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Die Erich-Kästner-Schule in Darmstadt-Kranichstein ist eine Grundschule in Verbindung mit einer Integrierten Gesamtschule. Sie liegt in dem zweiten Quartier der Stadt Darmstadt, das vom Projekt Soziale Stadt - seit dem Jahr 2000 - gefördert wird. Der Stadtteil Kranichstein ist ein vernetzter Stadtteil. Die Vernetzung begann schon in den frühen 90er-Jahren. Ich stelle Ihnen jetzt die Schule vor mit dem vielleicht ein wenig anmaßend klingenden, aber im Stadtteil akzeptierten Titel "Mittelpunkt des Bildungsnetzwerks". Das alles hat sich in den letzten 15 Jahren sukzessive entwickelt, in den letzten fünf Jahren ziemlich explosionsartig, und ich versuche ein bisschen auf die Prozessgeschichte Bezug zu nehmen.
Kranichstein ist ein Gebiet, in dem sich sehr oft sehr viele Architekturstudenten aufhalten, weil man dort alle Phasen dessen, was in der Architektur so für "in" gehalten wurde, an den einzelnen Bauweisen ablesen kann. Herr Radtke hat heute Morgen in seinem Vortrag erwähnt, dass wir uns damals entschieden haben, die einzige öffentliche Schule im Stadtteil zu bleiben, selbst wenn das eine sehr große organisatorische Problematik beinhaltete, die wir aber inhaltlich zu lösen versucht haben.
Die Schülerinnen und Schüler gehören 40 verschiedenen Nationen an. Unser größtes Problem ist eben - in einem pädagogischen Profil ausgedrückt -, dass 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler eine unkontrollierte Zweisprachigkeit aufweisen. Für Experten brauche ich nicht zu erklären, warum dies ein Problem ist. Für die anderen: Unkontrollierte Zweisprachigkeit heißt, die Kinder wachsen mit zwei verschiedenen Sprachen auf, aber sie lernen keine systematischen Sprachzusammenhänge, so dass sich ihnen im Grunde nicht vermittelt, dass Sprache etwas Regelhaftes ist. Sie können deswegen im anschließenden Spracherwerbsprozess überhaupt nicht daran ansetzen, dass es ein Strukturverständnis von Sprache geben muss. Das unterscheidet Kinder, die zweisprachig aufgewachsen sind, von diesen Kindern, die eben in dieser speziellen Form zweisprachig aufgewachsen sind.
Einige Bemerkungen zur Geschichte: Der Stadtteil wurde als Satellitenstadt gebaut. Wir hatten in Hessen zunächst die flächendeckende Förderstufe. Dann ging der Diskussionsprozess los: Was machen wir denn jetzt? Bauen wir eine zweite Schule und machen wir eine Sekundarstufe 1-Schule, wie sie eigentlich in den Stadtteil gehört? Der politische Kompromiss sah so aus: Wir bauen zwar eine zweite Schule, aber nicht gleich, und wir machen eine Sekundarstufe 1-Schule, aber auch nicht gleich, sondern nutzen diese erst einmal vorübergehend als zweite Grundschule. Damit lässt sich natürlich architektonisch alles anstellen, was nachher nicht mehr funktioniert. Und vor allem: Wenn die soziale Trennung einmal stattgefunden hat, lässt sich dies nicht mehr zurückdrehen. An dieser Stelle intervenierte die Schulgemeinde - und eine der wichtigsten Komponenten der Vernetzung im Stadtteil neben dem Arbeitskreis Kindergarten und Grundschule begann. Man hat versucht, die Weisheiten des Stadtparlamentes wieder ein bisschen umzudrehen: Am Anfang standen der Einstieg in die zweite Schule am zweiten Standort in Form einer Sekundarstufe 1-Schule und ganz bewusst auch die Entscheidung, eine Integrierte Gesamtschule einzurichten. Kein Kind sollte nämlich per se über eine Schulform aus dieser Bildungsanstalt ausgeschlossen werden, was ja bei jedweder gegliederten Schulform so ist, es sei denn, man hat eine verbundene gegliederte Schulform.
Es ging zügig weiter mit dem Ausbau, und vor zwei Jahren war auch der damals schon so konzipierte Mehrzweckbereich fertig, der uns jetzt hilft, kooperative Ganztagsschule in gebundener Form zu werden. Letzteres unterscheidet sich in Hessen ein wenig von dem, was bundesweit diskutiert wird. Es ist nämlich nicht die Rede von Rhythmisierung, sondern es muss ein Pflichtunterrichtsanteil am Nachmittag stattfinden. Dies kann genauso gut auch in Form von lediglich zwei Sportstunden in der Jahrgangsstufe 5 erfolgen. Alles andere ist eben nicht durchgängig verpflichtend, sondern hat Angebotscharakter.
Um die Unterrichtssituation und die Lernumfeldbedingungen zu verbessern, machen wir eine ganze Menge Projekte. Das Projekt KOALA war eine ganz phantasievolle Idee, die freigesetzten Kollegen des muttersprachigen Unterrichts, der in Hessen mit der CDULandesregierung irgendwann einmal AG-Charakter bekam, einzubinden und im Regelunterricht im Sinne von Teamteaching und speziellen Förderungen einzusetzen. Zusammenarbeit mit der benachbarten Schule für Lernhilfe und der Sprachheilschule ist ganz wichtig. Wir diskutieren aktuell, um auf die Probleme von Jahrgangsklassen einzugehen, jahrgangsübergreifende Stammgruppen mit einer individuellen Verweildauer. Wir haben und benötigen in einem solchen Stadtteil auch ein junges Kollegium mit überwiegend Vollzeitstellen, denn einen solchen Job kann man im Grunde nur machen, wenn die komplette Energie hineingesteckt wird.
Nun ein paar Stichworte und einzelne Eindrücke auf dem derzeitigen Stand, bezogen auf die Grundschule:
Die kooperative Ganztagsschule gilt bislang leider nur für die Sekundarstufe 1. Unser Förderverein ist nicht nur Träger des Betreuungsangebots, sondern stellt auch Mittel für ein breites Angebotsspektrum zur Verfügung. Auch in unserem Stadtteil sind Eltern aktiv. Der Kita-Kooperationskreis ist ein Teil des Netzwerkes mit den verschiedenen Einrichtungen im Stadtteil und ist einer von zwei Pfeilern, mit dem die Vernetzung im Stadtteil insgesamt begann.
Ich sage an dieser Stelle doch noch etwas zur integrierten Gesamtschule als Schulform oder als alternative Schulform: Derzeit ist es aus meiner Sicht nur in dieser Schulform möglich, Bildungsbenachteiligungen einigermaßen auszugleichen, weil sie Bildungschancen offen lässt und die Kinder die Möglichkeit haben, über einen längeren Zeitraum mit offen bleibenden Abschlussmöglichkeiten ihre Benachteiligung zu kompensieren. Letzteres ist so, wie das hessische Schulsystem im Moment aussieht, in den gegliederten Schulformen in der Regel nicht mehr der Fall. Die lebensentscheidende Sortierung findet im Alter von zehn, elf Jahren statt. Ich halte das für einen Skandal.
Wir unterrichten in vier oder fünf Leistungskursen EG. Für jene, die sich in Gesamtschule ein bisschen auskennen: Es handelt sich um die minimalste Form der äußeren Fachleistungsdifferenzierung, wie sie uns die Kultusministerkonferenz im Moment noch vorschreibt.
Nun ein paar Erläuterungen zu den üblichen Vorurteilen hinsichtlich der Gesamtschule: Das ganze System ist für Eltern natürlich ein bisschen kompliziert. Wenn sie nicht vorher wissen, wie ihre Kinder einsortiert sind, wissen die Eltern eben nicht genau, ob ihr Kind jetzt ein Hauptschüler, ein Realschüler oder ein Gymnasiast ist. Dass es etwas anderes als solche Zusortierungen gibt, daran kann man sich in Deutschland nur schwer gewöhnen. Und deswegen muss es an der IGS umfassende Beratungen geben, dass man den Überblick behält und entsprechend auch rechtzeitig weiß, wie es weitergehen kann.
Selbst wenn die Nachfragezahlen nicht durchgängig hoch sind: Wir nehmen ausschließlich Kinder aus dem Stadtteil. Die Schule ist neu, gut ausgestattet und deswegen auch in den Nachbarbezirken attraktiv. Aber wir wollen eine Stadtteilschule sein, sonst würde auch das ganze Vernetzungskonzept nicht funktionieren. Wenn wir einen auffälligen Schüler aus einem benachbarten Stadtteil hätten, funktionierte die ganze Absprache im Sinne von Bildungshilfegesprächen nicht mehr. Kommunikationsprobleme zwischen Schule und Jugendhilfe treten häufig dann auf, wenn es sich nicht um eingespielte Strukturen handelt. Ein "schulfremder" Mitarbeiter im städtischen Sozialdienst lässt sich nicht so schnell in eine Problemlösung integrieren, wie dies bei eingespielten Strukturen im Stadtteil möglich ist.
Wir schließen schon lange Lernverträge ab, ebenso so genannte Evaluationsverträge beim Verlassen der Schule. Drei Jahre lang werden die Schülerinnen und Schüler einmal pro Jahr eingeladen. Sie geben uns Rückmeldung, wie es ihnen "draußen" ergangen ist. Wir ziehen daraus entsprechende Konsequenzen, zu denen ich später noch etwas sage.
Überaus wichtig war die Entscheidung, Russisch als zweite Fremdsprache einzuführen, weil dort von vielen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund (Aussiedler) ihre mitgebrachten Kompetenzen genutzt werden können. In unserem Stadtteil leben sehr viele Russland-Deutsche.
Einige Fächer haben wir zu Lernbereichen zusammengefasst. GL (Gesellschaftslehre) ist üblich an allen Gesamtschulen, den Lernbereich Naturwissenschaften gibt es in Hessen durchgängig nur zweimal, einmal bei uns. Die Stundentafeln in Hessen sehen Arbeitslehre in der Jahrgangsstufe 9 und 10 vor. Das genügt nicht, wie alle diejenigen, die sich mit Berufsförderung und Berufsintegration auskennen, wissen. Also bieten wir Arbeitslehre bereits ab der fünften Klasse an. Die Klassenräume können von den Schülerinnen und Schülern auch in den Pausen genutzt werden, unter anderem für die Arbeit mit PCs. Einige Angebote sind jahrgangsübergreifend. Die Projektprüfung ist eine sehr sinnvolle Prüfung; sie ist in Hessen seit zwei Jahren als Abschlussprüfung in der Hauptschule üblich, bei uns gilt sie für alle Schülerinnen und Schüler.
Studienfahrten sind ein Problem. Im Hinblick auf Migranten mit moslemischem Hintergrund versuchen wir immer Alternativen anzubieten, so dass insbesondere Mädchen ohne Übernachtung auskommen.
Im Schulgebäude der IGS befindet sich eine Stadtteilbibliothek, die gemeinsam mit der Schulbibliothek gebaut wurde. Alle Kinder im Stadtteil erhalten, wenn sie in den Kindergarten oder in die Schule kommen, einen Leseausweis für diese Stadtteilbibliothek. Viele Kinder bringen inzwischen ihre Eltern dorthin mit. Die Stadtteilbibliothek hatte von ihrem Start an Topanmeldezahlen. So kann man Bildungseinrichtungen nutzen, wenn man effektiv kooperiert.
Das Stadtteilzentrum, das wir damals für die mehrzweckbürgerschaftliche Nutzung geplant hatten, half uns natürlich dabei, ohne Mittel aus dem "Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung" (ITBB) sofort in den Ganztagsbetrieb einzusteigen. Das heißt, es wird vormittags und tagsüber für die Schule und am Abend und für entsprechende festliche Veranstaltungen im Stadtteil auch an den Wochenenden genutzt.
Die Schülerinnen und Schüler müssen bei uns eine ganze Menge machen. Unter anderem haben sie in Projekten die Schulgärten gestaltet, müssen diese auch selbst pflegen.
Stichwort Unterrichtsprinzip Binnendifferenzierung: Das lässt sich so leicht sagen; dahinter steckt aber eine enorme Arbeit. Es funktioniert auch nicht immer, weil es keine spezifische Ausbildung für heterogene Lerngruppen gibt - ein ganz großes Problem für uns. Für Kolleginnen und Kollegen, die neu zu uns kommen, ist die Gefahr groß, dadurch gleich überfordert zu sein.
Noch ein paar Stichworte mehr:
Gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern: Hier hoffen wir auf Fortschritte, wenn es bei uns in den Jahrgangsstufen 1 und 2 die integrierten Stammgruppen mit individueller Verweildauer gibt. Neu entwickelt haben wir das jahrgangsunabhängige Förderkonzept. Bislang läuft ja eine Förderung so: Sie fassen Kinder im Jahrgang zu kleineren Gruppen zusammen, statt 25 hat man dann 10. Sie werden diesen sehr heterogenen Lerngruppen trotzdem nicht gerecht. Wir haben nun Bausteine oder Module aufgelegt, beispielsweise Bruchrechnen. Wenn man in der 9. Klasse merkt, jemand beherrscht das Bruchrechnen gar nicht mehr, dann kann er für sechs Wochen am Baustein "Bruchrechnen" teilnehmen und sich dort die entsprechende Kompetenz aneignen. Dies kann genauso ein Sechstklässler tun, der Schwierigkeiten bei der Einführung des Bruchrechnens hat. Ein solches Bausteinprinzip entlastet auch den Kollegen, der das macht, weil er genau weiß, was er anzubieten hat. Außerdem kommen die Schülerinnen und Schüler sehr motiviert zu diesem Unterricht, weil sie genau das Entsprechende lernen wollen.
Als Standort Soziale Stadt profitieren wir natürlich von den Projekten des Programms "Lokales Kapital für soziale Zwecke" (LOS). "Fit for Job" ist ähnlich wie das, was der Kollege aus Gelsenkirchen beschrieben hat. Und "Fit for GO" ist eine Vorbereitung auf die gymnasiale Oberstufe. Ehemalige Schülerinnen und Schüler unserer Schule, die jetzt in der Oberschule sind, werden als Tutoren eingebunden, damit nicht immer nur die erwachsenen Pädagogen "predigen", dass es sich lohnt, frühzeitig zu lernen, wenn man dort entsprechend weiterkommen will. Die LOS-Projekte sind allerdings von geringer Nachhaltigkeit und immer in ihrer Existenz gefährdet.
Wir haben die Philosophie, so viel Geld wie möglich "mitzunehmen" und, wenn diese Mittel verbraucht sind, zu prüfen, ob wir andere Finanzierungsquellen finden, mit denen es weitergehen kann. So müssen Schülerinnen und Schüler beispielsweise die Klassenräume selber reinigen. Dadurch kommen ungefähr 20 000 Euro im Jahr herein, die wir für entsprechende pädagogische Projekte verwenden, beispielsweise für den Ausbau des Schulhofs. Der schöne Schulhof war das Initiationsprojekt der Sozialen Stadt, er erhält im Juli auch einen Städtebausonderpreis beim internationalen Architektenwettbewerb der Union Internationale des Architectes (UIA) "Celebration of Cities" in Istanbul. Auch die Schulgärten sind ausgezeichnet worden.
Da wir eine Kooperative Ganztagsschule sind und Vernetzung für uns am allersinnvollsten ist, haben wir eine Lehrerstelle in Sachmittel umgewandelt, um die bestehenden Jugenhilfe- und Sporteinrichtungen im Stadtteil mit ihren Kompetenzen einzubinden. Das große Angebot hat zur Folge, dass es für die Schülerinnen und Schüler individualisierte Stundenpläne gibt, dabei müssen sie von ihren Lehrern "gecoacht" werden. Die Schulsozialarbeit spielt, neben ihren klassischen Aufgaben, eine ganz große Rolle bei der Koordination der Projekte, die an der Schule nicht nur für Kinder, sondern auch für die Eltern stattfinden. So gibt es etwa ein LOS-Projekt "Schulküche" mit Migrantenfrauen, die dort eine Qualifikations- und Beschäftigungsmaßnahme erhalten haben und jetzt die Mensa und einen Catering-Service betreiben. Sehr aktiv ist auch der Elternbeirat an der Schule, der sich allerdings aus der etwas etablierteren Bildungsschicht im Stadtteil rekrutiert.
Die Schule ist Mitglied in der AG Soziale Stadt und im LOS-Begleitausschuss. Dort, wo es Geld gibt, aber nicht nur deswegen, muss man als Schule mitmachen.
Das jüngste Projekt, auch aus Stiftungsgeldern finanziert, betrifft einen lange gehegten Wunsch: eine Kletterwand für den Stadtteil. Diese wurde vom frisch gewählten, noch nicht amtierenden Oberbürgermeister eingeweiht - so etwas trägt zur Reputation im Stadtteil und darüber hinaus bei.
Informationen zu unserem Schulkonzept, zu aktuellen Ereignissen des Schullebens, Personen usw. finden Sie im Internet unter: www.eks.de.
1969: Gründung als 2-zügige Grundschule am Wickopweg, mit dem Wachsen des Stadtteils Erweiterung auf 6-Zügigkeit
1979: Erweiterung um die Förderstufe (Klassen 5 und 6)
1990: Stadtparlament beschließt Bau einer 2. Schule, die vorrübergehend als 2. Grundschule genutzt werden sollte
1991: Intervention der Schulgemeinde: 2. Schule soll sofort als Sekundarstufenschule gebaut werden - Gründung der Planungsgruppe "Stadtteilschule Kranichstein"
1994: Einstimmiger Beschluss der Schulkonferenz: 2. Schule soll Integrierte Gesamtschule werden in organisatorischer Einheit mit der Grundschule
1995: Baubeginn am Standort Bartningstraße
1996: Die EKS wird zur IGS umgewandelt
1997: Bezug des 1.Bauabschnitts (Klassenräume 5-8,Verwaltung)
1999: Bezug des 2.Bauabschnitts (Klassenräume 9-10, Fachraumtrakt Nawi und AL)
2003: Fertigstellung des 3. Bauabschnitts (Mehrzweckräume mit Mensa, Lehrküche, Kunstund Musikraum, Sporthalle, Schul- und Stadtteilbibliothek, Volkshochschule, Familienbildungsstätte)
2004: Die IGS wird koop. Ganztagsschule in gebundener Form
2005: Die EKS erhält vom HKM die Zertifizierung als "Schule zur Förderung von Hochbegabten"
Die EKS-Schülerinnen und Schüler
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