Beteiligungsansätze bei der Entwicklung von Integrierten Handlungskonzepten
In diesem Impulsreferat berichte ich über meine Erfahrungen im Quartiermanagement für das Stadtteilprojekt Essen-Katernberg. Katernberg ist einer der Stadtteile in dem Bund/Länder-Programm "Soziale Stadt". Der heutige Tagungsort, die Zeche Zollverein, war der langjährige Arbeitsplatz vieler Katernberger Bürgerinnen und Bürger.
Voraussetzung für erfolgreiche Beteiligungsansätze in Integrierten Handlungskonzepten
a) Verlässliche Rahmenbedingungen
Vor mehr als 15 Jahren haben wir, das Institut für Stadtteilbezogene Soziale Arbeit (IS-SAB) in Kooperation mit Partnern der Uni Essen, der Stadt Essen, dem Kreisverband Essen der Arbeiterwohlfahrt und der evangelischen Kirchengemeinde in diesem Stadtteil mit der Arbeit begonnen, also vor der Auflage des Bund/Länder-Programms. Die Basis des Quartiermanagements auf der Grundlage des fachlichen Ansatzes "Stadtteilbezogene Soziale Arbeit" ist ein Kooperationsrahmenvertrag zwischen der Universität und der Stadt Essen, der diese Arbeit dauerhaft absichert. Im Vergleich zu anderen Stadtteilentwicklungsprojekten haben wir hier eindeutig den Vorteil, uns nicht auf einer zeitlich befristeten Schiene zu bewegen wie in anderen Projekten des Bund/Länder-Programms.
"Bürgerbeteiligung verlangt langfristige und dauerhafte personelle Strukturen, um ein emotionales verlässliches Klima mit den Bürgern aufzubauen. Aktivierungs- und Beteiligungsstrukturen müssen dauerhaft installiert sein, damit ein Klima wächst, in dem Beteiligung gewünscht und selbstverständlich ist. Eine gut gemeinte Überfallaktion einmal im Jahr führt nicht zu einem dauerhaften Ermutigungsklima." (Hinte, Quartiermanagement als kommunales Gestaltungsprinzip, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 5 und 6/2001) Nur die ausgezeichnete Kooperation zwischen Universität und der kommunalen Struktur hat uns diese wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Bürgerbeteiligung geschaffen.
b) Einbinden der Integrierten Handlungsansätze in gesamtstädtische Ansätze
In den ersten Jahren der gemeinsamen Arbeit zwischen der Kommune und dem ISSAB mit Integrierten Handlungsstrategien wurden für die gesamte Stadt Essen als Leitlinie die "Ansätze integrierter Kommunalpolitik" entwickelt und vom Rat der Stadt Essen verabschiedet. Entsprechend den Zielen im Bund/Länder-Programm "Soziale Stadt" wurden damals schon in diesen Leitlinien folgende Schwerpunkte festgelegt, die sich ebenfalls in den konzeptionellen Grundlagen der stadtteilbezogenen sozialen Arbeit wiederfinden.
1 . Verbesserung der materiellen und immateriellen Infrastruktur im Stadtteil durch integriertes Handeln, Aufgreifen der Potenziale des Stadtteils sowie Nutzbarmachen der vorhandenen Potenziale im Sozialraum
2. Aufgreifen der Interessen und Konflikte aus dem Stadtteil, Aktivierung der Bewohnerinnen und Bewohner zur Partizipation
Mit den Prinzipien der stadtteilbezogenen sozialen Arbeit setzen wir diese Leitlinien in den Stadtteilprojekten um, das heißt
1. Bedürfnisorientierung: Was wollt Ihr? Nicht: Was braucht Ihr?
2. Aktivierung: Was könnt Ihr selbst dazu beitragen?
3. Zurückgreifen auf die im Stadtteil vorhandenen Ressourcen;
4. Bereichsübergreifendes integriertes Handeln/Vernetzungsarbeit.
Integrierte Handlungsansätze mit ihrem kooperativen, aktivierenden, umsetzungsorientierten und integrativen Anspruch haben es häufig schwer, diesen hohen Ansprüchen nachzukommen, wenn sie sich nur auf die Stadtteilbereiche beziehen, aber nicht als Leitziele für gesamtstädtisches Agieren gewollt werden. Die Umsetzung stößt auf Blockaden, insbesondere auf Ressortdenken, das nur schwer aufzuweichen ist. Eine politische Willenserklärung (Ratsbeschluss), das heißt ein Ausrichten des gesamtstädtischen Agierens auf diese Leitziele, unterstützt den Prozess. Bürgerbeteiligung muss ein verbindlicher Standard im wirklichen Leben der Verwaltung sein und nicht eine Sonderveranstaltung. Nur eine stärkere Stadtteilorientierung aller Fachämter führt dazu, dass Bürgerbeteiligung auch ernst genommen und folgenreich praktiziert wird.
Warum beschäftigt man sich mit "Beteiligung"?
Das gerade Geschilderte ist fachlich nichts Neues. Die Leitlinien und Prinzipien, die hier benannt worden sind, sind schon immer Grundlagen Integrierter Handlungskonzepte. Partizipation ist auch in anderen Stadtteilprojekten im Zentrum des Agierens und ist immer ein Handlungsschwerpunkt. Bürgerbeteiligung ist auch kein neues Stichwort, denn im Rahmen von Planungsverfahren war dies immer ein selbstverständlich benutzter Begriff. Unstrittig ist heute, dass nachhaltige Stadtentwicklung nicht ohne eine breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger möglich ist. Die Gesellschaft lebt von dem Engagement ihrer Mitglieder und von einem möglichst breiten Konsens über die Richtigkeit der eingeschlagenen Zielrichtung. Dazu bedarf es nicht nur angebotsorientierter Beteiligungsverfahren, die wir aus den ersten Jahren der Planungsverfahren kennen, sondern es bedarf aktivierender direkter Beteiligungsformen.
Der Begriff "aktivierend" ist jedoch insofern missverständlich, als es selbst in den benachteiligten Stadtteilen mit Menschen in belasteten Lebenssituationen diese Zielgruppe der inaktiven Bürgerinnen und Bürger nicht gibt, denn Menschen sind immer aktiv. Sie sind dies in ihrem Stadtteil nicht immer in einer sozialverträglichen Art und Weise, z.B. wenn sie den Drogenhandel organisieren, die Autos auf den Parkplätzen vor den Häusern waschen, sich im Treppenhaus streiten usw., aber sie sind aktiv. Die Aufgabe in Integrierten Handlungskonzepten liegt darin, das vorhandene Engagement aufzugreifen und um sinnvolle Projekte und Themen der Menschen herum zu organisieren. Dies muss durch öffentliche Unterstützung im Quartier entwickelt werden. Die Bürgerinnen und Bürger müssen eher zur Teilhabe motiviert als grundsätzlich aktiviert werden. (siehe dazu Hinte, Beteiligung und Vernetzung, in: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit Nr. 12/1997).
Wie sieht die Umsetzung von Bürgerbeteiligung innerhalb Integrierter Handlungskonzepte aus?
Wir wissen also, dass breite Bürgerbeteiligung für nachhaltige Stadtteilentwicklungsprojekte von hoher Bedeutung ist. Der Begriff ist in allen Konzepten zur Stadtteilentwicklung von programmatischer Bedeutung, doch scheint es bei der Umsetzung Vollzugsdefizite zu geben.
a) Die Verwaltungsreform scheint nicht die zentralen Paradigmen der Stadtteilprojekte, nämlich ressortübergreifende, gebietsbezogene, bewohnerorientierte Strategien im Alltagsgeschäft zu unterstützen. "Budgetierung" und "Produktorientierung" sind stattdessen die Hauptthemen.
b) Es gibt aus den Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf heraus die Kritik an einer oft vorhandenen investiven Schieflage (Geld um zu bauen: ja - Reduzierung der Anzahl der Kinder in einer Kitagruppe: nein). Eine weitere Schieflage, die es zu beobachten gilt, ist die projektive Schieflage: Zahlreiche Projekte im baulichen, schulischen, sozialen und kulturellen Bereich sind nur mit einer selektierenden Beteiligung zustande gekommen.
Das beste Beispiel hierzu ist wiederum unser Tagungsort, die Zeche Zollverein. Kaum ein Katernberger hätte aus der Zeche Zollverein ein internationales Kultur- und Designzentrum machen können.
Was ist dieser Projektorientierung entgegen zu setzen? Notwendig ist ein themen- und projektunspezifischer Beteiligungsansatz, der nicht nur das ohnehin Geplante bearbeitet, sondern aufnahmefähig bleibt für die unsortierten Alltagsthemen und -interessen der Menschen.
Natürlich brauchen wir für den Strukturwandel auch so genannte Leuchtturmprojekte, aber wir müssen die Menschen im Stadtteil "mitnehmen" - und zwar durch qualifizierte und respektvolle Beteiligungsmöglichkeiten. Isolierte Einzelprojekte bleiben oberflächlich, sie schaffen materielle Veränderungen, die für den Stadtteil ein Fremdkörper bleiben, wenn sie nicht durch systematische Aktivierungsarbeit unterfüttert werden.
ILS - Studie: Analyse der Umsetzung des integrierten Handlungsprogramms für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf
Das ILS hat im Jahr 2000 eine Analyse aller Stadtteile aus dem Landesprogramm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" durchgeführt. Diese Analyse gibt auch eine Einschätzung zur Umsetzung der Bewohnerbeteiligung innerhalb der Programmstadtteile. Im Folgenden nenne ich die wichtigsten Aussagen dieser Studie, um eine Gesamteinschätzung für NRW und nicht nur für Katernberg zu ermöglichen.
Gesamteinschätzung zur Bewohnerbeteiligung
Bürgerbeteiligung hat in NRW eine elementare Bedeutung in Integrierten Handlungskonzepten, weil die Erfahrungen zeigen, dass eine frühzeitige Mitgestaltung eine höhere Akzeptanz von Maßnahmen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern bewirkt. Langfristig fördern Beteiligungsverfahren das Selbstbewusstsein und somit auch das Image der Stadtteile. Beteiligung ist von zentralem Stellenwert in Integrierten Handlungskonzepten geworden und wird zur zentralen Bedingung für jedes örtliche Handlungskonzept.
Formen und Verfahren der Beteiligung
- Bei den Akteuren ist eine hohe Sensibilität vorhanden, an den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Bewohnerschaft anzusetzen.
- Es gibt ein breites Instrumentenspektrum, da gerade benachteiligte und artikulationsschwache Bevölkerungsgruppen schwierig zu aktivieren sind.
Die Vielzahl der Formen können drei Bezugsebenen zugeordnet werden:
1. Zielgruppenspezifische Beteiligung, um der Unterrepräsentanz von bestimmten (marginalisierten) Gruppen entgegenzuwirken;
2. projekt- oder themenspezifische Beteiligung (z.B. Sprachförderung, Stadtteilpark);
3. stadtteil- oder quartiersbezogene Beteiligung (z.B. Stadtteilkonferenzen).
(Hier wäre aus meiner Sicht, wie vorher ausgeführt, eine vierte Bezugsebene zu ergänzen: die projektunspezifische Beteiligung.)
Die unterschiedlichen Beteiligungsformen sind auf vier zentrale Ziele ausgerichtet
1. Information,
2. Aktivierung,
3. Mitgestaltung,
4. Selbstorganisation
- Es sind eher professionelle Einrichtungen, die das Alltagsbild der Bewohnerbeteiligung in den Stadtteilen prägen.
- Der Schwerpunkt liegt im Bereich der aufsuchenden Arbeit, da es sich um nur schwer ansprechbare Menschen in sozial und ökonomisch schwierigen Lebenssituationen handelt.
Schwierigkeiten und Hemmnisse
1. Ein oft genannter Hinderungsgrund für erfolgreiche Beteiligung ist die hohe Fluktuation der Stadtteilbevölkerung. Dies erschwert die Kontinuität und den Aufbau von Vertrauensbeziehungen erheblich.
2. Defizite bei der Bewohnerbeteiligung sind festzustellen, wenn professionelle Anlaufstellen - Stadtteilbüros - fehlen. Dies hat zu einer besonderen Hervorhebung der Stadtteilbüros in ihrer Funktion im Landesprogramm geführt. Damit bekommt auch der Ansatz der Gemeinwesenarbeit eine zentrale Rolle.
3. Die Beteiligung von Migranten (aber auch von Aussiedlern) erscheint häufig schwierig aufgrund sprachlicher Defizite und wegen des Rückzugs der einzelnen Ethnien in die eigenen kulturellen Lebensbezüge (in Katernberg ist dies insbesondere bei den fundamentalistisch orientierten türkischen Bevölkerungsgruppen sowie bei den älteren Migranten der Fall).
4. Frustration und Enttäuschung entsteht bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, wenn ein großer zeitlicher Abstand zwischen Planung und Umsetzung eines Projekts liegt.
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