soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"
  

Aktivierung und Beteiligung

Mit den strategischen Handlungsinstrumenten Aktivierung und Beteiligung sollen quartiersbezogene Beteiligungsstrukturen aufgebaut, lokale Initiativen, Organisationen und Unternehmen vernetzt sowie individuelle Problemlösungskompetenzen auch bisher nicht organisierter Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden (Empowerment). Der ARGEBAU-Leitfaden enthält dazu vergleichsweise genaue Aussagen; als wichtige Ziele sind unter anderem die "Aktivierung örtlicher Potenziale, Hilfe zur Selbsthilfe" und die "Schaffung selbsttragender Bewohnerorganisationen und stabiler nachbarschaftlicher sozialer Netze" genannt (1). In benachteiligten Quartieren "wird es zum zentralen Anliegen der Stadtteilentwicklung, das eigenständige Stadtteilleben wieder aufzubauen, den sozialen Verbund wieder herzustellen, alle vorhandenen Potenziale zu stärken und die Bewohner zu motivieren, in Initiativen und Vereinen mitzuwirken und sich dauerhaft selbst zu organisieren. So soll erreicht werden, dass die Stadtteile schrittweise wieder als selbständige Gemeinwesen funktionieren." Zum "Handeln in den Städten und Gemeinden" wird festgestellt: "Den Gemeinden obliegt es, eine umfassende Bürgermitwirkung sicherzustellen. Dabei ist während der Laufzeit der Sonderförderung auch darauf hinzuarbeiten, dass die in Gang gekommenen Beteiligungsprozesse im Quartier dauerhaft weiterwirken."

Unter Aktivierung lassen sich alle Techniken verstehen, mit denen einzelne Personen oder Personengruppen im Quartier angesprochen und in Kommunikation (miteinander) gebracht werden können. Zu den Zielen von Aktivierung gehört es, Kontakt zu Quartiersbewohnerinnen und -bewohnern aufzunehmen und zu pflegen, die von ihnen in ihrer Lebenswelt erfahrbaren Probleme zu identifizieren und die Mitwirkungsbereitschaft Einzelner bei der Stadtteilentwicklung zu wecken und zu erfragen. Es handelt sich also in erster Linie um projektunspezifische, vergleichsweise informelle und zu einem großen Teil aufsuchende Vorgehensweisen: aktivierende Befragungen, Beratungsangebote, aufsuchende Arbeit, Streetwork, Vernetzung von und Vermittlung zwischen einzelnen Akteuren, Institutionen und Organisationen, Schlichtung von Interessenkonflikten (Mediation), Organisation von Versammlungen, (Stadtteil-)Festen, Veranstaltungen und Aktionen, Gebiets- und Gebäudebegehungen, Informationsangebote und -veranstaltungen. Auch quartiersbezogene Öffentlichkeitsarbeit mithilfe von (mehrsprachig) Stadtteilzeitungen, Plakaten, Flyern, Broschüren, Rundbriefen, Internetangeboten sowie dem Einsatz von Logos und Slogans ist Teil der Aktivierungsarbeit (2).

Beteiligung setzt dagegen auf einer eher formalen Ebene an und basiert auf mehr oder weniger geplanten Verfahren (konkretes Programm, bestimmter Ort, moderierter Ablauf) sowie vergleichsweise konkreten Zielvorstellungen (z.B. Diskussion zu bestimmten Themen, Entwicklung von Projekten, Vertretung von Gruppeninteressen). Zu solchen Beteiligungsformen gehören Stadtteilkonferenzen, Stadtteil- oder Bürgerforen, Zukunftswerkstätten, Bürgergutachten, thematische Arbeitskreise oder -gruppen, Workshops und beteiligungsorientierte Projekte. Welche Aktivierungstechniken und Beteiligungsformen eingesetzt werden, ist davon abhängig, welche Ziele mit welchen Akteursgruppen verfolgt werden. Vor diesem Hintergrund sind Good-Practice-Kriterien für Aktivierung und Beteiligung:

Orientierung an der spezifischen Situation der Quartiersbevölkerung

Entscheidend für wirksame Aktivierung und Beteiligung ist, dass die Maßnahmen auf das jeweilige Gebiet und deren heterogene Bewohnerschaft zugeschnitten sind. Good Practice bedeutet hier, offen auf die Quartiersbewohnerinnen und -bewohner zuzugehen, ihre Ideen aufzunehmen und einen vielfältigen "Methodenkoffer" unter Berücksichtigung der örtlichen Ausgangssituation effektiv zu nutzen. Dabei ist die Unterstützung von Ideen aus den Reihen der Bewohnerschaft und deren Mitwirkung bei der Maßnahmen- und Projektumsetzung ein zentraler Aktivierungsaspekt.

Aktives Organisieren der Interessen vor Ort durch aufsuchende Arbeit

Aktivierung ist zentraler Bestandteil der Arbeit vor Ort. Es geht darum, zunächst ohne konkreten Projektbezug die Interessen und Probleme der Quartiersbevölkerung kennen zu lernen und durch vielfältige Formen der Kontaktaufnahme die Basis für eine bedürfnisorientierte Entwicklung von Einzelprojekten aus der Situation vor Ort für die lokale Lebenswelt zu schaffen (3). Vor diesem Hintergrund umfasst Good Practice im Bereich Aktivierung alle Maßnahmen und Instrumente, mit denen Problemlagen und Wünsche der Quartiersbevölkerung identifiziert, die Interessen vor Ort organisiert, Kommunikation untereinander angestiftet und die Ideenproduktion unterstützt werden. Gute Beispiele zeichnen sich durch ein aktives Zugehen auf die Quartiersbevölkerung mit einem großen Anteil aufsuchender Arbeit aus.

Niedrigschwelligkeit von Beteiligungsangeboten

Gute Beispiele für niedrigschwellige Beteiligungsangebote richten sich weitgehend nach den Erfordernissen und Bedürfnissen derjenigen Bevölkerungsgruppen, die erreicht werden sollen. Good Practice bedeutet auch, eher formale Beteiligungsangebote mit vergleichsweise anspruchsvollen Kommunikations- und Verfahrensregeln durch lokal und zeitlich begrenzte Beteiligungsmöglichkeiten - beispielsweise im Rahmen von Projektrealisierungen/"Mitmachprojekten" - zu ergänzen. Dadurch können auch denjenigen Bevölkerungsgruppen Beteiligungsmöglichkeiten angeboten werden, die nicht über die für eine (regelmäßige) Teilnahme an Stadtteilgremien notwendigen Kommunikations- und Konfliktfähigkeiten verfügen (4); dies gilt insbesondere für (jugendliche) Migrantinnen und Migranten, Arbeitslose sowie Empfängerinnen und Empfänger staatlicher Transferleistungen.

Einsatz eines Verfügungsfonds

Mangelnde Entscheidungsbefugnisse auf der lokalen Ebene und damit fehlende Möglichkeiten eines schnellen Handelns waren in der Vergangenheit ein wesentlicher Hinderungsgrund für erfolgreiche Aktivierung und Beteiligung. Zur Aktivierung der Bevölkerung und zur Initiierung eines Selbstorganisationsprozesses ist daher die Einrichtung von Verfügungsfonds oder Stadtteilbudgets notwendig, aus denen kleinere Projekte und Maßnahmen schnell und unbürokratisch realisiert werden können. Gute Beispiele dafür zeichnen sich weniger durch große Beträge aus, die zur Verfügung gestellt werden, als vielmehr durch die Möglichkeit, diese Gelder unkompliziert direkt vor Ort einsetzen zu können. Good Practice bedeutet auch, dass die Entscheidung über die Vergabe solcher Gelder demokratisch legitimiert ist und möglichst repräsentativ für die Zusammensetzung der jeweiligen Quartiersbevölkerung und des lokalen Akteursspektrums erfolgt.

Klarheit über Prozessverläufe und Entscheidungsbefugnisse

Hinsichtlich der Realisierung von Bewohnerwünschen dürfen keine Illusionen erzeugt werden, um einmal errungenes Vertrauen nicht zu enttäuschen. Gute Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass Verfahren zur Umsetzung von Maßnahmen und Projekten inklusive realistischer Zeitschienen für alle transparent sind. Good Practice umfasst auch die Klärung der Fragen, wie bedeutsam Beteiligung im Gesamtprozess ist, welche Verbindlichkeit die in Beteiligungsgremien getroffenen Entscheidungen haben, wer der Adressat von Empfehlungen oder Beschlüssen ist und wie das weitere Prozedere außerhalb der Beteiligungsgremien geregelt ist.

Integration bereits bestehender Initiativen und Organisationen

Über die eingesetzten Aktivierungstechniken und Beteiligungsangebote hinaus erweist es sich für die Arbeit vor Ort als unerlässlich, den Kontakt zur Quartiersbevölkerung auch über bereits bestehende Initiativen und Organisationen wie Interessengemeinschaften - beispielsweise von lokalen Einzelhändlern -, Mietergremien, Bürgervereine, Elternbeiräte, Pfarrgemeinden oder Stadtteilbeiräte aufzunehmen und sie in die Netzwerke einzubeziehen. Im Sinne von Good Practice geht es sowohl darum, die Vielfalt bereits vorhandener Initiativen und Organisationen im Gebiet mit ihren jeweiligen Aktivitäten aufzuzeigen (Transparenz zu Angeboten und Mitwirkungsmöglichkeiten), als auch darum, die jeweiligen Akteure stärker in den Stadtteilentwicklungsprozess einzubinden.

Vor-Ort-Präsenz von Quartiermanagement

Unabdingbare Voraussetzungen für Beteiligung und Aktivierung der Quartiersbevölkerung ist eine kontinuierliche Präsenz von Fachleuten vor Ort in für alle zugänglichen Anlaufstellen (Vor-Ort-Büros). Good Practice heißt in diesem Zusammenhang gute Erreichbarkeit (sowohl räumlich als auch in Bezug auf Öffnungs- und Sprechzeiten), flexible Raumnutzungsmöglichkeiten sowie die effektive Organisation von Kommunikation, Unterstützung und Vernetzung durch aufsuchende Arbeit, aber auch niedrig schwellige Ansprechbarkeit im Vor-Ort-Büro.

Politische Rückendeckung

Auch Aktivierung und Beteiligung sind auf die Rückendeckung durch Politik und Verwaltung angewiesen, wenn sie als Instrumente und Methoden einer demokratischen Mitbestimmung von unten tatsächlich ernst genommen werden sollen. Gute Beispiele sind daher solche, bei denen Aktivierung und Beteiligung im Rahmen von Integrierten Handlungskonzepten als wesentliche Elemente integrierter Stadtteilentwicklung vom Rat politisch beschlossen oder zumindest zur Kenntnis genommen worden sind.

(1) Hierzu und zum Folgenden: ARGEBAU, S. 4 f. und S. 8 ff.

(2) Zu Aktivierungstechniken vgl. Marion Mohrlock, Michaela Neubauer, Rainer Neubauer und Walter Schönfelder, Let's Organize! Gemeinwesenarbeit und Community Organization im Vergleich, München 1993, S. 223 f. (Reihe Gemeinwesenarbeit, AG SPAK Bücher M 113).

(3) Vgl. dazu: Wolfgang Hinte, Bewohner ermutigen, aktivieren, organisieren. Methoden und Strukturen für ein effektives Quartiermanagement: www.stadtteilarbeit.de/Seiten/Theorie/Hinte/Quartiermanagement.htm (Stand 9/2001) und Maria Lüttringhaus, Förderung von Partizipation durch integrierte Kommunalpolitik: www.stadtteilarbeit.de/Seiten/Theorie/Luettringhaus/Buergerbeteiligung.htm (Stand 9/2001).

(4) Vgl. Heiko Geiling, Thomas Schwarzer, Claudia Heinzelmann und Esther Bartnick, Begleitende Dokumentation der PvO im Modellstadtteil Hannover-Vahrenheide. Endbericht, Hannover 2002, S. 131 f.

  
 

Quelle: Deutsches Institut für Urbanistik: Good Practice in Altbau- und gemischten Quartieren. Eine Analyse im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt", Arbeitspapiere zum Programm Soziale Stadt Bd. 10, Berlin, 2003

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