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Ich leite die Georg-Weerth-Oberschule. Wer sind wir überhaupt? Wir sind 508 Mitarbeiter, 29 Abteilungsleiter, ein stellvertretender Geschäftsführer und ein Geschäftsführer. Und wie sieht die Produktion aus? Hardware, das heißt Zahlen, Fakten, Wissen. Bei einer Schule nicht ganz ungewöhnlich. Und die so genannten Softskills? Das sind Zielstrebigkeit, Zuverlässigkeit, Teamfähigkeit usw. Der Standort: Mitten im Zentrum von Berlin in Friedrichshain-Kreuzberg, einem der wirklich sozial schwächsten Bezirke dieser Stadt. Deshalb ergibt sich für uns natürlich ein einziges Ziel: Wir müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ausbildungsverträge und weiterführende Schulen vermitteln. Die letzten vier Jahre konnten wir das tatsächlich zu 98 Prozent verwirklichen.
Aus diesem Ziel ergeben sich dann Teilziele, die für die ganze Schule formuliert werden. Das ist dann mein Part. Woher kommen diese Teilziele, aus welchen Quellen speisen die sich? Erstens aus den Ergebnissen unserer Schülerinnen und Schüler, die zur gymnasialen Oberschule wechseln, also in die gymnasiale Oberstufe. Wir lassen uns immer die Ergebnisse geben. Zweitens aus Studien des In- und Auslandes, einmal Studien der Lehr- und Lernmethoden, aber auch Leistungsermittlungsstudien - PISA kennt jeder. Drittens - und da haben wir als mittelständisches Unternehmen, wie wir uns ja bezeichnen, ein ganz besonderes Ohr - aus Forderungen aus der Wirtschaft. Diese Forderungen resultieren zum einen Teil aus der Lehrlingsausbildung unserer Absolventen, aber auch allgemein aus den Problemen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
Sind die Ziele erst formuliert, werden die Ressourcen geprüft. Haben wir genug Personal, das diese Ziele auch erfüllen kann? Haben wir die materiellen Voraussetzungen, das zu tun? Wird das bejaht, werden die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet, und am Ende des Schuljahres kommt alles auf den Prüfstand. Das heißt, jedes einzelne Teilziel wird dann evaluiert. Fällt das Urteil negativ aus, wird die ganze Maßnahme eingestampft, und es wird nach Alternativen gesucht, es werden neue Maßnahmen festgelegt, die wiederum geprüft werden. Ist es positiv, wird weiterhin so vorgegangen oder unsere diesbezüglichen Bemühungen werden sogar noch verstärkt. Neue Projektideen, die Lehrer einbringen, müssen ebenfalls dieses Raster durchlaufen - und schon ist die Emotionalität raus und wird nach rationalen Kriterien geurteilt und entschieden.
"Schule und Wirtschaft" heißt in erster Linie Mitarbeiterführung. Entscheidend ist - um es kurz zu machen - die Zielvereinbarung mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das heißt, zu Beginn eines Schuljahres wird mit jedem Kollegen eine Zielvereinbarung getroffen, die folgende Punkte umfasst: erstens die Qualität des Unterrichts, zweitens dienstliche Aufgaben, drittens die Schulentwicklung und viertens die Fortbildung. Diese vier Punkte werden mit den Zielen der Schule - daran orientieren sich die Kolleginnen und Kollegen - abgeglichen. Im Zielvereinbarungsgespräch werden dann diese schulischen Ziele weiter mit Inhalt gefüllt. Das erfordert sehr viel Strategie und Taktik und noch mehr Fingerspitzengefühl. Es war nicht ganz so einfach, all das durchzusetzen.
Eine Forderung aus der Wirtschaft lautet: Erhöht endlich die fachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler! Wir in Berlin kriegen - etwas überspitzt formuliert - zu hören: "Sorgt doch endlich dafür, dass die Schülerinnen und Schüler die Grundrechenarten und die deutsche Rechtschreibung beherrschen und dass sie auch ein wenig in Englisch reden können!" Wir haben darauf reagiert und nehmen an zwei bundesweiten Versuchen teil. Im Schuldeutsch heißt dies PLK-Versuch, Sinus und Portfolio. Da werden zum einen die mathematisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse gefördert, und zum anderen - bei Portfolio - geht es darum, die Fremdsprachenkenntnisse zu erhöhen.
Was machen wir noch? Da in Berlin die Realschule erst ab der 7. Klasse anfängt, ist es in Klasse 7 tatsächlich notwendig, dass wir die Rechtschreibkenntnisse erweitern, also findet dort mehr Deutschunterricht statt, speziell Rechtschreibunterricht. Als Nächstes wollen wir immer wissen, wo wir stehen, nicht erst am Ende der Klassenstufe 10. Deshalb haben wir für alle Klassenstufen Vergleichsarbeiten entworfen, und zwar mit neuen Aufgabentypen. Wir prüfen hierbei nicht inhaltliches Wissen ab, sondern Kompetenzen. Dies erforderte ein großes Umdenken, denn - um jetzt einmal bei Englisch zu bleiben -, es geht nicht mehr darum, die Sehenswürdigkeiten von London oder New York aufzuzählen, sondern darum, einen eigenen Sprachprozess zu vollziehen. Die Fähigkeit der eigenen Textproduktion soll gestärkt werden. Das kann ich an x-beliebigen Inhalten tun, das kann ich natürlich auch an den Sehenswürdigkeiten von London tun.
Immer wieder ist die Forderung "Besserer Umgang mit dem Computer" zu hören. Deshalb ist es bei uns selbstverständlich, dass die Kinder, sobald sie zu uns kommen, erst einmal zwei Jahre Unterricht am Computer haben. Im nächsten Jahr - darauf sind wir besonders stolz - erreichen wir eine 1:1-Beziehung, wie das im Fachjargon heißt, das heißt, wir werden eine Klasse haben, in der jeder Schüler seinen eigenen Laptop besitzt.
Eine Forderung besagt, dass Schülerinnen und Schüler soziale Kompetenzen haben sollten. Für mich war das ganz lange Zeit ein Fremdwort. Aber als wir dann den Vorwurf eines Lehrausbilders hörten, dass die Auszubildenden nicht im Team arbeiten können - sie seien nicht konfliktfähig, verfügten nur über mangelnde Kommunikationsfähigkeit und mit "deutschen" Tugenden wie Pünktlichkeit, Belastbarkeit usw. sei auch nicht mehr viel -, haben wir erst einmal ehrlich unsere Schülerschaft geprüft, weil wir gar nicht glauben wollten, dass es auf diese auch zutrifft. Nach der ehrlichen Prüfung gab es dann ab Klassenstufe 7 im Rahmen des Berufsorientierungsunterrichtes, den wir nur an unserer Schule schon in der Siebten anbieten, Kommunikationstraining, Teamentwicklung und Konfliktmanagement.
Außerdem begannen wir mit der Öffentlichkeitsarbeit - die ja angeblich in Schule nichts zu suchen hat. Aber für uns ist es ganz wichtig, Aufträge aus der Öffentlichkeit - egal wer es ist - zu bekommen, damit Schüler Verantwortung übernehmen können. Dazu brauchen wir die Partner. Partner sind bei uns zum einen die Partnerfirmen und zum anderen die Kooperationspartner.
Warum kommen beim Thema "Schule und Wirtschaft" diese beiden Seiten, die ja eigentlich sofort ins Auge springen, erst jetzt? Ich hatte ja damit begonnen, dass wir ein mittelständisches Unternehmen sind. Unser Kerngeschäft ist immer noch das, was ich vorhin sagte. Das andere ist sozusagen die Zugabe. Die Partnerfirmen sind diejenigen, mit denen wir einen Vertrag abgeschlossen haben. Dieser wird jährlich in Arbeitsplänen erneuert. Wir schreiben richtig fest, was wir uns gegenseitig in diesem Jahr antun. Wir wollen eine Win-win-Situation erzeugen, das heißt, wir sind nicht nur Nehmende, sondern auch Gebende. Die Schule leistet zum Beispiel sehr viel bei der Organisation von Events der Partnerunternehmen. Das nutzen diese auch stark, weil es sehr teuer wäre, wenn sie es von anderen machen ließen. Die Erforschung von Firmenstandorten, das Erstellen von Ausstellungen oder auch Powerpoint-Präsentationen - "Lieblingskind" vieler Schülerinnen und Schüler -, all das können wir ihnen bieten. Im Gegenzug werden diese Unternehmen dazu aufgefordert - sie tun es auch gern -, Praktikumsplätze einzurichten, Bewerbertrainings und Vorstellungsgespräche mit anschließender Bewertung des Schülers durchzuführen, Betriebsbesichtigungen anzubieten. Sie stellen auch immer wieder Referenten für den Unterricht. Ganz besonderen Wert legen wir darauf - Sie denken an die Zielvereinbarungen mit dem Part Fortbildung! -, dass unsere Lehrer an Seminaren der Betriebe teilnehmen, wenn es denn passt. Das ist eine zeitraubende, intensive Zusammenarbeit, die eine gute Logistik voraussetzt. Und deshalb brauchen wir auch diese Zielvereinbarung mit den Lehrern, denn so entsteht eine Expertengruppe, und wir haben nicht immer nur eine Handvoll Lehrer, auf die wir zurückgreifen können - nämlich die, die immer ja sagen und am Ende dann nicht mehr können.
Die Kooperationspartner unterscheiden sich von den Partnerfirmen. Mit ihnen werden keine festen Verträge geschlossen. Wir reagieren auf deren Aufträge oder binden sie in unsere Konzepte mit ein. Denn bei uns heißt ein Motto "Die Schüler arbeiten immer für real existierende Adressaten". Sie schreiben üblicherweise im Deutschunterricht Briefe, Beschwerden, Einladungen, und immer für einen fiktiven Herrn Mustermann. Wir wollten das nicht mehr. Wir haben gesagt: "Gebt uns Aufträge so viel, wie wir haben können, und wir werden das dann in den Unterricht integrieren"! Und so gibt es immer einen realen Ansprechpartner. Das heißt zum Beispiel: Für den deutsch-musischen Kurs vertreiben wir für Siemens einen Lehrfilm, oder die Werbeagentur Baumgarten Consultant hilft uns bei der grafischen Umsetzung einer Wanderausstellung für unsere Schülerinnen und Schüler, die wir gerade für die Freudenberg KG fertigen, oder bei unserem Schul-Flyer.
Wir haben um die 30 bis 40 Kooperationspartner, das schwankt; Partnerfirmen haben wir nur vier: die Freudenberg KG - Frauen kennen diese Firma unter Unilever, also Reinigungsmittel, und Vileda, diese Wischmops, und Männer kennen die Firma, weil sie auch alles, was Gummi am Auto ist, und Spezialfußböden fertigen -, dann die Metro, den Kaufhof und schließlich das Gold Hotel als gastronomische Einrichtung. Mit den Partnerfirmen haben wir praktisch das ganze Spektrum der Wirtschaft abgebildet. Bei den Kooperationspartnern verfügen wir über einen großen Katalog an Leistungsangeboten, auf die wir gerade bei der Berufsvorbereitung immer wieder gerne zugreifen. Hier ein ganz kleines Beispiel: Assessment-Center, Zielorientierungsseminare oder Stärkenprofilerstellung - da stecken jedes Mal Firmen dahinter. Und wenn wir genau diese Form brauchen, rufen wir an und können das dann nutzen. Das heißt, Schülerinnen und Schüler bei uns kennen das ganze Prozedere im Bewerbungsverfahren und haben auch keine Angst vor irgendwelchen Aussortierungsmethoden, seien es nun Tests der verschiedensten Art oder die Vorstellungsgespräche selbst.
Wir haben irgendwann einmal festgestellt, dass wir eine Schieflage im System hatten. Wir haben nämlich Schülerinnen und Schüler nur unterstützt in Vorbereitung auf ein Angestelltenverhältnis. Was aber ist in Bezug auf Chefs, die Arbeitsplätze organisieren? Wir bieten deshalb auch einen Wahlpflichtkurs "Grundlagen der Unternehmensführung" an - nicht das ganze Programm für alle, sondern für die, die es wünschen und dafür auch das nötige Interesse mitbringen. Hier werden Schülerinnen und Schüler auf die berufliche Selbständigkeit vorbereitet. Es geht dabei um Businesspläne, Marketingstrategien, Arbeits- und natürlich auch Steuerrecht mit dem Ziel, an der Schule schon eine richtige Firma zu gründen - nicht auf dem Papier, nicht fiktiv, nicht im Internet, sondern tatsächlich eine Firma, die, wenn es geht, auch Profit bringt. Das heißt, dieser Kurs ist die Brutstätte für viele Schülerfirmen geworden. Im Moment haben wir sechs Firmen, zwei befinden sich noch im Aufbau, und vier funktionieren bereits. Die vier sind der Party-Service "Die Kohlköpfe", die Werbeagentur Young Grafics, ein Kunstverleih und ein Zimmerpflanzen-Shop.
Aufträge kommen aus der Lehrer- und Elternschaft, aber zum größten Teil aus dem Pool der Partnerfirmen und Kooperationspartner. Damit die Schülerinnen und Schüler bei uns den Überblick nicht verlieren, wie viele Angebote es gibt, arbeiten wir mit dem Berufswahlpass. Das ist, meine ich, inzwischen ein bundesweites Projekt geworden, in dem Schülerinnen und Schüler alles, was sie auf ihrem Weg zur Berufswahl unternehmen, dokumentieren. Es geht dabei aber nicht darum, die Aktivitäten aufzuzählen, sondern darum, dort tatsächlich persönlichkeitsbildende Maßnahmen festzuhalten. Und damit wir auch wirklich immer wissen, ob wir den besten Weg beschreiten, lassen wir uns ganz gern in die Karten gucken. Das klingt auch wieder so leicht. Das war es aber nicht. Wer hat schon gern einen fremden Beobachter im Unterricht sitzen - oder ich in meinem Zimmer -, der die Akten durchsieht? Es ist schon wesentlich besser geworden. Wir sind schon lockerer im Umgang mit Schulfremden, aber Alltag ist es auch bei uns noch nicht. Hierbei arbeiten wir ganz eng mit der Humboldt-Universität zu Berlin zusammen - Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von dieser gehen schon fast täglich bei uns ein- und aus -, oder wir kooperieren mit Firmen, Organisationen oder Gremien, die sich vor Ort über die Qualität unserer Arbeit informieren möchten, z.B. der Freien Universität Berlin während der Ausschreibung des Titels "Leistungsschule". Das haben wir alles auch genutzt, um zu wissen, wo wir überhaupt stehen.
Wir wären nicht wie ein kleines Unternehmen, wenn wir nicht auch Visionen hätten. Eine davon: wir möchten gern eine Wirtschaftsrealschule werden. Die gibt es in Berlin noch nicht, aber wir haben sie schon kreiert. Und warum funktioniert das Ganze? Weil es bei uns tatsächlich fast so ist wie in einem Unternehmen und wir trotzdem eine ganz normale Schule sind, die sich nur an ein paar Richtlinien hält. Das Erste sind wirklich ergebnisorientierte Ziele, das Zweite ist die Bereitschaft zur Verantwortung, und zwar auch bei Lehrern, nicht bloß bei Schülern. Das Dritte ist die volle Transparenz der Vorhaben und Entscheidungen. Das muss auch wegen der Verlässlichkeit so sein: Was wir anfangen, bringen wir auch zu Ende. Wichtig ist außerdem Offenheit im Prozess. Ich könnte Offenheit auch durch Ehrlichkeit ersetzen. Das ist gar nicht immer so leicht, und manchmal muss man trotzdem noch Hilfslügen benutzen. Nicht vergessen werden dürfen Konsequenz, Beharrlichkeit und ganz, ganz viel Anerkennung. All dies führt dann unweigerlich zum Erfolg.
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