen und gleichzeitig die Bevölkerung vor Ort an der Entwicklung zu beteiligen. In der Hauptsache waren es Kinder und Jugendliche, die mitgemacht haben. Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass die Polizei von Flensburg umorganisiert wurde; nun spielen sehr engagierte "Sozialarbeiter in Uniform" eine tragende und von allen Bewohnerinnen und Bewohnern akzeptierte, ja gewünschte Rolle im Stadtteil. Der Flensburger Stadtteil Engelsby ist eine typische Großsiedlung aus den 60er- und 70er-Jahren. Diese wurde mit Mitteln der Städtebauförderung und der Europäischen Union weiterentwickelt. Die rund 3,5 Mio. DM haben bei den Wohnungsbaugesellschaften zusätzliche Investitionen von rund 45 Mio. DM ausgelöst, die in die Modernisierung der Wohnungen geflossen sind. Es ist uns in Engelsby gelungen, einen Imagewechsel herbeizuführen. In Engelsby gibt es heute einen Stadtteil- und Freizeitpark, Straßen wurden umgebaut, Stellplatzanlagen neu ausgerichtet, und es wurden Spielräume geschaffen. Eine alte Heizzentrale, die niemand mehr brauchte, wurde zu einem Bürgertreff umgebaut. Hochhäuser mit inzwischen schäbigen Fassaden wurden grundlegend modernisiert und gelten heute - so viel zum Thema Imagewechsel - als positive Wahrzeichen des Stadtteils. Die Umgestaltung des Stadtteils erfolgte nicht vom grünen Tisch. Wir sind auf die Bewohnerinnen und Bewohner zugegangen und haben sie ermuntert, sich aktiv an der Neuausrichtung ihres Wohngebiets zu beteiligen. Dies geschah über Workshops, Zukunftswerkstätten, Vortragsreihen und runde Tische. Im Lübecker Stadtteil Hudekamp haben wir die soziale Stadtentwicklung im Rahmen der Städtebauförderung mit insgesamt 3,5 Mio. DM unterstützt, davon kamen 500 000 DM aus dem Programm "Soziale Stadt". Insgesamt wurden in der Hansestadt rund zehn Mio. DM investiert. Auch hier standen wir vor der Aufgabe, eine Siedlung aus den 70er-Jahren sozial und städtebaulich zu stabilisieren. Was passierte konkret? Wohnhochhäuser wurden modernisiert und instand gesetzt. Außenanlagen wurden neu gestaltet. Es wurden Spiel- und Ruheflächen und Gärten für Mieter angelegt. Die Eingangsbereiche und die Erdgeschosse der Hochhäuser wurden komplett umgebaut und beherbergen nun neben Conciergelogen ein Café für die Bewohnerschaft, eine Teestube, einen Jugendtreff und eine Spielstube. Inzwischen haben sich hier vielfältige Aktivitäten entwickelt, die das soziale Zusammenleben positiv beeinflusst haben. Neben einem Seniorentreffpunkt gibt es einen Frühstückstisch für Kinder, ein Internetcafé und regelmäßige Diskos im Jugendtreff. Neben den beiden Pilotprojekten, die räumlich und hinsichtlich der funktionalen Zusammenhänge und Möglichkeiten recht begrenzt waren, setzen die Kommunen Schleswig-Holsteins im Rahmen des Förderungsprogramms Soziale Stadt zurzeit acht weitere Maßnahmen sozialer Stadtteilentwicklung um. Die jeweiligen Standorte und die Lösungsansätze sind sehr unterschiedlich. Besonders bei den kleineren Maßnahmen in Orten wie Itzehoe oder Elmshorn greifen nicht alle für die Soziale Stadt relevanten Handlungsfelder. Hier stehen die Wohnbestandsentwicklung und WohnumfeldverbesseWohnumfeldverbesserungen im Vordergrund. Sie werden kombiniert mit sozialen Projekten, die sich hauptsächlich mit Menschen beschäftigen, die zu uns eingewandert sind. Da ich neben der Städtebauförderung auch für die Wohnungsbauförderung sowie für die Ausländerangelegenheiten zuständig bin, ist die Bündelung der notwendigen Ressourcen auf Landesebene vergleichsweise unproblematisch. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Städtebau- und der Wohnungsbauförderung haben sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt, das auf umfassenden wohnungspolitischen und wohnungswirtschaftlichen Konzepten für die jeweiligen Stadtteile basiert. Hierbei werden alle zur Verfügung stehenden wohnungspolitischen Instrumente einbezogen. Die Frage nach der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit von Modernisierungskonzepten gegenüber Abriss nicht mehr zeitgemäßer Wohnungen und Neubau spielt eine wesentliche Rolle. In einem relativ dünn besiedelten Land wie Schleswig-Holstein wird ein zehngeschossiges Punkthaus von potenziellen Mieterinnen und Mietern kaum noch angenommen. Die notwendige Modernisierung der Wohnungsbestände aus den 70er-Jahren mit einem Standard, der eine nachhaltige Nutzbarkeit ermöglicht, ist auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht immer sinnvoll. Die Leerstände in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf bieten auch in den alten Ländern die Chance zu einer attraktiven Umgestaltung, indem Abrissmaßnahmen in die Aufwertungsstrategien für Wohnsiedlungen integriert werden. Hier ist sicherlich kein flächendeckender Handlungsansatz wie mit dem Stadtumbauprogramm Ost für die neuen Länder gegeben. Vielmehr geht es um punktuellen Rückbau und Neubebauung der freiwerdenden Flächen überwiegend mit neuen Eigentumsmaßnahmen. Dadurch erreichen wir eine nachhaltige Strukturverbesserung der Siedlungen aus den 50er- bis 70er-Jahren. In den größeren auch innerstädtischen Fördergebieten der kreisfreien Städte werden thematisch umfassendere Handlungskonzepte umgesetzt. Die Funktion des Programms Soziale Stadt als investives Leitprogramm muss auch anderen Ressorts gegenüber erfolgreich umgesetzt werden. Schon mit der Programmaufstellung 1999 hat das Schleswig-Holsteinische Kabinett beschlossen, eine interministerielle Lenkungsgruppe für die Fragen der Programmbündelung einzusetzen. Alle Ressorts wurden aufgefordert, im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten die Umsetzung des Programms Soziale Stadt zu unterstützen. Aber Papier ist geduldig, und was heißt schon "im Rahmen ihrer Möglichkeiten"? Schon sehr schnell hat sich gezeigt, dass es aufgrund personeller Engpässe innerhalb der Landesregierung und der Notwendigkeit, sehr schnell die Rahmenbedingungen für die Umsetzung integrativer Stadtentwicklungsansätze zu schaffen, nicht möglich war, einen politischen Konsens der betroffenen Ressorts darüber zu erreichen, was von Landeseite zu tun ist. Deshalb unterstützt das für das Programm Soziale Stadt federführend zuständige Fachreferat die Kommunen nun direkt bei der Einwerbung von Fördermitteln für konkrete Projekte. Dies bedeutet die Einrichtung eines Programmbündelungs-Managements direkt im Innenministerium, das die Kommunen bei der Projektentwicklung berät und unterstützt und auch eine Türöffnerfunktion zu den anderen Landesministerien hat. Auch auf Seiten des Landes ist es nicht immer leicht, die Voraussetzungen für integriertes Handeln herzustellen. Lassen Sie mich beispielhaft die Bemühungen meines Haus um Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung - kurz EFRE - schildern. Das Schleswig-Holsteinische Wirtschaftsministerium hatte sich entschlossen, die in Aussicht gestellten EFRE-Mittel mit den Bundes- und Landesmitteln der Wirtschaftsförderung zu kombinieren. Über einen breit diskutierten Qualitätswettbewerb wollte man über die Mittelvergabe entscheiden. Korridore für die einzelnen Maßnahmenbereiche sollten nicht eingerichtet werden. Die Hauptzielrichtung des Programms ist die Förderung der wirtschaftsnahen Infrastruktur unter Zuhilfenahme der einschlägigen Förderungsrichtlinien des Landes. Die Ausgestaltung des für die Städtebauförderung relevanten Maßnahmenbereiches war sehr aufwändig. Besonders problematisch erwies sich die Frage, ob EFRE-Mittel zur Erschießung gemischt genutzter Gebiete eingesetzt werden können. Die Wirtschaftsförderer können wohl immer noch besser mit Gewerbegebietsansiedlungen in Stadtrandbereichen oder in Umlandgemeinden umgehen als mit den etwas komplexer zu kommunizierenden Projekten wirtschaftsnaher Infrastruktur in innerstädtischen und gar problembehafteten Lagen. Mittelweile haben wir uns einer inhaltlichen Lösung des Problems angenähert, und die Europäische Kommission hat dem Land Schleswig-Holstein die Mittelzuschreibung zu den einzelnen Maßnahmenbereichen verbindlich vorgeschrieben. Die hier ausgeführten Beispiele integrierter Vorgehensweisen seitens des Landes Schleswig-Holstein stehen für viele mögliche Vorgehensweisen. Auf Bundesebene hat bisher einzig die Bundesjugendministerin mit "Entwicklung und Chance junger Menschen in sozialen Brennpunkten" ein Programm aufgelegt, dass gezielt in den Fördergebieten der Sozialen Stadt eingesetzt wird. Ich denke jedoch nicht, dass wir zwingend weitere oder komplementär konzipierte Programme für die Soziale Stadt brauchen. Gefragt ist vielmehr die konsequente Überprüfung der Förderprogramme des Bundes und der Länder darauf hin, inwieweit sie geeignet sind, den sich verschärfenden gesellschaftlichen Problemen auch dort wirksam zu begegnen, wo diese am deutlichsten in Erscheinung treten. Mit der Neuorientierung der Städtebau- und Wohnungspolitik, die die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode sehr erfolgreich auf den Weg gebracht hat, ist es gelungen, die Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Stadtteilentwicklung wesentlich zu verbessern. Stellvertretend seien hier nur das Programm Soziale Stadt und die Wohnungsbaurechtsreform genannt. Dafür möchte ich Ihnen, Herr Minister Bodewig, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meinen Dank aussprechen. Diesen Dank möchte ich jedoch mit dem Wunsch verbinden, dass Sie den eingeschlagenen Weg der Stärkung der Städte und der Verbesserung der Rahmenbedingungen für integratives Handeln für die soziale Stadtteilentwicklung zielgerichtet fortsetzen mögen. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen einen spannenden Kongress, neue Impulse für Ihre Tätigkeit, Kreativität und Phantasie sowie den Mut und die Ausdauer für visionäre Konzepte. |