soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"

Stärken und Potenziale der Stadtteile:
Aktive Bewohnerschaft

Podiumsdiskussion


Moderation:

Auf dem Podium:




Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Wir setzen mit diesem zweiten Podium unter dem Titel "Aktive Bürgerschaft" nahtlos die Debatte fort, die vorher zum Komplex "Lokale Ökonomie" geführt wurde. Wir befassen uns mit der Bewohnerschaft insgesamt, die eine aktive Bewohnerschaft in den Quartieren der Sozialen Stadt sein soll. Herr Staatssekretär Großmann hat heute früh gesagt, dies sei das Herzstück der Sozialen Stadt. Und Herr Strieder hat ebenso wie Herr Friedmann, jeder in seiner Sprache, einige der schwierigen Punkte und Probleme angesprochen. Herr Strieder hat - sehr schneidig - formuliert, dass wir vom Helfersyndrom weg zu einer aktiven Bürgerschaft kommen müssen. Wir werden gleich sehen, inwieweit das bisher gelungen ist und was für Probleme sich dabei auftun. Herr Friedmann hat in seinem theoretischen Beitrag die beiden miteinander konfrontierten "Welten" skizziert, die Systemwelt und die Lebenswelt, und hat am Ende gezeigt, dass es auch in dem Bemühen um Soziale Stadt nicht um ein Entweder-Oder gehen kann. Wir wollen zunächst eine kleine Vorstellungsrunde machen - so wie eben auch, durch die Teilnehmer auf dem Podium selbst. Dann werden wir zwei Runden machen, eine erste (auch wiederum begleitet von Filmen), in der wir zunächst einmal nach dem Stand fragen: Welche Probleme haben sich bisher ergeben, und wie kann man das, was erreicht worden ist, bewerten? In einer zweiten Runde richten wir den Blick nach vorn: Was sind die zentralen Aufgaben der nächsten Jahre, was muss getan werden, um eine zeitliche Nachhaltigkeit in die Aktivierung der Bürgerschaft hinein zu bekommen? Wir beginnen mit der Vorstellung.

Sabine Tengeler

Guten Tag, ich heiße Sabine Tengeler. Ich bin in Hamburg-Lurup aufgewachsen und lebe seit zehn Jahren wieder dort mit meinen Kindern. Ich habe festgestellt, dass einem, wenn man mit Kindern dort lebt, eigentlich ziemlich viel fehlt. Ich beschäftige mich, seitdem ich wieder dort wohne, damit, die Einrichtungen und Angebote zu schaffen, die ich und meine Nachbarn brauchen. In diesem Zusammenhang habe ich den Stadtteil-beirat des Luruper Forums mit organisiert, arbeite bei der Stadtteilzeitung mit und ar-beite mit Leuten, die Projekte machen wollen und die Unterstützung brauchen, um sich selbst zu organisieren.

Peter Metzler

Mein Name ist Peter Metzler, ich bin mittlerweile 49, habe Germanistik und Kunst für das Lehramt studiert und bin seit 1990 Schulleiter der verbundenen Haupt- und Real-schule mit Grundschule Astrid Lindgren zu Schwerin. Wir haben derzeit rund 750 Kin-der im Hause, die aus dem Wohngebiet Neu Zippendorf stammen. Aus diesem Grunde engagiere ich mich in dem Projekt Soziale Stadt, weil Schule dort eine Kernstellung ein-nehmen sollte.

Dr. Heidede Becker

Mein Name ist Heidede Becker, ich gehöre wie Herr Löhr vom vorigen Podium zur Ar-beitsgruppe Soziale Stadt im Deutschen Institut für Urbanistik, die in der ersten Phase des Programms Soziale Stadt dieses Programm begleitet.

Lale Arslanbenzer

Mein Name ist Lale Arslanbenzer, ich komme aus Dinslaken-Lohberg und bin dort Stadtteilmanagerin. Ich bin in der Türkei groß geworden und gehöre zu der viel zitierten zweiten Generation. Ich lebe seit 21 Jahren in Deutschland und kann für mich sagen, dass ich mich in beiden Kulturen mittlerweile selbständig und selbstbewusst bewegen und handeln kann.

Stefan Rommelfanger

Mein Name ist Stefan Rommelfanger, ich bin Mitarbeiter des Planungsreferats in der Stadt Gelsenkirchen. Seit einem Jahr sitze ich jetzt wieder im Rathaus; vorher habe ich fünf Jahre lang als Stadtteilmanager im Stadtteilbüro Gelsenkirchen Bismarck/Schalke-Nord gearbeitet und dort die Programmumsetzung mit aufgebaut.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Vielen Dank. Zur Einstimmung sehen wir jetzt den Kurzfilm über das Modellgebiet Hamburg-Lurup.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Frau Tengeler, ich denke, wir haben einen ersten Eindruck durch den Film bekommen. Wie sieht es nun mit der Aktivierung der Bürgerschaft bei Ihnen aus?

Sabine Tengeler

Lurup ist ein Stadtteil mit großen Unterschieden, wir sagen immer, es gibt das andere Lurup. Es gibt Bereiche der sozialen Stadtteilentwicklung, große Wohngebiete der SAGA, in denen die Armut sich beißt. Und rundherum gibt es kleine Einfamilienhäuser, Reihenhäuschen. Das finde ich spannend - ein Beispiel: Wir haben eine Zukunftswerkstatt veranstaltet für Frauen. Die haben Bürgerinnen aus dem Stadtteil selbst organisiert und sich aus dem Verfügungsfonds das Geld dafür geholt. Da haben Frauen aus dem Flüsseviertel, aus dieser SAGA-Siedlung, sich zusammengesetzt mit Frauen aus Einzelhäusern und festgestellt: die haben in diesem Stadtteil genau das gleiche Problem. Wenn man mit seinen Kindern einfach mal irgendwohin will oder spontan was unternehmen möchte, gibt es keinen Ort, an dem man seine Kinder abgeben kann, wo man weiß, dass sie sich wohl fühlen. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt damals: Da sagt eine meiner Nachbarinnen aus dem Flüsseviertel, das hätte sie wirklich nicht für möglich gehalten, dass die Frauen, die sie gar nicht kennt, die da hinter diesen hübschen Zäunen wohnen, genauso einsam, genauso schlecht dran sind, wenn sie mal nur weggehen wollen wie andere.

Was das Schwierige ist: wir veranstalten eine Zukunftswerkstatt, und dann machen wir als Bürger selber auch wieder Fehler. Es ist wahnsinnig schwierig, Formen zu finden, bei denen die Frau aus dem Flüsseviertel auch dabei bleibt. Aber wir finden Formen, die Projektentwicklung so zu organisieren, dass die dabei bleiben können und dabei bleiben mögen. Das ist in diesem Programm aber bis jetzt nicht vorgesehen. Es gibt entweder Projektideen aus dem Stadtentwicklungsprogramm, wo Planer festgestellt haben: das wird wirklich gebraucht, hier muss ein Spielplatz gebaut werden; dann organisieren Bürger Bürgerbeteiligung, die Kinder machen mit und die Mütter machen mit, und alle planen wunderbar ihren Spielplatz. Informationen dazu hängen im Treppenhaus, und die älteren Nachbarn sind jedes Mal eingeladen, kommen aber nicht, weil das gar nicht ihr Problem ist. Wenn man sie fragt, was sie draußen vor der Tür möchten, dann sagen die ganz ehrlich, sie wollen bitte Ruhe; und stellt um Gottes willen keine Bank dahin, weil dann dort nur wieder die Jugendlichen herumsitzen.

Es war für uns ein Lernprozess, eine Hütte zu bauen und zu erleben, was dann passiert. Die Hütte, die da gebaut worden ist, hat in der Nachbarschaft Stress ausgelöst, weil in ihr nicht nur die Mütter mit ihren Kindern sitzen, sondern abends die Jugendlichen aufs Dach klettern und den Nachbarn in die Wohnung schauen. Die finden das natürlich total spannend, was man mit so einer Hütte anfangen kann. Wir haben jetzt gesagt: okay, wir müssen uns auch mit diesen Jugendlichen auseinandersetzen. Offensichtlich sind wir alle mit dem engen Raum überfordert. Es gibt zwar grüne, aber trotzdem zu wenige Flächen, um sich zu treffen, ohne dass man jemanden stört. Wir müssen das irgendwie hinkriegen, dass Jugendliche und Ältere wieder ins Gespräch kommen. Wir haben den Nachbarn versprochen, wir bauen eine Hütte, und dann machen wir ein Fest, dann redet Ihr mal miteinander, und dann wird das besser. Hinterher sagen die Nachbarn, wo seid ihr, wenn nachts um drei Krawall ist, und wo ist die SAGA, wer kümmert sich? Sollen wir immer die Polizei rufen? Die kommt auch nicht mehr.

Jetzt haben wir die Chance, im Stadtteil einen Jugendtreff zu kriegen. Wir haben dazu gesagt, das kann nicht sein, dass da ein ganz normaler Träger, der überhaupt keine Erfahrung in Gemeinwesenarbeit und in Stadtentwicklung hat, mit einem armen, einsamen Sozialarbeiter dahin kommt und unser Jugendproblem lösen soll. Dann haben wir als Bürger angeboten, zusammen zu überlegen, wo es mit wem ein Problem gibt. Da sagte der Träger ganz erschrocken: nein, das ist unsere Angelegenheit, da gehen wir nur mit Fachleuten ran. Und dafür - ich erzähle einfach mal die Geschichte zu Ende - trifft man sich im Stadtteilbeirat wieder. Da können wir dem Träger aus dem Stadtentwicklungskonzept vorlesen, dass wir hier für uns eine Einrichtung anders entwickeln wollen. Wir Bürger fühlen uns auf der richtigen Seite, wir haben hier Rückenwind. Auf diese Weise versuchen wir dann wieder, ins Gespräch zu kommen. Mir ist sehr deutlich geworden, dass es sehr starke, sehr selbstbewusste Bürger braucht, die wirklich sagen, eine Einrichtung ist nicht gut, nur weil man sie jetzt hat, sondern sie ist für die Bürger da. Die gehört uns, das sind unsere kostbaren Ressourcen, und wir möchten mitreden, wer da eingestellt wird und wie die arbeiten. Auf der anderen Seite merke ich, dass ich selber langsam Profi werde, und dass es Zeit kostet, die Menschen, um die es eigentlich in diesem Quartier geht, zu erreichen. Man muss sich Zeit nehmen, mit ihnen auf dem Spielplatz sitzen, mit ihnen reden oder ihnen Räume anbieten, wo sie sich selbst organisieren können. Dafür ist sehr wenig Zeit, und es bestehen immer noch extrem wenige Möglichkeiten. Da brauchen wir Hilfe von anderen Einrichtungen, Stadtteilen, die das mittragen, sonst können wir uns als Bürger totlaufen.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Könnten Sie vielleicht noch mal ein paar Zahlen zu den Projekten nennen oder zu den Arten von Projekten und der Frequenz bei dem Forum. In dem Film war auch zu sehen, dass dies ein großes Quartier ist. Wie viele Bürger erreichen Sie denn, und wie schätzen Sie das insgesamt ein?

Sabine Tengeler

Wir haben das Luruper Forum als Bürger selbst organisiert, was uns sehr selbstbewusst macht. Wir haben gesagt, jeder, der in diesem Stadtteil mithelfen will - egal ob er da wohnt oder nicht, auch wenn er aus der Verwaltung kommt -, kann in dieser Einrichtung mitarbeiten, jeder ist stimmberechtigt, wenn er schon zweimal da war. Im Forum kommen in der Regel mindestens 30, oft 40 bis 50 Leute jeden Monat zusammen und diskutieren öffentlich mit der Verwaltung und mit Politikern. Die kann man gleich fragen: wie seht Ihr das, macht Ihr dazu was? Es gibt einen gewissen Kreis von Bürgern und Mieterinitiativen, die regelmäßig kommen. Und es gibt Bürger, die nur dann kommen, wenn sie sich Geld vom Verfügungsfonds abholen wollen. Das sind die, die man normalerweise nicht erreicht, und wo wir auch gar nicht böse sind, wenn sie beim nächsten Mal nicht wiederkommen; aber die machen eine wunderbare Erfahrung, wenn es gut läuft: dass sie ernst genommen werden, dass sie ihr Geld kriegen.

Und jeder "normale" Bürger, der wirklich aus dem Quartier kommt, wird auch gefeiert. Beispielsweise diese jungen Leute auf dem Fußballplatz, eine selbstorganisierte Fußballmannschaft, der Zockerclub, die wollten mit einem total bescheidenen Antrag vom Verfügungsfonds 600 Mark haben, um in die Freizeitliga eintreten zu können. Die sind von diesem Stadtteilbeirat euphorisch gefeiert worden: "Toll, dass Ihr zu uns gefunden habt, und braucht Ihr nicht noch mehr?" Die kommen jetzt immer wieder, wenn sie etwas wollen. Und wir erfahren, wie sie Jugendliche, türkische Jungerwachsene jetzt dabei unterstützen, gut auf den Fußballplätzen miteinander umzugehen.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Dies lassen wir erst einmal als Beschreibung stehen und gehen in eine ganz andere Größenordnung von Stadt, nach Dinslaken. Frau Arslanbenzer, wie sind Ihre Erfahrungen und Vorgehensweisen?

Lale Arslanbenzer

Vielleicht erst einmal ein paar Sätze über Dinslaken-Lohberg, weil es darüber keinen Film geben wird. Dinslaken-Lohberg ist ein Bergbaustadtteil, Anfang dieses Jahrhunderts gebaut, schon immer ein Arbeiterstadtteil gewesen. Heute ist das Besondere in Dinslaken-Lohberg, dass das gleichzeitig Arbeiter- und Migrantenstadtteil ist, die Bevölkerungsanteile sind ungefähr jeweils 50 Prozent. Die Probleme in diesem Stadtteil unterscheiden sich nicht sehr von denen in anderen Städten, deshalb werde ich dazu wenig sagen. Aber das Besondere in Lohberg ist, dass man wirklich sagen kann, dass das hier einmal andersrum war: Es gab nicht ein Programm, für das die Bürger aktiviert werden mussten. Es gab eine aktive Bürgerschaft, die das Programm in den Stadtteil geholt hat. Wie ist das passiert? Es sind einzelne Probleme im Jugendbereich, Bildung, Ökonomie von einzelnen Akteuren aus dem Stadtteil erkannt worden. Und diese Akteure haben sich vor ungefähr zwei Jahren zusammengesetzt und gesagt, wir müssen für unseren Stadtteil etwas tun - Kirchen, Ausländerbeirat, Migrantenselbstorganisation.

Bei diesem ersten Treffen sind 70 Einzelpersonen, zum Teil Vertreter von Vereinen, zusammengekommen, die, wie wir jetzt als Angestellte merken, die Probleme des Stadtteils fachlich sehr versiert zusammengefasst haben. Dazu haben sie den damaligen Bürgermeister eingeladen und gesagt, so, wir sind aktiv als Verwaltung, setzen Sie sich bitte für unsere Belange ein. Parallel aber dazu haben Jugendliche auf dem Marktplatz an einem Silvesterabend rebelliert, haben Mülltonnen in Brand gesteckt und mit Pistolen in die Luft geschossen. Die aktive Stadtteilgruppe hat deshalb gesagt, wir müssen für unsere Jugendlichen etwas machen, wir können sie nicht immer belehren oder von negativen Ergebnissen erzählen. Von da an hat sie jedes Jahr ein großes Silvesterfest für die Jugendlichen mit den Jugendlichen organisiert - noch vor dem Programm Soziale Stadt. Dann ist dieses Programm zustande gekommen, und darin hat der Stadtteil noch größere Chancen für den Stadtteil gesehen und hat gesagt, wir müssen eng mit der Verwaltung zusammenarbeiten, wir können und wollen die Umsetzung des Programms nicht ganz der Verwaltung überlassen. Dies ist auch umgekehrt von Seiten der Verwaltung unterstützt worden, sodass sich ein Verein der Vereine in dem Stadtteil gebildet hat, Forum Lohberg e.V., welcher auch unser Arbeitgeber ist. Das Forum hat sich aus den Vereinen im Stadtteil, also aus der Migrantenselbstorganisation und aus dem Deutschen Verein, gegründet, mit 33 Gründungsmitgliedern, sodass der ganze Stadtteil von Anfang an einbezogen war.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Da haben Sie eigentlich keine Probleme mit Aktivierung.

Lale Arslanbenzer

Natürlich haben wir Probleme, aber was Aktivierung betrifft, hat dieser Verein ganz bewusst gesagt, was er will. Wir haben einen Stadtteil mit 50 Prozent Migrantenanteil, also wollen wir auch zwei Stellen haben und eine mit einer Migrantin oder einem Migranten besetzen. Das haben sie in meiner Person auch getan. Wir arbeiten zu zweit, eine deutsche Kollegin und ich, und alle Themen, die angegangen werden, sind vor unserer Einstellung von dem Stadtteil bestimmt worden. Wir wurden eingestellt im November 2000, das Programm oder die Handlungsfelder, die Inhalte waren so gut wie fertig. Wir mussten uns nicht hinsetzen und überlegen, was dieser Stadtteil braucht, und uns anschließend Gedanken darüber machen, wie wir die Bürger einbeziehen, sondern die Bürger hatten ihre Themen schon festgelegt. Es gibt in diesem Stadtteil enormen Druck, weil der Verein, das Forum Lohberg e.V., auch in seinen Mitgliedern und in seinem Vorstand den Stadtteil vertritt. Der Vorstand besteht aus neun Personen, darunter Migranten, deutsche Vertreter aus Politik und Verein. Sie sind ein ziemlich starkes Verbindungsglied zwischen der Stadtverwaltung, also zwischen dem offiziellen System, zwischen uns als Stadtteilbüro und zwischen Bürgern, sodass die Rückkopplung in dieser Dreierkonstellation immer wieder gegeben ist. Dieser Verein ist selbst im Stadtteil so tief verankert, dass die Themen nicht mehr erfunden werden müssen. Sie wollen die Zeit, die drei bis vier Jahre Förderzeit, so ausnutzen, dass der Stadtteil nachher mit einem großen Gewinn rausgeht.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Wir sehen also sehr unterschiedliche Situationen. Um das Bild weiter zu vervollständigen, sehen wir nun den nächsten Film über Schwerin.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Herr Metzler, wir haben in dem Film Ihre Schule und Ihr Schulprojekt gesehen. Bei Ihnen haben wir als Schlüsselprojekt eine solche etablierte Institution wie die Schule sozusagen als Baustein der Quartiersentwicklung der Sozialen Stadt. Wie kam es dazu, und welche Rolle sehen Sie darin unter dem Aspekt Aktivierung der Bewohnerschaft?

Peter Metzler

Als wir vorhin zusammensaßen, habe ich ein bisschen mit Neid auf die beiden Damen geschaut, auf das, was da quasi fast von alleine läuft. Ich weiß, wie viel Engagement dahinter steckt. Das ist in Schwerin nicht ganz so. Neu Zippendorf ist 1976 bis 1980 gebaut worden in der damaligen städtebaulichen Phase der kompletten Entmischung, also als reine Wohnstadt. Dort wurde gewohnt, dort wurde nicht gelebt. Und wir haben dieses Problem auch stellenweise heute noch, allerdings mit ein paar Ansätzen, die in negativer Form kenntlich machen, dass es schwierig werden wird, dort das Konzept Soziale Stadt in der Art umzusetzen, wie es uns vorschwebt. Wir müssen das auf dem Teamweg entwickeln, um den Lebensweg gestalten zu können.

Die Leute in Neu Zippendorf, etwa 8 000 Einwohner, sind zu großen Anteilen ohne Arbeit, also beschäftigungslos. Wir haben einen überproportionalen Stand an Alleinerziehenden und eine ständig wachsende Zahl von Migranten. Aus dieser Situation ergibt sich schon mal ein Problem. Und es ist ziemlich schwierig, die Bewohner zu aktivieren, an der Wohnumfeldgestaltung, an dem, was in Neu Zippendorf geschehen soll, mitzuwirken. Es gibt wohl welche, die das machen, meist ältere Leute; die jüngeren zu aktivieren ist ziemlich schwierig. Da haben wir gesagt, Schule muss was tun, haben der generellen gesellschaftlichen Forderung, Schule soll irgendwann mal wirksam werden, einfach vorgegriffen, haben also die Schule als Kristallisationspunkt von Interessen gesehen. Wir haben weiter gesagt, in der Schule haben Eltern von gleichaltrigen Kindern wenigstens gleiche Interessen, und diese Interessen müssten gebündelt werden. Dann haben wir in der Schule Verschiedenes installiert, haben besonders das Projekt, dass die Schule sich zum Stadtteilzentrum entwickeln sollte, anlaufen lassen.

Dies war in der vorhandenen baulichen Substanz schlecht möglich. Die Schule ist 22 Jahre alt, ein Bau der ersten Stunde auf der grünen Wiese. Und genauso sieht sie auch aus, sowohl von außen als auch von innen. So war es denn notwendig, die Schule zu modernisieren, um Räumlichkeiten der Begegnung zwischen den Generationen zu schaffen. Gleichzeitig haben wir erkannt, dass Schule ein Kulturzentrum sein sollte. Das, was an Kultur in Neu Zippendorf läuft, ist recht bescheiden. Wir haben einen Jugendclub als Treffpunkt für einige der Jugendlichen. Wir haben das Haus der Begegnung, wo verschiedene Vereine sich zusammenfinden, aber wir haben für die breite Masse der Jugendlichen relativ wenig. Deshalb haben wir versucht, Schule als Kultureinrichtung zu etablieren. Daraus sind drei Großprojekte geworden. Zum einen haben wir ein niederdeutsches Theater an der Schule etabliert, das von Kindern gestaltet wird. Die sind mittlerweile Preisträger in Norddeutschland, reisen durch die Gegend, können Eltern, Großeltern, aber auch Bekannte und Verwandte mit ihrem Programm begeistern.

Wir haben einen Musical-Kurs installiert, haben also ein schuleigenes Musical geschaffen. Und als das nicht ausreichte, als wir die Akteure nicht zusammen hatten, haben wir aus einer weiteren Schule, einer Gesamtschule aus dem benachbarten Wohngebiet im Großen Dreesch und mittlerweile auch einige Schüler aus dem freien Umfeld, die zu keiner Schule mehr gehören, gebündelt; dabei besonders Schüler, die Probleme haben. Schulabsentismus spielt eine große Rolle in Schwerin. In Schwerin gibt es in der gesamten Stadt etwa 350 Schulabsentisten, die nicht mehr zur Schule gehen, obwohl sie das müssten. Solche Kinder haben wir gezielt gesucht. Wir haben versucht, Migranten in dieses Konzept und Projekt zu kriegen und haben dann ein Musical auf die Beine gestellt, das zwei Stunden dauert. Es ist selbst komponiert, selbst gestaltet, selbst kostümiert, um die Schüler an dieses Projekt zu binden und über die Schüler auch die Eltern, die wir für die Gestaltung von Dekorationen, die Gestaltung von Kostümen und die Gestaltung von dem sonstigen Know-how in das Boot holen.

Das Dritte ist ein sicherlich außergewöhnliches Projekt, das Lehrertheater. Wir sind die einzige deutsche Schule, die sich ein eigenes Theater hält. "Lehrer spielen für Schüler" hieß das Konzept, das heißt, wir spielen einmal im Jahr ein Stück der leichten Muse, also keinen Faust, den wollen wir dort nicht oder kriegen wir wohl auch nicht hin. Das kommt noch - wobei ich ein genialer Faust-Lehrer bin… Wir versuchen über diese Projekte Eltern und Leute aus dem Wohngebiet in die Schule zu locken. Kultur lockt. Die kommen auch. Es ist wichtig, dass das kostenfrei ist. Wir haben danach Gelegenheit, mit den Eltern und den Leuten zu reden und kriegen so die Möglichkeit zur Kommunikation, die ziemlich schwierig ist, denn die Interessenkonflikte sind mittlerweile doch recht groß. Wir müssen versuchen, an Dinge anzuschließen, die wir mal hatten. Das ist für mich das Dramatische. Es hat in Neu Zippendorf damals, als es noch ein Wohngebiet war, die Wohngemeinschaften gegeben, die einen Partykeller zusammen hatten, die zusammen gelebt und dann gefeiert haben und dieses zusammen organisiert haben, die ihre Vorgärten gemacht haben. All dies ist weggebrochen, und es ist nur mühsam wieder zu installieren. Das ist schon traurig. Aber wir müssen weiter versuchen, die Bewohner ins Boot zu holen. Da ist Schule nach meinem Dafürhalten ein wesentlicher Ort, an dem man Begegnungen gestaltet. Es wird sicherlich ein langer Prozess sein, und wir müssen aufpassen, dass uns der Atem dabei nicht ausgeht - das ist manchmal das Schwierige daran.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Das ist ja ein faszinierendes Projekt. Ich will noch eine Nachfrage loswerden: Wie motivieren Sie die Kollegenschaft? Oder wie werden Sie unterstützt? Das ist ja immer auch eine Frage, wie Ressourcen beansprucht werden, jetzt nicht finanzielle, sondern "Humanressourcen".

Peter Metzler

Die Frage habe ich befürchtet. Darauf möchte ich gar nicht so gerne antworten, weil es ziemlich schwierig ist. Wir sind ein Kollegium von 43 Lehrerinnen und Lehrern, viel mehr Lehrerinnen als Lehrer. Meine Damen unterscheiden immer zwischen Männern und männlichen Kolleginnen, ich lasse mal die Unterscheidung weg, davon haben wir fünf. Und es ist immer sehr schwierig, die zu motivieren. Das, was allgemein im Volke die Runde macht, diese "Faule-Säcke-Diskussion", kann ich nicht nachvollziehen. Wir sind eine Ganztagsschule, wir sind bis 17 Uhr präsent, ohne dass wir vom Staat dafür irgendwelche Zuwendungen bekommen. Für die Ganztagsschule gibt es 15 Lehrerstunden, wenn sie voll ausgebaut ist. Mit diesen 15 Lehrerstunden ist das nicht leistbar, damit kann man überhaupt nichts anfangen, wir müssen es also über das notwendige Engagement der Lehrer machen. Es war den Lehrern schnell zu vermitteln. Und dies muss immer wieder neu geschehen, weil wir mittlerweile auch als Kollegium überaltern. Wir haben ein Durchschnittsalter von 49 Jahren. Damit haben wir zunehmend Burn-out-Syndrome bei Lehrern; deshalb müssen wir immer wieder neu motivieren. Aber ich habe den Lehrern gesagt: Wenn Du Dich Deinen Schülern in Deiner Freizeit präsentierst und in der Freizeit für sie da bist, beratend, fördernd, unterstützend, dann hast Du sie im Unterricht viel, viel einfacher. Das Konzept ist bis jetzt aufgegangen, das sehen die Lehrer genauso.

Und es geht weiter: Wir haben jetzt ein neues Projekt als Ergebnis von PISA aufgelegt, das heißt FEN, Ferienangebot Nachhilfe. In den Ferien geben meine Lehrer also auch noch Nachhilfe für die Schüler. Das alles strahlt auf den Unterricht aus. Da wir zunehmend größere Klassen bekommen, müssen wir sehen, wo wir bleiben, um den Problemen, die allgemein deutlich werden - Schule kann nicht allgemein besser sein als die sie umgebende Gesellschaft - Herr zu werden. Unsere Projekte funktionieren jedenfalls ganz gut.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Wir gehen über zum letzten Beispiel.

Stefan Rommelfanger

In Gelsenkirchen Bismarck/Schalke-Nord sind die Ausgangsbedingungen ähnlich wie in Dinslaken. Das ist ein industrieller Arbeiterstadtteil, und der konkrete Auslöser für die Aufnahme in das Programm war die Schließung des Bergwerks, das über 100 Jahre im Mittelpunkt des Ortsteils lag. Nicht nur das: es war auch der ökonomische und soziale Lebensmittelpunkt der Menschen, und diese Mitte ist weggebrochen. In dieser Situation wurde 1995 von der Verwaltung der Stadt in Übereinstimmung mit dem Landesministerium ein Stadtteilprogramm im Landesprogramm initiiert. Es setzte sich aus zwei Leitprojekten zusammen. Das eine Leitprojekt war natürlich die Reaktivierung dieses Zechengeländes, 25 Hektar groß, der Stadtteil hat rund 20 000 Einwohner. Das zweite Leitprojekt im Zusammenhang mit der Internationalen Bauausstellung Emscher Park war der Neubau einer evangelischen Gesamtschule, einer großen Schule, die sich von vornherein als Stadtteilschule begriffen hat und das Konzept umsetzen wollte, ökologischer Lernort zu sein, multikonfessionellen Unterricht zu machen und sich auch als Stadtteilbegegnungszentrum zu begreifen. Der Bau der Schule wurde mit der Beteiligung der Schüler verknüpft. Die Schüler, das sehen wir vielleicht gleich noch im Film, haben am Bau und an der Planung ihrer Klassenhäuser mitgewirkt. Sie haben zusammen mit den Architekten Modelle gebaut, und sie werden auch die ganze Zeit in dieser Schule bleiben.

Neben diesen beiden Leitprojekten gab es ein Bündel verschiedener sozialintegrativer Maßnahmen und von Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfelds. Ganz wesentlich war, dass wir als Verwaltung zunächst einmal eine Anlaufstelle im Stadtteil gegründet haben, das Stadtteilbüro. Ich denke, es ist ganz wichtig, noch mal zu sagen, dass es durchaus möglich ist, dass die Verwaltung auch vor Ort geht und dort auf eine große Akzeptanz bei den Bewohnern stößt. Dies liegt meiner Ansicht nach natürlich daran, dass auf der einen Seite so ein Stadtteilbüro mit entsprechenden Mitarbeitern ausgestattet ist. Ein Mitarbeiter war zufällig, aber auch Gott sei Dank, Bewohner dieses Stadtteils. Das Stadtteilbüro liefert ein ganz anderes Erscheinungsbild als ein Rathaus. Und natürlich gehen die Leute vom Stadtteilbüro auch in den Stadtteil hinaus, gehen auf die Bewohner zu und nutzen alle möglichen Veranstaltungen im Stadtteil, um sich bekannt zu machen. Diese Arbeit dort wird überhaupt nicht mehr als Verwaltungseinrichtung wahrgenommen. Ich finde dies einen wichtigen Aspekt. Zumal man auch noch einen Schritt weiter gehen und als Perspektive für die Stadtteilentwicklung formulieren kann, dass die Verwaltung zukünftig ressortübergreifend und mit einem stärkeren Gebietsbezug arbeiten sollte, um die Probleme in diesen Stadtteilen in den Griff zu bekommen.

Wir haben das Stadtteilprogramm erst ohne große Bürgerbeteiligung erarbeitet. Deshalb ging es für dieses Stadtteilbüro beim ersten Schritt darum, nach Bedürfnissen, Problemen und Wünschen der Bewohner zu fragen. Das haben wir zunächst einmal über den Umweg der örtlichen Initiativen, Schulen und Kindergärten getan. Es gibt eine Menge von professionellen Leuten und Einrichtungen. Räume werden auch gebraucht als Begegnungs- und Kommunikationsorte, die man dann einfach für die Stadtteilarbeit nutzen muss. Wir haben einen Arbeitskreis gegründet, an dem einige Bewohner und auch Politiker teilnahmen. Auch eine wichtige Aussage: Diese Stadtteile haben sehr oft schwache Politiker. Es ist wichtig, diese Politiker mit ins Boot zu bekommen, sie von dieser Philosophie zu überzeugen und sie zum Fürsprecher und Lautsprecher für den Stadtteil zu machen.

Wir haben dann aus den Wünschen der Bewohner, den Wünschen der Akteure auch einige kurzfristige Maßnahmen abgeleitet: beispielsweise kleine bauliche Maßnahmen. Eine Straße wurde gesperrt, um Kinder vor dem Autoverkehr zu schützen; Müll wurde eingesammelt, ein Spielplatz umgestaltet. In Bezug auf die Beteiligung und Aktivierung ist es, finde ich, sehr wichtig, dass diese Maßnahmen und Vorschläge sehr schnell umgesetzt werden, dass zwischen der Beteiligungsphase und der Realisierung nicht ein Jahr oder zwei Jahre ins Land gehen. Letzteres führt zu Frustrationen und dazu, dass sich die Leute zurückziehen. Das heißt, die Verwaltung muss eigentlich alle Bedingungen schon vorher erfüllen. Sie müssen bei größeren Projekten unter Umständen bereits die Beschlüsse einholen und auch schon das Geld besorgen, sodass zwischen Planung und Umsetzung ein möglichst geringer Zeitraum entsteht.

Wir haben am Anfang gedacht, es gebe gar keine Initiativen im Stadtteil, haben uns darin aber gründlich geirrt. Wir haben nämlich im Ruhrgebiet noch eine sehr vielfältige Vereinskultur, auch in diesem Stadtteil. Wir haben gemerkt, dass in den Sport- und Freizeitvereinen sehr engagierte, ehrenamtlich tätige Leute sind, die unter Umständen auch motiviert und aktiviert werden können für die gemeinsame Sache der Stadtteilerneuerung. Mein Kollege hat dann mit ganz wenigen im Verein angefangen, Feste organisiert, Stadtteilfeste, die mittlerweile zu einer Institution und zu Dauereinrichtungen geworden sind.

Da beteiligen sich sehr viele, mittlerweile über 40 Vereine, und an diesen Veranstaltungen nehmen 4 000, 5 000 Menschen teil. Das gesamte Catering und Kulturprogramm wird von den Vereinen selbst übernommen und gestaltet. Ich finde, das ist eine gute Methode und Möglichkeit, um viele Menschen zu aktivieren und für das Thema Stadterneuerung zu gewinnen.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Ich meine, mit dem Stichwort Vereine sowohl am Beispiel Dinslaken als auch jetzt Gelsenkirchen ist ein wichtiger Aspekt angesprochen worden, weil manche Partizipationsdebatten die vorhandenen Formationen häufig vernachlässigen. Sie sehen ja, dass hier ganz wichtige Anknüpfungspunkte sind. Herr Metzler hat bedauert, dass aus früheren Zeiten verfügbare Formationen nicht mehr da sind; man muss es jetzt erst wieder aufbauen. Ich fand auch den knappen Hinweis auf die Stadtteilpolitik im Sinne eben der verfassten Politik wichtig, also der gewählten Vertreterinnen und Vertreter, weil natürlich das gesamte "Geschäft" nur insgesamt komplex betrieben werden kann und sich das natürlich auch gegenseitig verstärkt.

Bevor wir zum dritten Film über Gelsenkirchen kommen, bitte ich Frau Becker, etwas aus der Warte des begleitenden und beobachtenden Instituts Difu zu sagen, eine Einschätzung zu geben, wie spiegeln die hier vertretenen Beispiele das Gesamtbild wider und wo stecken aus dem bisherigen Stand die zentralen Knackpunkte und Probleme.

Heidede Becker

Ich finde, es ist sehr deutlich geworden, wie unterschiedlich die Situationen in den Gebieten sind. Das reicht von einer bereits aktiven Bewohnerschaft, die das Programm ins Gebiet selbst hereinholt, bis zu Einzelinitiativen, im Rahmen derer man weiter aufbauen und viele ins Boot holen möchte. Nach unseren Erfahrungen ist deutlich geworden, dass die aktive Bewohnerschaft und die zu aktivierende Bewohnerschaft von den Städten und ihren Verwaltungen als eine ganz wesentliche Ressource begriffen werden. Es ist weiter deutlich geworden, dass in vielen Gebieten, vor allem den 16 Modellgebieten, schon einiges los ist. Es gibt Initiativen, Vereine und andere Aktionsgruppen, und die wissen, das wurde gestern auch von Klaus Selle betont, nichts voneinander. Deshalb geht es relativ frühzeitig darum, das Kennenlernen und das miteinander Arbeiten der bereits Aktiven zu organisieren. Da besteht noch ein großes Defizit, das haben wir bei unseren Programmbegleitungen vor Ort ganz deutlich erlebt. Es ist auch gar kein Wunder - dazu möchte ich kurz ein bisschen Programmtechnisches einspielen -, dass man sich gegenseitig noch nicht kennt. Es sind teilweise nämlich sehr große Gebiete. Diese 249 Gebiete der Sozialen Stadt, die jetzt ausgewiesen sind, sind zehnmal so groß wie die früheren Sanierungsgebiete, die Sanierungsgebiete der 70er- und 80er-Jahre. Dies ist im Grunde ein Hinweis darauf, dass der Programmansatz Soziale Stadt - richtig verstanden - Veränderungen nach sich zieht, dass nämlich ganz viel einbezogen sein muss, z.B. vor dem Hintergrund der Lokalen Ökonomie. Sind die Gebiete zu klein zugeschnitten, fallen möglicherweise Potenziale und Ressourcen, die einbezogen sein müssen, heraus.

Die beiden Schlüsselelemente der Umsetzung des Programms, "Beteiligung" und "Aktivierung", wobei ich den Schwerpunkt auf "Aktivierung" legen möchte, stehen und fallen in ihrer Umsetzung zum einen damit, wie weit Ermutigung zum Tragen kommt. Ermutigung ist auch ganz stark an das Image des Gebietes gebunden. Wenn die Images der Gebiete schlecht bleiben oder auch schlecht geredet werden, also wenn permanent nur von "Problemgebieten" die Rede ist, dann ist es schwierig, das Engagement derer, die sich beteiligen wollen, aufrechtzuerhalten.

Ein zweiter Bereich, Stefan Rommelfanger hat davon gesprochen: es muss auch schnell etwas sichtbar werden in den Gebieten. Dies zeigt sich überall. Es müssen kleine Verbesserungen erlebt werden, so genannte Schlüsselprojekte. Manche sprechen in diesem Zusammenhang auch von den Leuchtturmprojekten. Dieses Engagement in der Sache muss unterstützt werden. Das würde ich gern noch hinsichtlich der Nachhaltigkeitsfrage etwas weiter ausführen. Wenn Engagement keinen Ort findet, wenn man nicht die Möbel hat, um sich darauf zu setzen, wenn man eine Stadtteilzeitung machen will und man hat keinen PC und keine Digitalkamera: es gibt da viele Stolpersteine, wo es, wenn es keinen Verfügungsfonds für das Gebiet gibt, schwer ist, diese Arbeitsmittel zu beschaffen. Wir haben im Rahmen der Programmbegleitung die Möglichkeit, kleine Geldbeträge als "Technische Hilfen" in die Modellgebiete hinein zu geben; was da bislang beantragt wurde, zeigt die großen Schwierigkeiten für Initiativen vor Ort, über solche Materialien und Arbeitsmittel zu verfügen.

Stichwort Schulen - das ist mir auch noch wichtig. Es zeigt sich in vielen Gebieten, dass manche Schulen bereits nicht mehr nur auf Wissensvermittlung setzen, sondern dass sie bereits agieren, vielleicht auch reagieren auf das, was vor Ort wirklich nötig ist. Schulen verstehen sich teilweise wirklich schon als Stadtteilschulen, als Treffpunkte nicht nur für die Jugendlichen und die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen, für die Eltern. "Mama lernt Deutsch" in der Schule der Kinder, dies sind solche typischen Sprachvermittlungsansätze der Schulen, die in vielen Fällen dazu übergegangen sind, auch soziale Kompetenzen zu vermitteln und nicht nur den reinen Lehrstoff. Die Lehrerschaft braucht da vermutlich mehr Unterstützung, und vielleicht bietet auch nur die Ganztagsbetreuung mehr entsprechende Möglichkeiten.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Dann kommen wir jetzt zum dritten Kurzfilm über das Modellgebiet Gelsenkirchen Bismarck/Schalke-Nord

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Wir wollen in die zweite Runde mit der Frage gehen: Was ist in der mittleren Perspektive der nächsten vier bis fünf Jahre aus Sicht der Akteure hier die Hauptaufgabe, wo sind die Hauptprobleme und was muss getan werden, um diese Verbesserungen, das erreichte Maß an Aktivität und Aktivierung zu verstetigen und zu stabilisieren? Geht es da um die personelle Entwicklung, geht es um Geld? Und da bitte ich Frau Arslanbenzer ums Wort. Ich habe den Eindruck, Dinslaken ist zwar nicht unkompliziert, aber Sie haben eigentlich die günstigste Situation angetroffen. Welche Probleme bestehen denn aus Ihrer Sicht in der Perspektive?

Lale Arslanbenzer

Die große Herausforderung für Dinslaken-Lohberg steht erst noch bevor. Anders als in Gelsenkirchen Bismarck/Schalke-Nord ist der Bergbau noch am Arbeiten, baut aber auch sehr stark ab; vermutlich wird er in den nächsten fünf bis zehn Jahren schließen. Das steht noch nicht fest, aber die Tendenzen gehen in diese Richtung. Dieser Bergbau ist der größte Arbeitgeber in der Stadt und für Lohberg sowieso. Deshalb würde ich das gerne zweiteilen, zum einen die Entwicklung, die Bürgerinnen und Bürger nach unserer Ansicht nicht direkt beeinflussen können, zum anderen die Chancen des Stadtteils, also die Kräfte, die Ressourcen, die der Stadtteil hat und auch nutzen kann. Zu Entwicklungen wie Arbeitsplatzrückgang und Schwierigkeiten in der Bildung muss ich einen Satz sagen. Obwohl die neuere Migrationsgeschichte mittlerweile in Deutschland ihr 40- bis 50-jähriges Jubiläum feiert, sind Probleme in vielen Bereichen so, als ob all das Neuland wäre. Beispielsweise sind 60 bis 70 Prozent aller Kinder mit Migrationshintergrund in Dinslaken in der Sonderschule oder in der Hauptschule. Über 35 Prozent aller Kinder aus diesen Familien haben keinen Schulabschluss. Das können auch aktive Bürger im Ortsteil nicht verhindern oder aus eigener Initiative verbessern, da müssen andere Ansätze her. Da stehen wir, trotz der 40- bis 50-jährigen Geschichte vor einem Problem, als ob das ganz neu wäre.

Zum anderen aber birgt dieser Stadtteil eine ganze Menge Potenziale, die genutzt werden, wenn wir bestimmte Voraussetzungen schaffen könnten. Eine Voraussetzung ist eine Akzeptanz gegenüber Migrantenselbstorganisationen, diese Akzeptanz gibt es bisher noch nicht. In dem Stadtteil sind eine Menge Migrantenselbstorganisationen mit islamisch-kulturellem Hintergrund; sie werden nach wie vor von der deutschen Mehrheitsgesellschaft skeptisch beobachtet, mit Recht oder Unrecht, sodass die Einbeziehung von deren Ressourcen natürlich zunächst Schwierigkeiten macht.

Außerdem gibt es eine ziemlich genaue Vorstellung in Dinslaken-Lohberg davon, was eine gesunde Gesellschaft, was ein gesunder Stadtteil ist. Nämlich Migration oder Integration bedeutet, ein deutsches Kind, ein türkisches Kind, ein deutsches Kind, ein türkisches Kind. Wehe, es ist ein türkisches Kind mehr in der Klasse, dann ist die Gefahr ziemlich groß. Ich bin der Meinung, dass das so nicht sein muss, sondern man muss die Tatsachen erst einmal akzeptieren. In den Schulen gibt es zu 60, 70, 80 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund. Sie haben nun mal mit sechs und sieben Jahren nur geringe Deutschkenntnisse. Da muss man sich fragen, warum. Bevor wir diese Don Quijote-Arbeit leisten - wie kriegen wir eine gesunde Mischung zusammen oder wie kriegen wir eine gesunde Gesellschaft oder einen gesunden Stadtteil -, wäre der erste Punkt, was die Mehrheitsgesellschaft betrifft, dass wir ein Stadtteil sind, der so ist, wie er ist, dass wir diese Entwicklung akzeptieren, und erst dann sehen, wie können wir was verhindern. Die Frage müsste lauten: Wie können wir das vorhandene Potenzial ausnutzen?

Zur Migrantenselbstorganisation. Es ist selbstverständlich, dass die Kirchen ihre Ressourcen einbringen, das ist auch gut so. Es ist aber noch nicht selbstverständlich, dass auch Moschee-Vereine ihre Ressourcen einbringen, weil sofort die Frage kommt, was ist das für eine Moschee, woher kommen sie, welchen Hintergrund haben sie, werden sie auch vom Verfassungsschutz beobachtet, mit wem arbeite ich zusammen, mit wem arbeite ich nicht zusammen. Da setzt Lohberg wirklich ein und sagt, es gibt einen Konsens im Stadtteil, nämlich eine Zielrichtung: Auch wenn das nicht genau im Programm festgelegt ist, arbeiten alle Vereine ohne Differenz hier zusammen, und alle Stadtteile setzen ohne politische oder religiöse Hintergründe ihre Ressourcen, ihre Kräfte, ihr Know-how für den Stadtteil ein. Da sehen wir zumindest, was Zivilgesellschaft leisten kann, und es kann diese Gesellschaft auch nicht alles leisten, das sehen wir in Dinslaken-Lohberg schon.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Herr Rommelfanger, Sie haben für Gelsenkirchen ein ziemlich austariertes System, Quartiersmanagement, Verknüpfung mit Stadtverwaltung usw., dargestellt, das schon seit Jahren arbeitet. Da stellt sich ja vielleicht auch die Frage: Lässt sich das alles weiter halten, wenn bestimmte Förderkontingente nicht mehr laufen? Wie agieren Sie, haben Sie da schon irgendwelche Überlegungen, Lösungsansätze und anderes parat?

Stefan Rommelfanger

Ja, in der Tat ist das so, dass unser Programm im Jahr 2004 - so haben wir das mit dem Land vereinbart - aus der Sonderförderung heraus kommt, dann sind wir zehn Jahre im Landesprogramm gewesen und insgesamt etwa vier Jahre im Programm Soziale Stadt. Wir denken, dass dann die städtebauliche Erneuerung weitgehend abgeschlossen ist. Natürlich gibt es noch weiterhin Dinge, die man noch mal erneuern kann. Aber wir sehen es so, dass nach wie vor in den Problemquartieren soziale Probleme zurückbleiben, um die man sich weiterhin sehr intensiv kümmern muss. Da ist ein Ansatz eben dieser stärkere Gebietsbezug und die Vernetzung auch der städtischen Dienste mit den sozialen Diensten, das halten wir für wichtig.

Eine weitere Perspektive sehe ich persönlich in den Einrichtungen des Stadtteils, die über die Stadtteilarbeit ein anderes Profil bekommen haben. Die Gesamtschule ist vielleicht das herausragende Beispiel einer Stadtteilschule, die auch Begegnungsstätte ist. Aber wir haben das an verschiedenen anderen Stellen auch gemacht. Das Jugendamt der Stadt hat die Kindergärten geöffnet. Das ist ein ziemlich einzigartiges Projekt, bei dem über die normale Öffnungszeit hinaus auch die Räume an ganz normale Bewohner aus dem Umfeld zur Verfügung gestellt wurden; dort liefen dann plötzlich Seniorenskatclubs. Es wurden Gesundheitskurse gemacht, kleine Nachbarschaftsfeste, sodass diese Einrichtungen nach dem Stadtteilprogramm ein anderes Profil haben und auch einen Teil der Identitätsbildung und der Schaffung eines Zusammenhalts übernehmen. Für die Stadtverwaltung stellt sich natürlich die Frage, was mit dem Stadtteilmanagement passiert. Da gibt es jetzt eine Diskussion darüber, dass es eigentlich weiterhin eine Begleitung geben muss, eine Art Nachsorge. Der Jugendkulturbildungsdezernent und der Stadtbaurat haben sich überlegt, nach Auslaufen der Sonderförderung aus städtischen Mitteln dieses Stadtteilmanagement aus Eigenmitteln auf niedrigerem personellem und finanziellem Niveau weiterzuführen. Das wird angedockt an eine Anlaufstelle der Arbeiterwohlfahrt im Quartier, sodass dann weiterhin jemand da ist, der die Aktivitäten bündelt, anschiebt, der in die Verwaltung wirkt.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Ich würde gern noch mal die Frage, die ich auch Herrn Metzler gestellt hatte, in Sachen Ressourcen, Mobilisierung durch die Schule, Kita an Sie richten. Das ist ja ein Baustein für die generelle Öffnung der sozialen Infrastruktureinrichtungen, um neue Formen der Vernetzung und der Dienstleistung im Stadtteil zu haben. Dies wird nicht ohne Mehraufwand abgehen. Deshalb an Sie die Frage: Wie ist das abgedeckt, soll das perspektivisch auch mit anderen Einrichtungen gemacht werden? Und wie wird der Mehraufwand politisch vermittelt?

Stefan Rommelfanger

Natürlich gibt es diesen Aufwand, aber er ist relativ gering. Es sind kleine Beträge, keine Dauerstellen, keine vollen Stellen, die über Jahre finanziert werden. Das sind mal Honorare, mal Materialkosten. Wir haben einen Gerätepool angeschafft.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Ich meinte nicht das Quartiersmanagement.

Stefan Rommelfanger

Nein, ich rede jetzt nicht vom Quartiersmanagement, sondern von den Kindertagesstätten. Es gibt einen politischen Konsens, dass diese Projekte für die Stadtteile wichtig sind. Das ist auch schon auf andere Stadtteile in der Stadt übertragen worden. Es ist ein gewisser Mehraufwand, aber sehr viel trägt sich auch selbst, weil die Bewohner vieles selber in die Hand nehmen, Angebote konzipieren und Räume verwalten.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Ich denke, das ist ein wichtiger Punkt. In dem Bericht des Difu, der Ihnen vorliegt, ist die Frage der politischen Unterstützung als ein zwar nicht durchgängiger, aber doch erkennbarer Knackpunkt identifiziert worden. Dies muss in der Perspektive verstärkt werden, so wie es bei Ihnen offenbar schon auf bestem Wege ist.

Ich blicke noch mal in Richtung Hamburg: Gibt es Probleme und wie geht es weiter?

Sabine Tengeler

Wenn ich diesen Beitrag über Aktivierung und Motivierung höre, dann freue ich mich, einer sehr aufgeschlossenen Verwaltung gegenüber zu sitzen. Aber es läuft mir trotzdem kalt den Rücken runter, dass Bürger immer noch wahrgenommen werden als Leute, die man jetzt in Krisenzeiten, wo Staat und Verwaltung es nicht mehr alleine richten - ich provoziere jetzt mal ein bisschen -, aktivieren soll, ohne dass man die grundsätzlichen Rahmenbedingungen verändert. Bürger sind aktiv, sie versuchen, unter total schwierigen Umständen in solchen Stadtteilen halbwegs vernünftig zu leben, dafür muss man ziemlich aktiv sein.

Wir haben die Situation, dass eine soziale Wohnungsbaugesellschaft in Hamburg sagt: Das muss sich auch rechnen. Sie guckt aber gar nicht, ob sich Soziales rechnet, sondern konfrontiert jeden, der etwas will, mit der Frage: Kriegen wir das bezahlt? Und was mir so weh tut, ist diese Haltung. Statt zu sagen, da sind zwar Defizite, aber wir wollen die Potenziale erschließen. Es braucht eine andere Haltung. Wir sind zehn Jahre dafür ausgebildet worden, als Individuen zu helfen. Wir sind gefragt als Konsumenten, als Mieter, die pünktlich die Miete bezahlen. Und auf einmal heißt es jetzt: kümmert Euch um den Stadtteil! Jetzt macht mal, und hier sind wir, und wir haben sogar schon ein Stadtentwicklungskonzept, und nun lasst uns das Beste daraus machen! Ich kann ganz normale Bewohner verstehen, die dann ein bisschen misstrauisch sind und sagen: jetzt auf einmal soll ich, warum denn? Das wird für mich nicht besser.

Was mir ganz wichtig ist, wenn ich mir Zukunft vorstelle: Wir haben gestern von Reibungsverlusten gesprochen. Ein Profi im Stadtteilladen hat zum Beispiel ein frustrierendes Erlebnis, weil ein tolles Projekt geplant wird und dann doch etwas schief läuft und alles ein Jahr länger dauert. Für eine Nachbarschaft, für Bürger, die zu Hause ihre Kinder alleine gelassen haben, um abends in die Versammlung gehen zu können und ehrenamtlich Arbeit reinzustecken, ist das dann sehr frustrierend. Ich bin froh um jede Verwaltung, die versucht, den Zeitablauf mit Gesetzen und Verordnungen zu verkürzen. Ich weiß, wie schwer es ist, Sachen zeitnah zu verwirklichen, wenn Bürger sich engagieren. ES bedarf auch realistischer Rahmenbedingungen. Dabei sehe ich zweierlei als unheimlich wichtig an: dass Politik und Verwaltung bei sich selber eine andere Haltung unterstützen und sich wirklich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Aufgaben niemand alleine bewältigen kann, sondern alle Potenziale gebraucht werden. Jeder Bürger, auch wenn er erst mal stört, ist ein Potenzial, wenn er kommt und etwas will.

Das Zweite, was ich gelernt habe, ist: wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Wir haben in Lurup einen Projekthilfeplan, das Jobmobil, was auch im Film zu sehen war, das ist mit der neuen Regierung "gekippt". Wäre die alte Regierung dran geblieben, wäre es wahrscheinlich auch nicht besser gekommen. Die Arbeitsförderung kippt zurzeit weg. Dies war zwar eine Notlösung, wir haben es ja nicht freiwillig über den zweiten Arbeitsmarkt gemacht; es war aber die einzige Möglichkeit, jungen Leuten im Stadtteil Arbeit und Perspektive zu verschaffen. Wir haben gerade 100 000 Mark in neue Räume investiert, und jetzt heißt es: die Anleiterstellen werden gekürzt, und wir sollen für ein oder zwei Drittel des Gehalts bitteschön neue finden. Die nächsten Sozialhilfeempfänger, die da arbeiten, müssen erst einmal drei Monate weiter Sozialhilfe beziehen, und sie werden vielleicht auch zwangszugewiesen. So sehen die Bedingungen aus. Da sag ich mir doch als Bürgerin, die sich im Stadtteilbeirat mit Politikern und mit einem Quartiersentwickler wirklich vernünftige Gedanken gemacht hat: was passiert hier eigentlich?

Das letzte Beispiel: Wir haben als Bürgerinnen uns Gedanken darüber gemacht, was Mütter im Stadtteil an Begegnungsräumen brauchen, was Kinder im Stadtteil brauchen und was unsere Kindertagesstätten dazu beitragen können. Wir sind zu diesen hingegangen und haben gesagt: Zwei Jahre noch soziale Stadtteilentwicklung: das Quartiersentwicklungskonzept ist ein tolles Ziel, wenn wir Einrichtungen bedarfsgerecht weiterentwickeln. Habt Ihr Euch denn das überlegt? Ihr seht doch die Mütter jeden Tag, die heulend bei Euch sitzen, wenn die Kinder krank sind und sie trotzdem zur Arbeit müssen. Was habt Ihr dazu für Ideen, wie man das vielleicht positiv entwickeln kann? Und dann haben die uns angeguckt und gesagt: nächstes Kahr fällt eine weitere Kita weg, ehrlich gesagt, wir können die Kinder kaum noch verwahren, wir können unsere Aufgaben gar nicht mehr erfüllen. Das war ein einziges Gejammer, was ich einerseits auch verstehen kann, weil ganz viele Ressourcen gekürzt wurden. Auf der anderen Seite waren wir natürlich total enttäuscht und haben gesagt, wie sollen wir mit solchen Leuten einen kreativen Gedanken entwickeln?

Was mir dabei klar geworden ist: wenn man eine Ressource zu vergeben hat, etwas Positives, dann kann man Leute durchaus motivieren, auch über ihre Arbeit hinaus etwas zu tun. Aber wenn im Grunde über allem das Damoklesschwert der Kürzung schwebt, wird jede Einrichtung mit einem guten Draht zur Behörde und zur richtigen Partei doch nicht mit uns reden, sondern dahin gehen, wo entschieden wird: Ihr bleibt bestehen, Ihr kriegt Unterstützung, und die anderen kommen weg. Politik und Verwaltung können ziemlich viel dazu beitragen, solchen Gebieten Zusagen zu machen: Ihr bekommt die Million, das sind Eure Ressourcen; das ist das, was wir diesem Stadtteil geben können, das kürzen wir Euch nicht. Es gibt vielleicht auch noch für besondere Projekte etwas zusätzlich "obendrauf", und jetzt lasst uns wirklich einen Prozess anfangen! Das fängt dann richtig an, wenn geklärt ist, was man mit diesen Ressourcen unter diesen Bedingungen machen kann.

Das wäre für mich auch das, was weiter geht. Selbst wenn die Extramillionen des Programms nicht mehr da sind, wurde idealerweise die Zeit als Lernprozess genutzt und nach dem Grundsatz gehandelt: das Geld, das zu verteilen ist, wird auf eine faire Art und Weise verteilt. Es darf eben nicht heißen: Ihr dürft über die Kürzungen entscheiden. Damit macht man wirklich jedes Engagement und jede Motivation der Bewohnerinnen und Bewohner kaputt.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Herr Metzler, wovon träumen Sie?

Peter Metzler

Ich träume von mehreren Sachen. Gestern hat Herr Pfeiffer einige Träume laut werden lassen, die ich stellenweise auch teile. Ich halte auch eine ganze Menge davon, Schulen z.B. zu budgetieren, ihnen Haushalte an die Hand zu geben, die deutlich machen, dass Politik und Verwaltung nicht immer dort spart, wo es am leichtesten ist, nämlich am Kind - das geschieht ja generell.

Ich träume davon, dass es uns gelingt, die Resignation, die wir in Neu Zippendorf stellenweise spüren, in Mut umzuwandeln. Ich träume davon, dass wir versuchen, ein paar Motoren anzuwerfen in diesem Stadtteil, die trotz gestiegener Spritpreise dann unermüdlich weiterlaufen, die den anderen Kraft geben und die sich nicht klein kriegen lassen von den vielen verwaltungstechnischen Bürokratien, die stets und ständig mit jeder neuen Stadtregierung Rahmenbedingungen ändern. Wir wollen verlässliche Rahmenbedingungen, nach denen man sich ausrichten kann. Wir möchten Rahmenbedingungen, die uns unsere Möglichkeiten zeigen. Ich träume nicht davon, immer wieder den Schrei nach Geld zu hören, das ist ein heftiger Schrei. Ich denke, wir müssen uns irgendwann mal von dieser angeblichen Notwendigkeit lösen, dass ohne Geld gar nichts geht. Es geht eine ganze Menge auch ohne diesen schnöden Mammon, wenn man die Möglichkeiten bündelt, die da sind, und ein Netzwerk knüpft.

Als ich eben hörte, welche Prozentzahlen von Migranten in Hauptschulen und Sonderschulen sind, habe ich mich doch gewundert. Wir haben bei uns durchgesetzt, dass Schüler, die mit nichtdeutschen Sprachkenntnissen in die Schule kommen, ein halbes Jahr oder gar anderthalb Jahre intensiv Deutsch lernen, nur Deutsch lernen und nichts anderes machen. Sie sind in Klassen integriert. Der Lohn der Arbeit ist da. Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern eine sehr schwierige Realabschlussprüfung, ich bin Germanist und nehme die Prüfung im Fach Deutsch ab. Wir haben in den letzten fünf Jahren insgesamt 16 Mal die Note 1 vergeben, 16 Mal nur für Aussiedler, kein einziger Deutscher ist dabei. Das ist doch immerhin ein Zeichen, dass es funktioniert.

Ich träume davon, dass wir die vorhandenen Barrieren ganz einfach aufbrechen, dass wir stellenweise die "Bretter vor den Köpfen" wegkriegen, die zum Teil in Verwaltung und Politik vorhanden sind. Wenn dieser Traum in Erfüllung geht, dann wäre ich schon ganz glücklich. Aber ob ich das noch erlebe, weiß ich nicht; ich bin 49.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Frau Becker hatte ja das Stichwort "Ermutigung" in den Raum geworfen, das geben wir jetzt an Sie weiter. Damit bitte ich auch gleich Frau Becker, noch einmal aus ihrer Sicht ein Statement zu diesen Fragen, Hauptaufgaben, Perspektiven, zur zeitlichen Nachhaltigkeit und Stabilisierung von erreichten Aktivierungsprozessen beizusteuern.

Dr. Heidede Becker

Ich möchte mit etwas beginnen, das vorhin schon kurz angesprochen worden ist, nämlich mit dem, was die "Schreibtischmenschen" etwas spröde mit "Rückendeckung durch Verwaltung und Politik" bezeichnen. Hier liegt nach unserer Erfahrung ein ganz wesentlicher Punkt. Aber wie sieht das praktisch aus? Wir haben gerade sehr anschaulich geschildert bekommen, wo die "Pferdefüße" sind. Was Herr Löhr vorhin mit der "Abgabe von Macht" angesprochen hat, muss noch ergänzt werden um die Bereitschaft zum Lernen, um die Bereitschaft, auch anders zu kommunizieren und zu handeln, als man es bisher gewohnt ist. Das heißt, nicht in den alten Routinen stecken zu bleiben, sondern sich tatsächlich auf die neuen Situationen einzulassen, was teilweise durchaus schmerzhaft sein kann.

"Kommunikation" scheint mir ein Schlüsselbegriff zu sein, denn die Sprachschwierigkeiten und Verständigungsschwierigkeiten spielen sich ja nicht nur - teilweise ganz massiv - zwischen den beiden "Welten" ab, die Herr Friedmann vorhin dargestellt hat, der "Systemwelt" und der "Lebenswelt", sondern sie spielen sich auch in den professionellen Welten ab. Was wir so erleben an Verständigungsschwierigkeiten allein zwischen Jugendhilfe und Planung, das ist schon bemerkenswert. Auch da ist die Bereitschaft gefordert, sich stärker aufeinander einzulassen, um wirklich übergreifend arbeiten und sich verständlich machen zu können.

Mir fällt auch immer wieder auf, dass von den Anteilen der Haushalte mit Migrationshintergrund geredet wird. Das ist dann eine Zahl von 40 Prozent oder 60 Prozent in einzelnen Schulen, aber das heißt überhaupt nicht, dass das eine einheitliche Gruppe ist. Wir haben von Schulen gehört, in denen der Anteil der ausländischen Kinder sich aus 70 Ethnien zusammensetzt. Ich finde ganz wichtig, auch dies stärker zu beachten.

Nach unseren Erfahrungen in der bisherigen Begleitung des Programms müssen die Bemühungen um Aktivierung in den Gebieten verstärkt werden. Zwar sehe ich auch immer den Widerspruch, jemanden zu aktivieren, der in Wirklichkeit aktiv ist - Frau Tengeler sprach davon -, möglicherweise in einem anderen Verständnis; trotzdem aber geht es darum, gerade jene, die noch sprachlos sind, die sich zurückgezogen haben, zu erreichen und ihnen gegenüber die Bemühungen zu verstärken - ganz gezielt durch besondere Zuwendung, besondere Ansprache innerhalb ihrer Lebenswelt. Das Gleiche gilt für kulturell übergreifende Aktivitäten. Auch hier gibt es noch einen großen Nachholbedarf.

Stichwort "Begleitung des Prozesses" und vor allem auch "Nachsorge", Herr Rommelfanger sprach davon. Ich denke, was in Gelsenkirchen überlegt wird, ist besonders wichtig: nämlich auf anderem Niveau eine Art infrastrukturelles Rückgrat für die Gebiete langfristig - neben verlässlichen Rahmenbedingungen - zur Verfügung zu stellen. Auch Herr Nida-Rümelin erwähnte gestern, bezogen auf seine Münchner Stadtteil-Kulturbüros, dass es notwendig ist, Ansprechpartner und Orte bereit zu halten, durch die das Engagement der Bewohnerschaft eine Anlaufstelle hat. Er hat das bezogen auf Geschäftsführung und Ähnliches. Es geht ganz stark darum, von Anfang an diese Art von Rückgrat aufzubauen, sowohl hinsichtlich der personellen Infrastruktur, als auch die Materialien, Hilfsmittel und Arbeitsmittel betreffend. Wenn eine solche Unterstützung nicht verstärkt wird, können wir dem Anspruch nicht gerecht werden, der verbunden ist mit dem, was Klaus Selle gestern gesagt hat: dass diese Gebiete des Programms Soziale Stadt die Testfälle für die Zukunft der Stadt sind. Auch der Bundeskanzler hat vom "Testgelände" gesprochen. Es ist überaus wichtig, dass ein großes Engagement und eine große Unterstützung von allen in diese Quartiere hineingetragen werden.

Prof. Dr. Rudolf Schäfer

Obwohl wir hier sicher noch weiter diskutieren könnten, müssen wir jetzt die Runde beenden. Frau Becker hat im Grunde schon ein Fazit gezogen. Ich möchte nur noch einige Punkte ergänzen. Wichtig sollte für uns alle die schlichte Botschaft sein, dass wir es hier mit Gebieten zu tun haben, die durchschnittlich um das Zehnfache größer sind als klassische Sanierungsgebiete. Es sind eigentlich kleine Städte. Ich sage das, um noch einmal die Schwierigkeit der Aufgabe, deren Komplexität gerade unter dem Kernthema "Aktivierung", zu beleuchten.

Zweitens will ich noch einmal an die Thesen von Professor Friedmann ankoppeln. Es ist deutlich geworden, dass wir ein breites Spektrum in der Mischung der vier Elemente haben, die sich aus den Lebens- und Systemwelten dann jeweils koordinieren sollen. Wir brauchen diese Mischung. Wir können nicht die eine Seite gegen die andere ausspielen, das wäre fatal. Herr Metzler hat das sehr eindeutig am Beispiel Schwerin berichtet. Ohne die Systemwelt mit ihrer Stützung würde es in anderen Bereichen gar nicht laufen können.

Beim dritten Punkt knüpfe ich an das an, was Frau Becker eben sagte. Vor 30 Jahren etwa war das damalige Städtebauförderungsgesetz für die Gemeinden, die es anzuwenden hatten, auch so etwas wie ein Testlauf, der sich à la longue erwiesen hat als ein Lernexperiment für die gesamte Stadtverwaltung auf einem anderen Niveau mit anderen Stoßrichtungen. Nach dem, was gerade in der letzten Runde hier diskutiert wurde, den Anforderung an Politik und Verwaltung insgesamt, die von den Projekten ausgehen, muss man sagen, dass hier in der Tat ein Prozess angestoßen wird, der hoffentlich sehr bald von diesen Gebieten ausgehend in weitere Bereiche der Stadt übertragen wird. Im Grunde werden hier die Anforderungen an moderne und zukunftsweisende Verwaltung und Politik auf der kommunalen Ebene formuliert.


Quelle: Kongress Die Soziale Stadt - Zusammenhalt Sicherheit, Zukunft, Dokumentation der Veranstaltung am 7. und 8. Mai 2002 in Berlin, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, November 2002

Soziale Stadt © 2000-2007 Deutsches Institut für Urbanistik
Im Auftrag des BMVBS vertreten durch das BBR. Zuletzt geändert am 30.05.2005