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Klaus Wiesehügel,
Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen - Agrar - Umwelt
Es ist wichtig, dass die Stadt als öffentlicher Raum beiträgt zur Sicherung von Lebensqualität, Chancengleichheit, bezahlbarem Wohnraum, erreichbaren sozialen Einrichtungen sowie Entfaltung und Kommunikationsspielräumen über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg und quer vor allem durch alle Generationen. Das Programm Soziale Stadt nimmt auf dieses Ziel Bezug. Ressortübergreifende, integrative und partizipatorische Ansätze sollen gleichzeitig verfolgt werden. In dieser Allgemeinheit können wir als Industriegewerkschaft Bauen - Agrar - Umwelt dem Programm durchaus zustimmen, zumal wir bereits 1987 in unserem Programm "Arbeiten, wohnen und leben in sozialer und ökologischer Perspektive" einen ähnlichen Rahmen abgesteckt haben. Doch im Vergleich zu unserem Programm gibt es einige wesentliche Unterschiede. In der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit möchte ich dazu drei Thesen aufstellen:
Zu 1: Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger sind ein wesentliches Element demokratischer Entwicklung, sie können aber keinesfalls Investitionen ersetzen. Bürgerschaftliches Engagement ohne gesichertes Investitionsfundament bei einem gleichzeitigen Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau fügt sich leider bruchlos ein in eine neoliberale Auffassung von Eigenverantwortlichkeit, bei der die Schwachen immer wieder die Verlierer sind. Ob so Sozialmilieus zu festigen und nachbarschaftliche Netzwerke zu organisieren sind, ist durchaus zweifelhaft. Eine von Professor Häußermann vorgelegte Untersuchung zum Thema Stadterneuerung, die auf einer aufwendigen Bewohnerbefragung in zwei Gebieten im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg beruht, kommt zu einem anderen Ergebnis. Obwohl ausreichende Instrumente gegen Luxussanierung und unkontrollierte Mieterhöhung zur Verfügung stehen, müssen sie von den Mietern erst einmal gegen die Eigentümer durchgesetzt werden. In der Untersuchung heißt es, die Mieter seien als Laien mit Eigentümern konfrontiert, die mit der ganzen Kraft des professionellen Akteurs ihre Ziele verfolgen. Ob und unter welchen Bedingungen die Mieter in ihren Wohnungen bleiben, hängt von der sozialen und kulturellen Fähigkeit ab, die sie mobilisieren können. Auf den Punkt gebracht: Studenten und Hochschulabsolventen tun sich in den verhandlungsorientierten Sanierungsverfahren erheblich leichter, ihre Interessen durchzusetzen, andere werden dafür verdrängt. Dieser Prozess wird gerade dann verstärkt, wenn der Wohnungsneubau an Bedeutung verliert. Wenn Selbsthilfe so zum Selbstzweck wird, wird der sozialen Stadt ein Bärendienst erwiesen. Zu 2: Der Rückzug des Bundes aus seiner wirtschaftlichen und sozialpolitischen Verantwortung zwingt die Kommunen in die Rolle des Sozialstaates in der Reserve, jedoch ohne die dafür gesicherten finanziellen Spielräume zu haben. Ein Blick auf die Entwicklung der kommunalen Investitionstätigkeit zeigt, dass in den letzten zehn Jahren die kommunale Investition um ein Drittel auf 22,6 Milliarden Euro gefallen ist. In Ostdeutschland ist dies noch gravierender, hier haben sich die kommunalen Investitionen halbiert. Im Vergleich zum Westen liegt das Steueraufkommen bei 40 bis 60 Prozent bei gleichzeitig erheblichem Nachholbedarf in der Infrastruktur. Insofern ist es unverzichtbar, über den Solidarpakt 2 in den neuen Ländern einen entsprechend gesicherten Investitionsrahmen abzustecken. Wenn schon Leistungen auf die kommunale Ebene verlagert werden, was im Interesse von Bürgernähe durchaus sinnvoll sein kann, dann muss dafür auch das Geld bereitgestellt werden. Politische Mitbestimmung muss mit einer Reform der Gemeindefinanzen Hand in Hand gehen. Dies ist, wie wir gehört haben, ja auch angekündigt. Zu 3: Beteiligungsprozesse werden auch auf einer anderen Perspektive konterkariert, nämlich dann, wenn auf der kommunalen Ebene wirtschaftliche Interessen in Korruption münden. Neben dem Verlust der politischen Glaubwürdigkeit kommt es so zur Fehlleitung knapper finanzieller Ressourcen und zu einer dramatischen Verzerrung des Wettbewerbs auf den lokalen Märkten. Sicherlich ist die Liberalisierung auf dem europäischen Binnenmarkt nicht umkehrbar, doch sie braucht eindeutig Regeln. Dies gilt z.B. für den europaweiten Verkehrsmarkt, auf dem nicht nur die Preise, sondern auch Qualität und Tariflöhne eine Rolle spielen müssen. Der Wettbewerb darf hier nicht dazu führen, dass das Gemeinwohl und die sozialen Kriterien auf der Strecke bleiben. Die Kommunen müssen auch in Zukunft in der Lage sein, ihren öffentlichen Auftrag wahrzunehmen, und frei darüber entscheiden können, ob sie mit eigenen Unternehmen antreten, private Anbieter einschalten oder nach Formen gemeinsamer Beteiligung suchen. Dies gilt natürlich auch für die Bauwirtschaft. Die Wettbewerbsverzerrung hat für die Unternehmen und vor allem für die Arbeitnehmer mittlerweile dramatische Konsequenzen. Natürlich will ich nicht verkennen, dass viele Bauunternehmer selbst ihren aktiven Part bei Lohndumping, illegaler Beschäftigung und Korruption gespielt haben und immer noch spielen. Aber wenn gleichzeitig die Investitionshaushalte beschnitten werden, die Baunachfrage z.B. im sozialen Wohnungsbau drastisch sinkt, wird die gegenwärtige Praxis der Vergabe sowohl sozial als auch wirtschaftlich zum Sprengsatz. Derjenige, der die Baupreise bei der Vergabe radikal drückt, fühlt sich nicht verantwortlich für die auskömmlichen Preise, die in Form von unendlichen Subunternehmerketten und als Sozialdumping an die Arbeitnehmer weitergegeben werden. Er fühlt sich nicht verantwortlich für die mangelhafte Qualität, die oft zu erheblichen Auseinandersetzungen in der Gewährleistungsphase und darüber hinaus führt und sich zudem in hohen Betriebskosten niederschlägt. Es fühlt sich auch keiner verantwortlich für den im Umfeld von Sozialdumping entstehenden illegalen Sumpf, dessen Austrocknung schließlich als Aufgabe von Polizei und Staatsgewalt gesehen wird. Es fühlt sich ebenso niemand verantwortlich für die vernichteten Arbeitsplätze: Dies sei schließlich Aufgabe des Arbeitsamtes. Und die ganz Dreisten sehen das Ganze natürlich auch noch als Schuld der Gewerkschaft an. "Meine" Organisation, die IG Bauen - Agrar - Umwelt, kämpft seit mehr als zehn Jahren gegen diesen Prozess der organisierten Verantwortungslosigkeit. Ich bin froh, dass wir nun endlich im Bundestag ein Gesetz gemacht haben, und ich hoffe, dass die Mehrheit der Länder dies auch so sieht. Es ist schon eine Irrationalität ohnegleichen, wenn durch die Vergabepraxis der Arbeitsplatzvernichtung am Bau im großen Stil Vorschub geleistet wird und an anderer Stelle in kleinen Sozialprojekten versucht wird, mühsam einige Arbeitsplätze in Nischenbereichen zu initiieren, während gleichzeitig Hunderttausende von Arbeitsplätzen wegfallen. Deshalb sage ich klipp und klar: Die soziale Stadt braucht Regeln, denn sonst hat jede Arbeitsbeschaffungsmaßnahme lediglich Alibicharakter und jedes Langzeitarbeitslosenprojekt kommt zum Erliegen. Mein Fazit: Wir sagen ja zum Programm Soziale Stadt, wenn soziale Milieus gefestigt werden, wenn Bürgerbeteiligung nicht zur Verdrängung führt, wenn für den sozialen Auftrag die Investitionsmittel der Kommunen gesichert werden und wenn Investitionsentscheidungen auch unter dem Gesichtspunkt der beschäftigungspolitischen Verantwortung getroffen werden. |
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Quelle: Kongress Die Soziale Stadt - Zusammenhalt Sicherheit, Zukunft, Dokumentation der Veranstaltung am 7. und 8. Mai 2002 in Berlin, Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, November 2002 |