soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"
  

Integrierte Handlungskonzepte - Erfahrungen aus der Praxis

Podiums- und Plenumsdiskussion


Moderation:

Auf dem Podium:


Heidede Becker, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin

Obwohl Integrierte Handlungskonzepte als strategisches Instrument zur Umsetzung des Programms Soziale Stadt gelten, weist die bisherige Praxis noch weitgehende Unsicherheit und Zurückhaltung auf. Deshalb beschäftigt uns in dieser Podiumsdiskussion die Frage danach, wie Integrierte Handlungskonzepte erarbeitet, umgesetzt und fortgeschrieben werden. Außerdem soll es um Qualitätsstandards für Integrierte Handlungskonzepte gehen, z.B. Fragen danach, woran sich der integrative Gehalt der Konzepte bemisst, wie gebietsbezogene und gesamtstädtische Aspekte aufeinander bezogen werden und wie sich in der Praxis Kooperation, Konsens und Kommunikation darstellen, Grundprinzipien für die Erarbeitung von Integrativen Handlungskonzepten.

Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit der längsten Erfahrung im Engagement für integrative Stadtteilentwicklung. Herr Jasper, welche Meßlatte legt das Land an die Qualität von Integrierten Handlungskonzepten beim Antragsverfahren an? Gibt es Anforderungen des Landes an die Fortschreibung der Konzepte?


Karl Jasper, Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Als erste Erfahrung im Zusammenhang mit Integrierten Handlungskonzepten möchte ich herausstreichen, wie wichtig es ist, einen offenen Prozess bereichsübergreifenden Handelns mit allen Beteiligten zu organisieren. Ich erinnere mich an eine Bürgerveranstaltung, die Auftaktveranstaltung in Hakenbroich, einem kleinen Stadtteil Dormagens, mit Bewohnerinnen und Bewohnern, Vertretern von Wohnungswirtschaft, Kirche und Gewerkschaften, mit sonstigen Akteuren. Die Erwartungshaltung, dass die Probleme jetzt auch wirklich von allen Beteiligten gemeinsam angegangen werden, ist unabdingbare Voraussetzung auch in Nordrhein-Westfalen dafür, dass man sich über Ziele verständigen kann, nachdem die Problemlage klar ist, und dass bei den Menschen im Stadtteil eine große Beteiligung erreicht wird.

Ein anderes Beispiel hat der Erste Bürgermeister von Essen, Herr Kleine Möllhoff, in seiner Begrüßungsrede erwähnt: die Katernberg-Konferenz. Auch dort war die Problemlage Ausgangspunkt für integriertes, bereichsübergreifendes Handeln im Stadtteil. Dort wurde die Kokerei Zollverein geschlossen, fielen wieder 1 000 Arbeitsplätze weg, und der Handel sagte, wir müssen gemeinsam etwas tun, um diesem Stadtteil das Leben zu erhalten. Integriertes Handeln heißt nicht Addition einzelner Fachbereiche, sondern es setzt - auf die kommunale Ebene bezogen - voraus, die Möglichkeiten des Sozialressorts mit dem zu vergleichen und in Einklang zu bringen, was das Wirtschaftsressort oder das Arbeitsressort tun kann. Es hilft nichts, mit der Bevölkerung einen Wettbewerb zu machen, wie essenzielle Bausteine der Stadtentwicklung aussehen müssten, damit sich die Bevölkerung im öffentlichen Raum wieder sicherer und wohler fühlt, wenn dann die entsprechende Arbeit nicht erledigt wird, weil mit dem Vollzug betraute Fachämter sich gleichgültig verhalten - dies war ja das Problem in einigen Großstädten, dass sie sich nicht an die Arbeit machten und keinen entsprechenden Prozess organisierten. Die Organisation eines solchen Prozesses ist unabdingbare Voraussetzung.

Wir haben auf dem Leipziger Impuls-Kongress zum Quartiermanagement über sehr viele Beispiele aus Nordrhein-Westfalen gesprochen. Nach den dortigen Erfahrungen kommt der Erlebbarkeit große Bedeutung zu. Gerade wenn man die Bewohnerinnen und Bewohner sowie andere Akteure, etwa aus der lokalen Wirtschaft, der Wohnungswirtschaft, dafür gewinnen will, sich für einen solchen Stadtteil zu engagieren, dann müssen die Folgen dieses Engagements auch erlebbar sein, das heißt, Ideen müssen auch umgesetzt werden können. Der offene Prozess, den ich angesprochen habe, ist der Prozess der Beteiligung, der in den Stadtteilen in Nordrhein-Westfalen ganz gut organisiert ist.

Die zweite Erfahrung besagt, dass sich integrierte Konzepte nur dann erfolgreich umsetzen lassen, wenn alle Beteiligten bereit sind, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Wer in seiner eigenen Verständniswelt verhaftet ist, wird auf den gewohnten Pfaden bleiben. Und eben diese Pfade haben dazu geführt, dass wir Probleme in diesen Stadtteilen haben. Die Polizei in Hamm hat ein hervorragendes Beispiel dafür geliefert, wie man querdenken und über den Tellerrand blicken kann. Sie hat das Problem Sicherheit im Stadtteil mit einem eigenen Programm zum Gegenstand ihrer Arbeit gemacht; sie ist dauernd vor Ort gewesen und auch in die Stadtteilwerkstätten hineingegangen. Und der leitende Beamte der Polizeidienststelle sagte, es sei für ihn unheimlich schwer gewesen, sich mit den Sozialarbeitern an einen Tisch zu setzen, weil beide Seiten es mit der gleichen Klientel zu tun haben, nur eben mit je unterschiedlicher Perspektive. Erst einmal eine gemeinsame Sprache zu finden, sei für den Prozess enorm förderlich gewesen. Es ist nach zweijähriger Tätigkeit auch gelungen, ein Vertrauen zwischen den unterschiedlichen Disziplinen aufzubauen - wobei das Vertrauen dort vor Ort ein etwas Handfesteres ist als jenes, das wir auf Podien zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen erreichen können, weil es tagtäglich vor Ort gefordert ist. Ein anderes Beispiel, heute Morgen auch schon erwähnt, ist das Triple Set. Es ist auch ein Beispiel dafür, wie selbst die Wirtschaftsförderung sich mit einem solchen Stadtteil auseinander setzt und Chancen sieht, auch unterhalb der Schwelle von Hochglanzprospekten etwas für lokale Wirtschaftsentwicklung und damit für Existenzgründungen zu tun, und zwar in einem Bereich, der mit E-Commerce usw. gar nichts zu tun hat, sondern der aus stadtteilbezogenen Bedürfnissen heraus entstanden ist.

Die dritte Erfahrung, die Bereitschaft, fachübergreifend zu arbeiten, ersetzt nicht die Professionalität im eigenen Fach. Ich habe das Beispiel erwähnt von Leuten, die Planungen umsetzen sollen und sich dann gleichgültig verhalten. Insbesondere gehört zu dieser Professionalität, dass man aus der fachübergreifenden Arbeit heraus auch den eigenen Wirkungsbereich kritisch überprüft und bereit ist, daran kreativ zu arbeiten. Nehmen Sie das Beispiel der Wohnungswirtschaft. Der nordrhein-westfälische Ausschuss für Städtebau und Wohnungswesen hat im September eine Exkursion in einige Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf gemacht. In Bonn-Drahnsdorf hat der Geschäftsstellenleiter des dortigen Wohnungsunternehmens deutlich gemacht, dass sie aufgrund der untragbaren Situation - durch Harnsäure zerfressene Fahrstühle, Müllabwurfplätze aus dem sechsten Stockwerk, fehlende oder sich nur noch prügelnde Nachbarschaft - dazu gekommen sind, ihr Kundenverständnis zu überdenken und kundenorientiert zu arbeiten, auch bei der Umgestaltung ihres Wohnungsbestands. Diese Wohnungsgesellschaft nimmt es immerhin hin, in den nächsten zwölf Jahren keine schwarzen Zahlen zu schreiben, um die Mietverhältnisse in diesem Stadtteil wieder lebenswert zu gestalten. Der Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber es war eine Erfahrung, die insbesondere auch die Landtagspolitiker mit sehr viel Nachdruck nach Hause genommen haben. Die Wohnungswirtschaft ist hier nicht mit dem Argument oder mit der Politik der offenen Hand gekommen und hat gesagt: "Wenn wir etwas tun sollen, bezahlt uns das erst einmal". Sie hat vielmehr kundenorientiert und auch rein betriebswirtschaftlich überprüft, was für das Unternehmen langfristig notwendig und machbar ist.

Ein anderes Beispiel: Die Stadterneuerungsrichtlinien in Nordrhein-Westfalen gelten mittlerweile immer nur für einen begrenzten Zeitraum und entsprechend wird mit ihrer Veröffentlichung verfahren. Das heißt, Ende nächsten Jahres müssen die bestehenden Richtlinien überarbeitet werden, damit wir die Erfahrungen der letzten fünf Jahre in dem Regelwerk berücksichtigen können. Wir haben bei der letzten Überarbeitung der Stadterneuerungsrichtlinien die Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf gesondert aufgenommen. Auch hier sehen wir uns selbst in der Pflicht, das Regelwerk darauf zu überprüfen, ob es noch zeitgemäß ist. Ich kenne Regelwerke, die mittlerweile 40 Jahre alt sind. Sie an die heutigen Erfordernisse anzupassen, fällt mitunter recht schwer.

Die vierte Erfahrung tangiert Stadtteilprofil und Partnerschaft. Partnerschaft gerade mit der Bevölkerung, Erlebbarkeit kriegen Sie nur hin, wenn Sie die Möglichkeit haben, über Verfügungsfonds bewohnergetragene Aktionen zu unterstützen. Auch wenn es meistens nur um geringe Beträge geht, so helfen diese doch, die Bereitschaft zum eigenen Tun zu wecken und aufrechtzuerhalten.

Ein Beispiel für Partnerschaft: Wir greifen in Nordrhein-Westfalen mit der Zeitschrift Geo und der Yehudi Menuhin-Stiftung in über 40 Grundschulen das Thema "Überwindung sozialer und rassischer Schranken durch Kunst" auf. Über 90 Künstler sind in den Schulen im laufenden Unterricht tätig. Eine andere große Partnerschaft haben wir mit dem Landessportbund geschlossen, weil die sozialintegrative Kraft des Sports durchaus landesweit hervorgehoben wird und der Landessportbund sich auch über seine Fachinteressen hinaus bereit erklärt hat, eine Art Wettbewerb unter den Sportvereinen in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf zu veranstalten.

Was das Stadtteilprofil betrifft, will ich auf eines hinweisen: Heute vor einer Woche haben die Oberbürgermeister aus den Städten des Ruhrgebiets mit der Landesregierung einen Wachstums- und Beschäftigungspakt geschlossen. Sein Ziel: in den nächsten zehn Jahren 200 000 Arbeitsplätze in dieser Montanregion neu zu schaffen, insbesondere auf Kompetenzfeldern der Technologie, aber auch des Designs oder der Freizeitwirtschaft. Wichtig ist, dass das Thema der Erneuerung städtischer Problemgebiete inhaltlicher Bestandteil dieses Wachstums- und Beschäftigungspaktes ist. Sie können ein Stadtteilprofil nicht über einzelne Bauwerke schaffen, auch wenn diese noch so profilgebend sind. Dass man sich mit dem Thema offensiv und positiv auseinander setzt, kann man vielmehr nur erreichen, wenn es Bestandteil einer gesamtstädtischen oder - wie hier im Ruhrgebiet - auch durchaus einer regionalen Politik ist.

Dies sind im Wesentlichen die vier Erfahrungen, die wir bei der Überarbeitung und bei der weiteren Herangehensweise mit den Städten berücksichtigen. Viele Großstädte in Nordrhein-Westfalen sind mittlerweile zu einem stufenweisen Verfahren übergegangen. Das heißt, einzelne Stadtteile werden langsam sich selbst überlassen, und andere werden aufgenommen, weil man gesehen hat, dass dies kein elitäres Programm für eine kleine Anzahl einzelner städtischer Problemgebiete ist, dass dies vielmehr eine Stadtpolitik kennzeichnet, die viele Stadtteile betrifft. Es ist einfach wichtig, dass man sich aus einer gesamtstädtischen Strategie heraus dem Problem stellt und für einzelne Stadtteile auch separate Lösungswege anbietet.


Heidede Becker

Unter den vielen eben genannten Gesichtspunkten fand ich den Hinweis besonders wichtig, die Kernkompetenz kreativ weiter zu entwickeln.

Ich übergebe das Wort nun an Dieter Polkowski aus Hamburg, einem Land ebenfalls mit einer längeren Erfahrung in Bezug auf integratives Handeln. In Hamburg heißen die integrierten Handlungskonzepte QUEK, das heißt Quartiersentwicklungskonzepte. Und Hamburg hat gerade im August 2000 einen Leitfaden für die Erstellung von Quartiersentwicklungskonzepten ausgearbeitet - als Hilfestellung und Arbeitshilfe für die Bezirke und die Akteure vor Ort. Vielleicht können Sie auch dazu noch ein bisschen mehr sagen.


Dieter Polkowski, Stadtentwicklungsbehörde Hamburg

Ich sollte vielleicht doch noch ein paar der Rahmenbedingungen nennen, die wohl nur für Hamburg zutreffen, aber zum Verständnis nicht ganz unwichtig sind. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat 1998 einheitliche Ziele für das Programm "Soziale Stadtteilentwicklung" formuliert und damit Vorläuferprogramme einschließlich der Sanierung nach dem Baugesetzbuch zusammengefasst. Vom programmatischen Ansatz her sind eigentlich keine Unterschiede festzustellen. In Hamburg gibt es, wenn man nicht zwischen den Verfahren unterscheidet, rund 50 Gebiete der sozialen Stadtteilentwicklung. Es handelt sich um unterschiedlich große Gebiete, auch um unterschiedliche Aufgabenstellungen in den Gebieten. In den letzten Jahren sind überwiegend große Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit neu in das Programm aufgenommen worden, speziell auch in dem Programmelement "Soziale Stadt". In dem Maße, in dem sich die Stadt vermittelt über die Stadtentwicklungsbehörde in diesen Quartieren engagiert hat, im selben Maße haben sich - so behaupten jedenfalls manche - die Fachbehörden praktisch aus diesen Gebieten zurückgezogen, etwa nach der Devise: Wenn es eine Aufgabe "soziale Stadtteilentwicklung" in diesen Gebieten gibt, dann haben wir die Möglichkeit, uns zurückzuziehen. Notwendige Investitionen oder auch andere Maßnahmen werden jetzt durch eine querschnittsorientierte Fachbehörde aus deren Programm finanziert, und wir können unser Geld woanders unterbringen, wo es auch benötigt wird.

Mit der Diskussion über das neue Programm und über Quartiersentwicklungskonzepte kamen Anforderungen von unterschiedlicher Seite an diese Konzepte. Selbstverständlich ging es darum, Mittel unterschiedlicher Fachressorts in den Gebieten zu bündeln und genau diesen Trend, den ich eben beschrieben habe, abzustellen und dafür zu sorgen, dass sich die unterschiedlichen Fachressorts nicht nur finanziell in den Gebieten engagieren, sondern auch konzeptionell zusammenarbeiten. Um dem Ganzen noch mehr Gewicht zu verleihen, hat der Senat beschlossen, dass diese Quartiersentwicklungskonzepte der Senatskommission für Stadtentwicklung vorzulegen sind und durch diesen politischen Beschluss der Senatskommission alle Fachbehörden stärker in die Pflicht genommen werden, an der Aufgabe der sozialen Stadtteilentwicklung mitzuwirken und sich zu engagieren. Dieser politische Beschluss, das hat sich im Nachhinein gezeigt, hat ein paar Nachteile mit sich gebracht, auf die ich gleich noch einmal zu sprechen komme.

Vor diesem Hintergrund hat die Stadtteilentwicklungsbehörde einen so genannten Leitfaden herausgegeben. Mit diesem sollte der Versuch unternommen werden, sehr früh Diskussionen über das, was Quartiersentwicklungskonzepte leisten können und sollen, anzuregen. Insofern ist er als ein vorläufiges Papier zu verstehen. Es sollte auch der Versuch unternommen werden, für die neu aufgenommenen acht Gebiete Quartiersentwicklungskonzepte zu bekommen, die hinsichtlich Aufbau und Inhalt vergleichbar sind. Das war die Anforderung von Seiten der Verwaltung. Es wurde klargestellt, dass man sich in diesen Quartiersentwicklungskonzepten mit den programmatischen Leitzielen des Programms auseinander zu setzen hat und sie auf die Quartiere herunterbrechen muss. Sie müssen in quartiersbezogene Entwicklungsziele umgesetzt werden und dann sind selbstverständlich auch Aussagen zu treffen, mit welchen Mitteln, Strategien und Maßnahmen diese quartiersbezogenen Entwicklungsziele umgesetzt werden sollen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil, der später zur Kritik geführt hat, war die Anforderung, ein so genanntes Zeitmaßnahmenkonzept zu erarbeiten. In dem Info "Soziale Stadt Nr. 6" wird so ein bisschen der Eindruck erweckt, das Zeitmaßnahmenkonzept würde deutlich über eine Finanzierungsübersicht hinausgehen. Ich sehe das, ehrlich gesagt, nicht so. Von den Quartiersentwicklern wurde eigentlich nur erwartet, dass sie für einen begrenzten Zeitraum, etwa fünf Jahre, sagen, was sie schwerpunktmäßig vorhaben, wie viel Geld dafür benötigt wird und wer an der Finanzierung dieser Maßnahmen zu beteiligen ist, selbstverständlich auch Aussagen darüber treffen, mit welchen Projekten man sich in welchen Jahren mit welchen finanziellen Folgen auseinander setzen möchte. Das hat zu Schwierigkeiten geführt, dass auf der anderen Seite auch erwartet wird, diese Quartiersentwicklungskonzepte mit den Beteiligungsgremien vor Ort umfassend zu erarbeiten und abzustimmen. Und da sehen wir schon, wenn ein Zielkonflikt auftaucht. Man kann natürlich zu Beginn eines solchen Prozesses nicht vollständige Aussagen darüber treffen, was man denn vor hat und wie viel das kostet. Dennoch bestand die Erwartung, dies zumindest in groben Zügen aufzustellen. Hieraus ergab sich ein wesentliches Problem, über das wir im Rahmen der Fortschreibung diskutieren müssen. Diese Quartiersentwicklungskonzepte werden von der Verwaltung selbstverständlich nicht als starres Instrument aufgefasst, sondern es wird ausdrücklich davon ausgegangen, dass man erste Konzepte vorlegt, die dann im Prozess fortzuschreiben sind und gebietsabhängig in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ein vollständiges Bild abgeben werden.

Wir haben acht unterschiedliche Quartiersentwicklungskonzepte für acht Gebiete erhalten, überwiegend Großsiedlungen, die eine vergleichbare Problemstruktur aufweisen. Die Bandbreite der Quartiersentwicklungskonzepte beginnt, wenn man sie überzogen karikieren will, bei einer sehr basisdemokratischen Position, die besagt, dass man im Grunde nichts aufschreiben darf, was nicht mit den Beteiligungsgremien vor Ort ausführlich diskutiert wurde. Es gibt dann Quartiersentwicklungskonzepte, die - ich hoffe, dass ich niemand im Raum damit zu nahe trete - vor dem Erfahrungshintergrund eines klassischen Sanierungsträgers entstanden sind. Es kommt der Eindruck auf, dass sich die Quartiersentwicklungskonzepte sehr stark an der Frage städtebaulicher, baulicher Missstände orientieren. Das geht dann bis hin zu der Variante, die man übertrieben so darstellen kann: Man hat Projektideen, die selbstverständlich aufgrund von unterschiedlichen Vorarbeiten entwickelt wurden, und formuliert dann nachträglich für diese Projektliste einen theoretischen Hintergrund. Wir werden uns jetzt im Rahmen der Fortschreibung darüber unterhalten müssen, wie hier Ansprüche aus dem Quartier, aus der Verwaltung, aus der Politik nivelliert und angeglichen werden können.


Heidede Becker

Auch aus diesem Beitrag war schon eine Menge an Schwierigkeiten in Bezug gerade auf Zeitmaßnahmenkonzepte herauszuhören, ähnlich wie bei Herrn Jasper, der von Zeitressourcenplanung gesprochen hat.

Wir wollen uns jetzt dem Blickwinkel einer Schule zuwenden. Frau Wendrich von der Hauptschule Hummelsteiner Weg in Nürnberg ist hier bei uns. Die zentrale Bedeutung der Schulen ist in vielen Modell- und Programmgebieten der "Sozialen Stadt" immer wieder deutlich geworden. Auch Frau Spiegel hat darauf hingewiesen, mit wie viel Idealismus gerade in Schulen mit einem Stadtteilschulansatz gearbeitet wird, mit freiwilligem und bezahltem Einsatz, aber auch mit sehr viel Fantasie. In Nürnberg, dies weiß ich aus der Themenkonferenz im Modellgebiet Galgenhof-Steinbühl, werden nicht nur die Schüler, sondern auch die Eltern einbezogen. Tief beeindruckt hat mich unter anderem das Angebot "Mama lernt Deutsch". Frau Wendrich, wenn man den Ansatz "integratives Handeln" wichtig findet und versucht, auch zur Vernetzung zugunsten des Stadtteils und der Situation in den Stadtteilen zu kommen, wo wird man da unterstützt, wo gibt es Schwierigkeiten, welche Erwartungen haben Sie an die anderen Bereiche? Es gibt in Nürnberg ja zum Beispiel den Meinungsträgerkreis.


Uta Wendrich, Hauptschule Hummelsteiner Weg, Nürnberg

Erst einmal vorweg: Die Hauptschulen - ich kann hier selbstverständlich nur für Bayern sprechen - leiden darunter, dass sie sehr wenig Unterstützung erfahren. Dies ist das erste Problem auch für mich. Wir glauben, das liegt daran, dass wir sehr wenig Lobbys haben. Unsere Klientel ist parteipolitisch gesehen nicht sonderlich attraktiv, das ist ja zum Beispiel keine Wählerklientel. Und wir leiden schon einfach an der Situation, dass wir sehr wenig Ressourcen haben, was Ausstattung anbelangt. Auf der anderen Seite suchen wir uns selbstverständlich Unterstützer, und das ist jetzt in der Stadt Nürnberg momentan recht günstig. Wir arbeiten sehr eng zusammen mit dem Ausländerbeirat, mit dem Pädagogischen Institut der Stadt Nürnberg. Auch der Meinungsträgerkreis ist ein Forum, in dem wir unsere Interessen einbringen können, die dann eventuell über den Unterstützungsfonds, den wir jetzt auch einrichten möchten, weitergegeben werden können.

Die Problematik ist einfach, dass wir insgesamt unsere eigene Klientel sehr schwer erreichen. Wir kommen ganz schlecht an die Eltern unserer Kinder heran und erreichen auch größtenteils unsere Kinder nicht mehr. Das ist ein Riesenproblem. Und deswegen halte ich auch dieses Integrierte Handlungskonzept für überaus wichtig. Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen, die ich vom Ausländerbeirat der Stadt Nürnberg habe. Wir haben insgesamt in der Südstadt 30 Prozent Bewohnerinnen und Bewohner ausländischer Herkunft, an unserer Schule sind es 54 Prozent. Wir bringen diese Kinder immer weniger zu einem qualifizierenden Hauptschulabschluss. Um aber eine Ausbildungsstelle zu bekommen, braucht man mindestens diesen "Quali", wie wir ihn nennen. Was dies betrifft, sind inzwischen die Schülerzahlen total rückläufig. Das heißt, wir haben nur noch 36 Prozent Schüler mit nicht-deutscher Herkunft, die diesen "Quali" bestehen. Über 60 Prozent der Schüler nicht-deutscher Herkunft landen entweder in den BVJ-Klassen oder in den Berufsschulen, und wir kriegen die einfach nirgends mehr unter.

Ich habe hier Zahlen von der IHK. Danach sind es für Bayern 1993 noch 8,8 Prozent gewesen, die einen Ausbildungsplatz angetreten haben. Inzwischen ist dieser Prozentsatz auf 5,5 Prozent gesunken. Die Handwerkskammer Mittelfranken meldete im Jahr 1992 19,3 Prozent, jetzt sind es 9,5 Prozent. Wir sind wirklich schwer am Überlegen, wie wir an diese Schüler und an die Eltern herankommen. Da steht uns ganz viel im Weg, angefangen beim gesellschaftlichen Status. Wenn jemand zum Beispiel nur eine Duldung oder eine befristete Aufenthaltserlaubnis hat, dann kommen sehr viele Maßnahmen für ihn überhaupt nicht infrage. Das ist für uns ein riesengroßes Problem. Und dann kommt hinzu, dass diese Schüler sich zunehmend aufgrund ihrer eigenen Probleme, ihrer familiären Strukturen ausgegrenzt und frustriert fühlen und dann gewalttätig werden oder sich in Drogen flüchten. Also: wir müssen einfach anders arbeiten an den Schulen. "Mama lernt Deutsch" ist wirklich ein tolles Projekt, weil wir da an die Mütter, vor allem die türkischen Mütter oder - besser - die Mütter türkischer Herkunft tatsächlich herankommen. Das Projekt läuft wirklich gut. Aber meines Erachtens wäre es wichtig, noch viel stärker mit diesen Jugendlichen und deren Eltern zusammenzuarbeiten, also weniger über ihre Köpfe hinweg für sie, sondern viel stärker mit ihnen zu agieren und sie dort abzuholen, wo sie stehen.


Heidede Becker

Matthias Eipperle ist seit 1998 in dem Lokale Agenda 21-Prozess in Freiburg involviert und engagiert. Erfahrungen in den Modellgebieten, aber auch in anderen Gebieten der "Sozialen Stadt" zeigen, dass es gerade auf der Stadtteilebene noch Defizite gibt, was die Vernetzung betrifft. Lokale Agenda 21-Projekte sind zu großen Teilen stadtweit angelegt. Meine Frage an Matthias Eipperle lautet daher: Wie kann diese eher gesamtstädgesamtstädtisch ausgerichtete Arbeit integriert werden in Maßnahmen und Projekte auf der Stadtteilebene, wie sind Lokale Agenda 21-Prozesse in Freiburg zum Beispiel mit dem Programm Soziale Stadt in den einzelnen Gebieten vernetzt?


Matthias Eipperle, Lokale Agenda 21, Freiburg/Breisgau

Was die Lokale Agenda 21 in Freiburg angeht, so hat man sich sehr lange damit beschäftigt, die Leitlinien und Leitziele zu formulieren. Der Agenda-Prozess ist in Freiburg erst relativ spät angestoßen worden, weil man auch recht lange gebraucht hat, um die entsprechenden politischen Entscheidungsträger hierfür zu gewinnen. Auf der Leitzielebene hat man ein Konzept entworfen, mit dem man sich jetzt auch intensiv an Gruppen in den Stadtteilen wendet. Allerdings muss man sagen, dass der Wunsch, die Agenda in die Stadtteile zu bringen, oft nur ein Wunsch geblieben oder nur schwer in die Tat umzusetzen ist. Dies hat damit zu tun, dass die engagierten Bürgerinnen und Bürger, die den Agenda-Prozess in Freiburg selbständig tragen - was durchaus ein Vorteil ist -, dann schnell an ihre Grenzen kommen und überfordert sind. Doch es gab bei der Planung zum neuen Flächennutzungsplan eine intensive Kooperation mit den Bürgervereinen, allerdings auf gesamtstädtischer Ebene. Es war die Arbeitsgemeinschaft Freiburger Bürgervereine, die mit Agenda-Gruppen zusammengearbeitet hat, ebenso mit den Medien. Nicht geklappt hat leider, auch die Stadt von Anfang an mit ins Boot zu holen. Da hat sie wahrscheinlich zu sehr befürchtet, der Prozess entgleite ihr.

Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass ich hier ja als engagierter Bürger eingeladen worden bin, nicht als jemand, der aus einer Funktion heraus kommt. Ein wichtiger Grund für die Fälle, in denen die Zusammenarbeit mit und in den Stadtteilen funktioniert, ist, dass Akteure aus den Stadtteilen selbstverständlich im Agenda-Prozess beteiligt sind und umgekehrt Akteure, die im Agenda-Prozess in den Arbeitsgruppen mitarbeiten, auch längst schon Arbeit in den Arbeitskreisen, Stadtteilgruppen oder Verbänden leisten. Der Agenda-Prozess profitiert viel von einem Stadtteilbüro, dem Forum Weingarten 2000. Hieraus hat der Agenda-Prozess wichtige und gute Anregungen bekommen. Der Stadtteil Weingarten hat letztes Jahr einen Preis in dem Wettbewerb der "Sozialen Stadt" gewonnen, und zwar für die vorbildliche Beteiligung der Bürgerschaft bei der Sanierung eines Stadtteils. Weingarten ist eine einigermaßen typische Trabantenstadt aus den 70er-Jahren, Plattenbau, wobei allerdings hier auch sehr viel Grün zu finden ist. Der Stadtteil ist auch nicht so groß, dass man ihn mit den Plattenbausiedlungen sehr großer Städte vergleichen könnte. Und Freiburg ist auch nicht gerade der soziale Brennpunkt in Deutschland. Allerdings sind die Probleme vor der eigenen Haustür immer die größten. Und die Bewohnerschaft in Weingarten hat durchaus auch gegen einige Widerstände zu kämpfen. Da ist der allgemeine Ruf, ein Problemstadtteil zu sein, was aber so oft nicht zutrifft, und auch die Leute, die dort leben, nehmen dies selbst sehr oft gar nicht so wahr. Auch laut Kriminalitätsstatistik ist es in den Problemstadtteilen im Vergleich zur Innenstadt sehr harmlos. Aber ein entsprechender Ruf wirkt selbstverständlich auf diejenigen, die sich überlegen, wohin sie ziehen und die sich vielleicht eher einen anderen Stadtteil aussuchen, der gefördert und gelobt wird, in den auch nicht aufgrund der Belegungspolitik vordringlich sozial schwierige Personen und Familien ziehen und in dem es auch nicht nur mit einem enormen Druck der Bevölkerung gelingen kann, die guten Ideen, die in der Bürgerschaft vorhanden sind, umzusetzen. Um genau diesen Druck zu erzeugen, war es wertvoll und wichtig, dass in Weingarten dieses Stadtteilbüro bereits vor zehn Jahren entstanden ist und dass viele engagierte Bewohnerinnen und Bewohner Verantwortung für ihren Stadtteil übernommen haben - Leute, die in diesem Stadtteil sehr gerne gelebt haben und immer noch leben. Und man hat es frühzeitig geschafft, die Stadt mit ins Boot zu holen, ebenso die Wohnungsbaugesellschaften. Das Stadtteilbüro ist ein unabhängiges Büro, und man hat die Stellen, die geschaffen wurden, mit Leuten besetzt, die es gelernt haben, auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Für diese Sozialarbeiter ist es selbstverständlich, von Tür zu Tür zu gehen und sozusagen die Klinken zu putzen. So gehen sie alle zwei Jahre, wenn wieder ein Sprecherrat gebildet wird, tatsächlich von Tür zu Tür, um die Wahlunterlagen auszuteilen und nachher auch wieder einzusammeln, wodurch sie intensiven Kontakt zur Bevölkerung haben und dann auch eine Beteiligung an der Wahl erreicht wird, die sich wirklich sehen lassen kann: 70 Prozent.

Sie haben dort wirklich die Chance, dass die Themen, die die Bevölkerung einbringt, auch wahrgenommen werden. Die Leute, die dort arbeiten, werden sich hüten, Themen aufs Tapet zu bringen, für die sie kein Feedback von der Bevölkerung erhalten. Dies ist im Zusammenhang mit dem Integrierten Handlungskonzept ein wichtiger Punkt, auch für Agenda-Gruppen oder wissenschaftliche Institute, dass man genau die Themen und Probleme aufgreift, die vor Ort tatsächlich wichtig sind.

Zum Schluss möchte ich noch betonen, wie wichtig es ist, die Wohnungsbaugesellschaften hartnäckig politischem Druck auszusetzen, zum Beispiel sie dazu zu bringen, ein Gutachten für einen Sanierungsbau erstellen zu lassen, das einen Erneuerungsbedarf etwa bei den Fenstern feststellt, auch wenn die Wohnungsgesellschaft die Fenster nicht erneuern will. Dies ist ein typisches Beispiel, mit dem man es leider immer wieder zu tun hat. Wenn es gelingt, diesen politischen Druck zu erzeugen, dann kann sich entwickeln, was derzeit ein anderes Gebiet derselben Wohnungsbaugenossenschaft beweist: dass Menschen in einem Gebiet wohnen, in Häusern, die für sie im sozialen Wohnungsbau gebaut worden sind. Sie sind heute nicht mehr im sozialen Wohnungsbau drin und haben festgestellt, dass man mittlerweile in einer Stadtrandlage ist, die eine sehr attraktive Wohngegend ausmacht. Wo vorher Felder waren, befindet sich heute ein Seeparkgelände. Und es ist kein Problem, mit den Leuten, die dort seit 30 bis 50 Jahren wohnen, mit Generationen, die dort aufgewachsen sind, Leerstände in Häusern zu füllen. Man ermöglicht es beispielsweise jungen Familien, dort ihren Wunsch nach einem Reihenhäuschen zu verwirklichen. Das sieht man gleichzeitig nebenbei - und da sieht man, wo die Probleme liegen, um ein Programm wie "Soziale Stadt" wirklich zu erfüllen.


Heidede Becker

Zum "hartnäckigen politischen Druck" auf die Wohnungsbaugesellschaften wird möglicherweise Herr Fürst etwas sagen. Ich gebe nun das Wort an Herrn Barloschky aus Bremen. Bremen hat mit seinem "Wohnen in Nachbarschaft"-Programm auch einen kleinen Vorlauf zum Programm "Soziale Stadt". Es stellt sich nun die Frage: Welche Rolle spielen denn die Integrierten Handlungskonzepte ganz konkret? Sind sie, wie Herr Polkowski kurz andeutete, möglicherweise etwas, was im Nachhinein zu den Projekten, die man betreibt, zusammengeschrieben wird, wenn es gebraucht oder gefordert wird, oder können diese Handlungskonzepte tatsächlich so etwas wie einen Orientierungsrahmen, eine Hilfe zur Verständigung über Ziele bieten?


Joachim Barloschky, Projektgruppe Tenever, Amt für Soziale Dienste, Bremen

Sicherlich haben wir solche Grundideen in Bremen. Aber ich muss ehrlich sagen, dass wir nicht so gut ausformulierte Integrierte Handlungskonzepte haben. Wir haben trotzdem einen guten Gradmesser für das, was realisiert wird, nämlich die Situation der betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner in den Quartieren selber. Das ist der zentrale Punkt, um den wir uns Gedanken machen. Und da trifft sicherlich Folgendes zu: Wenn die Integration im realen Leben, in den Quartieren stattfindet, ist das umso besser, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die stimmen in Bremen in einer Hinsicht auf jeden Fall, nämlich dass es dieses Ergänzungsprogramm zur "Sozialen Stadt" gibt, "Wohnen in Nachbarschaften".

Dort haben sieben verschiedene Ressorts ihr Geld zusammengeworfen, und dieses Geld wird in die zehn Stadtteile gegeben, die bei uns im Rahmen von "WiN" oder "Sozialer Stadt" bedacht werden. Im Grunde genommen bilden wir Stadtteilbudgets. Und was mit dem Geld gemacht wird, darüber entscheiden die Foren vor Ort in den Quartieren selber. Das Positive an "WiN" insgesamt für die Stadt - die Foren - besteht darin, dass wir nicht nur investive Maßnahmen haben, sondern wir können mit diesen Ergänzungsmitteln aus dem Programm "Wohnen in Nachbarschaften" auch konsumtive Aufgaben abdecken, egal ob für Personal, für Bewirtschaftung oder Dergleichen entsprechend den Notwendigkeiten in den Quartieren. Das Gute ist, dass über diese Gelder, die insgesamt zur Verfügung stehen, die so genannten Stadtteilbudgets, in den Quartieren selber entschieden wird. Da sitzen dann alle sechs Wochen in öffentlichen Runden sowohl Vertreter der Ämter - Polizei, Amt für soziale Dienste, Stadtplanungsamt oder Stadtgrün - gemeinsam mit den Wohnungsbaugesellschaften der jeweiligen Quartiere, mit den Gewerbetreibenden, den sozialen Einrichtungen, die vor Ort eine ganze Menge bewirken, und den Bewohnerinnen und Bewohnern zusammen und entscheiden, wofür sie diese halbe Million Mark jedes Jahr ausgeben wollen. Dies kann dann beispielsweise eine Wohnumfeldverbesserung sein, aber auch der Bau einer gläsernen Polizeiwache, das kann aber auch ein Beschäftigungsprojekt sein, das Erneuern von Spielplätzen, Deutschkurse oder muttersprachlicher Unterricht. Das kann man für das einsetzen, was im Stadtteil für am dringendsten gehalten wird.

Es ist im Grunde genommen eine hervorragende Möglichkeit, weil wir nach dem Konsensprinzip vorgehen. Alle Beteiligten, auch die Bewohnerinnen und Bewohner, haben ein Vetorecht. Wenn jemand zum Beispiel mit der Maßnahme nicht einverstanden ist, dass 50 000 Mark für eine Umweltlernwerkstatt ausgegeben werden, kann ein Veto eingelegt werden; es ist eine Selbstverpflichtung bei uns von Politik und Verwaltung, dass dann das Geld dafür nicht ausgegeben wird. Das heißt, wir müssen Konsens erzielen.

Wir müssen also solche Projekte entwickeln, die von allen, die in einem Stadtteil wichtig sind, letzten Endes bejaht werden. Das klappt auch, obwohl man uns immer fragt, ob es nicht Blockierer gibt, die per se immer nein sagen. Wir haben mittlerweile in den letzten zehn Jahren 200 solcher Projekte realisiert - im Konsens.

Eine andere Frage ist, ob es nicht eine gewisse Beliebigkeit hat, wer gerade in solch einer Auseinandersetzung den Pluspunkt kriegt. Insbesondere von Politikern wird dies gerne gefragt, weil die ja eigentlich demokratisch gewählt sind, um Steuermittel sinnvoll auszugeben. Dazu kann ich aber nur sagen: Es schadet den Politikern und der Verwaltung nicht, wenn sie konkret vor Ort einen Konsens mit aushandeln müssen. Und wenn sie den Eindruck haben, dass die Wünsche der Bewohnerschaft den zentralen Gedanken, die man in Quartiersentwicklungskonzepten erarbeitet hat, widersprechen, haben ja die Politiker und die Verwaltung auch ihr Vetorecht. Es mag zwar nicht ganz leicht sein, ein Veto einzulegen, wenn man sozusagen mit den realen Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung konfrontiert ist, aber es geht.

Bliebe noch die Frage offen, ob so auch strategische Fragen der langfristigen Weiterentwicklung der Quartiere zu bewältigen sind, ob die zentralen Gedanken aus den Verwaltungen und der Politik vor Ort von den Akteuren "richtig" begriffen werden. Was dies angeht, kann ich Sie beruhigen, denn selbstverständlich lassen sich mit einer halben Million Mark pro Jahr nicht grundsätzliche strategische Fragen lösen. Wir können bestimmte gesellschaftliche Fehlentwicklungen, beispielsweise die Teilung in Arm und Reich in der Schärfe, wie sie zugenommen hat, nicht mal eben locker mit einem halben Million Mark-Budget pro Quartier und Jahr korrigieren. Die strategischen Aufgabenstellungen erfordern sicherlich noch ganz andere zusätzliche Initiativen und Programme. Aber hierauf kann so ein Stadtteildiskurs in der Tat positiv Bezug nehmen, wie wir bei uns in Tenever erlebt haben. Wir haben seit Jahren gemerkt, dass wir außer dieser halben Million, die wir dort für sinnige Projekte, die das Leben angenehmer machen, zur Verfügung haben, natürlich auch noch ein Großsanierungsprogramm brauchen, weil die Gebäude in einem desolaten Zustand sind. Mittlerweile hat der Bremer Senat beschlossen, ein Programm im Umfang von über 200 Millionen Mark aufzulegen, um an dieser Situation etwas zu ändern, davon nur 50 Millionen aus öffentlichen Mitteln. Daran sehen Sie, dass strategische Fragen noch zusätzlich bearbeitet werden müssen.

Damit die Bremer Situation nicht zu positiv erscheint, muss jedoch zum Beispiel Folgendes ergänzt werden. Der Senat beschließt zwar ein Gesamtsanierungsprogramm von 200 Millionen Mark für so einen Stadtteil, mit 50 Millionen Mark aus öffentlicher Hand. Dies wird dann ergänzt um eine halbe Million mit bestimmten Highlights, die wir dort im Rahmen des Programms "Wohnen in Nachbarschaften" setzen können. Und zugleich hat das Fachressort Sport entschieden, das Hallenbad in Tenever zu schließen, weil für dieses kein Geld mehr da ist. In der Logik des Fachressorts war dies wahrscheinlich vollkommen richtig und nachvollziehbar, aber es passt nicht in die "Gesamtlogik" eines Integrativen Handlungskonzeptes. Einerseits will man diesen Stadtteil nun mächtig aufwerten - als politischen Beschluss, andererseits macht man ein Hallenbad wegen fehlender 100 000 Mark einfach dicht. Doch auch in einem solchen Fall ist ein Stadtteildiskurs erfolgreich, weil er das sofort thematisiert. Hierdurch wurde Druck erzeugt und das Sport- oder Fachprogramm entsprechend korrigiert.

Die "Wohnen in Nachbarschaft"-Programme haben in der Tat den Vorteil, dass sie seitens des Senators für Arbeit und auch des Arbeitsamtes vor Ort positiv berücksichtigt werden, weil es sehr häufig um Beschäftigungsförderung geht; auch wirkt sich positiv aus, dass wir sie mit den Verbesserungsprogrammen verbinden. Nur etwas mehr Schärfe und die Auflage einer Art von Riester-Programm wären nicht schlecht. Wie ich mir ohnehin wünsche, dass es eigentlich keine Senatsvorlagen oder Ämtervorlagen mehr gibt, bei denen nicht der letzte zu berücksichtigende Punkt lautet: Welche Auswirkungen haben die Fachprogramme, die wir beschließen, eigentlich auf unsere benachteiligten Quartiere? Dann würde man schnell merken, dass die benachteiligten Quartiere die großen Integrationsleistungen für die gesamte Stadt erbringen. Bei uns in den Quartieren wachsen doch die meisten Kinder auf, zu uns kommen doch die ganzen Neubürger, die in dieses Leben integriert werden sollen.


Heidede Becker

Wir kommen nun zu einem weiteren zentralen Akteur in den Gebieten der "Sozialen Stadt". Die wichtige Rolle der Wohnungsunternehmen, der Wohnungswirtschaft sieht man schon daran, dass es sich bundesweit bei nahezu der Hälfte aller Gebiete um Neubauquartiere, um Großsiedlungen handelt. In den neuen Bundesländern ist dieser Anteil mit 70 Prozent sogar noch wesentlich größer. Wie viele andere Akteure auch verbindet der Akteur Wohnungsunternehmen natürlich auch seine eigenen Interessen mit denen der Entwicklung in den Stadtteilen. In einem Workshop in Bochum über den Beitrag der Wohnungsunternehmen zur Lokalen Ökonomie wurde überdeutlich, dass sich ein Engagement der Wohnungsunternehmen nicht nur für das Gebiet und für ihre Mieter, sondern auch für die Unternehmen rechnen. Ich wüsste gern von Ihnen, Herr Fürst, wie sich der Prozess der Vernetzung der Akteure in den Gebieten aus Ihrer Sicht darstellt. Die Nassauische Heimstätte nennt sich ja im Untertitel "Gesellschaft für innovative Projekte im Wohnungsbau". Mich würde auch interessieren, inwieweit diese Projekte selber schon einen integrativen Ansatz haben.


Hans Fürst, Nassauische Heimstätte, Frankfurt am Main

Ich spreche für die Tochtergesellschaft eines Wohnungsunternehmens, und diese Tochtergesellschaft ist innovativ - damit da keine Missverständnisse über die Innovation der Wohnungswirtschaft auftauchen. Ich habe heute den ganzen Tag aufmerksam zugehört. Wir sind ja mehrfach angesprochen worden als Wohnungswirtschaft. "Hartnäckiger Druck", habe ich mir notiert, "Druck erzeugen". Alles in allem sieht es wohl nicht so gut aus mit der Integration der Wohnungswirtschaft, zumindest könnte man das auf den ersten Blick vermuten. Ich denke, dem ist aber nicht so. Die Wohnungswirtschaft hat ganz massives Interesse daran, dass die Prozesse zur "Sozialen Stadt" gelingen, und zwar ein ökonomisches Interesse. Es würde zu weit führen, dies hier im Detail auszuführen. Ihnen selber erschließt sich das: Stabile Nachbarschaften, Stadtquartiere, die möglichst konfliktarm sind, sind einfach für den Wert der Immobilie sehr viel interessanter als hoch konfliktbelastete Gebiete, in denen die Vermietung schwierig ist.

Nun aber zum Prozess der Integration, zur Frage, warum Wohnungsunternehmen daran beteiligt sein sollen. Die Vorstellung, dass alleine durch das Vorhandensein eines gemeinsamen Förderdachs, unter das wir als Wohnungswirtschaft auch fallen, eine reibungslose und produktive Zusammenarbeit der verschiedenen Fachrichtungen entsteht, ist aus unserer Erfahrung zwar liebenswürdig, aber sie greift nicht. Es fängt schlicht damit an, dass die Förderrealität in diesem Programm dem integrativen Ansatz nur sehr bedingt entspricht und sich sehr an dem Städtebauförderungsprogramm mit entsprechenden Investitionen orientiert. Das ist uns ja durchaus sympathisch. Dass sie aber erst durch eine virtuose Mittelakquisition des jeweiligen Stadtteilmanagements zu dem wird, was sie eigentlich sein sollte, das ist schon einmal das erste Hemmnis der Integration und bedeutet ein Ungleichgewicht zugunsten des investiven Teils.

Was die unterschiedlichen Akteure angeht, so ist deren Integration durchaus schwierig. Es beginnt mit den Kommunen: Inwiefern lassen sich beispielsweise Polizei, Sozialdezernate, Schule, Verkehrsbetriebe, Wohnungswirtschaft und andere Akteure durch Stadtplanungsämter koordinieren? Das üben wir gerade in einer Reihe von Kommunen mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Es setzt sich fort bei den Trägern der sozialen Arbeit. Warum soll sich eine Caritas vom Stadtplanungsamt sagen lassen, welche Projekte im Stadtteil mit Priorität bearbeitet werden? Warum soll eine Arbeiterwohlfahrt ihre Pressearbeit mit dem Stadtteilmanagement abstimmen? Warum sollen die Diakonie und das Rote Kreuz nicht durch sich selbst, sondern durch die "Soziale Stadt" definiertes Wohnen im Stadtteil im Auge haben? Und warum sollte die Wohnungswirtschaft ihre Geschäftspolitik auf die Ziele der "Sozialen Stadt" abstimmen und im Gleichschritt mit dem Stadtteilmanagement marschieren? Warum sollen die Wohnungsunternehmen ihre Kommunikation mit den Mietern, die ja auch existiert - wir haben eine Reihe von Instrumenten, mit Hilfe derer wir regelmäßig mit unseren Mietern kommunizieren -, auf die Inhalte der "Sozialen Stadt" abstimmen? Warum sollten unsere Investitionspolitik im Stadtteil und das Profil des Unternehmens im Stadtteil einer Gesamtentwicklungsstrategie dieses Stadtteils untergeordnet werden? Auf alle diese Fragen gibt es ordentliche Antworten.

Ich habe sie aufgeworfen, um deutlich zu machen, dass integratives Handeln auch eine zweite Seite hat: Mehr Integration heißt nämlich zugleich weniger Autonomie. Deshalb ist es aus unserer Sicht eine zentrale Angelegenheit von Stadtentwicklung und von Stadtteilmanagement, dass allen Akteuren, auch der Wohnungswirtschaft, deutlich gemacht und auch wirklich glaubhaft vermittelt werden kann, dass am Ende der "Sozialen Stadt" alle von der "Sozialen Stadt" profitieren. Und deshalb muss es für die Interessen der Wohnungswirtschaft - das sind ökonomische Interessen, die dürfen meines Erachtens in diesem Prozess nicht diffamiert werden, sonst trägt er nicht -, aber auch für die Interessen aller anderen eine legitime Basis innerhalb dieses Stadtentwicklungsprozesses geben; sonst kommt keine tragfähige Zusammenarbeit zustande. Ein heuchlerisches sich Überbieten in Selbstlosigkeit ist keine tragfähige Grundlage für ein Stadtentwicklungskonzept.

Die Basis aus Sicht der Wohnungsunternehmen ist, dass es für die Attraktivität unserer Wohnungen nicht nur die bauliche Seite gibt, sondern eine ganze Reihe weicher Faktoren, die bedeutend, manchmal sogar entscheidend für die Vermietbarkeit von Wohnungsbeständen sind. Diese weichen Faktoren hängen sehr, sehr eng mit den Zielsetzungen der "Sozialen Stadt" zusammen. Deshalb ist es im Hinblick auf den Wert der Immobilie durchaus attraktiv und sinnvoll, sich der "Sozialen Stadt" anzuschließen. Es muss deutlich gemacht werden, auch durch das Stadtteilmanagement, dass diese Interessen einen legitimen Platz im Gesamtprozess haben. Dies ist aus unserer Sicht die zentrale Voraussetzung für das Gelingen von Stadtentwicklungsmaßnahmen.

Außerdem muss man sich auch von diesem sehr harmonischen Bild verabschieden. Jede Entwicklungsmaßnahme der "Sozialen Stadt", das ist unsere Erfahrung in Hessen, braucht zu Beginn Raum, um das Positionierungsgerangel der Akteure im Projektgefüge zuzulassen. Und es gibt dieses Positionierungsgerangel, man kann mir nicht einreden, dass da von Anfang an Friede herrscht. Das muss man gegebenenfalls durchleiden, um dann schließlich zu tragfähigen und - wieder mit Blick auf die Interessen - "ehrlichen" Arbeitsstrukturen zu kommen.

Was hat nun die Wohnungswirtschaft einzubringen? Die "Soziale Stadt" darf und sollte sich nicht erlauben, auf den Beitrag der Wohnungswirtschaft zu verzichten. Die Wohnungswirtschaft hat enormen Erneuerungsbedarf in ihren Beständen. Das kostet auch der Wohnungswirtschaft sehr viel Kraft. Es muss sehr viel Geld investiert werden. Dieser enorme Erneuerungsbedarf bietet eine mindestens ebenso enorme Chance. Denn unsere Erfahrung zeigt - ich nehme an, Sie haben ähnliche Erfahrungen gemacht -, man kann nicht in den Stadtteil gehen, einen Stadterneuerungsprozess in Gang setzen und zu den Leuten sagen: "Wisst ihr, liebe Leute, bei euch ist etwas nicht in Ordnung, lasst uns mal darüber reden". Da hört keiner zu, die Menschen sind es leid, zum x-ten Mal über die Aussichtslosigkeit ihrer Lebenssituation zu diskutieren. Wenn man aber etwas konkretes Bauliches hat, über das man reden kann, lassen sich Kommunikationsprozesse im Stadtteil in Gang setzen, lässt sich Bürgerbeteiligung in Gang setzen. Die Wohnungswirtschaft muss ein Interesse daran haben, diese bauliche Wohnungserneuerung, da bei uns Mittel knapp sind, möglichst zielsicher am Markt durchzuführen und nicht unnötig Geld auszugeben und die Leute mit etwas zu "beglücken", was sie möglicherweise gar nicht wollen. Wir dürften es uns nicht erlauben, Geld nicht treffsicher auszugeben. Deshalb haben wir ein Interesse daran, diesen Prozess mit den Instrumenten und Partnern, die innerhalb der "Sozialen Stadt" zur Verfügung stehen, möglichst treffsicher zu organisieren. Wenn wir nach einer Modernisierung, jetzt unabhängig davon, ob sie mit der "Sozialen Stadt" zusammenfällt oder nicht, nur schönere Häuser zurücklassen und nicht ein Mehr an Nachbarschaft und an Integration, an Wohlfühlen, eine höhere Attraktivität dieser weichen Faktoren für unsere Immobilien, dann ist so eine Modernisierung aus unserer Sicht vielleicht nicht gescheitert, aber sie hat zumindest nicht das Potenzial ausgeschöpft, das sie ausschöpfen könnte. Hier könnten Bündnisse zwischen Wohnungswirtschaft und "Sozialer Stadt" entstehen, hier können und müssen wir uns als Wohnungsunternehmen einbringen, aber dann eben nicht unter der Überschrift "Hartnäckigen Druck ausüben". Es ist sicher eine schwierige Ausgangssituation. Aber die Bündnischancen sind klar genug. Und die Wohnungswirtschaft sollte dafür bereit stehen. Es liegt an uns allen, gemeinsam zu vermitteln, dass es durchaus eine massive Basis gemeinsamer Interessen für diesen Prozess gibt.


Heidede Becker

Das Spektrum des wohnungswirtschaftlichen Angebotes wird gegenwärtig bereits erweitert. Einige der Beispiele zum Wettbewerb "Soziale Stadt 2000" zeigen solche Ansätze, aber sie sind eben noch nicht die Regel.

Ich gebe an Herrn Dohle, Direktor des Arbeitsamtes in Essen, weiter. Es war ja schon die Rede vom Essener Konsens. Ich vermute, in diesem Zusammenhang spielt integratives Engagement eine große Rolle. Kooperation als Leitbild wurde genannt. Weiter wurde unterstrichen, dass der Essener Konsens keine Institution, sondern eine Grundüberzeugung ist, die von der Zusammenarbeit lebt. Mich würde insbesondere interessieren, wie Sie in Ihrem Amt eine stärkere Stadtteilorientierung realisieren. In dem vom Difu herausgegebenen "Soziale Stadt Info 6" wird in einem Beitrag aus Essen eine stärkere Raumorientierung, in dem Fall allerdings das allgemeine Verwaltungshandeln betreffend, eingeklagt. Inwieweit lässt sich auch durch eine Umorientierung der Arbeitsweise der Arbeitsämter die Kooperation noch verbessern?


Hans-Georg Dohle, Direktor Arbeitsamt Essen

Ich will eine kleine Story erzählen. Ich hoffe, ich wirke so glaubhaft, dass Sie mir das abnehmen. Ich bin in der Mittagspause eben schnell ins Amt gefahren, weil der Arbeitsmarktbericht für morgen ansteht. Da erreichte mich wieder ein Anruf aus Katernberg. Es ging um einen Termin mit einer großen Wohnungsbaugesellschaft. Und da geht es genau um diese Form der Kooperation. Von allen Stadtteilen in Essen bin ich am häufigsten in Katernberg gewesen. Das liegt in erster Linie daran, dass hier sehr viel geschieht, weil man sich engagiert hat. Es ist auch viel Geld nach Katernberg geflossen, ohne Zweifel. Aber für Sie und für das Thema ist sehr viel interessanter, was hier an Eigeninitiative entstanden ist. Und ich will gerne auch über das Arbeitsamt berichten. Aber wenn ich über das Arbeitsamt Essen berichte, dann kann ich eigentlich nur über andere berichten, weil der Essener Konsens dazu geführt hat, dass wir wirklich sehr eng zusammenarbeiten.

Triple Set lautete ein Stichwort. Viele werden sagen: Existenzgründerzentrum - dies gibt es überall. Und unter Beteiligung von arbeitsmarktlichen Maßnahmen zustande gekommen - ist auch nicht so ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist aber an diesem Triple Set, dass diese Einrichtung in Form einer Aktiengesellschaft betrieben wird. Die Idee dazu hatte der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, der das dann auch umgesetzt hat. Da merken Sie schon, wie eng die Verflechtung zwischen den doch eher sozial orientierten Akteuren und der Wirtschaft ist. Eine Aktiengesellschaft zu gründen ist gar nicht so einfach. Da musste man Experten heranziehen. Dann wurde es spannend, die Aktien zu verkaufen. Und ich kann jetzt aus der Lamäng heraus nicht sagen, wie viele Aktionäre es in Katernberg und in Essen gibt. Dadurch ist eine Identifikation, eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger entstanden, nicht nur des Einzelhandels. Auch "kleine Leute" haben sich beteiligt. Vor kurzem hatten wir eine Vollversammlung. Da kommt dann jeder mit seinem Aktienpaket hin. Der Saal ist voll, nicht ganz so viele wie hier. Und jeder denkt selbstverständlich auch an den Stand der Geschäfte, an den Stand der Aktien. Sie werden noch nicht gehandelt, aber ich würde sagen, inzwischen haben wir alle als Aktionäre einen entsprechenden Gegenwert.

Katernberg-Konferenz, auch ein wichtiges Stichwort. Ich will darüber ganz praxisnah berichten. Die letzte Katernberg-Konferenz war am Muttertag, wunderschönes Wetter nach einer Schlechtwetterperiode. Es ging um ein bildungspolitisches Thema in Katernberg, und ich habe mich gefragt, ob da viele Leute hingehen werden. Es waren mindestens 200, wenn nicht mehr. Und immer, wenn es um Bildungspolitik geht, dauert es ein bisschen länger. Alle sind bis zum Schluss dageblieben und haben sich mit hochinteressanten Beiträgen beteiligt: zur Integration von Ausländern, zu den Problemen in Schulen mit hohem Ausländeranteil. Auch dies ist eine Beteiligung der Bevölkerung, wie es sie sonst in einem anderen Stadtteil nicht gibt.

Die Beteiligung des Arbeitsamtes an den Projekten ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ich werde nur herausheben, was uns in Essen möglicherweise von anderen ein wenig unterscheidet. Bei uns ist die Kooperation mit dem Handwerk ganz wichtig. Das erste Projekt, Josef-Hüren-Straße, haben wir mit ungelernten Jugendlichen durchgeführt - auch eine pädagogische Herausforderung, mit ungelernten Leuten ein stattliches Haus im sozialen Wohnungsbau zu bauen, ohne jegliche Abstriche. Wir sind damals zum Innungsobermeister gegangen und haben ihn gefragt, ob er bereit wäre, mit uns ein Abenteuer einzugehen. Und seitdem stimmen wir alle Projekte in dieser Form mit der Wirtschaft, in erster Linie mit dem Handwerk, aber auch mit der Industrie- und Handelskammer, ab. Wir sind dadurch in der Lage, Projekte in Angriff zu nehmen, die ohne Unterstützung von Unternehmern mit ihrem Know-how, mit ihrer technischen Ausstattung gar nicht möglich wären. Es handelt sich nicht um ein Konkurrenzprogramm zu den Beschäftigungsgesellschaften und zu den Einrichtungen, die z.B. von den Kirchen getragen werden. Unsere Erfahrung geht dahin, dass die Kooperation mit der Wirtschaft ganz wichtig ist, auch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie kriegen auf diese Art und Weise Projekte mit hohen Anforderungen, sie kriegen eine Kooperation, die den Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung fördert, und sie kriegen, weil die Projekte dann auch spektakulär und anspruchsvoll werden, die Unterstützung der Öffentlichkeit.

Die Bürgerschaft erlebt dann, wie sinnvoll es ist, mehr Geld für Beschäftigung auszugeben und nicht für erzwungene Arbeitslosigkeit. Wir werden in diesem Jahr in Essen auch noch mal ungefähr 600 Millionen Mark für die Arbeitslosigkeit ausgeben. Und wir haben für arbeitsmarktliche Maßnahmen etwa 164 Millionen zur Verfügung. Das ist nicht wenig. Aber ich wiederhole die These, es ist sinnvoller, Geld für Beschäftigung auszugeben als für erzwungene Arbeitslosigkeit mit den ganzen Folgen, die sich daraus ergeben. Wir haben hier in Essen wirklich einen Konsens zustande gebracht, die Wirtschaft sieht die Dinge genauso.


Heidede Becker

Abschließend kommen wir zu Herrn Strauch von der Industrie- und Handelskammer in Berlin. Herr Strauch ist auch Mitglied der Lenkungsgruppe des Berliner Stadtforums, eines strategischen Kreises für die Berliner gesamtstädtische Entwicklung. Wie sieht denn die Vernetzung sowohl auf Stadtteil- als auch auf gesamtstädtischer Ebene aus Ihrer Sicht in Bezug auf integratives Handeln aus?


Volkmar Strauch, IHK Berlin

Wenn ich mit zwei Worten antworten müsste: nicht gut. Aber ich möchte doch gerne etwas differenzierter antworten. Vorweg: ich halte das Programm im Prinzip für in Ordnung, vor allem deshalb, weil es versucht, den zivilgesellschaftlichen Ansatz zu stärken und das Verhältnis zwischen gesellschaftlichen und staatlichen Verantwortlichkeiten neu zu definieren. Dies scheint mir der eigentlich wichtige Hintergrund zu sein.

Lassen Sie mich noch einige Vorbemerkungen machen. In Berlin können wir drei Typen von Problemgebieten erkennen. Da sind einmal die hochverdichteten Innenstadtbereiche mit Altbauten, dann Teile des sozialen Wohnungsbaus, die in der Nachkriegszeit entstanden sind, und schließlich die so genannten Plattenbauten, also die Großsiedlungen in Fertigteilbauweise, bei denen die sozialen Probleme noch nicht manifest, aber wegen des Leerstands latent vorhanden sind. Bei den ersten beiden scheint mir wichtig zu sein, einmal daran zu erinnern, warum sie eigentlich Problemgebiete geworden sind. In Berlin liegt das sehr häufig daran, dass es eine Art Kahlschlagsanierung gegeben hat, die zu irgendeinem Zeitpunkt abgebrochen wurde. Aber diese Häuser sind dann eben über Jahrzehnte hinweg nicht mehr saniert worden, verfielen entsprechend, haben dann nur noch niedrige Mieten ermöglicht - mit den entsprechenden Mieterstrukturen. Und dann hat es Probleme gegeben. Bei den Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus im Ostteil der Stadt war es quasi unmöglich, die Altbaubestände in den Stadtbezirken instand zu halten, zum Teil auch aus ideologischen Gründen. In den Mauern nistete sozusagen noch das bürgerliche Denken. Bei den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus war damals auch die Belegungspolitik zum Teil verheerend, wodurch die Probleme entstanden sind. Bei den Großsiedlungen ist das Problem, dass sie ein relativ konformistisches Lebensbild vorgaben: Beide Eltern arbeiten, Kinder kommen in die Krippe, Kita. Das heißt, die Großsiedlungen gingen von einer ganz bestimmten Lebens- und Nutzungsform aus. Diese Vorstellung hat sich mit der deutschen Vereinigung aufgelöst. Darum gibt es dort nun tendenziell Probleme.

Genauer betrachtet ist das eigentliche Problem kein städtebauliches, es handelt sich vielmehr um soziale und wirtschaftliche Probleme. So gesehen mag es zwar nett sein, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen das Programm "Soziale Stadt" auflegt. Aber eigentlich müsste dies der Bundesminister für Wirtschaft und die Bundesministerin für Soziales tun.

Und dann dürfte das BMVBW mitmachen. Damit will ich nicht sagen, es soll das Programm einstellen. Nur: der eigentliche Schwerpunkt liegt woanders. Und wenn manches nicht so gut klappt, dann liegt das auch daran, dass die "Mitspieler", soweit es Leute aus Verwaltungen sind, alle aus dem Bereich Stadtplanung und Wohnungswesen usw. kommen, niemand kommt originär aus dem Bereich Wirtschaft oder aus dem Bereich Soziales. Man kann nur sagen, die "Bauleute", die "Wohnungsleute" haben das Problem als Erste erkannt. Aber es ist selbstverständlich noch weiterhin ein Problem.

Wir bräuchten eigentlich so etwas wie ein Ministerium für soziales städtisches Leben. Und ob ein Ministerium für soziales, städtisches Leben dann tatsächlich das Bauministerium wäre, bliebe die Frage. Wir brauchen eben nicht Investitionen - das wurde heute bereits mehrfach gesagt - in die Bauten, wir brauchen sie mehr in die Menschen. Bei den Menschen muss man ansetzen. Das mit dem Bauen ist aus meiner Sicht nachrangig.

Es kommt hinzu, dass die Wohnungsbestände überhaupt ungeeignet sind, wenn in bestimmten Gebieten mehr als 30 Prozent der Bewohnerschaft von Transfereinkommen leben. Die Infrastruktur ist darauf ausgerichtet, dass in jeder Familie mindestens einer arbeitet und andere zur Schule gehen. Aber mittlerweile hält sich in bestimmten Bereichen der Stadt ein ganz, ganz hoher Anteil praktisch ständig in den Wohnungen auf. Dafür ist das Umfeld dann nicht mehr geeignet. Ich denke, wir haben auch große Schwierigkeiten, bestimmte Ziele zu erreichen, wenn wir beispielsweise den Emissionsschutz immer mehr verschärfen. Bestimmte Formen von Nutzungsmischungen, die wir alle anstreben, sind dann schlicht nicht mehr möglich, jedenfalls für einige Formen der Produktion. Und wir haben schließlich ein Problem, wenn die Bevölkerungszahl einer Stadt schrumpft und die Bewohnerschaft älter wird. Berlin wird zumindest älter, in Marzahn stehen 28 Kitas leer, im Nachbarbezirk sind 57 Hektar öffentliche Infrastruktur im Augenblick ungenutzt, das ergibt unglaubliche Probleme. Das heißt, wir haben es nicht nur mit einem Problem der Baupolitik zu tun, wir haben primär ein Problem der Arbeitsmarktpolitik, der Sozialpolitik, der Wirtschaftspolitik und der Bevölkerungspolitik oder Migrationspolitik. Dieser Kontext kommt in der Diskussion immer viel zu kurz.

Wenn ich nun berichte, warum die Wirtschaft in diesem Bereich vergleichsweise wenig macht, ist man natürlich geneigt, ein paar Rechtfertigungen zu suchen. Ich behaupte einmal als Erstes: sowohl die Bürger als auch die Unternehmer einer Stadt erwarten, dass die Stadt funktioniert. Wenn sich Bürgerinitiativen gründen, dann zeigt das immer, dass es ein Problem gibt. Bürgerinitiativen bildeten sich meistens, um ein konkretes Problem zu beseitigen. Die Erwartung ist gleichwohl: wir haben Besseres zu tun, wir wollen lieber im Chor singen oder im Sportverein etwas machen. Und in der Tat, wenn die Probleme wenig handgreiflich sind oder auch einen sehr, sehr langen Atem benötigen, dann sind die Bürger allein überfordert, auch wenn sicherlich dazu gehört, dass sie über den Tellerrand gucken müssen und dies zum Teil ja auch tun. Aber es sind immer sehr kleine Gruppen. Und diese kleinen Gruppen sind häufig überfordert oder verlieren, wenn es nicht Dauerbürgerinitiativen sind, irgendwann auch einmal die Lust.

Mir scheint, dass die Wirtschaft primär das machen soll, was sie kann: Sie soll wirtschaften. Das schafft Arbeitsplätze. Wenn Arbeitsplätze da sind und die Unternehmen außerdem noch Gewinn machen, können sie Steuern bezahlen; von den Steuern kann die Infrastruktur hergerichtet werden. Das ist schlicht und einfach das Hauptanliegen der Wirtschaft. Sie hat nicht primär die Aufgabe, auf politischen Druck zu reagieren. Sie hat sich wirtschaftlich zu verhalten nach Regeln, die der Staat festsetzt und die zu beachten sind. Aber die Wirtschaft entscheidet, wenn sie sich für ein Quartier interessieren soll, aus meiner Sicht nach zwei primären Kriterien. Erstens: Wie hoch ist die Kaufkraft in dem Gebiet? Zweitens: Finde ich dort die Arbeitskräfte, die ich brauche?

Dies führt mich zu der Überlegung: Wer qualifiziert ist, verdient mehr. Wer mehr verdient, hat mehr Kaufkraft. Wer qualifiziert ist, ist seltener arbeitslos, kostet also auch den Staat weniger. Wer qualifiziert ist, der engagiert sich auch im dritten Sektor mehr. Es ist keineswegs so, dass die Arbeitslosen eine besonders hohe Quote der Beteiligung im dritten Sektor aufweisen. Dies führt mich zu der Forderung, dass in jedem Stadtteil die Schule der schönste Ort sein muss. Die Qualifizierung der Menschen und die Schule sozusagen als soziales und kommunikatives Zentrum sind das Allerwichtigste. Die Mittel müssen stark auf die Schule konzentriert werden, nicht auf das Schulgebäude, sondern auf das, was in ihm passiert. Die Schule hat - das mag man bedauern - heutzutage in vielen Bereichen auch kompensatorische Funktionen, sie bietet aber zugleich die Chance, die zerfallende soziale Struktur besser und stärker zu integrieren, als es bisher der Fall gewesen ist.

Wenn man hier aktiv sein will, muss man über den Tellerrand gucken. Dies tun zum Beispiel - nicht zuletzt aus Eigeninteresse - die Wohnungsgesellschaften und hierbei insbesondere die großen städtischen, die große Bestände haben. Private Eigentümer, mit häufig nur ganz kleinen Anlagen, sind viel schwerer zu aktivieren als die städtischen Wohnungsgesellschaften. In Berlin leisten zum Beispiel die GSW, die Gesobau oder auch die DeGeWo hervorragende Arbeit - aus ganz vernünftigem Eigeninteresse. Sie wollen zufriedene Mieter haben, weil zufriedene Mieter nicht wegziehen, und wenn man zufriedene Mieter hat, bezahlen diese eine vernünftige Miete. Es gibt darüber hinaus auch indirekte Interessen, da kommen wir dann in den Bereich des Sponsoring, oder mittelbare Interessen. In diesem Zusammenhang würde ich zu überlegen geben, ob nicht das beste Programm einer sozialen Stadt wäre, Hindernisse wegzuräumen und Vernünftiges, was auch im Eigeninteresse liegt, zu tun. Wir ärgern uns in Berlin über diese unsinnige Zweckentfremdungsverordnung. Die Wohnungsbaugesellschaft Hohenschönhausen in Berlin hat leider Leerstand, noch nicht mal den höchsten in Berlin; sie bezahlt pro Jahr über eine halbe Million Mark, um sich den Leerstand genehmigen zu lassen. Selbstverständlich würde sie viel lieber die Wohnungen vermieten, aber diese sind im Augenblick nicht vermietbar.


Heidede Becker

Auch in diesem Beitrag wurde die Rolle der Wohnungsunternehmen betont, ein Akteur, der auch aus Eigeninteresse die Realisierung besonderer Projekte unterstützt. Die Diskussion ist jetzt auch in Plenum geöffnet.


Karl Jasper

Beispielsweise ist der neue Umgang mit Regenwasser in Dortmund-Scharnhorst ein seit vier Jahren betriebenes Projekt. Es wurde von der Bevölkerung, den Mietern vor Ort gemeinsam mit den Wohnungsunternehmen begonnen, um eine neue Stadtqualität, Gestaltungsqualität zu erreichen. Wir vom Städtebauministerium haben dann zusammen mit dem Umweltministerium dieses Projekt angeschoben, haben die hydrologischen Vorstudien finanziert. Es gibt heute keinen hydrologischen Kongress, bei dem dieses Projekt nicht referiert wird, weil es deutlich über den "Ressortegoismus" des Wasserbauers hinausgeht und weil es Bevölkerungsbeteiligung und Städtebau integriert hat. Insofern ist es eines der wegweisenden Projekte. Wir haben andere ähnliche Projekte, bei denen es auch um den neuen Umgang mit Regenwasser geht. Bei diesen Projekten haben wir gerade die Schulen als Partner, weil es sich dabei auch um Lernprojekte handelt.


Jan Kuhnert, Hannover

Ich bin einer der Wohnungswirte, die hier teilnehmen. Ich möchte zwei Probleme ansprechen, bei den Ausführungen von Herrn Strauch anknüpfen und dann auf Herrn Barloschky eingehen.

Auch aus unserer Sicht muss man schlicht und einfach sagen: es gibt nur drei Probleme, und die heißen Arbeit, Arbeit und Arbeit. Die Aufgabe dieser Siedlungsform war Beherbergung, Aufbewahrung. Der Wohnungsgrundriss, das Wohnungsumfeld, alles ist darauf ausgerichtet, dass das Familienoberhaupt zur Arbeit und die Kinder zur Schule gehen. Heute ist die Situation aber anders. Die Aufenthaltsqualität in den Wohnungen ist nicht für einen 24 Stunden-Aufenthalt gedacht. Die Nähe, die durch die Bauform entsteht, überfordert, wenn man sie 24 Stunden aushalten muss und nicht wenigstens acht Stunden zwischendrin irgendwo anders arbeiten war. Die soziale Integration in den Siedlungen wurde selbstverständlich unterstützt durch die Integration, die sich aus der Notwendigkeit ergab, sich mit den fremden Kollegen am Arbeitsplatz immer wieder neu zu verständigen. Und dieses soziale Lernen kann man dann mit nach Hause nehmen und dort in der Freizeit fortsetzen. Dieses Lernen gibt es in den Problemquartieren heute nicht mehr. Es wird nur noch in der Nachbarschaft - mehr oder weniger - integriert. Salopp ausgedrückt: wir haben eine Vielzahl unbezahlter Sozialarbeiterinnen, nämlich die älteren Damen, die sich immer über den Hausflur aufregen. Die haben aber nach der vierten oder fünften Integrationsleistung die Schnauze voll.

Was mir neben der bereits angesprochenen schwachen Schwerpunktsetzung des Programms - sicherlich auch dadurch bedingt, dass es aus einer Fachsicht gekommen ist und nicht aus einer übergreifenden staatlichen Politikvorstellung - fehlt, ist: Wir reden über Quartiere, die mit viel Engagement ja wohin eigentlich gehen sollen? Ist das Ergebnis des Programms "Soziale Stadt", dass es nachher keine Quartiere mehr gibt? Ich meine, das wird keiner im Saal glauben, denn es bleibt die Aufgabe von Teilen der Stadt, Versorgungsleistungen im Rahmen eines nun einmal privat organisierten Wohnungsmarktes zu übernehmen, und zwar mit öffentlicher Unterstützung.

Dies ist nun einmal mit Konzentration verbunden, und zwar zum Ersten eigentumsmäßig, denn es sind die kommunalen Wohnungsunternehmen, denen diese Aufgabe bleibt; viele andere Partner haben sich durch den Wegfall der öffentlichen Mittel längst von der Aufgabe verabschiedet. Zum Zweiten ist dies mit stadträumlicher Konzentration verbunden. Zu Recht ist angesprochen worden, dass es einen degradierten Stadtteil nur gibt, wenn andere degradieren, wenn sich andere der Aufgabe entziehen. Und meine Forderung heißt: Es muss Programme der Stadt geben, in denen die Perspektive des Quartiers offen und ehrlich ausgewiesen wird. Wenn es dann so ist, dass ein Quartier ein dauerhaftes Integrationsgebiet ist, wie Professor Siebel sagt, dann muss man dazu auch stehen. Aber diese Halbehrlichkeit, mit ein wenig Farbe und ein bisschen Sozialarbeit eine Jahrzehnte dauernde Aufgabe wegwischen zu wollen, die doch immer wieder in diesen Quartieren zu leisten sein wird, die führt nicht zur Kooperation mit den Bewohnern, sondern zu deren Enttäuschung. Auf der politischen Ebene ist auch die Gesamtstadt gefordert, sind auch die bürgerlichen Quartiere gefordert, sich an der "Bewältigung" von Problemhaushalten zu beteiligen. Und schön wäre selbstverständlich eine Stiftung "Soziale Stadt" als Bürgerengagement von Großbürgern, die sich für ihre Stadt engagieren.


Volkmar Strauch

In Hannover gibt es diese Bürgerstiftungen, die allerdings kein Riesenkapital haben. In Berlin existiert auch eine Stiftung, aber das Kapital ist so minimal, dass sie ganz wenig machen kann. Aber ich denke, es ist viel einfacher, wenn sie einen konkreten, gezielten Zweck haben. Der Stiftungsgedanke mit breitem Aufgabenspektrum ist sehr schwierig.

Ich möchte noch auf den immer wieder eingebrachten Leitbegriff der sozialen Gerechtigkeit eingehen. Er reicht aus meiner Sicht nicht aus. Ich vertrete den moderneren Begriff der Nachhaltigkeit. Da gehören ökologische Vernunft, soziale Gerechtigkeit und auch ökonomische Verträglichkeit zusammen. Ich lege schon Wert darauf, dass wir keine Phantomprogramme machen. Wenn sich das nicht rechnet, wer soll es denn bezahlen? Der Staat hat auch nicht so viel Geld. Man muss immer im Kopf haben: Es muss ein Programm sein, das sich irgendwann einmal selbst trägt.


Dieter Polkowski

Es ist bereits mehrfach gesagt worden: Das eigentliche Problem in den Gebieten ist das Fehlen von Arbeit. Damit ist aber auch gleich gesagt, dass dieses Problem mit den Mitteln oder mit dem Programm "Soziale Stadt" nicht lösbar ist. Insofern würde ich mir auch ein ergänzendes Programm wünschen, was von anderen getragen wird, die sich aus ihrer Sicht um die Gebiete der "Sozialen Stadt" kümmern.

Die Tatsache, dass es in diesen Gebieten ein Engagement der Städtebauförderer gibt, hat zumindest in Hamburg in Teilen dazu geführt, dass die Grundhaltung zum Beispiel der Wirtschaftsförderung oder anderer, sich nur flächendeckend um die Stadt zu kümmern und die gebietsspezifische Sichtweise den Städtebauförderern zu überlassen, aufgebrochen wird und in der Tat auch in den jeweiligen Fachressorts gebietsspezifische Sichtweisen entstehen.

Ich habe immer so ein bisschen das Gefühl, dass man, wenn man über integrative Ansätze spricht, alles mit allem verknüpfen will. Dann werden sie allerdings nie fertig. Ich tendiere dazu, eindeutige Schwerpunkte zu setzen. Dabei muss auch einmal das eine oder andere wünschenswerte Ziel aufgegeben werden. Und genau dies fehlt zum Beispiel teilweise auch in den Quartiersentwicklungskonzepten.


Marie-Luise Seifert, Wirtschaftsbehörde, Hamburg

Ich vertrete die stadtökologischen Belange der Stadterneuerung für die Wirtschaftsbehörde und möchte anknüpfen an die Bemerkung, dass die Aufgabe der Wirtschaft das Wirtschaften sei. Ich frage, ob im Rahmen des Integrativen Handelns im Konzept der "Sozialen Stadt" nicht auch die Stadtplanung ihrerseits einen Beitrag dazu leisten muss, der Wirtschaft planungsrechtlich die Möglichkeiten zum Wirtschaften zu geben? Um dies ein bisschen anschaulicher zu machen: Viele Gebiete in Hamburg sind als reines Wohngebiet ausgewiesen, sodass eine Existenzgründerinitiative oder Ähnliches dort nicht möglich ist.


Erika Spiegel, Heidelberg

Ich möchte ein Missverständnis ausräumen, an dem ich selbst schuld bin: Ich habe den Begriff "Stiftung" gewählt, weil mir nichts Passenderes eingefallen ist. Es geht mir schlicht um eine breit angelegte Aktion. Wichtig dabei ist der gemeinnützige Charakter. Es geht vor allem um ein breites Gefühl der Verantwortlichkeit und Solidarität für Leute, denen es schlechter geht als einem selbst. Ich weiß, dass so etwas heutzutage schier eine Industrie ist, hochprofessionell aufgezogen. An Gefühle zu appellieren und auf Emotionalität zu setzen, das muss man auf eine sehr gekonnte Art und Weise machen. Ich wollte das nur richtig stellen, da liegt mir außerordentlich viel dran, denn von der Idee als solcher bin ich einigermaßen überzeugt.


Heidede Becker

Sie haben auch den Begriff "solidarische Stadt" gebraucht, mit dem auf die Frage verwiesen wird: Welche Funktionen übernehmen diese Gebiete und welche Funktionen müssten eigentlich die anderen Stadtteile der Gesamtstadt im Solidareffekt ausgleichend übernehmen?


Joachim Barloschky

Umverteilung von den Reichen zu den Armen ist das Eine, so einfach ist das. Und das Zweite ist: es geht auch um die intellektuelle Auseinandersetzung. Warum setzen sich denn nicht diejenigen, die in ihrem Leben bessere Chancen haben, mit diesen abgeschobenen, ungeliebten Quartieren, die bisher bestenfalls ein schlechtes Gewissen hervorrufen, auseinander und lassen uns dann den einen oder anderen Brosamen zukommen, damit wir unseren Beitrag dazu leisten, dass diese Quartiere nicht vollkommen vor die Hunde gehen.

Im Übrigen hat der Innenminister von Schleswig-Holstein heute für ein Quartier in Flensburg erzählt, vor zwei Jahren sei das Programm in die Wege geleitet und jetzt sei es erfolgreich abgeschlossen worden. Wir müssten uns dann in Zukunft immer in Flensburg treffen, weil 80 Prozent die "Soziale Stadt"-Gebiete dort kennen lernen und sehen möchten, wie man es hinkriegt, in einem Armutsquartier oder benachteiligten Quartier innerhalb von zweieinhalb Jahren die Potenziale so zu entfalten, dass jetzt alle glücklich sind und die Entwicklung sich selber trägt. Ich wünsche mir das auch. Ich möchte, dass das in allen Gebieten gelingt.

Aber ich habe den Eindruck - das ist ein Punkt, der hier angesprochen worden ist -, dass viele der heutigen "Soziale Stadt"-Quartiere Integrationsstadtteile bleiben; sie werden auch in Bezug auf bestimmte Funktionen eine Art Durchlauferhitzer spielen, werden Orte sein, an denen immer wieder "neue" Menschen sozusagen integriert werden und dann aus diesen Quartieren auch wieder rausgehen. Ich meine aber auch, dass diejenigen, die dort sind, das Recht auf Chancen haben, auf Ausgleich der Ungerechtigkeit, die sie erleben. Das muss Anspruch sein, nicht nur von denen, die aktiv die "Soziale Stadt" in die Wege leiten. Wir fordern darüber hinaus ein, dass Bundesarbeitsminister Riester sein Programm auflegt. Werden denn die Projekte, die in den "Soziale Stadt"-Gebieten hier in Essen umgesetzt werden, auch wirklich mit SAM-Stellen und Lohnkostenzuschuss-Stellen usw. ausgestattet, klappt denn das alles? Wenn ja, dann ist das wunderbar. Dann ist dies ein Beispiel, das man auf viele andere Fälle übertragen müsste.


Heidede Becker

Wir müssen hier nun leider aus Zeitgründen Schluss machen. Eine Menge von den Gedankengängen, die geäußert wurden, bieten gute Anregungen für die sich nun anschließende Arbeit in den Arbeitsgruppen. Ich danke allen Teilnehmerinnen und -teilnehmern am Podium ganz herzlich für ihre Beiträge und wünsche uns allen, konstruktive Diskussionen in den Arbeitsgruppen.



  
 

Quelle: Impulskongress Integratives Handeln für die soziale Stadtteilentwicklung, Dokumentation der Veranstaltung am 5. und 6. November 2001 in Essen (Veranstalter: Deutsches Institut für Urbanistik, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS) in Kooperation mit Viterra, Essen), Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, 2002

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