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Petra Roth,
Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main
Oberbürgermeister aus der Bundesrepublik Deutschland werden bei Weltkongressen, an denen Großstädte aus aller Welt beteiligt sind - ich nahm zum Beispiel für die Bundesrepublik Deutschland am "World Open Economic Development Congress" der Weltbank teil -, gerne gefragt, wie man mit der kommunalen Selbstverwaltung zurecht gekommen sei. Für diese Städte, von deren Größe und Problemen wir uns kaum eine Vorstellung machen können, geht es beispielsweise darum, wie man gesundheitsfördernde Programme umsetzt, wie klares Wasser, ausreichende Ernährung, Abwasser und überhaupt Gewinnung von Wasser zu erreichen ist. Angesichts dessen ist es mehr als erfreulich, dass Sie mit diesem Kongress zunächst einmal auf all das verweisen, was wir hier in der Bundesrepublik schon erreicht haben. Dies gehört zur Standortqualität der Bundesrepublik Deutschland in der globalisierten Welt, im Wettbewerb mit den anderen Städten in Europa und in der Welt. Die Städte, über die ich eben im Zusammenhang mit der Weltbank gesprochen habe, stehen vor anderen Problemen, als wir sie haben. Und das Bild zwischen West- und Ostdeutschland ist auf der Grundlage der kommunalen Selbstverwaltung nicht sehr unterschiedlich. Denn wir können nur das Programm Soziale Stadt mit der Kompensation der Ausgabemittel finanzieren, wenn die eigene Finanzhoheit, das Generieren lokaler Steuermittel, erhalten bleiben und wenn vor allem das Wegbrechen der Gewerbesteuer demnächst kompensiert wird. Mich erfreut in diesem Zusammenhang, dass sich die Kommission zur Gemeindefinanzreform in den nächsten Wochen konstituieren soll. Wir haben gestern Wahlprogramme der großen demokratischen Parteien zur Kenntnis genommen. In diesen ist auch einiges zur kommunalen Selbständigkeit der Gebietskörperschaften zu finden. Es ist wichtig, dass das Hebesatzrecht nicht auf die Körperschaft-steuer und nicht auf die Einkommensteuer bezogen wird. Denn die Einkommensteuer ist eine Pro-Kopf-Steuer, durch die Großstädte im Vergleich mit den Umlandgemeinden nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Ich bitte Sie auch zu verstehen, dass wir, die wir hier die Großstädte vertreten, natürlich für unsere Bürgerinnen und Bürger sprechen. Diese wollen nicht nur in einer sozialen - sozial jetzt klein geschrieben - Stadt leben, sondern sie müssen dort arbeiten und mit dem Arbeitsplatz ihr Umfeld finanzieren können unter Einbindung des sozialen Wohnungsbaus, der Wohnungsbauförderung, der Bildungspolitik. Wir brauchen in den Städten solche Mittel. Man darf nicht durch eine Umverteilung der Steuermittel, die den Unternehmen abzufordern sind, die Städte zugunsten des Umlands benachteiligen. Aber die Finanzierung ist nur das eine. Das andere ist die soziale Kompetenz, die den Inhalten von kommunaler Selbstverwaltung eigen ist. Sie gilt es, in die Köpfe unserer Bürgerinnen und Bürger zu transportieren. Und was zeichnet diese soziale Kompetenz aus? Sie umfasst Toleranz und Liberalität, das heißt die Akzeptanz und das Aufnehmen des Fremden, des Andersartigen. Sie spüren, dass ich aus Frankfurt komme und dieses natürlich mit den philosophischen Grundsätzen einer Stadt so formuliere, die sich seit Jahrhunderten unter diesen Freiheitsbegriffen zu der internationalen Stadt entwickelt hat. Ist es denn vor diesem Hintergrund erstaunlich, dass Frankfurt mit 30 Prozent Nichtdeutschen eine Stadt ist, in der wir gewaltfrei mit anderen Kulturen zusammenleben, in der wir das Fremde als bereichernd empfinden, in der Integration stattfindet, ohne dass wir darüber seit 30 Jahren reden, in der wir zusätzlich zu den Programmen, die in der Sozialen Stadt beschrieben sind, demnächst weitere Integrationsmaßnahmen in Form von Einrichtungen für die Jugend, von kirchlichen Einrichtungen, von Stadtplanungsbüros fördern und dies auch gelebt wird? Und deshalb ist es richtig, dass wir uns mit der Kompensation lokaler Mittel in das Programm Soziale Stadt einbringen. Aber an dieser Stelle ist genauso zu erwähnen, dass wir - und jetzt spreche ich für alle Städte in diesen Maßnahmen - natürlich auch die Genehmigung bekommen müssen, investieren zu dürfen. Die Kommunalaufsicht untersagt uns nämlich das Investieren mit dem Argument, die Haushalte seien im Moment nicht ausgeglichen und die Folgekosten nicht mehr kontrollierbar. Wir haben für den Deutschen Städtetag beim Bundesfinanzminister den Wunsch geäußert, er möge aus dem Erlös der UMTS-Mobilfunklizenzen zehn Prozent für Direktinvestitionen der Städte in das Programm Soziale Stadt zur Verfügung stellen. Das würde bedeuten, dass der Bund die Maßnahmen direkt investiv finanziert. Damit könnten wir in den Städten die Verweigerung der Kommunalaufsicht, der Regierungspräsidien oder auch der Innenminister legal umgehen. Als Oberbürgermeister sind wir überzeugt, dass wir in den Städten soziale Einrichtungen, die auch Stadtentwicklung umfassen, brauchen. Nur dann können wir das Testfeld erfolgreich bewältigen und als Standort Bundesrepublik Deutschland in Europa vom hinteren Drittel in den mittleren und dann wieder in den vorderen Bereich vorrücken. Die Standortfrage ist in der Bundesrepublik Deutschland elementar eine kommunalpolitische Frage. Denn der Bund - nicht als Bundesverwaltung, sondern als Staat - generiert keine Arbeitsplätze. Aber die Politik gibt die Eckwerte vor und entwickelt Strukturen, in denen Unternehmen produzieren können und damit Arbeit geben. Es ist hochinteressant, sich einmal den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und seit 1989 dann des demokratischen Rechtsstaats in den neuen Bundesländern vor Augen zu führen. Die ersten Entscheidungen nach 1945 sind in den Städten und dann in den Ländern gefallen, bis der Bundestag gewählt wurde. Genauso hat sich der Demokratieprozess in den neuen Bundesländern von den Städten her entwickelt. Was besagt denn das? Es heißt, dass Sie alle als Bürgerinnen und Bürger hier Institutionen schaffen über das Grundgesetz, die Länderverfassungen, die kommunale Selbstverwaltung - weil Sie wissen, was Sie brauchen. Sie wissen, wo der Kindergarten hin gehört, welche Fortbildungsmaßnahmen gebraucht werden. Sie wissen, wie künftig die Integration der jetzt alt werdenden Singlehaushalte durch neue Altenpolitik aussehen muss. Die Vielfalt der Gesellschaft: das ist jeder Einzelne. Und das wird wirksam über die kommunale Selbstverwaltung. Dort sind die Gremien angesiedelt, die dann die Soziale Stadt - sozial jetzt groß geschrieben - umsetzen. Wir werden uns als Städte daran beteiligen. Aber bitte, Herr Bundesminister, sorgen auch Sie dafür auf all den Ebenen, auf denen es entsprechende Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Ich denke hier an die Gemeindefinanzreform, an das Konnexitätsprinzip - es besagt, salopp gesprochen: wer bestellt, der zahlt - und an die Forderung nach kommunaler Entscheidungskompetenz in einem eigenständigen Gesetz für Behinderte. Beispielsweise ist es, was Letzteres betrifft, nach dem Bundessozialhilfegesetz so, dass wir als Städte die sozialpolitischen Ausgaben in der Folge des Gleichstellungsgesetzes für Behinderte selbst bezahlen müssen. Wir sollen nach dem Grundgesetz eine gleiche Lebensform in der gesamten Republik ermöglichen. Ich bin der Ansicht, dass die entsprechenden Kosten dann der Bund bezahlen muss. Dies sind nur ein paar Beispiele; ich könnte die Reihe fortsetzen. Wir Städte sind die "Testgelände" der Gesellschaft. Wir sind Testgelände, auf denen das Miteinander im höchsten Maße herausgefordert wird. Wir müssen darauf achten, dass wir den Dialog um unsere Zukunft in den Städten nicht im Gegeneinander, sondern auf der Grundlage von Führung - Führung im Sinne von Wissen, wie es gehen könnte - zusammen mit den anderen Institutionen der Bundesrepublik führen. Erhalten Sie uns bitte die Selbstverwaltung. Wir wissen, dass dies nicht einfach ist und wir die Unterstützung der Bundesregierung auf europäischer Ebene brauchen. Denn kommunale Selbstverwaltung ist in den anderen großen europäischen Städten in dieser Form nicht vorhanden. Wir möchten unsere Gesellschaft weiterentwickeln mit all den Ressourcen und Potenzialen, die in den Städten vorhanden sind. Wenn ich auf die Teilnehmerliste des Kongresses schaue, weiß ich, dass hier heute im Grunde genommen die "Umsetzer" versammelt sind. Nehmen Sie dieses Statement mit: Die Politik steht an Ihrer Seite. Setzen Sie die Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders in den Städten, aus denen sie hierher gekommen sind, weiter um! |
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Quelle: Kongress Die Soziale Stadt - Zusammenhalt Sicherheit, Zukunft, Dokumentation der Veranstaltung am 7. und 8. Mai 2002 in Berlin, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, November 2002 |