Dr. Hans Stimmann
Redebeitrag zur Auftaktveranstaltung "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" am 05.07.1999
Thema: Innenstadtkonferenzen und Quartiersmanagement - Ansätze der sozialen Stadtentwicklung in Berlin
Situation bis zur Wende
Mit dem "Berlin - offene Stadt."Slogan präsentiert sich die Stadt zur Zeit seinen Besuchern. Das war vor noch nicht einmal 10 Jahren ganz anders: Politisch, wirtschaftlich, kulturell und räumlich. Die Westhälfte der Stadt war eine Insel mit Wohnungsnot und ohne Umland. In der Osthälfte versuchte man, mit riesigen Wohnungsbauprogrammen im Plattenbau "die Wohnungsfrage als soziales Problem" endgültig zu lösen. Wer also eine Wohnung hatte im Ostteil oder West-Berlin, konnte sich glücklich schätzen. Für Umzug gab es wenig Möglichkeiten und deshalb fand er auch kaum statt. Die Mobilität innerhalb der Stadt und aus ihr hinaus war also sehr gering. Die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung in den Quartieren der Stadt blieb weitgehend stabil.
Einzige nennenswerte Ausnahme war die Umsiedlung sanierungsbetroffener Bewohner im Zuge der ersten Phase der Stadtsanierung in den späten sechziger und siebziger Jahren. Die Flächensanierung mit ihrer Substanzzerstörung hat die angestammte Bevölkerung massiv verdrängt und an anderen Orten in sozial problematischer Konzentration wieder angesiedelt. Mit dieser Politik wurden oft neue problematische Entwicklungen ausgelöst.
Trotz der riesigen Neubauvolumina stand die Stadt nach der Wende vor außerordentlichen Herausforderungen:
Wohnungsbau- und Sanierungsprogramm
Berlin hat 1990 auf beide Mißstände wesentlich mit zwei Maßnahmen reagiert:
(Plattensanierung)
Es wurde ein großes Wohnungsbauprogramm und ein milliardenschweres Sanierungsprogramm aufgelegt. Beide Maßnahmen waren bundesweit die größten Bauprogramme seit dem Nachkriegswiederaufbau.
Seit 1990 wurden in Berlin 80.000 Wohnungen errichtet und 22 Sanierungsgebiete mit 810 ha und 112.000 Einwohnern ausgewiesen. 63.000 Wohnungen sind dort erneuerungsbedürftig und bis 1997 wurden 18.000 davon bereits instand gesetzt und modernisiert.
Gleichzeitig wurde die Erneuerung und Instandsetzung der Infrastruktur in Angriff genommen. Alle diese Maßnahmen haben unübersehbar zu Verbesserungen geführt, die ihresgleichen suchen. In der Diskussion um Hauptstadt- und Metropolenperspektiven hat das milliardenschwere Programm leider wenig Beachtung gefunden.
Offenes Umland: riesiges Flächenangebot
Eine dritte Entwicklung kam seit der Wende hinzu. Die Stadt verfügte plötzlich wieder über ein weites Umland, auf das sie planerisch anfangs wenig Einfluß hatte. In kurzer Zeit wurden dort im großen Maßstab Bauflächen ausgewiesen und erschlossen.
Innerhalb weniger Jahre stand bei im wesentlichen stagnierenden Bevölkerungswachstum ein enormes Angebot an Wohnungen aller Arten innerhalb und außerhalb der Stadt zur Verfügung.
Abwanderung und Segregation im Zeitraffer
Das riesige Wohnungsangebot setzte einen riesigen Wanderungsprozeß in Gang: innerhalb der Stadt als auch nach außen: Wer es sich leisten konnte, zog jetzt in ein Stadtviertel mit besserem Umfeld oder dem besseren Image, oder dorthin, wo man sich seinesgleichen näher fand, oder ganz raus ins grüne Umland.
Damit vollzog sich in Berlin gewissermaßen im Zeitraffer ein Prozeß der sich in anderen Großstädten mit "normaler" Entwicklung über Jahrzehnte hin kontinuierlich erstreckt hat.
Neue Probleme - Neue Antworten
Verstärkt und wesentlich mitgeprägt wurde dieser Prozeß durch das zunehmende ökonomische und soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft als Folge der radikalen Deindustrialisierung vor allem in Ostberlin und der damit verbundenen dramatischen Zunahme der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Dauerarbeitslosigkeit (15,7 Prozent).
Trotz der enormen Anstrengungen überwiegend baulich orientierter Programme waren neue soziale Probleme entstanden.
Erkennbar wurde dies für uns bereits Mitte der 90er Jahre. Wir haben deshalb eine Untersuchung in Auftrag gegeben, um die Problemlagen näher zu definieren, sie räumlich zu bestimmen und Strategien einer sozialen Stadtentwicklung zu entwickeln.
Schnell wurde klar, daß diese neuen Problemkonstellationen vorzugsweise in zwei Gebietstypen auftreten:
In innerstädtischen Altbauquartieren und in Großsiedlungen. Und zwar im Osten und Westen der Stadt gleichermaßen.
Was sind die neuen Probleme?
Was sind die neuen Probleme? Abwanderung und Entmischung durch Wegzug von Mittelschichtbewohnern; Erwerbstätige mit geregeltem Einkommen; Sozial stabile Familien mit Kindern etc. Die entstehenden Lücken werden weitgehend durch sozial labilere Bevölkerungsschichten gefüllt oder bleiben leer. Es kommt zu einer sich immer weiter verstärkenden Konzentration von Bewohnern in problematischer ökonomischer und sozialer Situation. Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Sozialhilfedichte, Perspektivlosigkeit, vor allem bei Jugendlichen ohne Ausbildungs- und Arbeitsplatz sind bestimmende Faktoren, die die Nachbarschaften überfordern und es baut sich eine Art Teufelskreis auf. Der öffentliche Raum verwahrlost, die Kriminalität und Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen steigt, die Wegzüge nehmen zu, etc., etc.
15 Quartiere, Senatsbeschluß
Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen hat der Senat 15 Quartiere mit ca. 200.000 Einwohnern benannt, für die ein besonderer Handlungsbedarf besteht. Im März dieses Jahres wurde für diese 15 Gebiete für zunächst 3 Jahre ein Quartiersmanagement installiert. Dieses Instrument ist für Berlin neu, und in seiner Durchführung spezifisch. Für den Ansatz gibt es natürlich Vorbilder und Anregungen anderer Länder und Städte.
Der Berliner Handlungsansatz setzt nun nicht nur gezielt an den quartiersspezifischen Problemlagen an, sondern vor allem auch an den Chancen und Potentialen, die im Quartier stecken. Und auch die sind in jedem Quartier anders.
2 Beispiele
Ich möchte dies an zwei Quartieren beispielhaft beschreiben:
1. Quartier Magdeburger Platz:
Das Quartier liegt beiderseits der Potsdamer Straße am Landwehrkanal, 500 m vom Potsdamer Platz in der Nähe des Kulturforums und des Diplomatenviertels und unweit der Westberliner City mit Kudamm und Tauentzienstraße.
Seine Hauptprobleme sind Prostitution, Drogenhandel, 21% Arbeitslosigkeit, 15% Personen mit Nettoeinkommen unter 1000,- DM, hohe Fluktuation (41% Kurzwohner).
Die Chancen liegen in der Lage des Quartiers, und in einigen Großarbeitgebern direkt im Quartier und in unmittelbarer Umgebung (z.B. Grandhotel Esplanade, Tagesspiegel, Möbel-Hübner, Bertelsmann-Druckerei ). Die sozialen Probleme sind gravierend, die Lage hervorragend, die Chancen gut.
2. Beispiel Wrangelkiez:
Der Wrangelkiez liegt in Kreuzberg an der Oberbaumbrücke, unmittelbar zwischen Spree und Görlitzer Park (20 Jahre IBA-Gebiet).
Hier liegen die Hauptprobleme im zunehmend schlechteren Zustand des öffentlichen Raums, in offener und latenter Gewaltbereitschaft, großen Sprachdefiziten bei der ausländischen Bevölkerung, die hier 43% beträgt, insbesondere bei Kindern und damit in den Schulen, in Sozialisationsmängeln und im Erneuerungs- und Modernisierungsbedarf im Altbaubestand.
Auch hier liegen die Chancen schon in der Lage: Unmittelbar an der Spree einerseits und am Görlitzer Park andererseits gelegen, südlich angrenzend die neue BEWAG-Zentrale. Darüber hinaus eine starke grün-alternative Szene, eine große Zahl von Initiativen und engagierten Einzelpersonen, eine junge Bevölkerungsstruktur und eine multikulturelle Kneipen- und Galerieszene.
Strategie
Die Strategie des Quartiersmanagements baut nicht auf zusätzlichem Geld auf, sondern setzt auf Management, ist aber nicht Sozialarbeit im klassischen Sinn. Es ist explizit keine eindimensionale Betrachtung eines einzigen, wenn auch möglicherweise bedeutsamen oder besonders hervorstechenden Aspekts und setzt voraus, daß die bauliche Modernisierung fortgesetzt wird.
Es ist als umfassender, integrierter Ansatz angelegt. Es soll im Grunde alle Lebensbereiche erfassen und als Strategie mit vielen kleinen Schritten in allen Lebensbereichen positive Veränderungen herbeiführen. Ziel ist es, stabile Nachbarschaften herzustellen.
Das Quartiersmanagement setzt dabei vor allem auf die inneren Kräfte und Potentiale des Quartiers. Es sollen das Eigenengagement und die Eigenverantwortung aktiviert und unterstützt werden. Es soll das Gefühl der Perspektivlosigkeit und der Ohnmacht abgebaut und die Chancen betont werden.
Zielgruppe sind alle, die im Quartier leben, arbeiten, Gewerbe treiben, Einrichtungen im Gebiet nutzen oder in irgend einer Form Interesse am Quartier haben oder haben sollten.
Bezug zum Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt"
Der Berliner Ansatz einer sozialorientierten Stadtentwicklung entspricht grundsätzlich den Zielsetzungen des Bund-Länder-Programms "Soziale Stadt". Die Gemeinschaftsinitiative, an deren Erstellung Berlin aktiv beteiligt war, stellt als nationales Aktionsprogramm den erforderlichen bundespolitischen und finanziellen Rahmen für die Umsetzung einer sozialen Stadtentwicklung dar.
Auch dieser finanzielle Rahmen ist von Bedeutung, denn ganz ohne Geld funktioniert beim besten Willen auch das Quartiersmanagement nicht (6 Mio. pro Jahr für 15 Quartiere).
Aufgaben der Quartiersmanager
Inzwischen wurden für alle 15 Quartiere jeweils ein Quartiersmanagerteam beauftragt. Die Aufträge wurden extern vergeben und haben eine Laufzeit von drei Jahren.
Die Aufgaben, die die Quartiersmanager übernommen haben, sind der strategischen Zielrichtung folgend außerordentlich komplex:
Und bei allen Maßnahmen wird immer das parallele Ziel mitverfolgt, Beschäftigungseffekte zu erzielen. Deshalb sind gerade Beschäftigungsförderung und Stärkung der lokalen Wirtschaft ganz zentrale Aufgaben.
Aufgaben der Verwaltung
Was sind die Aufgaben der Verwaltung? Die Verwaltung beginnt, mit dem Instrument Quartiersmanagement gewissermaßen Verwaltungsreform im Kleinen zu realisieren. Um Effizienz und Effektivität auch auf der Verwaltungseite zu stärken, werden für das Quartiersmanagement ressortübergreifende Strukturen sowohl innerhalb der Verwaltungsebenen (Senatsverwaltungen und Bezirke, die ja in Berlin eine große Eigenständigkeit und Eigenverantwortung im Sinne von Gemeinden haben) als auch zwischen den Senats- und Bezirksverwaltungen aufgebaut. Dies ist in der Doppelfunktion, die Berlin als Kommune und Bundesland hat, von besonderer Bedeutung. Denn hier liegen in der täglichen Verwaltungspraxis häufig die Ursachen für Reibungsverluste und Effektivitätsmängel.
Ein Beispiel für Koordinationsmängel ist das Nebeneinander von allein 126 Projekten im Gebiet rund um das Kottbusser Tor. Sie werden von den unterschiedlichsten Verwaltungen gefördert und laufen oft beziehungslos nebeneinander her. Es handelt sich dabei um Projekte aus den Bereichen
Die Aufgaben der Verwaltung liegen unter anderem in den Grundatzentscheidungen, der Koordination der 15 Quartiere und der Verwaltungen untereinander, der Erfolgskontrolle und dem Einbringen der Quartiersmanagementgebiete in Förderstrukturen.
Das Neue für Berlin
Das für Berlin neue am Quartiersmanagement ist also das Wegkommen von sektoralem Denken und Handeln, das Einreißen von Denk- und Ressortmauern. Es ist das Wegkommen von unkoordiniertem Nebeneinander der Aktionen und Projekte. Es ist das Bündeln der vorhandenen und Erschließen neuer Kräfte auf gemeinsame Ziele und bezogen auf eine überschaubare Nachbarschaft.
Resümee
Die Begrenztheit der Wirkungsmöglichkeiten des Quartiersmanagements ist klar. Es kann keine grundlegenden Strukturprobleme wie Massenarbeitslosigkeit oder zunehmende Verarmung lösen.
Aber es kann auf lokaler Ebene etwas anstoßen. Das Quartiersmanagement bündelt mit seinem integrierten und übergreifenden Ansatz die im Quartier vorhandenen Kräfte. So wird versucht, viele kleine Verbesserungen zu erreichen, die in ihrer Summe, in ihrer Vernetzung und Überlagerung einen spürbaren positiven Effekt erzielen. Das Ziel sind langfristige und dauerhafte, selbsttragende Strukturen. Das bedarf allerdings Zeit, Geduld, Engagement. Wir erwarten keine Wunder, sind aber guter Hoffnung für eine soziale Stadtentwicklung.