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soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"
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Einführung: Bildung und Soziale Stadt

Tilo Braune,
Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir greifen heute ein hoch aktuelles Thema auf: Bildung im Stadtteil. Es mag manchen ein wenig überraschen, dass ausgerechnet das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen das Thema Bildung auf die Tagesordnung setzt. Dies hat aber gute Gründe: Bildung prägt die Lebenschancen, sie ist deshalb zugleich eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren der Stadtteile. Wir haben nach dem Regierungswechsel 1998 das Programm Soziale Stadt aufgelegt, weil wir damit die in benachteiligten Vierteln konzentrierten Probleme bekämpfen wollen.

Soziale Spannungen, überforderte Nachbarschaften, Verwahrlosung und Vernachlässigung der Gebäudesubstanz, Kriminalität, Migrationsprobleme und Drogenmissbrauch gehen oft einher mit Bildungsdefiziten und entsprechend geringen beruflichen Chancen.

Beunruhigend ist, dass sich Bildungsdefizite gerade in benachteiligten Stadtteilen vielfach von Generation zu Generation fortsetzen, also "vererben". Beunruhigend ist auch, dass in den benachteiligten Quartieren die Schulabbrecherquote besonders hoch ist. Sie erreicht bis zu 30 Prozent eines Jahrgangs. Beides können wir nicht hinnehmen. Wir müssen das Leistungspotenzial der jungen Menschen so umfassend wie möglich fördern und erschließen. Das ist aber nicht nur eine Frage der Menschlichkeit. Auch wegen der sozialen Kosten, zu denen Arbeitslosigkeit mangels hinreichender Schulabschlüsse und Bildung führt, liegt es im allgemeinen Interesse, in die Bildung aller zu investieren.

Sicher ist die Situation in Deutschland nicht unmittelbar vergleichbar mit jener beispielsweise in Frankreich oder den USA. Dort sind Slumbildungen in benachteiligten Vierteln für jedermann sichtbar, und es sind enorme Anstrengungen von Politik und Wirtschaft nötig, diese Abwärtsentwicklung aufzuhalten. Bei allen Unterschieden dürfen wir aber auch in Deutschland nicht die Augen vor diesen Gefahren verschließen.

Die Bundesregierung hat deshalb das Programm "Soziale Stadt" auf den Weg gebracht. Es hat sich inzwischen zu einem festen Bestandteil der Städte- und Wohnungsbaupolitik etabliert. Der neue Ansatz des Programms besteht in einer integrierten Förderung der Stadt- und Ortsteile mit besonderem Entwicklungsbedarf. Bund, Länder und Gemeinden arbeiten ressortübergreifend zusammen, um Problemlösungsstrategien und Instrumente aus verschiedenen Politikfeldern zu einer integrativen Stadtentwicklungspolitik zusammenzuführen.

In einigen Bereichen gelingt das bereits gut, beispielsweise mit dem Programm "Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten" des BundesministeTilo riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Bei anderen Politikbereichen wie Bildung, Integration von Migranten und Lokale Ökonomie und Beschäftigung stehen wir noch am Anfang der Bemühungen um eine beiderseits nutzbringende Zusammenarbeit.

Mit der heutigen Fachtagung greifen wir deshalb das Thema Bildung im Stadtteil auf. Wir wollen Erfahrungen mit der Bildungsförderung in benachteiligten Stadtteilen austauschen. Damit wollen wir auch eine stärkere Vernetzung zwischen integrierter Stadtentwicklung und Bildungsarbeit anstoßen. Die öffentlichen Diskussionen zur deutschen Bildungspolitik, angefangen von der PISA-Studie bis hin zur OECD-Studie, verdeutlichen, welche bildungs- und auch stadtentwicklungspolitischen Aufgaben noch vor uns stehen. Für mich stellt sich insbesondere die Frage nach den Ursachen der Bildungsdefizite: eine Ursache ist die Migration. Sie wirkt sich zum einen auf die Migrantinnen und Migranten selbst aus, zum anderen auf die einheimischen Kinder und Jugendlichen, wenn der Migratenanteil in Schulklassen überwiegt.

Kritische häusliche Verhältnisse sind eine zweite Ursache für Bildungsdefizite. Eine gute Schule ist umso wichtiger, wenn Kinder zu Hause sich selbst überlassen sind, weil Familienbeziehungen zerstört sind, weil die Eltern drogenabhängig sind, oder wenn die Kinder zwischen zerstrittenen Elternteilen hin- und hergerissen werden.

Schulen sind mehr als nur Orte der Bildung. Ich denke, dass Kinder aus benachteiligten Stadtteilen über die Schulen und eine gute Bildungspolitik Chancen für die Zukunft und ein normales Leben bekommen können.

Sie kennen sicher noch den TV-Spot mit der Bausparkassenwerbung, in dem Lena mit ihrem Papa vor dem Wohnwagen sitzt, überwältigt davon, dass ein Mädchen aus Lenas Klasse ein eigenes Zimmer hat. Ihr Papa meint "Das sind doch Spießer". Lena gibt ihre Träume nicht auf und antwortet: "Papa, wenn ich groß bin, dann will ich auch mal Spießer werden". Diese Aussage macht nachdenklich.

Kindern und Jugendlichen ein gutes Wohn- und Lebensumfeld zu geben, fängt bei dem eigenen Zimmer an, geht über die Schulen bis hin zu Sport- und Freizeiteinrichtungen. Dazu brauchen wir aber nicht nur gute Gebäude, sondern mehr. Wir brauchen eine integrierte Sozial-, Schul- und Bildungspolitik - und das vor allem in den benachteiligten Stadtteilen. Wir brauchen Menschen, die den Kindern zuhören und ihnen helfen, ihre Träume zu verwirklichen. Wir brauchen soziale Netzwerke, um Kinder und Jugendliche in Problemlagen rechtzeitig aufzufangen und ihnen zu helfen.

Damit die Bewohnerinnen und Bewohner benachteiligter Stadtteile nicht ins gesellschaftliche Abseits geraten, stellt die Bundesregierung seit 1999 rund 408 Millionen Euro Bundesmittel zur Verfügung. Mit den ergänzenden Mitteln von Ländern und Gemeinden in jeweils gleicher Höhe sind das insgesamt über 1,2 Milliarden Euro für die Umsetzung des Programms. Insgesamt fördert das Programm "Soziale Stadt" seit 1999 363 Maßnahmen in 252 Gemeinden. Beispielsweise werden die Berliner Stadtteile Sonnenallee, Schillerpromenade, Rollbergsiedlung seit 1999 und Neukölln-Reuterplatz seit 2001 im Bundesprogramm "Soziale Stadt" gefördert.

Die Mittel des Bundesprogramms "Soziale Stadt" stehen weitgehend für investive Maßnahmen zur Verfügung. Sie können daher nicht alle Bereiche eines integrierten Handlungsansatzes abdecken. Nur wenn neben baulichen Strukturen auch die sozialen VerTilo hältnisse der Menschen zueinander aufgegriffen werden, wird es gelingen, Negativerscheinungen im Wohnumfeld zu begegnen. Stadtteile sollten so gestaltet sein, dass dort Wohn- und Lebensqualität und eine ausgewogene Sozialstruktur der Bewohnerinnen und Bewohner gewährleistet sind.

Die Zwischenevaluierung des Programms "Soziale Stadt" hat gezeigt, dass es sich bewährt hat. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Deshalb ist es wichtig, das Begonnene fortzuführen und in der Umsetzung zu verbessern. Die ersten Weichen dafür sind gestellt: Der Bund hat die Novellierung des Baugesetzbuches genutzt, um dort die Soziale Stadt neben dem Stadtumbau abzusichern. Damit bekommt der integrative Ansatz des Programms einen höheren rechtlichen Stellenwert. Der Gesetzgeber fordert jetzt die Bündelung mit anderen Förderinstrumenten.

Die Zwischenevaluierung hebt die Situation in den Schulen und die Förderung der Bildung als einen zentralen Schlüssel für eine "Trendwende" in der Entwicklung hervor. Sie macht deutlich, dass es in den meisten Programmgebieten Ansätze gibt, Schulen stärker in die Quartiersentwicklung einzubinden. Insbesondere geht es um die Stärkung der Schulen als Orte der Bildung und Integration im Stadtteil und um eine zielgerichtete sowie gebietsbezogene Vernetzung von schulischen und außerschulischen Akteuren. Wir brauchen auch verantwortungsbewusste Stadtteilinitiativen, die mit den Schulen kooperieren. Deshalb ist mein Vorschlag: Bildungspolitik und Soziale Stadt sollten die Ressourcen bündeln - zu beiderseitigem Nutzen für eine bessere Bildung und für eine Aktivierung der Stadtteile.

Das Handlungsfeld Schule ist wichtiger geworden, als dies zu Beginn des Programms "Soziale Stadt" absehbar war. Wir brauchen deshalb besonders gute Schulen in den benachteiligten Vierteln. Sie müssen besser ausgestattet werden und sie brauchen motiviertere Lehrer als anderswo. Das ist nötig, um die beschriebenen Nachteile ausgleichen zu helfen. Solche Schulen können auch ein Anreiz für sozial stabilere Familien sein, in die benachbarten Viertel zu ziehen oder gar nicht erst wegzuziehen. Und nicht zuletzt sind bessere Schulen natürlich ein ganz wichtiges Signal, dass die Politik hier einen strategischen Schwerpunkt setzt - auch wenn es Geld und damit bisweilen viel politische Kraft kostet.

"Bildung ist mehr als Schule" - diese verbreitete Erkenntnis verweist darauf, dass es um integrierte Sozial-, Familien- und Bildungspolitik gehen muss. Kinder sind unser wertvollstes Kapital für die Zukunft.

Mit der heutigen Fachtagung gehen wir bewusst einen weiteren Schritt in Richtung ressortübergereifende Zusammenarbeit. Ich freue mich daher besonders, dass Herr Dr. Hübner von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport zu uns gekommen ist. Wir haben neben den Akteuren der Sozialen Stadt auch die Mitglieder der Kultusministerkonferenz, Lehrerverbände, Landeselternvertretungen, für Bildung relevante Verbände sowie Schulämter und Berliner Schulen eingeladen, um gemeinsam zu diskutieren, wie Bildungsdefizite und Schulsegregation in benachteiligten Stadtteilen bewältigt werden können. Ich freue mich über Ihr Interesse an dem Thema und hoffe, dass wir gemeinsam gute Lösungsansätze finden werden. Ich wünsche Ihnen einen guten Verlauf der Fachtagung.

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