soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"

Integrativ, kooperativ, aktivierend und umsetzungs- orientiert - Konzepte und Verfahren für die "Soziale Stadt"

Prof. Dr. Erika Spiegel, Heidelberg


Zum Thema
Die "Soziale Stadt" zwischen Staat und Gesellschaft
Integrierte Handlungskonzepte
   Handlungsebenen
   Stadtteil
   Ergänzungsgebiete
   Gesamtstadt
   Handlungsfelder
   Arbeit und Ausbildung
   Schulen
   Kultur und Soziales
   Organisationsstrukturen und Verfahrensabläufe
   Die solidarische Stadt
Quellen


Zum Thema

Die "Impulskongresse" im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" sollen, so sieht es die Programmbegleitung vor, in erster Linie so genannte best practices bekannt machen und diskutieren, besonders erfolgreiche und nachahmenswerte Beispiele also, die bei der Konzeption und Realisierung eigener Projekte hilfreich sein können. Die diesbezüglichen "Erfahrungen aus der Praxis" sind aber erst Gegenstand der Podiums- und Plenumsdiskussion heute Nachmittag und, vor allem, des anschließenden Erfahrungsaustauschs in den Arbeitsgruppen. Ich wünschte, ich wüsste schon, was dort gesagt wird. Ich habe mich zwar in einigen Modellgebieten "vor Ort" umgesehen, kenne auch eine Reihe von Zwischenberichten und, nicht zuletzt, zahlreiche ältere "Problemgebiete", die in das Programm aufgenommen worden sind. Dies ist aber sicher nicht genug. Trotzdem ist mir bei allen Unterschieden zwischen den Gebieten schon eines deutlich geworden, nämlich dass viele von ihnen es trotz aller Hilfen durch das Programm schwer haben werden, die "endogenen Potenziale" zu mobilisieren, die Voraussetzung für eine "selbsttragende" Entwicklung sind.

Ich möchte daher mein Thema dahingehend verstehen, dass ich das Verständnis der Begriffe "integrativ" und "integrierend", die tragende Elemente der Handlungskonzepte sind, die die Entwicklung der Gebiete fördern sollen, etwas erweitere, und zwar in zweierlei Hinsicht:

Dabei brauche ich sicher nicht zu betonen, dass ich mit dieser Erweiterung meines Themas keine Kritik am derzeitigen Konzept und der derzeitigen Ausgestaltung des Programms "Soziale Stadt" verbinde, am allerwenigsten an den drei konstitutiven Schwerpunkten des Programms, nämlich

Auf nichts davon kann verzichtet werden, wenn den Gebieten umfassend und dauerhaft geholfen werden soll. Das Programm heißt aber nicht umsonst "Soziale Stadt" und nicht "Sozialer Stadtteil", oft ist sogar von "Solidarischer Stadt" die Rede. Und auch wenn von einer "Ausgrenzung" benachteiligter Stadtteile gesprochen wird, so setzt dies ja voraus, dass es diesseits der ausgegrenzten Stadtteile auch noch eine andere Stadt gibt, wie aktiv oder passiv auch immer diese an der Ausgrenzung beteiligt war. Will man also dieser Ausgrenzung nicht noch unwillentlich Vorschub leisten, so darf man die benachteiligten Gebiete nicht vorzugsweise auf sich selbst verweisen, auf ihre lokalen Potenziale, Akteure, Ökonomien, Milieus usw., sondern muss auch die überlokalen Potenziale, Akteure, Ökonomien, Milieus usw. einbeziehen, die mit dem größeren Teil der Bevölkerung auch über den größeren Teil der finanziellen und personellen Ressourcen verfügen, die die Stadt zu einer "Sozialen Stadt" machen können. Die Stadt ist also gefragt, nicht nur der Stadtteil.

Diese Forderung ist im Übrigen nicht neu. Schon kurz nach der Auflage des Programm wurde auf die Notwendigkeit verwiesen, quartiersbezogene Strategien durch gesamtstädtische zu ergänzen (Becker/Löhr 2000), und auch die Organisationsschemata altgedienter Erneuerungsvorhaben, etwa hier im Ruhrgebiet, verweisen regelmäßig auf die Beteiligung und Verantwortung gesamtstädtischer, teilweise sogar regionaler Akteure. Schließlich ist auch eine der Arbeitsgruppen des heutigen Nachmittags dem Thema "Einbindung der Integrierten Handlungskonzepte in gesamtstädtische Entwicklungskonzepte" gewidmet. Umso mehr scheint es daher angebracht, gerade dieses Thema hier zum Gegenstand zuerst einiger grundsätzlicherer, dann einiger praxisbezogener ÜberleÜberlegungen zu machen, die zunächst von der Positionierung des Programms zwischen Staat und Gesellschaft ausgehen.


Die "Soziale Stadt" zwischen Staat und Gesellschaft

Es lässt sich nicht übersehen, dass das Programm - auch darauf wurde bereits hingewiesen (Franke/Löhr/Sander 2000) - nach Konzept und Ausgestaltung ein gewandeltes Verhältnis, auch eine gewandelte Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft voraussetzt, wobei diese gewandelte Aufgabenverteilung nicht nur die genuin staatliche, sondern auch die kommunale Ebene betrifft. Dies zeigt schon jeder Vergleich mit klassischen Sanierungsprogrammen, die nicht nur staatlich initiiert, gefördert und gesteuert, sondern auch weitgehend in staatlicher Regie durchgeführt wurden. Das Programm "Soziale Stadt" und seine Vorläufer auf Länderebene hingegen wurden und werden zwar auch staatlich initiiert, gefördert, in gewissem Ausmaß auch gesteuert, im Übrigen aber weitgehend den treuen Händen der Gesellschaft überlassen. Der Staat führt nicht mehr Regie, sondern weckt, aktiviert, motiviert, sorgt für Kommunikation und Kooperation, möglichst auch für Konsens, verlässt sich aber sonst auf die endogenen Potenziale der Gesellschaft.

Dieser Wandel des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft ist sicher zum einen der Finanznot der öffentlichen Hände zuzuschreiben. Er geht aber darüber hinaus, ist auch schon älter. Bereits gegen Ende der 70er-Jahre wurde nicht nur in der Politikwissenschaft von einer "Krise regulativer Politik" gesprochen (unter anderen Mayntz 1979), damals vor allem im Zusammenhang mit der gewachsenen Zahl und zunehmenden Differenzierung der bei allen politischen Entscheidungen zu berücksichtigenden Sachverhalte und Interessen, die sich nur noch schwer in eine regulative gesamtstaatliche Politik einbinden ließen. 1992 wurde dann schon die "Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des 20. Jahrhunderts" zur Diskussion gestellt (Scharpf 1992). Im Wesentlichen ging es dabei stets um eine Abgabe staatlicher Steuerungsfunktionen an gesellschaftliche Institutionen, denen gegenüber der Staat selbst nur noch als ein Verhandlungspartner unter mehreren auftritt, darüber hinaus aber nur als Koordinator gesellschaftlicher Akteure und Prozesse mit begrenztem Sanktionspotenzial. Von daher entspricht es also durchaus einer diesem Wandel inhärenten Logik, wenn auch bei Programmen wie der "Sozialen Stadt" dem Staat weniger eine aktive als eine aktivierende, weniger eine handelnde als eine verhandelnde, weniger eine dirigierende als eine moderierende Rolle zugewiesen wird, die eigentliche Aufgabenerfüllung aber (zivil)gesellschaftlichen Akteuren überlassen bleibt.

In welcher ihrer Strukturen, Organisationsformen und Akteurskonstellationen aber tritt "die" Gesellschaft in diesem Zusammenhang dem Staat gegenüber? Zunächst sicher in Form der so genannten gesellschaftlichen Gruppen, die schon lange als legitime Vertreter gesellschaftlicher Interessen anerkannt und daher auch bei der Vorbereitung aller Gesetze, Verordnungen, Programme gehört werden, den großen Verbänden und Korporationen also, in unserem Falle vornehmlich den Vertreterinnen und Vertretern der Wohnungswirtschaft, der Eigentümer und Mieter, des Einzelhandels, des Handwerks, der Gastronomie, im Hinblick auf die sozialen Zielsetzungen auch der großen Wohlfahrtsverbände, die denn auch immer wieder genannt werden, wenn im Programm von "lokalen Akteuren" die Rede ist, deren Potenziale aktiviert, gebündelt, koordiniert oder auch "gemanagt" werden sollen.

Darüber hinaus sind aber schon seit Beginn der ersten großen Sanierungsvorhaben gerade auf der lokalen Ebene auch zahlreiche Bürgerinitiativen und Bürgergruppen im doppelten Sinne des Wortes "gesellschaftsfähig" geworden, die sich zunächst vor allem solcher Themen annahmen, die nicht in das Interessenspektrum der etablierten Verbände passten, den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst aber tagtäglich auf den Nägeln brannten: der Instandhaltung und Modernisierung ihrer Wohnungen, der meist damit verbundenen Mieterhöhungen, der unzureichenden Kinderspielplätze, des nutzlosen Abstandsgrüns, der Park- und Verkehrsprobleme usw.

Ist dies aber alles? Erschöpft sich Gesellschaft als Verhandlungspartner des Staates einerseits in Großorganisationen, andererseits in lokalen Initiativen, so unverzichtbar diese sind? Jeder Versuch einer Antwort muss sich zunächst mit einem merkwürdigen Widerspruch auseinander setzen, einer Diskrepanz zwischen dem doch offenbar großen Vertrauen in die Einsatzbereitschaft und Organisationsfähigkeit der Gesellschaftsmitglieder als "mündiger" Bürgerinnen und Bürger, ohne die eine Übernahme staatlicher Funktionen nicht einmal gedacht, geschweige denn realisiert werden kann, und dem Mangel an Gemeinsinn, Engagement, Zusammengehörigkeitsgefühl, der den gleichen Gesellschaftsmitgliedern zur gleichen Zeit vorgeworfen wird. Auch die zweifellos vorhandenen und allen modernen Gesellschaften innewohnenden Individualisierungstendenzen werden oft genug nur dahingehend ausgelegt, dass damit notwendig ein Verlust an Gemeinschaftsbewusstsein und Verantwortungsbereitschaft für andere, wenn nicht eine Erosion des Sozialen schlechthin verbunden sei. Von dort bis zu einem "Zerfall" der Gesellschaft ist es dann nicht weit.

Als vor einigen Jahren, 1997, unter dem bezeichnenden Obertitel "Bundesrepublik Deutschland: Von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft" (Heitmeyer 1997) zwei Suhrkamp-Bände erschienen, hatte der erste, mit dem Titel "Was treibt die Gesellschaft auseinander?" 654 Seiten, der zweite, mit dem Titel "Was hält die Gesellschaft zusammen?"484 Seiten, und auch von diesen entfielen noch 72 Seiten auf einen Abschnitt "Desintegrationspotentiale", beides durchaus in Übereinstimmung mit der auch diesem Band vorangestellten skeptischen Frage: "Sind individualisierte und ethnisch-kulturell vielfältige Gesellschaften noch integrierbar?" Immerhin findet sich in einem der Beiträge dann doch der Hinweis, dass nicht nur die traditionellen, lokal fest verbundenen Solidargemeinschaften wie Familie und Nachbarschaft, sondern auch andere, modernere Formen der Vergesellschaftung, vor allem soziale Netzwerke, nicht nur persönliche Nähe und Intimität, sondern auch uneigennützige Hilfe und Beistand, also nichts Geringeres als Solidarität vermitteln. Und dass dies auch und gerade für die Großstädte gelte, deren Bewohner im Durchschnitt sogar vielfältigere Kontakte zu Freunden, Arbeitskollegen, Angehörigen anderer gesellschaftlicher Gruppen hätten als Nicht-Städter oder auch als ihre eigene Vorläufergeneration (Keupp 1997, S. 302). Voraussetzung sei allerdings auch hier ein Ausmaß an sozialer Kompetenz, das wohl vorerst nur bei höherem Bildungsniveau zu erwarten sei.

Trotzdem gibt es auch heute schon genug überzeugende Belege für diesen neuen Typ von Solidarität. Der Verein "Lebenshilfe" etwa kann auf 540 Orts- und Kreisgruppen mit 130 000 ehrenamtlich tätigen Mitgliedern zurückgreifen, die erst 1993 gegründeten "Tafeln", die unter anderem in Super- oder Großmärkten Lebensmittel sammeln und an Bedürftige weiterleiten, auf 155 Ortsgruppen mit 4 600 ebenfalls ehrenamtlich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nicht zahlenmäßig erfasst, auch kaum so erfassbar sind die ungezählten Selbsthilfegruppen, die ihren Mitgliedern praktische Hilfe und seelischen Beistand bei allen nur denkbaren Schicksalsschlägen, bei physischen und psychischen Krankheiten, bei Ehe- und Erziehungsproblemen, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Kontakt- und Beziehungsschwierigkeiten versprechen, die von den Eltern selbst betriebenen Kinderläden, die sich dieser oder jener Pädagogik verschrieben haben, die Frauen-, Mütter- und Seniorengruppen, die Geschichts-, Kultur- und Zukunftswerkstätten, die Freunde und Förderer dieses oder jenes Natur- oder Kulturdenkmals, dieses oder jenes Entwicklungshilfeprojekts, von UNICEF, Greenpeace, Amnesty International oder "Ärzte ohne Grenzen" ganz zu schweigen. Sämtlich verlangen sie ihren Mitgliedern einiges an finanziellen und zeitlichen Opfern ab, auch an Einsatz für und Rücksichtnahme auf andere.

Sämtlich beruhen diese neuen Formen der Vergesellschaftung aber auf zwei Voraussetzungen, die sie von den meisten traditionellen Formen der Vergesellschaftung unterscheiden, die aber für die strukturelle Kohärenz und die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften unverzichtbar sind:


Integrierte Handlungskonzepte

Geht man von der spezifischen Positionierung des Programms "Soziale Stadt" zwischen Staat und Gesellschaft aus, so ergeben sich daraus Konsequenzen sowohl für Art und Zahl der einzelnen Handlungsebenen wie für die Ausgestaltung der Handlungsfelder.


Handlungsebenen

Dabei bestätigt sich zunächst die Notwendigkeit einer Erweiterung der Programmgebiete durch funktional und räumlich mit ihnen verbundene Nachbargebiete, die ich hier als Ergänzungsgebiete bezeichnen will. Zahl und Umfang dieser Ergänzungsgebiete dürften nach Größe, Lage und Beschaffenheit der Programmgebiete variieren, in jedem Falle aber durch das ihnen innewohnende Unterstützungspotenzial zu bestimmen sein. Fast noch mehr aber bestätigt sich auch die Notwendigkeit einer Einbeziehung der Programmgebiete in eine gesamtstädtische Entwicklungsplanung, die, ebenfalls fach- und ressortübergreifend organisiert, auf ihre langfristige Konsolidierung angelegt sein muss. Selbst bei einer Mindestlaufzeit des Programms "Soziale Stadt" von acht bis zehn Jahren, wie sie angesichts der langen Problemgeschichte der meisten Gebiete unerlässlich scheint, müssen ja beizeiten Auffangpositionen gebildet werden. Insgesamt stehen also drei Handlungsebenen zur Diskussion:


Stadtteil

Dabei kommt ohne Zweifel dem Stadtteil selbst die größte Bedeutung zu, und zwar nicht nur deswegen, weil eine parzellenscharfe Abgrenzung der Programmgebiete in der Regel Voraussetzung für den Einsatz von Städtebauförderungsmitteln ist. Auch die Einzugs- oder Versorgungsgebiete der meisten Schulen, Gesundheits- und anderer Einrichtungen der sozialen Infrastruktur sind im Allgemeinen gebietsbezogen dimensioniert und lokalisiert. Nicht zuletzt weisen die langjährigen Erfahrungen der Gebietsbetreuung darauf hin, dass der physische und psychische Aktionsradius gerade der Bewohnerinnen und Bewohner, die am ehesten Hilfe benötigen, räumlich außerordentlich begrenzt ist. Für den, der mit Mühe den Hauptschulabschluss erreicht hat, liegt schon eine Lehrstelle am entgegengesetzten Ende der Stadt auf einem anderen Stern. Aber auch andere, sonst durchaus mobile Bewohnerinnen und Bewohner sind desto eher für Stadtteilbelange zu interessieren, je mehr man sie inmitten ihres unmittelbaren Wohnumfelds anspricht. Es soll Stadtteilforen geben, die sich jedes Mal an einem anderen Ort treffen, weil nur so eine möglichst breite Teilnahme der Bewohnerinnen und Bewohner gewährleistet ist.

Hinzu kommt, dass viele Programmgebiete auch in sich heterogen sind. Fast überall gibt es Straßenzüge, Blocks, Gebäudegruppen, deren sozialräumliche Segregation noch größer ist als die der Gebiete insgesamt, sei es aufgrund einer Randlage, sei es aufgrund eines lange vernachlässigten Wohnungsbestands, sei es aufgrund einer Belegungspolitik, die zunächst nur die Unterbringung von Dringlichkeitsfällen im Auge hatte. Solange den Bewohnerinnen und Bewohnern solcher Teilgebiete nicht gezielt Wohnungen in anderen Stadtteilen angeboten werden können - oder sie einen Fortzug ablehnen -, ist und bleibt hier der Stadtteil die nächstliegende Integrationsebene.

Nur auf der Ebene der Stadtteile ist aber auch der baulich-räumlichen Ausgrenzung entgegenzuwirken, durch die vor allem periphere Neubaugebiete häufig geprägt sind, sei es durch die periphere Lage als solche, sei es durch die Trennwirkung viel befahrener Straßen, Eisenbahntrassen, Wasserläufe, Industriebrachen, sei es schließlich durch besondere Gebäudeformen wie Hochhäuser, Laubenganghäuser, Schlichtwohnungen, die sich bei der städtischen Bevölkerung keines besonders positiven Images erfreuen. Nicht nur von Obdachlosensiedlungen ist bekannt, wie sehr eine solche Häufung negativ beurteilter Merkmale objektiv wie subjektiv zur Diskriminierung der Bewohnerschaft beiträgt. Insofern geht es neben der Aufwertung der Gebiete als solcher stets auch um den Abbau etwa vorhandener materieller und ideeller Barrieren, um die Schaffung möglichst zahlreicher gleitender Übergänge, baulich-räumlicher ebenso wie funktionaler.


Ergänzungsgebiete

Auch wenn es sich hier nicht um besonders benachteiligte Gebiete handeln würde - kein Stadtteil ist heute aus sich heraus lebensfähig. Dies gilt nicht nur für die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des mittelfristigen, oft schon des kurzfristigen Bedarfs, es gilt auch für die Versorgung mit weiterführenden Schulen, mit Arbeits- und Ausbildungsplätzen, mit sozialer und kultureller Infrastruktur. Und es gilt erst recht für die Neubaugebiete am Stadtrand, die zwar auch, aber keineswegs nur wegen ihrer Monostrukturen auf eine funktionale Ergänzung durch benachbarte Gebiete angewiesen sind. Wo kleinere Programmgebiete in größere Stadtteile eingebettet und Schulbezirke oder Kirchensprengel gebietsübergreifend zugeschnitten sind, haben sich entsprechende Kooperationsbeziehungen oft auch schon etabliert. Welche Ergänzungsgebiete sonst dafür in Frage kommen und wie die Kooperationsbeziehungen im Einzelnen ausgestaltet werden, wird sich nur von Fall zu Fall entscheiden lassen. Sie sollten sich jedoch nicht nur auf freundliche Absichtserklärungen beschränken, sondern auch institutionell abgesichert sein.


Gesamtstadt

Die gesamtstädtische Ebene kommt zurzeit vor allem im wohnungspolitischen Bereich ins Blickfeld. Fast überall wird versucht, durch eine gezielte Wohnungsvergabepolitik zu einer gleichmäßigeren räumlichen Verteilung benachteiligter Bevölkerungsgruppen, wie sie sich sonst in Problemgebieten konzentrieren, beizutragen, sei es durch Verzicht auf oder Tausch von Belegungsrechten, durch Aussetzen der Fehlbelegungsabgabe oder durch die Förderung von Wohneigentum. Diese Maßnahmen sind jedoch selten in eine gesamtstädtische Perspektive integriert. Ähnliches gilt für die sozialpolitischen Ziele des Programms. Die meisten Stadtentwicklungsprogramme und -konzepte enthalten zwar neben Aussagen zu einer langfristigen Flächennutzungs- und Standortplanung auch Aussagen zur Bewältigung des allerorts präsenten Strukturwandels, insbesondere zu einer diesbezüglichen Wirtschafts- , Beschäftigungs- und Bildungspolitik, manchmal, wie in München, auch zu einer gezielten Entwicklung sowohl des "Sozialraums Stadt" insgesamt wie der Stadtteile als wichtigster sozialer Handlungs- und Erfahrungsebene. Diese Aussagen werden aber selten explizit auch auf die Problemgebiete bezogen, noch seltener zu einem eigenen Programmpunkt zusammengefasst, der den "besonderen Entwicklungsbedarf" dieser Gebiete spezifizieren, ihre Entwicklungsdefizite, Entwicklungspotenziale und Entwicklungsziele benennen und auf dieser Basis eine längerfristige Funktionszuweisung innerhalb des Stadtganzen vornehmen würde.


Handlungsfelder

In Bezug auf eine Ergänzung der Handlungsfelder möchte ich, wie es auch in den meisten Erfahrungsberichten und Handlungskonzepten geschieht, der integrativen Funktion der Arbeits- und Ausbildungsstätten und der Schulen, einschließlich der sich daraus ergebenden Sozialbeziehungen, hohe Priorität einräumen, daneben aber auch dem, was ich, mangels einer präziseren Bezeichnung, unter "Kultur und Soziales" subsumiert habe.


Arbeit und Ausbildung

Arbeitsverhältnisse und Arbeitsbeziehungen stellen in modernen Gesellschaften die zentralen Integrationsmedien dar. Insofern ist der Verlust des Arbeitsplatzes in der Regel nicht nur mit einem Einkommens- und Statusverlust, sondern auch mit einem Verlust selbstverständlicher Sozialbeziehungen verbunden. Angesichts des hohen Anteils von Arbeitslosen, insbesondere Langzeitarbeitslosen, aber auch von Unterbeschäftigten und Unterqualifizierten in den Programmgebieten stellt die Qualifizierung für und Vermittlung von geeigneten Arbeitsplätzen überall ein zentrales Handlungsfeld dar, dessen sich eine große Zahl unterschiedlicher Akteure annimmt. Große Hoffnungen werden dabei in die Aufnahmefähigkeit der "lokalen Ökonomie" gesetzt. Diese ist sicher je nach Branchenzugehörigkeit und Größenstruktur der dafür in Frage kommenden Betriebe von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich, aber selbst bei innerstädtischen Mischgebieten, die noch die meisten Arbeitsplätze bereitstellen könnten, wird immer wieder deutlich, dass auch die dortige lokale Ökonomie ohne Einbettung in eine überlokale Ökonomie nicht lebens-, geschweige denn wachstumsfähig wäre.

Erst recht gilt dies für die Neubaugebiete am Stadtrand, in denen sich die lokale Ökonomie in der Regel auf einige Dutzend Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe in den Nahversorgungszentren beschränkt. Angesichts des insgesamt geringen Potenzials an Betriebsverlagerungen und Neugründungen, die für eine strukturelle Anreicherung solcher Gebiete in Frage kämen, ist hier auch keine wesentliche Änderung zu erwarten. Die Bemühungen der Wohnungsgesellschaften, Gartenämter, Abfallentsorgungsbetriebe usw., für die Pflege und Instandhaltung des engeren und weiteren Wohnumfelds nur gebietsansässige Arbeitskräfte einzusetzen, stoßen schon deswegen nicht immer auf Gegenliebe, weil die Vergabe dieser Arbeitsplätze oft an den Bezug von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe gebunden ist und sich niemand gern in der Quartiersöffentlichkeit, in der solche Arbeiten in der Regel verrichtet werden, mit einem derartigen Etikett versehen darstellen möchte.

Umso wichtiger sind daher Beschäftigungsmöglichkeiten in (mehr oder weniger) benachbarten Gewerbegebieten und -betrieben, mit denen zahlreiche Quartiersmanager denn auch schon Verbindung aufgenommen haben. Die Schwierigkeiten, die sich dabei ergeben, beruhen meist auf den Qualifikationsunterschieden zwischen dem Arbeitskräftebedarf der Betriebe und dem Arbeitskräftepotenzial der Gebiete. Hier helfen, wenn man sich nicht auf die Vermittlung ungelernter Hilfskräfte beschränken will, nur maßgeschneiderte Lösungen, die schon die Qualifikationsangebote in den Gebieten auf die Qualifikationsanforderungen der Betriebe abstimmen, und zwar bis herunter zum Einzelfall. Das Gleiche gilt für die Bereitstellung und Vermittlung von betrieblichen Ausbildungsplätzen. Nicht umsonst werden in unseren europäischen Nachbarländern zunehmend Ausbildungs- und Qualifikationsprogramme für arbeitslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Jugendliche aufgelegt, die auf die individuelle Betreuung und Begleitung der Jugendlichen bis zur Aufnahme eines dauerhaften Arbeitsverhältnisses angelegt sind. Selbstläufer sind jedoch auch sie nicht.


Schulen

Eine gar nicht zu überschätzende integrative Funktion kommt daher auch den im Gebiet ansässigen Schulen zu - und wird von den meisten auch mit viel Idealismus, Phantasie und persönlichem Einsatz der Schulleiterinnen und -leiter und der Lehrerschaft wahrgenommen. Dies gilt für alle Schultypen, allen voran jedoch für die Grund- und Hauptschulen, deren Einzugsbereich sich oft mit den Gebieten deckt und die innerhalb und außerhalb der Schulstunden Projekte, Kurse, Begegnungsmöglichkeiten anbieten, die nicht nur den Kindern, sondern auch deren Eltern neue Perspektiven eröffnen. Wo es die Einrichtung der "Stadtteilschule" gibt, eignet sie sich auch besonders zu einer institutionellen Anbindung externer Projekte, deren stabilisierende Bedeutung gerade für unerfahrene Projektträger und Projektgruppen von Quartiersmanagern immer wieder hervorgehoben wird. Wo die Einzugsbereiche der Schulen größer sind, wie dies oft bei weiterführenden oder Gesamtschulen der Fall ist, nehmen viele Schulen aber auch die Chance wahr, die unterschiedliche soziale Herkunft ihrer Schülerinnen und Schüler gezielt zu überbrücken und entsprechende Projekte und Veranstaltungen anzubieten. Hierbei vor allem kommt ihnen das größere personelle und soziale Potenzial zugute, das entsprechend geschnittene Ergänzungsgebiete bieten.

Besondere Erwähnung verdienen auch die oft von einzelnen Schulleiterinnen und Schulleitern oder Lehrerinnen und Lehrern initiierten Projekte, die, zum Beispiel, Schulklassen aus Hamburg-Lurup über einen Internet-Chatroom mit Schulklassen aus Schwedt an der Oder, Schulklassen aus Hannover-Vahrenheide mit solchen aus Oldenburg oder Stadthagen in Verbindung bringen. Aber auch Schulklassen aus der gleichen Stadt, aber mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund bieten sich für gemeinsame Unternehmungen an. Dabei können die Schulverwaltungen - die gesamtstädtische Solidarität im Blick - wichtige Hilfe leisten, etwa wenn, wie in Solingen, Schul-Netzwerke gefördert werden, die sich jeweils gebietsübergreifend interessierender Themen annehmen.


Kultur und Soziales

Hierunter sollen alle gesellschaftlichen Aktivitäten und Gruppierungen verstanden werden, die jenseits von Schule und Arbeit, aber auch jenseits von Familie und Nachbarschaft relativ stabile und dauerhafte Sozialbeziehungen begründen. Dabei handelt es sich auch hier in der Mehrzahl um Aktivitäten und Gruppierungen, die von ähnlichen sachlich-fachlichen Interessen oder ähnlichen Lebenssituationen getragen werden, ob sie sich nun in formellen Vereinszugehörigkeiten oder in informellen Verbindungen niederschlagen.

Leider wissen wir über Zahl, Ziele und Integrationspotenzial solcher Aktivitäten und Gruppierungen in den Programm- und vergleichbaren Gebieten außerordentlich wenig. Benachteiligung und Ausgrenzung werden meist an strukturellen Merkmalen gemessen, an den Anteilen an Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, Ausländern, Alleinerziehenden usw. Ob und welche individuellen oder gruppenspezifischen Sozialbeziehungen innerhalb und zwischen diesen Gruppen bestehen, aber auch innerhalb und zwischen anderen Bevölkerungsgruppen, die im gleichen Gebiet wohnen, ist allenfalls punktuell bekannt. So erfährt man eher am Rande, dass sich, zum Beispiel, bei einem Stadtteilfest insgesamt 35 Vereine, Gruppen, Initiativen engagiert haben, oder dass es, ein anderes Beispiel, in einem Gebiet nicht weniger als 20 italienische Vereine gibt. Dabei scheint vor allem die ausländische Bevölkerung über ausgeprägte und gut funktionierende Netzwerke zu verfügen, die sich allerdings selten auf das eigene Wohngebiet beschränken, gerade deswegen aber auch wichtige Informationen über freie Wohnungen oder Arbeitsplätze vermitteln (vgl. Bremer 2000, S. 203). Schließlich sei noch an die 86 000 Sportvereine und ihre zahllosen örtlichen Untergruppen erinnert, die es in der Bundesrepublik gibt und denen ohnehin jeder recht ist, der über schnelle Beine oder kräftige Arme verfügt. Auch sie vollbringen eine wichtige und auch nach außen in Erscheinung tretende Integrationsleistung, zu der die Wanderer, Naturschützer, Tierfreunde, die sich ebenfalls meist in örtlichen Untergruppen organisieren, erst animiert werden müssen. So lückenhaft solche Beispiele sind, entscheidend ist, dass hier offensichtlich ein sozialintegratives Potenzial vorhanden ist, das gezielt über die jeweiligen thematischen Interessen angesprochen und mit Personen und Personengruppen in Verbindung gebracht werden könnte, die diese Interessen vielleicht teilen, aber ohne Ansprechpartnerinnen und -partner innerhalb wie außerhalb ihres engeren sozialen und räumlichen Umfeldes sind.


Organisationsstrukturen und Verfahrensabläufe

Angesichts der ohnehin engen räumlichen und funktionalen Verflechtung der Programm- mit den Ergänzungsgebieten sollte eine diesbezügliche Erweiterung des Gebietsbezugs kaum Änderungen der Organisationsstruktur auf der lokalen Ebene erfordern. Dies gilt zunächst für die bei den meisten Kommunen eingerichteten ämterübergreifenden Arbeits-, Steuerungs- oder Lenkungsgruppen, die schon wegen ihrer Ressort- und Fachkenntnisse einen ausreichenden Überblick auch über die in den Ergänzungsgebieten vorhandenen Potenziale haben sollten. Es gilt aber auch für die Quartiersmanagerinnen und -manager, von denen sich die meisten ohnehin bereits in der Nachbarschaft umgesehen und Kontakte mit Betrieben, Schulen, Kirchengemeinden und Ähnlichem angeknüpft haben. Ihre Arbeitsbelastung dürfte damit allerdings nicht geringer geworden sein. Angesichts der existenziellen Bedeutung eines kompetenten und umfassenden Quartiersmanagements für den Erfolg des Programms "Soziale Stadt" darf hier aber am allerwenigsten gespart werden - zumal das Missverhältnis zwischen investiven und nicht-investiven, sprich: Personalmitteln gerade bei sozialintegrativen Erneuerungsmaßnahmen immer noch massiv zu Buche schlägt. Es geht ja auch nicht um zusätzliche Projekte und Maßnahmen für die Ergänzungsgebiete, sondern "nur" um die Aufdeckung und Nutzbarmachung der dortigen Potenziale für die Programmgebiete selbst.

Anders steht es mit der Einbeziehung der Programmgebiete in eine gesamtstädtische Entwicklungsplanung. Diese kann zwar sicher nicht aus den jeweiligen Zuständigkeiten herausgelöst werden. Umso mehr erfordert sie aber eine zusätzliche anwaltliche Vertretung, die die Probleme und Möglichkeiten der einzelnen Gebiete genau kennt und sie in die sektoralen Planungen einbringen, darüber hinaus aber auch sektorübergreifende Zielsetzungen für eine langfristige Konsolidierung und Funktionszuweisung formulieren kann.


Die solidarische Stadt

Zum Abschluss: Als die Begriffe "Soziale Stadt" und "Solidarische Stadt" zum ersten Mal die Runde machten - wenn ich mich recht erinnere, war dies vor etwa zehn Jahren der Fall -, habe ich mich immer gefragt: Wer oder was ist hier eigentlich mit "Stadt" gemeint? Die Stadt als Kommune, als politische und administrative Einheit also? Oder die Stadt als Gesamtheit ihrer Bürgerinnen und Bürger? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage habe ich bis heute nicht erhalten, doch neigt sich schon wegen der Gewichtsverlagerung zwischen Staat und Gesellschaft die Waagschale zunehmend zugunsten der Stadt als Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger. Wie und worin aber äußert sich bei diesen Solidarität?

Jeder von uns findet nicht nur vor Weihnachen in seinem Briefkasten zahlreiche Aufrufe zur Solidarität mit, sprich: zum Spenden für die unterschiedlichsten guten Zwecke, für verlassene Kinder und erholungsbedürftige Mütter, für Kranke und Behinderte, Gefangene und Verfolgte, Flüchtlinge und Vertriebene, Erdbeben- und Überschwemmungsopfer. Wer in seiner Stadt einschlägig bekannt ist, erhält vielleicht auch die Bitte um einen Beitrag zur Renovierung eines Denkmals, zum Ankauf eines Bildes oder zur Förderung eines Jugendorchesters. Guter Wille kann also offenbar vorausgesetzt werden, Geld auch. Hat aber schon jemand etwas von einem Spendenkonto "Die solidarische Stadt" gehört?

Die Gründe dafür wären ein eigenes Thema. Sie liegen sicher nicht zuletzt darin, dass seit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung dafür der Staat zuständig erscheint, und wenn die Kommune, dann als Staatsersatz. Wer Steuern und Zwangsbeiträge zahlt, fühlt sich davon befreit. Es ist aber nicht einzusehen, dass Bürgerinnen und Bürger, die offenbar bereit sind, Solidarität mit menschlichem Unglück bis in die entlegensten Länder der Welt zu beweisen, nicht auch bereit sein könnten, Solidarität mit menschlichem Unglück in der eigenen Stadt zu beweisen - sofern man ihnen einmal deutlich gemacht hat, dass Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, die seit mehr als hundert Jahren bei Staat und Verwaltung gelegen haben, wenigstens zum Teil auf dem Wege sind, wieder in ihre eigene Zuständigkeit und Verantwortlichkeit überzugehen, und dass man schwerlich zusätzliche Bürgerrechte in Anspruch nehmen kann, wenn man nicht bereit ist, auch zusätzliche Bürgerpflichten zu übernehmen.


Quellen


Quelle: Impulskongress Integratives Handeln für die soziale Stadtteilentwicklung, Dokumentation der Veranstaltung am 5. und 6. November 2001 in Essen (Veranstalter: Deutsches Institut für Urbanistik, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS) in Kooperation mit Viterra, Essen), Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, 2002

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