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Ich komme von der Jugendhilfe. Weil die Zeit so weit fortgeschritten ist, will ich es bei ein paar Vorbemerkungen belassen.
Natürlich sagen alle, dass die Institutionen nicht so bleiben können, wie sie sind. Das gilt selbstverständlich auch für die Schule. Wenn wir sagen, wir wollen individuell fördern und die Potenziale, die in den Kindern und den Jugendlichen stecken, auch tatsächlich ans Tageslicht fördern, dann heißt das schon, auch Strukturen zu verändern. Die Frage ist nur: mit welcher Strategie?
Ich möchte Ihnen heute aus meiner Sicht ein paar Eckpunkte dafür nennen. Ich will jetzt nicht noch einmal bei dem Bildungsbegriff ansetzen, bei dem ganzen Bildungsdarwinismus, den wir haben, und bei dem sozialen Determinismus. Ich orientiere mich eher an dem, was vom Bundesjugendkuratorium entwickelt wurde. Das heißt, es geht mir hier nicht alleine um das Kognitive, sondern auch um das Soziale und das Emotionale, es geht um Persönlichkeitsentwicklung. Das ist der entscheidende Punkt.
Wo habe ich meine Weisheiten her? Nicht nur aus eigener Erkenntnis oder aus der Arbeit der Stiftung SPI heraus, sondern insbesondere aus dem Privileg, die Regiestelle für das Partnerprogramm der Sozialen Stadt "Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten" (E&C) betreuen zu dürfen, die bei der Stiftung SPI angesiedelt ist, und aus den Erfahrungen des Programms "Lokales Kapital für soziale Zwecke" (LOS). Es gibt fünf oder sechs Punkte, von denen man sagen kann, wenn dies eintrifft oder jenes vorhanden ist - und zwar in einer Mischung -, dann kann man eher auf einen Erfolg hoffen. Wenn wesentliche Elemente hiervon fehlen, dann wird’s für die Akteure schwierig.
Ganz grundsätzlich muss man Folgendes sagen: Wenn man in einem Stadtteil arbeitet, der gezeichnet ist durch besonderen Entwicklungsbedarf oder als sozialer Brennpunkt oder durch kommunale Armutslagen, dann ist der Fortschritt eine Schnecke. Das ist auch der erste Eckpunkt, den ich zu bedenken bitte. Wenn man da etwas macht, dann muss man sich selbst und allen anderen sagen: Es ist ein Entwicklungsprozess, ein gemeinsamer Lernprozess, der seine Zeit dauert. Ich weiß, da gibt es eine Art Widerspruch: Quartiersmanager haben immer Jahresverträge oder Zweijahresverträge. In zwei Jahren ist das alles nicht zu schaffen. Erfahrene Verwaltungsreformer gehen von einem Minimum von fünf Jahren aus, zehn sind wahrscheinlich nötig, bis die guten Ideen dort tatsächlich lebendig geworden sind.
Zweitens ist die Struktur der Fachämter, der verschiedenen Ressorts, die dort zuständig sind, und der getrennten Verantwortlichkeiten von Schule und Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie ein ernsthaftes Problem, weil diese Ressortorientierung im Grunde genommen eher verhindert als fördert, dass zusammengearbeitet wird. Wir haben einmal zusammengerechnet, was alles an Transfermitteln - ohne Renten und Dergleichen - in solche Gebiete der Sozialen Stadt fließt, ohne dass sich dort etwas entscheidend ändert, also nur um den miserablen Status quo zu finanzieren. Das ist schon unglaublich teuer! Was könnte man mit dem Geld machen, wenn es anders eingesetzt würde! Solange wir auf kommunaler Ebene kein Amt für soziale Integration und Ressourcenoptimierung haben, solange sind wir darauf angewiesen, dass es so etwas gibt wie ein Ämternetzwerk, in dem die Ämter verpflichtet sind, miteinander ihre Ziele, auch Förderziele, ihre Förderschwerpunkte abzustimmen. Das ist unerlässlich. Unerlässlich ist es auch, dass man hierbei eine Federführung braucht. Wenn diese sozialräumlichen und vernetzten Strategien nicht politisch gewollt und verankert sind in den Verwaltungsstrukturen und in der politischen Elite der Kommune, dann können die Akteure vor Ort nichts Dauerhaftes erreichen. Und ich muss sagen, es gibt viele Kommunen, in denen die kommunalpolitische Elite nicht von alleine lernt, sondern weil Bewegung von unten kommt. Das heißt nicht, dass man dann gar nichts tut oder die Hände in die Taschen steckt. Aber unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit - ich vermeide das Wort "Nachhaltigkeit", weil man den Begriff mittlerweile vor seinem Befürworter schützen muss -, ist die Verankerung unerlässlich. Sonst hat es keine Perspektive, und einzelne Akteure, die - bewundernswert - ihre Lebenszeit und ihr Engagement investieren, beuten sich selbst aus.
In der kommunalen Selbstverwaltung muss - das gehört auch hierher - ein Paradigmenwechsel geschafft werden: von der Kultur des Hoheitlichen weg hin zu der Kultur der Beteiligung. Wenn eine Kommune oder eine Amtsleitung meint, sie wisse alles besser und könne sozusagen für andere entscheiden, dann passiert genau jenes, was an vielen Orten gleichzeitig, dann aber bundesweit sozusagen zum Programm "Soziale Stadt" geführt hat. Da war nämlich die Erkenntnis, dass man nicht für Menschen denken kann, sondern dass man es mit und von ihnen selbst machen lassen muss. Diese Erkenntnis ist nicht nur in der Stadterneuerung zentral, sondern auch bei Beratungssystemen in den sozialen Dienstleistungsbereichen, egal ob in Gesundheitsdienst, Familienberatung oder Bildung. Wo die Betroffenen nicht beteiligt sind, geht es schief, ist es wenig erfolgsträchtig.
Der dritte Eckpunkt ist die Sozialräumlichkeit - auch ein schillernder Begriff. Sie haben es bei der Sozialen Stadt manchmal ein bisschen leichter, weil die Soziale Stadt ein städtebauliches Förderprogramm ist, das heißt, Sie haben sozusagen die Hilfskonstruktion der Förderkulisse. Für die Kinder- und Jugendhilfe ist der Begriff Sozialräumlichkeit ein wenig schwieriger, weil er etwas mit den Lebens- und Erfahrungswelten der Kinder, der Jugendlichen, der Eltern, der Alten zu tun hat. Die Sozialräume sind also nicht identisch, weil die Lebensbezüge jeweils andere sind. Und wenn Sie einen kurzen Moment nicht an die Städte, sondern an die Landkreise denken, dann ist es, meine ich, richtiger zu sagen: Wir brauchen ein Programm, das auch bei den Grenzziehungen, z.B. für Förderungen, flexibler ist, so dass man auch von Sozialrauminseln ausgehen kann. Einrichtungen und Angebote, die nicht im Stadtteil liegen, aber wesentlich etwas mit den Menschen zu tun haben, die in einem solchen Stadtteil leben, müssen unbedingt mit einbezogen werden. Das fällt uns bei LOS leichter als bei einer Investitionsförderung. Aber ganz generell muss man fordern: die Lebenssituation, die Alltagsbezüge müssen im Vordergrund stehen.
Zu bedenken ist überdies die Bürgerbeteiligung - das ist sozusagen die heilige Kuh. Ich denke, auch zu Recht. Man kann von einem Kunstfehler sprechen, zumindest in der Sozialen Stadt, wenn keine Bürgerbeteiligung gelaufen ist. Nun kann man Bürgerbeteiligung so oder so sehen. Wir haben bei E&C immer heftige Diskussionen auf unseren Veranstaltungen mit den Akteuren in diesen Gebieten, was denn nun die richtige Beteiligung sei. Ich kann Ihnen nicht sagen, was die richtige Beteiligung ist - ich weiß nur, dass man gerade bei marginalisierten Bevölkerungsgruppen besondere Anstrengungen unternehmen muss. Man muss auch bedenken, dass sich zum Beispiel Bewohnerinnen und Bewohner mit Migrationshintergrund und mit anderem rechtlichen Status nicht unbedingt als Bürger fühlen. Dann von bürgerschaftlichem Engagement zu sprechen, ist durchaus schief. Das heißt, wir brauchen hier noch ein paar Übersetzungs- und Vermittlungsschritte. Wir haben gelernt - und es gibt tausend gute Beispiele -, dass Bürgerbeteiligung immer dann, gerade bei marginalisierten Gruppen, funktioniert, wenn erstens die Kommune das wirklich will, wenn es zweitens öffentlich unterstützt und anerkannt wird, und wenn es drittens hinreichend Nutzen stiftet. Das sind gute Grundlagen für Beteiligungsprojekte. Und es funktioniert dann eben auch mit jenen, denen man sonst nichts zutraut oder die als bildungsfern beschrieben werden.
Doch Bürgerbeteiligung allein reicht nicht. Wir reden von dem - das wäre der nächste Eckpunkt -, was vorhanden sein muss, um auf Dauer Erfolg zu haben: Man braucht so etwas wie lokale Netzwerkstrukturen und intermediäre Akteure. Da sind die zivilgesellschaftlichen Akteure, also nicht nur die, die das Budget zu verteilen haben oder davon leben, etwa freie Träger. Dazu zählen vielmehr alle Akteure, die bereit sind, sich zu organisieren. Dieses lokale Netzwerk funktioniert nicht automatisch. Die Soziale Stadt hat die Figur des Quartiersmanagements entworfen, eine intermediäre Rolle, in der eine Person oder zwei halbe, je nach Ausstattung, diesen Kommunikations-, Erfahrungs-, Lern- und Entwicklungsprozess, diese Netzwerkarbeit organisieren. Das ist eine wichtige Funktion. Und die Zeichen stehen eher auf Erfolg, wenn eine solche Funktion besetzt ist, als wenn sie fehlen würde. Es muss nicht unbedingt ein Quartiersmanager sein, es geht um die entsprechende Funktion. Wenn ein Förderprogramm in den Gebieten abgeschlossen ist, ist die Arbeit ja noch längst nicht erledigt. Ich denke schon, dass das nicht nur für Gebiete der Sozialen Stadt oder für Gebiete, die als sozial problematisch beschrieben werden, sondern generell ein guter Handlungsansatz wäre für Kommunalpolitik, solche Strukturen einzubeziehen und die Bürgerinnen und Bürger an dem zu beteiligen, was man integrierte Dienstleistung, nachbarschaftliche Hilfe usw. nennen kann.
Nicht zuletzt - das haben auch die Projektberichte, insbesondere über die Kranichsteinschule und die EGG im Ruhrgebiet, deutlich gemacht -, braucht es einen Ort, an dem Partizipation stattfinden kann, einen Ort, der so offen sein muss, dass er zum Erobern, zur Besitznahme einlädt. Das Stichwort ist in der Podiumsdiskussion schon gefallen, es handelt sich um die Early Excellence Center aus Großbritannien. Die gibt es zwar nun in der alten Form nicht mehr. Die Briten haben sehr viel Geld investiert, um dort Strukturen zu verändern. Das werden wir hier in diesen Zeiten nicht bewerkstelligen können. Aber man kann aus den britischen Beispielen lernen - und damit könnten wir uns dem annähern, was im Programm als mein Thema ausgedruckt ist, dass man so etwas wie einen Bildungsort, ein soziales Bildungsforum organisieren muss, um eine Schule oder eine Kindertagesstätte oder eine Kinderfreizeitstätte herum. Egal, wer damit anfängt: Er muss sich als Ort anbieten, der dem Stadtteil gehört und der der Kristallisationspunkt für die Beteiligungs- und Veränderungsstrategien vor Ort ist. Das muss natürlich gewollt werden zum Beispiel von der Schulverwaltung oder auch vom Jugendamt. Denn die Strukturen eines solchen lokalen Zentrums oder sozialen Bildungsforums sehen vor, dass es so etwas wie ein Managementteam gibt von Einrichtungen und Diensten, die im Gebiet tätig sind. Der Kern der Early Excellence Center ist, dass da alles verbindlich organisiert wird. Es werden gemeinsame Ziele entwickelt und formuliert, die Schnittstellen abgesprochen, die eigenen Konzepte entsprechend ausdifferenziert. So kann dann die Kindertagesstätte oder die Schule zu einem Nachbarschafts- und Familienzentrum werden.
Die Grundschule hat aus meiner Sicht ein besonderes Prärogativ, weil dort wirklich alle hinkommen. Ich denke auch, dass die Zeiten vorbei sind, die Systemdiskussion zu führen. Wenn man mit den Systemdiskussionen anfängt, dann will man nichts verändern. Es gilt stattdessen, die Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerinnen und Bürger, insbesondere aber auch die Kinder, die Schüler genannt werden, mit einzubeziehen und ein anderes soziales Klima zu entwickeln, in dem Bildung, Schule halt nicht davon abhängt, wie das Portemonnaie oder die soziale Situation der Eltern aussieht.
Eines habe ich noch vergessen: Wenn Sie so etwas anfangen, dann dürfen Sie keinen Bereich auslassen. Das heißt, Sie müssen die wirklichen Probleme der Leute behandeln, nicht irgendwelche Teilprobleme oder eingebildete Probleme. Deswegen ist es ja auch so wichtig, dass die Bewohnerinnen und Bewohner, die Kinder, die Jugendlichen selbst ihre Vorstellungen entwickeln, weil sonst die Anstrengungen und das Geld schlecht investiert sind. Ein soziales Bildungsforum ist dann ein gutes soziales Bildungsforum, wenn es sich auch um Arbeitsvermittlung, für die Mütter zum Beispiel, kümmert. Sie können Arbeitslosigkeit und andere soziale Probleme nicht heraushalten, sondern Sie müssen diese Probleme mit aufgreifen. Sie müssen nur darauf achten, nicht etwas für die Leute zu machen, sondern diese immer zu beteiligen. Ob das mit zentralen Strukturen und mit dem Job-Center alles noch so geht, wissen wir nicht.
Ich hoffe sehr, dass die Lernergebnisse, die wir seit 1999 haben, nicht vor dem Hintergrund der Wahlen in Nordrhein-Westfalen und deren Folgen aus ideologischen Gründen ignoriert werden, sondern dass wir diese Lernerfahrungen nutzen können, um wirklich gute Erfolgsgeschichten fortzuschreiben. Ich hoffe, dass das gegenseitige Lernen weiter organisiert wird und in Politik und Verwaltung das Verständnis wächst, dass es teuer und wenig aussichtsreich ist, wenn man die betroffenen Menschen nicht beteiligt. Es lohnt sich, in die Selbstheilungskräfte und in die Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen und deren Eltern zu investieren.
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