soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"

Arbeitsgruppe 3:
Förderung der Beschäftigung im Stadtteil

Gerd Walter,
TU Hamburg-Harburg

  

Lokale Handlungsbedingungen
Lokale Beschäftigungsförderung in strukturschwachen Stadtteilen
Grenzen des Möglichen
Perspektiven für die lokale Beschäftigungsförderung
Mobilität fördern
Arbeitsvermittlung vor Ort fördernt
Kontaktnetze zwischen Schulen, Weiterbildungsträgern und Unternehmen knüpfen
Gewerbliche Infrastrukturen verbessern
Anmerkungen

Lokale Handlungsbedingungen

Welche Möglichkeiten gibt es zur Förderung der Beschäftigung im Stadtteil? Die Frage ist nicht ohne genaue Kenntnis der Stadtteile zu beantworten, um die es eigentlich gehen soll. Es gibt zwischen benachteiligten Stadtteilen einfach zu viele wesentliche Unterschiede, als dass überall von denselben Handlungsbedingungen und Erfolgsaussichten ausgegangen werden könnte. Welche Möglichkeiten es gibt, hängt unmittelbar von den sozialen, ökonomischen und räumlichen Gegebenheiten in den Stadtteilen ab. Trotz der vielen Unterschiede möchte ich jedoch die Stadtteile grob in folgende Typen zusammenfassen, die jeweils nach den Besonderheiten der wirtschaftlichen Entwicklung gebildet sind:

Die strukturellen Bedingungen in diesen Stadtteiltypen sind von der Planung und der Politik meist erheblich mitgestaltet worden. Dass gerade jene Stadtteile eine besonders rege wirtschaftliche Entwicklung entfalten, in denen während der letzten 20 Jahre intensive Stadterneuerungsverfahren durchgeführt wurden, zeigt die enorme Bedeutung einer Planung, die auf die Erhaltung und Erneuerung von gemischten städtischen Strukturen setzt.

Umgekehrt zeigt sich aber auch, dass dort, wo die Planung vor allem sektorale wohnungspolitische Ziele verfolgte, die wirtschaftliche Entwicklung nicht in Gang gekommen ist. Die städtebaulichen Leitbilder der Nachkriegszeit und die Praxis der Stadtplanung in den 60er- und 70er-Jahren hatten wenig Verständnis und Sensibilität für die urbane Qualität funktionsgemischter Stadtquartiere. Vor allem durch die einseitige Ausrichtung der Stadterneuerung auf die Erneuerung der physischen Substanz der Stadt und die Modernisierung der Wohnfunktion wurden viele Betriebe aus ihren angestammten innerstädtischen Standorten verdrängt.

Inwieweit die Beschäftigung lokal gefördert werden kann, hängt also ganz wesentlich von den gewerblichen, räumlichen und sozialen Umfeldbedingungen eines Stadtteils, Quartiers oder einer Siedlung ab. Generell haben die Planung und die Politik einen großen Einfluss auf die Gestaltung dieses Umfelds, zum Teil erschaffen sie es sogar selbst. Insofern haben sie auch großen Einfluss auf die Förderung der lokalen Beschäftigungssituation. Andererseits gilt es auch zu bedenken, dass gemischte Strukturen sehr viel leichter an veränderte soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen anzupassen sind als streng zonierte Strukturen. In der Regel sind das auch die Stadteile, in denen Politik und Planung mit den größten Problemen konfrontiert sind. Und es sind die Stadtteile, in denen Wohnungsbaugesellschaften einen großen Teil des Gebäudebestands besitzen und verwalten.

Deswegen möchte ich mich im Folgenden vor allem mit diesen strukturschwachen Stadtteilen beschäftigen.


Lokale Beschäftigungsförderung in strukturschwachen Stadtteilen

Der Förderung von Beschäftigung in strukturschwachen Stadtteilen stellen sich vielfältige Probleme in den Weg, von denen ich nur einige benennen will:


Grenzen des Möglichen

Gerade dort, wo die Wohnbevölkerung am stärksten vom Mangel an Arbeit und Einkommen betroffen ist, gibt es scheinbar auch nur sehr wenige Ansatzpunkte zur Förderung der Beschäftigung. Eine Rückbesinnung auf die "endogenen Potenziale" solcher Siedlungen kann zwar überraschende Projektideen zu Tage fördern, ihre Reichweite bleibt jedoch erfahrungsgemäß sehr gering: In BewohnerInnen-Initiativen können meist nur eine geringe Anzahl von Personen mitwirken, und die Bedeutung dieser Projekte für die soziale, kulturelle oder gewerbliche Infrastruktur der Siedlung ist ebenfalls sehr begrenzt. Sie haben jedoch für die Mitwirkenden an diesen Projekten eine wichtige sozial-psychologische Bedeutung: Die BewohnerInnen spüren, dass sie etwas bewegen können, wenn sie sich selbst bewegen.

Einer wirkungsvollen Verbesserung für die Siedlung insgesamt sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Endogene und im strengen Sinn lokal orientierte Projekte haben nur in solchen Quartieren Aussicht auf grundsätzliche Veränderungen, in denen es genügend Bewohner und Unternehmer gibt, die sich für das lokale Gemeinwesen einsetzen. Das soziale Kapital, das dafür notwendig ist, kommt nicht zufällig aus den bürgerlichen Milieus und akademischen Berufen. Es handelt sich dabei um Bewohner und Gewerbetreibende, die gelernt haben, sich zu artikulieren und Interessen auf das Gemeinwesen zu bündeln.

Die in solchen Stadtteilen möglichen Strategien lassen sich nicht ohne weiteres auf Großsiedlungen übertragen, nicht nur weil die Subjekte und damit die Träger der Entwicklung fehlen, sondern auch, weil sie sich nicht einfach in die Siedlung oder in ihre Nähe "verpflanzen" lassen.

Die Mobilisierung von wirtschaftlichen Aktivitäten von den Bewohnern einer Siedlung setzt nicht nur die Bereitschaft voraus, sich auf mögliche Nutzungskonflikte einzulassen, sondern auch, dass die Flächen und Räume die Möglichkeit zur Aneignung lassen. In der Aneignung von Räumen liegt eine wesentliche Bedingung dafür, dass Menschen eine Beziehung zu einem Ort entwickeln. Erst durch Aneignung wird aus dem lokalen Zusammenhang ein Ort mit Identität und Geschichte(n), die Verbindungen und Bezüge zwischen den Menschen und Räumen schaffen. Diese bedeutungsvollen Beziehungen zwischen Mensch und Raum bilden die notwendige Bedingung, damit man Verantwortung für den Ort übernimmt und ein Interesse an ihm entsteht. Wohnungen, Garagen, Abstandsflächen oder leer stehende EG-Zonen sind jedoch nicht einfach für Existenzgründungen oder andere wirtschaftliche Aktivitäten zu gebrauchen - sie stellen ein Problem dar, das sich nicht allein durch einen laxeren Umgang mit Zweckentfremdungsgenehmigungen lösen lässt. Die infrage kommenden Standorte sind meist in wenig attraktiven Lagen, sie sind kaum frequentiert, ihr Äußeres wenig ansprechend oder verwahrlost, die Flächenzuschnitte, Raumaufteilungen und die haustechnische Ausstattung entsprechen selten den gewerblichen Nutzungsstandards.

Außerdem: dass sich Selbsthilfeaktivitäten und der Bereich der informellen Ökonomie immer nur im räumlichen Nahbereich entfalten können, ist fraglich. Zumindest im Feld der ethnischen Ökonomie zeigt sich, dass die sozialen Netzwerke viel wichtiger sind als die räumlichen Bindungen (2).


Perspektiven für die lokale Beschäftigungsförderung

Nachdem die Entwicklungsperspektiven für benachteiligte Großsiedlungen so gründlich demontiert wurden, ist die Frage nach den Ansatzpunkten für die lokale Beschäftigungsförderung umso spannender. Eine Antwort darauf sollte man meiner Meinung nach nicht nur im Lokalen und nicht nur in der Förderung der endogenen Potenziale suchen. Eine Perspektive für solcherart benachteiligte Siedlungen gewinnt man nur, indem man die engen Begrenzungen des Lokalen überwindet und versucht, die von der Ausgrenzung bedrohten Siedlungen auf möglichst vielen Ebenen in die Austauschverflechtungen und Kreisläufe eines möglichst großen Ausschnitts der Stadt zu (re)integrieren.

Integration bedeutet dabei vor allem die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Damit meine ich nicht, dass man auf Beschäftigungsprojekte verzichtet. Aber auch sie sollten schließlich nur Trittsteine in den ersten Arbeitsmarkt sein. Wie könnten also die Ansatzpunkte dafür aussehen?

Entsprechend den vorangegangenen Überlegungen sollte es hauptsächlich darum gehen, Übergänge zu schaffen oder leichter zu machen:

Um diese Übergänge zu schaffen, sind verschiedene Möglichkeiten denkbar.


Mobilität fördern

Wenn die Arbeitsplätze nicht ins Quartier kommen, muss den BewohnerInnen der Zugang in Arbeitsverhältnisse anderswo leichter gemacht werden:


Arbeitsvermittlung vor Ort fördern

Um (insbesondere weiblichen) Arbeitssuchenden den Zugang zum wohnungsnahen Arbeitsmarkt zu erleichtern, ist es notwendig, bei der Beschäftigungsvermittlung auch stärker die lokalen Angebote zu berücksichtigen. Für erfolgreiche lokale Vermittlungsbemühungen ist der gute und vertrauensvolle Kontakt der Vermittlungseinrichtung sowohl zu den Betrieben wie auch zu den Arbeitssuchenden der Siedlung und deren Umfeld unerlässlich. Vorbilder für lokale Vermittlungsagenturen gibt es bereits: "Maatwerk" z.B. vermittelt Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose. Der Erfolg dieser Agentur weist auf die wichtige Bedeutung der Glaubwürdigkeit einer Vermittlungseinrichtung hin: Sowohl die Arbeitssuchenden als auch die Unternehmer wissen woran sie sind, wenn sie sich an "Maatwerk" wenden. Dass es sich um benachteiligte Arbeitnehmer handelt, ist zumindest dann ohne Belang, wenn Unternehmer gerade in diesem Segment die für ihre Zwecke passenden Mitarbeiter finden.

In Großsiedlungen ist die Gruppe der Arbeitssuchenden mit keinen, einfachen oder mittleren schulischen und beruflichen Bildungen besonders stark vertreten. Einer lokalen Vermittlungsagentur käme die Aufgabe zu, Unternehmen mit entsprechenden Qualifikations- und Beschäftigungsprofilen im lokalen Umfeld einer Siedlung aufzusuchen und gezielt Kontakte zu Arbeitssuchenden herzustellen. Praktisch wäre eine Kombination aus der Vermittlung von Arbeit und der Vermittlung von Kinderbetreuungsplätzen. Auch Kinderbetreuung ist Arbeit und ließe sich als solche vermitteln: als Nebenerwerb oder Zusatzverdienst für Tagesmütter, Babysitter usw.


Kontaktnetze zwischen Schulen, Weiterbildungsträgern und Unternehmen knüpfen

Wichtiger noch als die Vermittlung von gering qualifizierten Arbeitsplätzen im lokalen Umfeld von Großsiedlungen ist jedoch die Qualifizierung von Arbeitssuchenden. Zwar gibt es in der Regel in der Nähe von Großsiedlungen auch Gewerbegebiete oder andere Konzentrationen von Arbeitsstätten für einfache Anlerntätigkeiten, aber solche Stellen sind längst nicht so dicht gesät wie häufig angenommen, und sie werden immer seltener. Gerade in den Kernstädten führt der Strukturwandel der Wirtschaft zu einem Verlust von einfachen Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe. Die Stadtplanung selbst beschleunigt den Strukturwandel der inneren Städte und den Verlust einfacher Arbeitsplätze: Dem ökologischen Prinzip der Innenentwicklung folgend und dem Ziel des sparsamen Umgangs mit Flächen verpflichtet, wertet sie innerstädtische Gewerbegebiete auf, indem sie eine dichtere Bebauung und höhere Ausnutzung der gewerblichen Grundstücke zulässt. Die Folge davon ist, dass potenziell gefährdete Gewerbebetriebe eher dazu neigen, ihre Fertigung in der Stadt aufzugeben, den Betrieb entweder einzustellen oder zu verlagern und das Gewerbegrundstück in der Stadt durch eine mehrgeschossige Bebauung mit höheren Büroflächenanteilen zu "veredeln". Sie nimmt diesen Stadträumen damit zugleich einfache Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, die gerade in den benachteiligten Stadtteilen besonders benötigt werden.

Aber auch im Handel werden einfach erlernbare Tätigkeiten wie z.B. die Warenausgabe, das Verpacken von Waren, das Sortieren oder die Lagerhaltung maschinisiert. Woran es den Betrieben vor allem fehlt, ist (hoch) qualifiziertem Personal. Um die Zugänge in die Arbeitswelt zu erleichtern, sind deswegen vor allem Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen notwendig. Besonders relevant sind die Kontakte zwischen Schulen, Betrieben und Weiterbildungsträgern. Hier geht es um die Anbahnung des ersten Übergangs aus der Schule in die Ausbildung bzw. um einen späteren Übergang aus der Arbeitslosigkeit in eine Qualifizierungsmaßnahme. Hier können lokale und überlokale Projektverbünde wirkungsvolle Hilfen beim Ein- oder Umsteigen in die Arbeitswelt geben. Gerade in den zonierten Stadträumen wissen die Akteure oft gar nichts voneinander, und zunächst geht es nur darum, die Barriere der Nichtwahrnehmung zu überwinden. Auf der Grundlage einer genauen Kenntnis der Angebots- und Nachfrageprofile der Arbeit lassen sich passgenaue Vermittlungsleistungen zwischen Schule, Beruf, Weiterbildungsträgern und Unternehmen schneidern. Auf der Seite der Betriebe gibt es im verarbeitenden Gewerbe große Nachwuchsprobleme bei der Ausbildung und einen erheblichen Facharbeitermangel. Die Chancen, junge Leute in Arbeit zu vermitteln, die ihren Möglichkeiten und Interessen angepasst sind, sind deswegen gar nicht schlecht.


Gewerbliche Infrastrukturen verbessern

Trotz der oft geforderten ressortübergreifenden Zusammenarbeit handeln die Akteure der sozialen Stadtteilentwicklung weitgehend ohne die Unterstützung des Wirtschaftsressorts. Gerade in der Frage der Beschäftigungsförderung jenseits der klassischen Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik wäre jedoch eine Zusammenarbeit besonders wichtig. Wenn im Zuge von z.B. Stadterneuerungsmaßnahmen oder Maßnahmen zur sozialen Stadtteilentwicklung Gebiete für eine besondere Entwicklung bestimmt werden, sollte mit Akteuren der lokalen Wirtschaftsförderung ebenfalls ein Handlungsrahmen abgesteckt werden, der die Sicherung und Entwicklung des lokal ansässigen Gewerbes und seiner Arbeitsplätze in den Zielkanon der Stadtteilentwicklung mit aufnimmt und eine wirkungsvolle Zusammenarbeit der Akteure zur Umsetzung dieses Zieles festschreibt.

Unter den vielfältigen Aspekten, die bei der Wirtschaftsförderung zu beachten sind, scheinen mir folgende im Zusammenhang mit einer aktiven Stadtteilentwicklung ganz besonders wichtig. Dazu zählen:

Um diese Maßnahmen umzusetzen, bedarf es keines neuen Programms und keiner zusätzlichen öffentlicher Gelder. Sie gehören in Hamburg zum Alltag der Wirtschaftsförderung. Sie werden jedoch unabhängig von den Zielen der sozialen Stadtteilentwicklung umgesetzt, für die wiederum die Stadtentwicklungsbehörde in Hamburg zuständig ist. Wenn die Wirtschaftsförderung "lokal handelt", dann bedeutet dies in der Regel, dass sie zu einzelnen, meist kleineren Betrieben "vor Ort" geht, um diese individuell zu unterstützen. Die Förderung ist einzelfallorientiert und lokal unspezifisch, weil der Zusammenhang zu den Gebieten und den Zielen der sozialen Stadtteilentwicklung nicht verbindlich und klar geregelt ist. Trotz des bundesweit guten Rufs, den die Hamburger Programme zur sozialen Stadtentwicklung genießen, gehören wirkungsvolle Kooperationen zwischen Wirtschafts- und Stadtentwicklungsressorts zu den Ausnahmen. Insgesamt geht Hamburg dadurch ein enormes Potenzial an Synergieeffekten verloren.


Anmerkungen

(1) Diese Systematisierung lehnt sich an die Definition der lokalen Wirtschaftsförderungsgebiete von Andreas Pfadt an: Pfadt A. 2000: Betriebe im Stadtteil. Ansätze für eine stadtteilbezogene Wirtschaftsförderung, unveröffentlichtes Typoskript.
(2) Vgl. den Endbericht des Gutachtens von Läpple D., Walter G. 2000: Im Stadtteil arbeiten - Beschäftigungswirkungen wohnungsnaher Betriebe. Das Gutachten ist als Druckschrift erhältlich bei der Stadtentwicklungsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg (Referat für Öffentlichkeitsarbeit), 20459 Hamburg (Fax: 040/42841-3010).
(3) In der Untersuchung über "Beschäftigungswirkungen wohnungsnaher Betriebe ..." (Läpple D., Walter G. 2000) gaben 87 Prozent der berufstätigen Mütter mit Kindern unter 15 Jahren im Haushalt an, im Stadtteil selbst (26,1 Prozent) oder im Nachbarstadtteil (60,9 Prozent) beschäftigt zu sein. Insgesamt wurden 445 Personen in den Hamburger Stadtteilen Schanzenviertel und Steilshoop befragt. Dieser signifikant hohe Anteil berufstätiger Mütter mit wohnungsnahen Arbeitsplätzen zeigt die enorme Bedeutung kurzer Wege, um Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen.


  
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