Moderation:
MinDir Gerhard Eichhorn, Leiter der Unterabteilung Städtebau im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Bonn/Berlin
Statements der Podiumsteilnehmer:
Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat 1993 das Handlungsprogramm für die Entwicklung von Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf aufgelegt, mit dem gezielt und ressortübergreifend ein integrierter Politikansatz umgesetzt werden soll. So hat die Landesregierung u.a. beschlossen:
Die Umsetzung integrierter Handlungskonzepte für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf hat für alle berührten Förderbereiche besondere Priorität. Vorhandene Förderinstrumentarien und -modalitäten sind bezogen auf diese Stadtteile deutlich zu flexibilisieren, um gezielt, koordiniert und schnell wirksame Situationsverbesserungen zu erreichen.
Die Aufnahme von Stadtteilen in das ressortsübergreifende Handlungsprogramm erfolgt nach Beratung und Beschlussfassung der Interministeriellen Arbeitsgruppe (INTERMAG), in der alle Ressorts der Landesregierung vertreten sind. Durch Kabinettbeschluss vom 04.11.1997 ist die INTERMAG gehalten,
Bis heute sind 28 Stadtteile in das Landesprogramm aufgenommen worden. Dabei gibt es eine Konzentration innerhalb der Verdichtungsräume an Rhein und Ruhr. Schwerpunkte sind das Ruhrgebiet mit 14 Stadtteilen und die Rheinschiene mit 7 Stadtteilen. Bei rd. 2/3 der aufgenommenen Stadtteile handelt es sich um innerstädtische, altindustrialisierte Quartiere überwiegend aus der Gründerzeit (19 Stadtteile), während 1/3 (9 Stadtteile) auf hochverdichtete Wohnsiedlungen der 60er und 70er Jahre entfällt.
Gemeinsame Merkmale aller betroffenen Stadtteile sind die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, der überdurchschnittlich hohe Anteil an Sozialhilfeempfängern in der Bevölkerung, ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen und kinderreichen Familien sowie ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Migrantinnen und Migranten; die ökonomisch und sozial angespannte Situation in den Städten wird zudem verschärft durch die ökologischen, städtebaulichen und infrastrukturellen Defizite in den Stadtteilen.
Wesentliche Kennzeichen des integrierten Handlungsprogramms sind
Wesentliche Handlungsfelder integrierter Konzepte sind
Der Einstieg in die Umsetzung integrierter Erneuerungsprojekte beginnt meist mit Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung, vor allen Dingen mit Maßnahmen zur Gestaltung von öffentlichen Räumen einschließlich der Umgestaltung von Spielplätzen, Schulhöfen und Grünanlagen. Daneben wird der Umbau von Denkmälern und stadtbildprägenden Gebäuden für soziale und kulturelle Zwecke sowie die Anreizfinanzierung für die Gestaltung privater Haus- und Hofflächen von der Stadterneuerung initiiert.
Nachdem fast alle im Handlungsprogramm befindlichen Stadtteile integrierte Handlungskonzepte mit umfassenden Lösungsansätzen vorgelegt haben, erweist sich die Prozesssteuerung vor Ort als wesentliche Voraussetzung für eine konzentrierte und erfolgsorientierte Umsetzung. In allen 28 Stadtteilen sind dementsprechende organisatorische Vorkehrungen getroffen, die mit dem Oberbegriff Stadtteilbüro am treffendsten gekennzeichnet sind. Diese organisieren in allen Stadtteilen Stadtteilkonferenzen unter weitgehender Beteiligung der betroffenen Menschen, der Verbände, der Vereine, Initiativen, der Wirtschaft und Gewerkschaften. Die Prozesssteuerung vor Ort ist nicht nur wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz und das Gelingen von investiven Maßnahmen, sondern auch für die Förderung privaten, gerade auch finanziellen Engagements in den Stadtteilen.
Prozesssteuerung vor Ort beinhaltet auch die Möglichkeit, akute Finanzierungsbedürfnisse in einzelnen Handlungsfeldern zu überbrücken (z.B. Eigenanteil bei Qualifizierungsmaßnahmen für arbeitslose Jugendliche, Selbsthilfeprojekte im Bereich Gesundheit, Sozialprävention, Migration oder Schuldnerberatung). Die Prozesssteuerung vor Ort umfasst einen großen nicht investiven Bereich. Ferner ist sie zwingende Voraussetzung dafür, dass Stadtteile ein eigenes Profil entwickeln. Die Überwindung des vorhandenen Negativimages durch die Herausarbeitung eines eigenen identitätsstiftenden Profils für den Stadtteil ist neben der Stabilisierung der Stadtteile und der nachhaltigen Verbesserung der Lebensverhältnisse für die dort lebenden arbeitenden Menschen wesentliches Ziel für einen nachhaltigen Erneuerungsprozess.
Die Erfahrungen aus allen Stadtteilen zeigen, dass je nach Identifikation mit dem eigenen Wohnort auch die Verantwortung für eine positive Entwicklung im jeweiligen Stadtteil wächst. Dies hat Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche Klima in einem solchen Stadtteil; je positiver ein solches gesellschaftliches Klima im Stadtteil ist, um so größer sind die erhofften Wirkungen für das Gelingen in den unterschiedlichen Handlungsfeldern der integrierten Stadtteilkonzepte.
Die Handlungskonzepte zeichnen sich durch vielfach sehr kleinteilige Maßnahmen aus, die mit sehr geringem Mitteleinsatz große Erfolge erzielen. Hierfür werden von den Kommunen und externen Fachleuten kleinere Pauschalbeträge für kleinteilige Sofortmaßnahmen gefordert, die wir normalerweise durch die Roste der etablierten Förderprogramme fallen. Mit der Einführung der Pauschalförderung durch die Stadterneuerungsrichtlinien NRW ist ein wesentlicher Beitrag zur Unterstützung bewohnergetragener Initiativen und Projekte ermöglicht.
Leiter der Abteilung Stadterneuerung, Stadtentwicklungsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg
Acht Gelingensbedingungen für das Programm Soziale Stadt
1.
Es ist wichtig, in einem transparentem Auswahlverfahren anhand überprüfbarer Kriterien einen breiten Konsens in der Stadt über die Auswahl, Fortschreibung und den Abschluß von Fördergebieten zu erreichen.
Nur wenn der Entscheidung über die Fördergebiete ein sachgerechter und offener Abstimmungs- und Abwägungsprozeß vorausgeht, werden die daran beteiligten Politikbereiche zu der notwendigen Prioritätensetzung bereit sein.
2.
Es muß eine Querschnittsbehörde geben, die das Verfahren steuert und deren Koordinationsfunktion von allen Politikbereichen akzeptiert wird.
Dieser Anspruch ist - wie Herr Minister van Boxtet auf dieser Tagung sehr anschaulich erläutert hat - in Holland offensichtlich besonders gut erfüllt worden und dort zu einem Schlüssel für den Erfolg geworden.
3.
Die für die soziale Stadtteilentwicklung federführende Behörde muß mit genügend finanziellen Mitteln ausgestattet sein,
Die Grundfinanzierung ist von den Fachbehörden sicherzustellen.
Diesem in der Städtebauförderung seit langem gültigem Prinzip ist sehr viel konsequenter als bisher Geltung zu verschaffen.
4.
Die soziale Stadtteilentwicklung muß vor Ort professionell gesteuert werden. Die Aufgaben des Stadtteilmanagements gehen deutlich über diejenigen bisheriger Sanierungsträger hinaus und betreffen insbesondere die Wiederherstellung eines aktiven Stadtteillebens, die Organisation der Bürgerbeteiligung, die Zusammenarbeit mit der lokalen Wirtschaft, die Initiierung von Beschäftigungs- und Ausbildungsmaßnahmen und die Aufstellung und Umsetzung des Stadtteilenwicklungkonzepts.
Um die erforderliche breitgefächerte, hohe fachliche und soziale Kompetenz des Stadtteilmanagements zu gewährleisten, werden erhebliche Anstrengungen zur Aus- und Fortbildung von Auftragnehmern für diese Aufgabe zu machen sein.
5.
Die Organisation der Verwaltung muß auf den verschiedenen Ebenen so ausgebildet werden, daß alle Politikbereiche an einem Strang ziehen. Daher müssen neue Organisationsformen und Spielregeln für die Kooperation verabredet werden
Solche Regeln sind in Hamburg z. B.: die Verpflichtung zur Setzung von Prioritäten in den Fachprogrammen, der obligatorische Einsatz von einem Drittel der Arbeitsmarktmaßnahmen in diesen Gebieten, periodische bilaterale Gespräche zwischen Stadtentwicklungs- und Fachbehörden zur Abstimmung und Synchronisierung von Fachprogrammen, fachbezogene Schulungsprogramme für das Stadtteilmanagement, eine jährliche Berichtspflicht auch der Fachbehörden gegenüber der Bürgerschaft.
6.
Zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit der Entwicklungsprozesse - im Sinne der Agenda 21 - muß es eine degressive Nachsorge für die Gebiete geben, in denen die Sonderförderung ausgelaufen ist.
Dabei geht es z. B. um die weiterführende Unterstützung von Stadtteilgremien, Vereinen und Bürgerinitiativen nach Auslaufen des Stadtteilmanagements, die Förderung von Schulen, die sich zum Stadtteil öffnen, die Fortführung wohnungspolitischer Maßnahmen und um die Absicherung von Beschäftigungsprojekten, die stufenweise in die volle Selbständigkeit hinein wachsen sollen.
7.
Vorbeugung ist besser als Therapie. Daher muß die Stadtpolitik auch präventive Maßnahmen gegen die soziale Polarisierung einsetzen.
Dazu rechnen z. B. die Festsetzung von Milieuschutzsatzungen als Instrument gegen Bewohnerverdrängung, die Unterstützung wichtiger Einzelprojekte z. B. zur rechtzeitigen Konsolidierung von Quartierszentren und die Vermeidung der inzwischen bekannten, die Segregation begünstigenden Fehler bei der Programmaufstellung, Planung und Wohnungsbelegung von Neubauquartieren.
8.
Um das Programm für die soziale Stadtteilentwicklung wirksam fortschreiben und schnell Kurskorrekturen vornehmen zu können, muß es zielgerichtete Erfolgskontrollen geben.
Diese sollten sich insbesondere auf typische neue Aspekte des Programms beziehen, wie z. B. die Aktivierung der Bewohnerschaft, die Organisation der Mitwirkung, die Effektivität der von der Bewohnern disponierten Verfügungsfonds, die Wirksamkeit neuer Spielregeln zur Kooperation der Politikbereiche, die Stärken und Schwächen des Stadtteilmanagements und die Effekte von Beschäftigungs- und Ausbildungsmaßnahmen.
Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen e.V., Köln
(Rede anläßlich des GdW-Kongresses Überforderte Nachbarschaften am 6. Mai 1999; das Statement für die Podiumsdiskussion bezog sich auf diesen Text)
Überforderte Nachbarschaften, überforderte Wohnungsunternehmen - überforderte Politik?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
daß wir heute Sie, hochverehrter Herr Bundespräsident, in unserer Mitte haben, macht uns stolz. Auch ich begrüße Sie ganz herzlich. Das gilt ausdrücklich auch für Anke Fuchs, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, die bei uns ist als Präsidentin des Deutschen Mieterbundes. Und das gilt selbstverständlich auch für den amtierenden Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Bauminister und Senatoren der Länder, den Bremer Senator Dr. Bernt Schulte, sowie viele andere wichtige Persönlichkeiten.
Wie Sie vielleicht wissen, verfügen die im GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen und seinen 16 Regionalverbänden organisierten Unternehmen über 7 Millionen Wohnungen, in denen ein Fünftel der deutschen Bevölkerung zur Miete oder im Eigentum leben. Es sind Menschen, die nicht zu den oberen Zehntausend gehören, Menschen, die auf den sozialen Wohnungsbau angewiesen sind.
Unser Markenzeichen ist Gut und sicher wohnen. Es gilt für die Genossenschaftswohnungen, die Wohnungen der kommunalen und öffentlichen Unternehmen. Es gilt für die industrieverbundenen Wohnungsunternehmen, die aus dem Werkswohnungsbau entstanden sind, und es gilt nicht zuletzt für die Wohnungen der kirchlichen Wohnungsunternehmen. Das jährliche Investitionsvolumen unseres Verbundes erreicht 35 bis 40 Milliarden D-Mark und hat damit eine volkswirtschaftliche Dimension, die von erheblicher Bedeutung ist.
Aber, sehr verehrter Herr Bundespräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sind nicht zu uns gekommen, weil wir ein bedeutender, wenngleich häufig unterschätzter Wirtschaftszweig sind. Wir sind heute zusammengekommen, weil wir gemeinsam über ein Problem reden, nachdenken und debattieren müssen, das sich seit längerem abgezeichnet hat, das sich zuspitzt, das struktureller und langfristiger Natur ist und das bislang nicht oder nicht ausreichend von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird, das aber gleichwohl - wenn wir die Dinge weiter treiben lassen - das friedliche Zusammenleben, die soziale Ausgewogenheit unserer Gesellschaft und die Stabilität unserer Demokratie gefährden kann.
Das Problem der zunehmend überforderten Nachbarschaften ist es, das uns heute hier in Berlin zusammengeführt hat. Manche von Ihnen werden sich jetzt fragen: Wenn das Ganze so dramatisch ist, wie es aus meinen Worten herausgehört werden soll: Warum habt ihr euch nicht früher gerührt? Warum findet ein solcher Kongreß erst heute statt?
Meine Antwort lautet: Wir beobachten seit längerem soziale Veränderungen in unseren Wohnsiedlungen, Veränderungen, die in eine Richtung weisen, die wir in hochentwickelten Ländern bisher nur in den Großstädten der USA und in einigen unserer europäischen Nachbarländer gesehen haben. Kaum jemand bekommt soziale Entwicklungen so frühzeitig, so handfest zu spüren wie unsere Wohnungsunternehmen. Denn wir sind so gesehen eine Art gesellschaftliches Frühwarnsystem.
Ich spreche über die soziale Erosion in leider immer mehr Wohnsiedlungen. Der soziale Niedergang, das soziale Zerbrechen von Wohnquartieren, der zunehmende Verfall guter Nachbarschaften, verursacht und begleitet durch die Konzentration sozialer Problemfälle, sich ausbreitendem Vandalismus, zunehmendem Drogenkonsum und wachsender Kriminalität - das sind einige Stichworte, und die Ursachen dafür liegen nicht in erster Linie in der Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik. Sie erwachsen aus und sie gehen einher mit Massen- und Dauerarbeitslosigkeit, mit Jugendlichen ohne Ausbildungs- und Berufsperspektive und häufig auch mit dem Scheitern der Integration ausländischer Mitbürger.
Es ist in beiden Teilen Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trotz der dreizehn Millionen Flüchtlinge, die unterzubringen waren, in einer großen Anstrengung gelungen, daß das Wort Slum ein Fremdwort geblieben ist. Welch hohen Anteil für die Integration und den sozialen Zusammenhalt in der alten Bundesrepublik der soziale Wohnungsbau dabei gehabt hat, das werden wohl erst spätere Generationen gerecht bewerten können. Damit durchaus vergleichbar sind die Wirkungen der in der ehemaligen DDR entstandenen Wohnsiedlungen im komplexen Wohnungsbau. Auch diese Siedlungen haben sich durch sozial gemischte Belegungsstrukturen ausgezeichnet, und sie waren geprägt von sozialer Ausgewogenheit.
Trotzdem: Warum sind wir nicht früher lautstark an eine breite Öffentlichkeit gegangen?
Wir haben es nicht getan, weil wir behutsam vorgehen mußten, denn wir wollten vermeiden, daß dieses Thema zu Lasten der betroffenen Menschen ein Thema der oberflächlichen Sensationsmache wird.
Wir wollten und wollen vermeiden, daß Wohngebiete und ihre Bewohner stigmatisiert werden. Wir wollten und wollen die vielfältigen Bemühungen unserer Wohnungsunternehmen, der Kommunen, der karitativen Verbände, der Wohnungspolitik und vieler anderer durch eine Diskussion, die sich für Sensationelles durchaus eignen würde, ausdrücklich nicht aufgebauscht, zugespitzt und zusätzlich erschwert wird.
Die uns kritisch begleitenden Damen und Herren von Presse, Funk und Fernsehen haben dieses grundsätzliche Dilemma erkannt und uns bislang mit einer dem Thema angemessenen Berichterstattung geholfen. Dafür bedanken wir uns ausdrücklich.
Wir selbst haben deshalb vor rund drei Jahren auf dem Hintergrund vieler Einzelstudien von Wohnungsunternehmen zwei angesehene Forschungsinstitute - empirica in Bonn und dessen Leiter Ulrich Pfeiffer, sowie das StadtBüro Hunger und dessen Leiter Dr. Bernd Hunger - gebeten, in zwei breit angelegten empirischen Gutachten - getrennt für Ost und Westdeutschland - eine Bestandsaufnahme mit Blick auf die überforderten Nachbarschaften zu erarbeiten. Die Ergebnisse haben den Charakter einer eindrucksvollen Sozialreportage. Sie liegen seit Juli vergangenen Jahres vor. Sie sind in unseren Unternehmen und Verbänden ausführlich diskutiert worden. Wir haben sie unseren Partnern in der Politik und Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie haben breite, zustimmende Resonanz und große Aufmerksamkeit gefunden.
Damit ist aber meine rhetorische Frage immer noch nicht ganz beantwortet. Warum tun wir gerade jetzt den Schritt an eine breite Öffentlichkeit? - einen Schritt, den wir bisher aus den genannten Gründen vermieden haben.
Die Antwort lautet: Wir müssen ihn jetzt tun, weil viele unserer Wohnungsunternehmen ihre Handlungsmöglichkeiten erschöpft haben und bereits in vielen Fällen über die Grenzen des unternehmerisch Verantwortbaren hinaus tätig werden müssen. Weil uns die Wucht und Breite der Probleme überrollt, weil die sozialen Verwerfungen und Konflikte, die uns im wohnungswirtschaftlichen Alltag bedrängen, von uns allein nicht mehr bewältigt werden können.
Natürlich sind unsere Unternehmen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie bisher tagtäglich dabei, das ihnen Mögliche zu tun, um die skizzierten Entwicklungen abzubremsen, abzumildern, gegenzusteuern und den sozialen Verfall aufzuhalten.
Manchmal kommen wir uns vor wie ein Stoßdämpfer, der die ungelösten ökonomischen und gesamtwirtschaftlichen Konflikte aufnehmen und abfedern soll, die der Übergang von der traditionellen Industriegesellschaft zur digitalen und globalen Wirtschaft mit sich bringt. Häufig besteht - mit Blick auf die überforderten Nachbarschaften - noch nicht einmal Klarheit über Ursache und Wirkung oder sie werden miteinander verwechselt.
All dies hat dazu geführt, daß unsere Unternehmen heute an den Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten angelangt sind, wobei der gute Wille und das persönliche Engagement vieler Einzelner damit weder vergessen oder gar abgewertet werden soll. Aber es sind nicht nur allein die aus der gesamtgesellschaftlichen Dynamik abzuleitenden Ursachen, die uns zu Überforderten machen. Es sind leider allzu häufig auch die geltenden oder fehlenden Rahmenbedingungen, die - zumindest teilweise und relativ leicht - durch Bund, Länder oder Kommunen geändert werden könnten.
Was also müssen wir tun oder unterlassen?
Ich werde dafür vier Stichworte und Beispiele nennen:
Erstes Stichwort: Fehlbelegungsabgabe
Dieses wohnungspolitische Instrument war in der Geschichte des sozialen Wohnungsbaus aus Gründen der Gerechtigkeit ursprünglich durchaus vernünftig. Heute führt es in der Praxis dazu, daß gerade die Familien und die Einzelpersonen, die zur sozialen Stabilität eines Hauses oder einer Siedlung beitragen, zum Auszug animiert werden, obwohl gerade diese Menschen - man könnte fast sagen durch ihre pure Anwesenheit - wertvolle und unverzichtbare Sozialarbeit leisten. Folgerichtig haben deshalb einige Kommunen - und dazu gehört auch die Stadt Berlin - damit begonnen, die Fehlbelegungsabgabe für einige Siedlungen auszusetzen oder zu reduzieren. Konsequent wäre es, sie flächendeckend abzuschaffen.
Zweites Stichwort: Belegungspolitik
Es gibt immer noch Wohnungsämter, die von ihren Belegungsrechten in der Art Gebrauch machen, daß sie noch vorhandene gemischte Belegungsstrukturen zerstören und blind einweisen. Dabei liegt es doch auf der Hand, daß es viel vernünftiger wäre, wenn sie sich gemeinsam mit dem Unternehmen darüber verständigen, welcher Mieter in welchem Haus den sozialen Frieden stabilisiert oder gefährdet. Daß sie diese Form einer kooperativen und abgestimmten Belegungspolitik mit dem Wohnungsunternehmen bedauerlicherweise nicht suchen, führt dazu, daß durch staatliches Handeln die Probleme noch verschärft werden. Dennoch: Es gibt gute Beispiele der Kooperation. Sie sollten von allen Kommunen übernommen werden.
Drittes Stichwort: Verkauf kommunaler und öffentlicher Wohnungsunternehmen
Um die finanzielle Not kommunaler Haushalte zu lindern, gehen einige Städte dazu über, ihre kommunalen Wohnungsunternehmen - die übrigens alle in privater Rechtsform betrieben werden - undifferenziert, zur Gänze und an den Meistbietenden zu veräußern. Damit wird der kommunale und öffentliche Wohnraumversorgungsauftrag gefährdet, obwohl es immer mehr Menschen geben wird, die sich am Markt aus eigener Kraft mit Wohnraum nicht versorgen können. Aber auch diese Menschen haben nicht nur Anspruch auf Wohnraum, sondern auf gute Nachbarschaft und das erfordert in aller Regel gemischte Belegungsstrukturen.
Im übrigen sollten die Kämmerer nicht vergessen, daß in den Beständen der kommunalen Wohnungsunternehmen der Anteil der Haushalte, die von Sozialhilfe oder anderen Transfereinkommen leben, bei bis zu 40 % liegt. Die Mieten dieser Unternehmen liegen deshalb bewußt in aller Regel deutlich unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete. Dadurch leisten kommunale Wohnungsunternehmen - neben vielem anderen - einen erheblichen Beitrag, um die z.T. dramatischen Sozialhilfelasten der Kommunen zu reduzieren. Jeder private Investor jedoch, der heute im Wettbewerbsverfahren am Ende als Meistbietender, also zum höchsten Preis, ein kommunales Wohnungsunternehmen kauft und deshalb gezwungen ist, sein Investment auch zu refinanzieren, ist damit zugleich gezwungen, die vorhandenen Mieterhöhungsspielräume weitgehend auszuschöpfen. Bereits so betrachtet - und das ist nur ein Argument - handelt es sich bei dem Totalverkauf kommunaler Wohnungsunternehmen um eine Milchmädchenrechnung. Vernünftiger wäre - und das gilt erfreulicherweise nach wie vor für eine große Zahl von kommunalen Eigentümern - die Saatkartoffeln zu pflanzen und sie nicht zu verzehren, oder, anders formuliert, das soziale Steuerungsinstrument eines eigenen Wohnungsbestandes nicht preiszugeben.
Um ein Vielfältiges klüger wäre es, den von vielen begonnenen Weg der Mieterprivatisierung flächendeckend zu nutzen. Was meine ich damit:
Der soziale Wohnungsbau hat aus der heutigen Sicht der überforderten Nachbarschaften einen strukturellen Mangel. Durch ihn sind - wie der Name es sagt - in aller Regel reine Wohnsiedlungen entstanden. Rückschauend wäre es besser gewesen, Miete und Eigentum in diesen Wohngebieten zu mischen. Eine der Konsequenzen daraus könnte heute jedoch sein, daß wir in dafür geeigneten Wohnanlagen mit langem Atem, und das heißt sozial verträglich und behutsam, den Mietern ihre Wohnung zum Kauf anbieten. Wir erreichen damit zugleich zwei beachtliche Nebeneffekte. Wir mobilisieren privates Kapital, und darauf werden wir in Zukunft mehr als in der Vergangenheit angewiesen sein, und wir leisten einen unverzichtbaren Beitrag, um bei der Reform der sozialen Sicherungssysteme die Sicherheit des Wohnens auch im Alter zu garantieren. Wer das will, muß aber bei der Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums mit der Diskriminierung der Gebrauchtimmobilie Schluß machen und die heute geltende hälftige Förderung - gemessen am Neubau - aufstocken. Wir helfen damit im übrigen einer Gruppe von Menschen, die sich den Neubau nicht leisten können, die Gebrauchtimmobilie aber kaufen würden, nicht nur weil sie billiger ist, sondern weil diese Menschen in ihrem gewohnten Umfeld bleiben wollen und sich das Wohneigentum finanziell auch leisten können.
Viertes Stichwort: Soziales Management
Wohnungsunternehmen, die mit überforderten Nachbarschaften konfrontiert sind, müssen ein soziales Management aufbauen, häufig zusätzliches Personal beschäftigen, und sie müssen die offenkundigen Defizite des Wohnumfeldes beheben und die veränderten sozialen Bedürfnisse der heutigen Bewohner befriedigen. Sie müssen investieren aus den Mieteinnahmen einer Bevölkerungsgruppe, die ohnehin nicht zu den finanziell Leistungsfähigen gehört; daß dadurch ein gesamtgesellschaftliches Problem auch finanziell auf die ohnehin schwachen Schultern dieser Mieter verlagert wird, dürfte leicht einsichtig sein.
Wenn wir diese Probleme in den Griff bekommen wollen, dann müssen wir gezielt ansetzen. Dann müssen wir endlich und mit Priorität
Wenn diese zentralen Forderungen nicht erfüllt werden, Forderungen, die weit über den Bereich der Wohnungspolitik im engeren Sinne hinauswirken, dann werden wir nicht in der Lage sein, den überforderten Nachbarschaften wirksam zu helfen.
Hochverehrter Herr Bundespräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, die überforderten Nachbarschaften waren bis vor kurzem vor allem ein Problem in den Städten und Wohnsiedlungen der alten Bundesrepublik. Das hat sich geändert.
Die gemischten Belegungsstrukturen im komplexen Wohnungsbau der neuen Bundesländer sind zwar an vielen Standorten noch intakt, aber dennoch hochgradig gefährdet. Die Ursachen dafür sind eng verknüpft mit der spezifischen Geschichte der DDR und vielem aus der jüngsten Vergangenheit nach der Vereinigung Deutschlands.
Die Einkommensentwicklung und Wohnkaufkraft in den neuen Ländern stagniert, die Realeinkommen sind sogar leicht rückläufig. In vielen Kommunen und Städten ist die Abwanderung der Bevölkerung nicht gestoppt, und Wohnungsleerstand belastet unsere Wohnungsunternehmen zunehmend.
Wir wissen, daß nach der Vereinigung Deutschlands Bund und Länder Hervorragendes geleistet haben, um die großartige unternehmerische Leistung beim Aufbau einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft zu ermöglichen. Wir wissen, daß die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Mietrechtsreform, des Genossenschafts-Vermögensgesetzes und auch des Altschuldenhilfe-Gesetzes unverzichtbare Hilfen waren. Wir wissen aber auch, daß das Fördergebietsgesetz zwar privates Kapital aus der alten Bundesrepublik mobilisiert hat, aber gleichzeitig sind an vielen Standorten Überkapazitäten aus Steuermitteln subventioniert worden.
Dennoch, unsere Mitgliedsunternehmen haben zwei Drittel ihrer Bestände modernisiert und instandgesetzt. Sie haben mehr als 90 Milliarden DM in den Bestand investiert, und sie haben im Durchschnitt drei Viertel der Privatisierungsauflage des Altschuldenhilfe-Gesetzes erfüllt. Aber spätestens heute brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Wohnungspolitik für die neuen Länder. Wir brauchen einen Schlußstrich beim Altschuldenhilfe-Gesetz jetzt und nicht erst im Jahre 2003. Wir brauchen Kontinuität der Förderung für die noch nicht modernisierten Bestände, wir brauchen insbesondere Hilfen bei der Sanierung des Altbaues, und wir weisen eindringlich darauf hin, daß durch die Industriepolitik der DDR uns politische Altlasten erwachsen sind, mit denen weder die Wohnungsunternehmen noch die betroffenen Kommunen alleine fertig werden.
Was meine ich damit? Die industriellen Arbeitsplätze waren zum Zeitpunkt der Vereinigung unter marktwirtschaftlichen Bedingungen weder konkurrenz- noch wettbewerbsfähig. Sie sind weggebrochen. 10 bis 15 % sind neu entstanden. Viele Menschen haben diese Industriestandorte der ehemaligen DDR verlassen, und die Wohnungen stehen leer. Ich rede über strukturellen Leerstand; also über die Tatsache, daß es an einigen Standorten, nicht flächendeckend, auf Dauer mehr Wohnungen als Menschen geben wird. Für diese Städte und Kommunen brauchen wir neue Stadtentwicklungskonzepte. Wir müssen die Zahl der Wohnungen an die Zahl der Menschen in diesen Städten und Kommunen anpassen - und das geht gelegentlich nicht ohne Rückbau und Abriß. Im äußersten Fall darf niemand sehenden Auges den Konkurs von Wohnungsunternehmen riskieren, denn die damit verbundenen psychologischen Folgen und politischen Reaktionen der betroffenen Bevölkerung sind völlig unkalkulierbar. Dann jedoch muß endlich auch begriffen werden, daß leerstehende Wohnungen, insbesondere dauerhaft leerstehende, von den verbliebenen Altschulden ein für alle Mal entlastet werden müssen. Womit sollen denn die betroffenen Wohnungsunternehmen Zins und Tilgung zahlen, wenn es Mieteinnahmen nicht mehr gibt?
Wir brauchen eine wohnungs- und kommunalpolitische Perspektive, bei der am Ende weitere Abwanderungen gestoppt und die Siedlungen und Unternehmen dauerhaft saniert werden. All das wird ohne staatliche Intervention - also allein im Vertrauen auf den Markt - nicht funktionieren.
Auch an diesen Standorten und darüber hinaus entwickeln sich Überforderte Nachbarschaften, und unsere Wohnungsunternehmen sind am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt. Sie sind mit den Folgen politischer Altlasten konfrontiert, die sie weder zu verantworten haben, noch können sie sie aus eigener Kraft abtragen.
In den neuen Ländern ist mit dem Solidarpakt und in einer großen Gemeinschaftsleistung beim Aufbau einer sozialen Wohnungsmarktwirtschaft Großartiges geleistet worden. Aber wir dürfen das Geleistete nicht aufs Spiel setzen. Wir dürfen deshalb heute nicht auf halbem Wege stehenbleiben! Wir müssen alles dafür tun, daß Siedlungen, die jetzt noch sozial intakt sind, nicht zu überforderten Nachbarschaften werden und in sich sozial zerbrechen.
Hochverehrter Herr Bundespräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, jeder Unternehmer, der hier bei uns im Saale ist und der Verantwortung für Wohnquartiere trägt, sei es in Ost-, West-, Nord- oder Süddeutschland, könnte jetzt viele weitere Details aus seiner täglichen Arbeit beisteuern. Die Situationsanalyse würde dadurch kompletter, vielfältiger, aber um keinen Deut schöner.
Deshalb brauchen wir jetzt die Unterstützung der Politik, sei es durch gesetzliche Rahmengebung, sei es durch Kooperation und die Initiierung neuer gesellschaftlicher Koalitionen, sei es durch die Koordinierung der relevanten Akteure.
Noch haben wir bei uns in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse, wo zwischen zwei Wohnblöcken Welten liegen können.
Noch sind wir nicht wie in Paris oder Marseiiles so weit, daß wir ganze Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus in die Luft sprengen müssen.
Noch haben wir nur in extremen Fällen die Situation - und ich zitiere jetzt aus dem Vorwort des englischen Premierministers Tony Blair zu dem Bericht über Soziale Ausgrenzung, der dem englischen Parlament auf Weisung ihrer Majestät im September 1998 vorgelegt worden ist. Dort heißt es - ich zitiere-: ... daß viele Kinder hungrig zur Schule gehen, daß viele Jugendliche ohne echte Aussicht auf Arbeit aufwachsen, viele Rentner Angst haben, das Haus zu verlassen. Es beschämt uns als Nation, es verschwendet Menschenleben, und wir alle müssen die Kosten von Unselbständigkeit und sozialer Spaltung tragen. Wir haben eine Situation, die keine zivilisierte Gesellschaft tolerieren sollte.
Ohne uns über andere Länder erheben zu wollen, können wir sagen: Noch können wir derartige Entwicklungen eingrenzen, die anderswo dazu geführt haben, daß sich diese Länder immer mehr zu sozial geteilten Ländern entwickeln. Allerdings: Mit Teilung sind die Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten genug gestraft gewesen.
Aber gesellschaftliche und politische Entwicklungen verlaufen ja in der Regel nicht gleichmäßig und kontinuierlich, irgendwann kommt es zu einem qualitativen Sprung mit meist irreversiblen Konsequenzen. Einen solchen Sprung haben wir direkt vor unseren Augen: Ulrich Pfeiffer hat in seinem Bericht ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir
Auch dies ist eine der Ursachen dafür, daß sich eine wachsende Sozialklientel in immer weniger Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus konzentriert, daß sich dort die sozialen Konflikte zuspitzen, daß Quartiere kippen, Verslumungstendenzen um sich greifen und Mieter mit normalen Erwerbseinkommen nicht länger bereit sind, dort zu wohnen. Diejenigen, die nicht von Sozialtransfers leben, stimmen immer häufiger mit dem Möbelwagen ab. Die soziale Erosion geht weiter. Im Sprachgebrauch sagt man dann: Die Adresse ist ruiniert.
Was können - was müssen wir tun?
In dem von mir zitierten Bericht der Royal Commission wird eine Nationale Strategie für vernachlässigte Wohnquartiere unterbreitet. Die Kommission schlägt vor, die Lektionen der Vergangenheit zu verstehen und dementsprechend
Obwohl die Situation in England prekärer ist als unsere und obwohl die politischen Institutionen und Traditionen nur begrenzt mit den unsrigen vergleichbar sind - diese Empfehlungen der Royal Commission könnten sofort auch für die Bundesrepublik Deutschland übernommen werden, und dafür plädiere ich.
Dieses Plädoyer wird gestützt durch die Beschlüsse der Konferenz der Bauminister und Senatoren der Länder zur Sozialen Stadt, und dabei wird zugleich die überragende Bedeutung einer effektiven Koordinierung aller beteiligten Akteure immer wieder angemahnt und gefordert.
Es geht also nicht nur um mehr Geld, sondern um eine andere zielführende Koordinierung öffentlicher Mittel und Hilfen unter dem Blickwinkel der überforderten Nachbarschaften. Heute ist es bei uns ja so, daß jede der beteiligten Behörden und jeder Geldgeber mit seinem Ansatz, seinem Geld, seiner Kompetenz in den Problemgebieten interveniert.
Wir sehen aus dieser unvollständigen Aufzählung, daß es viele Menschen und Institutionen gibt, die sich in den überforderten Nachbarschaften - meist sogar im gesetzlichen Auftrag - betätigen. Aber Sie ersehen daraus auch, daß den immer gleichen Menschen, die dort wohnen und leben, unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen gesetzlichen Aufträgen gegenübertreten.
Es gibt auch bei uns durchaus schon Ansätze, zum Beispiel in den Städten Karlsruhe und Rostock, wo bereits Koordinierungsmodelle entwickelt worden sind. Das ist gut und zur Nachahmung empfohlen, aber wir brauchen einen noch viel breiteren Ansatz. Wir brauchen einen Ansatz, der primär auf Selbsthilfe und Eigenverantwortung gegründet ist, der die Menschen aus ihrer Lethargie herausholt. Wir brauchen lernende und lernfähige Systeme, bei denen der Gedanke der Nachhaltigkeit entscheidend ist.
Wir müssen von den Erfahrungen anderer Länder lernen, und wir müssen Netzwerke entwickeln unter Beteiligung und Einbindung der Wohnungsunternehmen.
Ulrich Pfeiffer hat in seinem Gutachten die Idee der Nachbarschafts-Agentur skizziert. Das alles ist ein Denken, das viel breiter und tiefer ansetzt als in den Kategorien vorher im Detail bestimmbarer Projekte und ihrer Abrechnungsfähigkeit.
Dies verbindet sich auch mit Ihrem Bemühen, hochverehrter Herr Bundespräsident, die Eigeninitiative und Eigenverantwortung wieder als tragende gesellschaftliche Norm in ihr Recht zu setzen.
Das führt dann auch dazu, daß wir noch stärker auf die jeweiligen Probleme vor Ort schauen müssen. Ja, ich gehe noch einen Schritt weiter: Wir dürfen auch die gemischten Belegungsstrukturen nicht zum alleinigen Dogma machen. Wenn endlich offen anerkannt würde, was eigentlich jeder weiß, daß wir nämlich seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland sind, dann müssen wir auch dafür offen sein, ethnisch homogene Belegungsstrukturen zu akzeptieren, und zwar mehr als bisher.
Klassische Einwanderungsländer machen uns das vor. Dort gibt es viel häufiger und selbstverständlicher als bei uns Wohnviertel für Einwanderer gleicher Nationalität oder gleicher ethnischer Herkunft, Wohnviertel, die für eine allmähliche Gewöhnung an die Kultur des fremden Landes und für eine schrittweise Integration gute Dienste leisten.
Was ich damit sagen will, ist: Wir müssen Neues nicht nur denken, wir müssen handeln und neue Wege ausprobieren. Wir brauchen Modelle und Projekte, die von den Betroffenen selbst angenommen und getragen werden. Wir brauchen dafür sinnvolle Anschubfinanzierung, wir brauchen ganz grundsätzlich eine experimentelle Vorgehensweise, weil bei Aufgaben von so hoher Komplexität niemand am Anfang wissen kann, was genau am Ende herauskommen wird. Wir müssen also Geld nach neuen Regeln verteilen und das bedeutet: Projekte dürfen nicht - wie bisher - primär nach den erforderlichen Planstellen definiert werden, sondern nach dem zu mobilisierenden Entwicklungs- und Lernpotential.
Was all diese Grundsätze anbelangt, so haben wir offenbar Verbündete. Ich danke dem Deutschen Mieterbund für seine stets konstruktive Hilfe, Unterstützung und Begleitung. Wenn man zusammennimmt, was im Rahmen des Deutschen Städtetages erarbeitet worden ist, was die Bundesregierung mit ihrem erstmals eingestellten Etattitel Soziale Stadt verfolgt, was die ARGEBAU unter der gleichen Überschrift diskutiert und beschlossen hat, was in den von uns vorgelegten Gutachten enthalten ist, und wenn wir dann noch die Prinzipien des Benchmarking und der Best Practice, also das Lernen von den Erfahrungen anderer, beherzigen, dann müßte es mit dem Teufel zugehen, wenn wir aus überforderten Nachbarschaften nicht wieder menschenwürdige und aus sich heraus lebenswerte Nachbarschaften machen könnten.
Unseren eigenen Beitrag werden wir - wie in der Vergangenheit - leisten. Ich erinnere an unseren Vorschlag eines Bündnis für Wohnen, Arbeit und sozialen Frieden.
Darin verpflichten wir uns, über unsere unternehmerischen Aufgaben im engeren Sinne hinaus im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft unseren Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu leisten.
Das hat eine ökonomische Dimension, und dabei verweisen wir auf unsere Rolle als bedeutender Investor und Konjunkturmotor genauso wie auf die wohnungswirtschaftlichen Innovationen.
Um den Ansprüchen gerecht werden zu können, die man daraus ableiten kann, brauchen wir aber berechenbare Rahmenbedingungen, eine Konzentration auf den Wohnungsbestand und die Überforderten Nachbarschaften, ein Steuerrecht und eine Wohnungsbauförderungspolitik, die die Besonderheiten der Langfristigkeit, also der Kalkulierbarkeit eines Investments in Wohnungen nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern auch angemessen berücksichtigt.
Unser Bündnisangebot hat zweitens eine soziale Dimension, in der wir uns verpflichten, durch die Bereitstellung und die Pflege eines qualitativ hochstehenden Wohnungsbestandes, der für breite Schichten der Bevölkerung erschwinglich ist, unsere traditionelle Rolle als sozialer Kitt der Gesellschaft auch nach dem Wegfall des Gemeinnützigkeitsgesetzes zu spielen. Wir nehmen die soziale Marktwirtschaft ernst, wobei angemessene Renditen eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür sind, um gemeinnütziges Verhalten finanzieren zu können.
Schließlich sind wir uns der politischen Dimension eines sozial ausgewogenen Wohnungsbestandes für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft und für die Stabilität unserer Demokratie bewußt. Denn in einer Zeit, in der viele Menschen durch ökonomische Entwicklungen zutiefst verunsichert und existentiell orientierungslos werden, gewinnt natürlich die Wohnung als letzter Rückzugsort und als sozialer Stabilitätsanker eine fast metaphysische Bedeutung.
Wem dies zu hoch gestochen oder zu abstrakt klingt, den möchte ich auf amtliche Wahlstatistiken hinweisen, die schwarz auf weiß belegen, in welchen Quartieren und Wohnsiedlungen extremistische Parteien besonders viele Wähler rekrutieren und mobilisieren und wo ihre Schwerpunkte liegen. Es handelt sich - wen wundert es? - immer um Wohngebiete in Überforderten Nachbarschaften.
Hochverehrter Herr Bundespräsident, Sie selbst haben gesagt: Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Individuums sind nicht nur Kernbestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Sie sind letztlich Grundvoraussetzung jeder freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft mündiger Bürger. Wenn Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit verloren gehen - sei es durch den Staat, seine Bürokratie oder seine Gesetze, sei es, weil die Bürger aus Bequemlichkeit oder Unlust ihre Freiheit nicht mehr nutzen und gar nicht mehr nutzen wollen und immer mehr Menschen, die Sehnsucht nach Betreuung überkommt: Dann ... ist unsere freiheitliche Gesellschaft insgesamt bedroht.
Und ich füge mit meinen eigenen Worten hinzu: Die verhängnisvollste Konsequenz der überforderten Nachbarschaften ist, daß den davon betroffenen Menschen Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit verloren zu gehen droht.
Noch können wir die Probleme zumindest eingrenzen. Noch können wir einen Flächenbrand verhindern.
Noch ist Zeit, wenn auch nicht mehr allzuviel, um heilend und vorbeugend zu handeln.
Lassen Sie uns dies gemeinsam, überlegt und konsequent tun.
Lassen Sie uns die Chancen nutzen, die wir noch haben.
Ich danke Ihnen.
Stellvertretende Sozialreferentin der Landeshauptstadt München
(Teilnahme an Podiumsdiskussion verhindert, Statement lag daher nur schriftlich vor)
Landeshauptstadt München
Sozialreferat
Dr. Petra Schmid-Urban
Vertreterin des Referenten
Orleansplatz 11
81667 München
Telefon: (089) 233 - 22479
Telefax: (089) 233 - 27375
Auftaktveranstaltung zum Bund-Lander-Programm
Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt
Statement für das Podiumsgespräch: Bündelung von Kräften und Mitteln - ein Programm gegen die sozialräumliche Spaltung der Stadt
(Veranstaltung Deutsches Institut für Urbanistik, 05.07.99)
Die soziale Stadt. Titel des heute vorgestellten Programms zur sozialen Stadtteilentwicklung sollte die Vision sein, auf die hin die Kommunen ihre Politik konzipieren sollten. Es geht dabei um eine sozialräumlich orientierte, aktiv gestaltende Stadtpolitik, die sich vorrangig mit zwei Handlungsmaximen beschreiben läßt:
Die Handlungsmaxime der sozialen Kommunalpolitik geht von der Tatsache aus, dass wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen wie Arbeitslosigkeit, Armut, Migration. Ausdifferenzierung der Lebensstille viel zu komplex sind, um von einzelnen Fachpolitiken, Fachressorts bearbeitet werden zu können. Vielmehr bedarf es eines aktiven Zusammenwirkens von Sozial-, Wirtschafts-, Wohnungs-, Städtebau-, Bildungs- und Gesundheitspolitik.
Dieses Zusammenwirken muss auf gesamtstädtischer Ebene geschehen, aber auch ganz wesentlich in den Stadtteilen. Das bedeutet eine konsequente teilräumliche Orientierung der städtischen Politik und Verwaltung, aber auch z.B. der Wohnungswirtschaft. Die stadtteilbezogene Analyse von Problemen, Ressourcen, Potentialen, das aktive Einbeziehen der lokalen Akteure und der Stadtteilbevölkerung sind unerläßliche Voraussetzungen zur Entwicklung von Strategien für lebendige Stadtteile und für deren Umsetzung. Erleichtert wird diese Kooperation auf der Stadtteilebene, wenn vor Ort bereits Vernetzungs- und Zusammenarbeitsstrukturen vorhanden sind wie das im sozialen Bereich oft der Fall ist.
Wir haben in München durch die konsequente Orientierung auf teilräumliche Sozialregionen, in die wir zunehmend unsere unmittelbar bürgerbezogenen Verwaltungsdienststellen (Sozialbürgerhäuser) verlagern, und mit der Schaffung von teilräumlichen Vernetzungsstrukturen in der sozialen Arbeit (REGSAM/1/) Voraussetzungen geschaffen, auf die bei der Entwicklung integrierter Strategien und der Bündelung von Ressourcen durchaus aufgebaut werden kann.
Wichtig ist allerdings, dass für die Entwicklungs- und Verknüpfungsarbeit qualifizierte Personen vor Ort finanziert werden können. In der im Programm vorgesehenen Förderung von nicht investiven Maßnahmen ebenso wie in der Förderung von Investitionsmaßnahmen, die über Ressortgrenzen hinausgehen und deshalb immer so schwierig und manchmal auch gar nicht zu finanzieren sind, sehe ich die wesentlichen Neuerungen/ Erfolgsfaktoren des Programms.
Ebenso wichtig wird es sein, dass es gelingt, Maßnahmen und Mittel flexibel an der unmittelbaren Entwicklungsnotwendigkeit orientiert einsetzen zu können. Nur wenn konkrete Erfolge, Maßnahmen, Aktionen schnell sichtbar werden, wird das Programm überzeugen können. Auch hierzu bedarf es eines kooperativen Zusammenwirkens vor Ort.
Da das Programm von den Stadtteilentwicklungs-/Stadtplanungsbehörden gemanagt wird, kann ich als Vertreterin einer Sozialbehörde nur dringend anraten, von Anfang an vor allem die Sozialbehörden offensiv in die Entwicklungsarbeit miteinzubeziehen, durchaus auch im Sinne der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung. In vielen Fällen läßt sich sicher wie auch bei uns in München an eine - allerdings Mitte der 70er Jahre mühsam erkämpfte - Kooperation zwischen Sozialplanung und städtebaulicher Planung im Rahmen der Stadterneuerung nach STBAUFG anknüpfen. Eine Lenkungsgruppe aus den vorrangig tangierten Dezernaten würde ich sehr empfehlen, um auf gesamtstädtischer Ebene die Fachkompetenzen und Ressourcen zu bündeln, Entscheidungen qualifiziert vorzubereiten und die Umsetzung zu erleichtem.
Bleibt abschließend noch mein Wunsch, das Programm für die künftigen Jahre finanziell bedarfsgerecht zu dotieren und im Rahmen der Evaluation dem Aspekt der Verknüpfung der Ressourcen und dem Zusammenwirken der lokalen Akteure besondere Bedeutung beizumessen.
/1/REGSAM = Regionalisierung sozialer Arbeit In München