Ziele und Konzeption des Bund-Länder-Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf-die soziale Stadt"
Mit dem neuen Programm "Die soziale Stadt" reagiert die Politik auf veränderte Rahmenbedingungen in den Städten. Um die komplizierte Problemlage in benachteiligten Wohnquartiere lösen zu können, sind integrative Handlungsansätze notwendig. Die Förderung rein baulicher Maßnahmen reicht nicht mehr aus.
Die städtebaulichen Erneuerungsstrategien der vergangenen Jahre haben sich schwerpunktmäßig darauf konzentriert, städtebauliche Missstände zu beseitigen und strukturelle Veränderungen sozial abzusichern. Das stadtentwicklungspolitische Selbstverständnis spiegelte sich dabei in der Betonung des Elementes "baulich". Diese Aufgaben werden -trotz aller Erfolge der Vergangenheit - auch in Zukunft weiterbestehen, vor allem in den neuen Ländern. Dem trägt der Entwurf der Bundesregierung für den Haushalt 1999 Rechnung, indem für das "Grundprogramm" der Städtebauförderung 600 Mio. DM Bundesfinanzhilfen vorgesehen sind, davon 520 Mio. DM für die neuen Länder. Andererseits verändern neue Trends die Rahmenbedingungen für die Städte weitreichend:
Diese Entwicklung führt zu sozialen Problemlagen, die sich jedoch nicht gleichmäßig über das Stadtgebiet verteilen. Vielmehr lassen sie sozial stigmatisierte Brennpunkte entstehen. Sichtbar wird diese Entwicklung in vernachlässigten öffentlichen Räumen, leerstehenden Gebäuden, Drogenproblemen, zunehmender Gewaltbereitschaft und Vandalismus. Betroffen sind nicht nur die großen Neubausiedlungen, sondern auch historisch gewachsene, aber vernachlässigte Stadtteile und Stadtteile mit ungelösten Konversionsproblemen.
Neuorientierung der Stadtentwicklung
Die Stadtentwicklungspolitik steht damit vor der Herausforderung, einer sozialen Abwärtsentwicklung in gefährdeten Stadtteilen entgegenzuwirken. Deshalb gilt es, Strategien zu entwerfen, die über die klassische Städtebauförderung mit ihrem primär baulichen Ansatz hinausgehen. Die Lösung der wachsenden sozialen Probleme in den Städten müssen Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam als vordringliche Aufgabe der nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik verstehen und ebenso gemeinsam Lösungsstrategien entwickeln. Nicht selten steht dabei dem notwendigen quartiersbezogenen integrativen Handlungsansatz die Zersplitterung von Zweckzuwendungsbereichen entgegen. Die staatlichen Finanzhilfen verschiedener Ressorts, die jeweils für sich auf bauliche, wirtschaftliche oder soziale Verbesserungen in städtebaulichen Problemlagen abzielen, müssen deshalb auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene ressortübergreifend koordiniert und in ihrem Einsatz aufeinander abgestimmt werden. Bislang beklagen wir die Erfahrung, dass es viele richtige und nützliche politische Programme wie finanzielle Hilfen gibt, leider aber nicht immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Künftig wird es darauf ankommen, investive und nichtinvestive Maßnahmen mit dem Schwerpunkt der städtebaulichen Erneuerung "aus einer Hand" zu kombinieren und zu integrieren. Dazu zählen insbesondere die Politikfelder
Die Bündelung öffentlicher und privater Ressourcen in schwierigen Stadtgebieten folgt nicht zuletzt auch dem Gebot, die immer knapper werdenden Mittel öffentlicher Haushalte so sparsam und effizient einzusetzen wie nur eben möglich.
Die politische Reaktion der Bundesregierung
Konzepte lassen sich nicht aus dem Boden stampfen -auch und schon gar nicht in der Entwicklung neuer stadtentwicklungspolitischer Strategien. Deshalb ist gut beraten, wer die Erfahrungen anderer nutzt-denn Stadtteile mit besonders hohem Anteil sozial gefährdeter Gruppen gibt es in fast allen europäischen Staaten. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande haben für diese Problemgebiete bereits Programme entwickelt.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland haben einige Länder auf die zunehmende soziale Polarisierung in den Städten reagiert. Der Beschluss des nordrhein-westfälischen Kabinetts zur konzentrierten Förderung von Stadtteilen, das Armutsbekämpfungsprogramm der Freien und Hansestadt Hamburg und das Programm Wohnen in Nachbarschaften der Freien Hansestadt Bremen mögen als besonders signifikante Beispiele gelten.
Auf der Grundlage dieser Erfahrungen haben die Gremien der ARGEBAU in einer Gemeinschaftsinitiative mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) ihre überlegungen für einen neuen Programmansatz in einem Leitfaden als Grundlage der weiteren Zusammenarbeit zusammengefasst.
Die Bundesregierung schließlich hat, und das ist der entscheidende Schritt zur Implementierung der Strategie, in der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 eine Fortentwicklung und Neuorientierung der Städtebauförderung festgeschrieben: "Sie (die Städtebauförderung) wird ergänzt durch ein Programm .Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf-die soziale Stadt'."
Zielsetzung des neuen Programms "Die soziale Stadt“
Ziel des neuen Programmansatzes ist es, die Lebenssituation der betroffenen Menschen in benachteiligten Stadtquartieren durch eine aktive und integrativ wirkende Stadtentwicklungspolitik nachhaltig zu verbessern. Diese Zielsetzung wird verknüpft mit einer Effizienzsteigerung öffentlicher Maßnahmen durch frühzeitige Abstimmung und Bündelung öffentlicher und privater Finanzmittel auf Stadtteilebene. Mittel- und längerfristig gibt das Programm:
Die Städtebauförderung dient hierbei als Leitprogramm.
In welchen Gebietstypen kommt das Programm zum Einsatz?
Vordringlich konzentriert sich der neue stadtentwicklungspolitische Ansatz auf die Problemgebiete in
Das Förderungsprogramm bezieht Problemgebiete in den alten und neuen Ländern gleichermaßen ein.
Finanzierung und Umsetzung des politischen Ansatzes
Der Entwurf der Bundesregierung zum Haushaltsplan 1999 sieht bereits für das Jahr 1999 Bundesfinanzhilfen in Höhe von 100 Mio. DM vor; die Länder stellen die notwendigen Komplementärmittel bereit. Umzusetzen ist der neue Programmansatz durch eine von Bund und Ländern zu schließende Verwaltungsvereinbarung auf der Grundlage der in Art. 104 a Abs.4GG i. V. m. § 164 b BauGB geregelten Mitfinanzierungskompetenz des Bundes für Maßnahmen der städtebaulichen Erneuerung und Entwicklung. Die Verwaltungsvereinbarung regelt - neben einer Reihe administrativer Abwicklungsmodalitäten - insbesondere die inhaltlichen Kernpunkte und - thesen sowie Lösungsansätze, den Einsatz- und Förderungskatalog, die Gebietskulisse, die Höhe der Bundesbeteiligung und den Verteilungsschlüssel.
Eckpunkte einer Verwaltungsvereinbarung 1999
Der Entwurf der Verwaltungsvereinbarung stützt sich auf folgende inhaltliche Eckdaten:
1) Ob und wie ab dem Jahre 2000 eine gesetzliche Regelung als Grundlage für das Programm erforderlich oder angezeigt ist, wird im Bundesverkehrs- und -bauministerium derzeit überlegt. |
Aufgaben des Bundes
Die Verpflichtung des Bundes zur Ressourcenbündelung muss selbstverständlich "im eigenen Haus" beginnen. Im Besonderen sind hier die Wohnungsbauförderung und die Finanzhilfemittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) angesprochen.
Eine Verknüpfung des stadterneuerungspolitisch qualifizierten Programms mit der Wohnungsbauförderung gewährleisten insbesondere zwei Regelungen:
Darüber hinaus hat Bundesminister Franz Müntefering schriftlich an die betroffenen Kabinettskollegen die Bitte um Kooperation zugunsten des neuen Programms gerichtet. Ungeachtet dessen haben auch auf Arbeitsebene Gespräche des BMVBW insbesondere mit den Bundesministerien für Arbeit und Sozialordnung, für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und für Bildung und Forschung die Bereitschaft zur Zusammenarbeit erwiesen. übereinstimmend und einhellig begrüßen die Ressorts die politischen Ziele des BMVBW. Konsens besteht auch darüber, dass sich die Erneuerung städtischer Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf für eine solche Maßnahmen- und Ressourcenbündelung besonders eignet. 3)
Alle Ressorts zeigen sich offen für die Notwendigkeit einer horizontalen Bündelung aller stadtentwicklungspolitisch relevanten politischen, organisatorischen und finanziellen Ressourcen. Die Umsetzung dieser Bereitschaft zur Kooperation in gemeinsame Aktionen verlangt jedoch eine "Politik der kleinen Schritte". Die Möglichkeiten müssen von Fall zu Fall gebiets-, problem- und maßnahmebezogen erörtert werden.
2) In den neuen Ländern gilt diese Regelung bereits seit dem Haushaltsjahr 1991. 3) Das Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend bereitet z.B. ein Programm vor, das in sozialen Brennpunkten in verschiedenen Städten ansetzt. Politik, Schulen. Betriebe und freie Träger sollen "lokale Pakte" bilden, um die Integration - insbesondere benachteiligter und ausländischer -Jugendlicher in Beruf und Gesellschaft zu fördern. Schwerpunkte des Aktionsprogramms sind "Arbeit und Jugend" sowie "Beschäftigungs- und Arbeitswelt". Dabei erscheint es wünschenswert, diese Aktionen der Jugendhilfe mit Arbeitsprogrammen zu verknüpfen. Erste Bausteine des Gesamtprogramms sollen im Zusammenwirken mit dem Bau- und Verkehrsministerium in Gang gesetzt werden. Wünschenswert wäre auch, die - in der vorigen Legislaturperiode gescheiterte - Initiative zur übertragung des städtebaulichen Arbeitsförderungskatalogs auf die alten Länder erneut voranzutreiben. |
Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
Für Bund und Länder regelt die Verwaltungsvereinbarung Präambel Nr. 3 Abs. 5 die Verpflichtung beider staatlichen Ebenen, "alle für die Entwicklung dieser Gebiete erforderlichen und bereitstehenden Mittel und Maßnahmen zu koordinieren und zu bündeln". Den Gemeinden schreibt sie zur Begleitung der Maßnahme ein "auf Fortschreibung angelegtes, gebietsbezogenes integriertes stadtentwicklungspolitisches Handlungskonzept" vor (Art. 2 Abs. 4). Dieses Handlungskonzept mit einem Planungs- und Umsetzungskonzept sowie einer Kosten- und Finanzierungsübersicht soll zur Lösung der komplexen Probleme zielorientierte integrierte Lösungsansätze aufzeigen, alle Maßnahmen zur Erreichung der Ziele - auch die anderer Bau- und Finanzierungsträger - erfassen sowie die geschätzten Ausgaben und deren Finanzierung darstellen.
Insgesamt steht so ein Bündel von Handlungsoptionen zur Verfügung, mit dem auf den notwendigen Verbesserungsbedarf in den Stadtteilen mit besonderen Entwicklungsbedarf reagiert werden kann. Auf Grundlage der von den Gemeinden zu erstellenden operativen Programme können die Mittel dann für konkrete Quartiersentwicklungsprozesse eingesetzt werden. Dabei sind zahlreiche Einsatzbereiche denkbar (s. Info-Kasten).
Haupteinsatzbereiche der Fördermittel und typische Maßnahmen im Bund-Länder-Programm
"Die soziale Stadt"
Bürgermitwirkung, Stadtteilleben
4) Stadtteilmanagement soll innovative Prozesse im Quartier in Gang setzen, welche die soziale und ökonomische Lage der Bewohnerinnen und Bewohner benachteiligter Stadtteile nachhaltig verbessern. Dabei bedarf es gezielter spezifischer Interventionen organisatorischer, planerischer. technischer, ökonomischer und nicht zuletzt finanzieller Art. Dieses komplexe Arbeitsfeld bedingt ein neues Ausbildungsangebot. |
Lokale Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung
Quartierszentren
Soziale, kulturelle, bildungs- und freizeitbezogene Infrastruktur
Wohnumfeld und ökologie
Grundsätzliche Verfahrensschritte
Bündelung mit EU-Strukturfonds
In allen deutschen Ziel-1- (neue Länder flächendeckend) und Ziel-2-Regionen (Teilgebiete in den alten Ländern) können vom Jahre 2000 ab Maßnahmen gefördert werden, die der Erneuerung städtischer Problemgebiete dienen. Um die Missstände in den städtischen Problemquartieren zu beseitigen, bedarf es einer aktiven und integrativen Stadtteilentwicklungspolitik. Daher sollen - auch nach den Vorstellungen der ARGEBAU - EFRE-Maßnahmen, die sich inhaltlich mit Maßnahmen des ESF zur Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung sinnvoll verknüpfen lassen, auf städtischer Ebene integrativ eingesetzt werden.
Diese Neugestaltung der EU-Strukturfonds erlaubt die Verknüpfung der EU-Förderung mit dem nationalen Programmansatz "Die soziale Stadt" in den künftigen EU-Fördergebieten. Die dazu von den Ländern zu erbringenden Vorarbeiten sind zum April abgeschlossen worden.
Erfolgskontrolle und Programmbegleitung
Eine fachlich-operative Begleitung ist für eine Erfolgskontrolle und Zieloptimierung des Finanzhilfeprogramms vor allem in der Start- und Anlaufphase unentbehrlich; sie soll im Rahmen des Programms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) erfolgen. Nach dem Start des neuen Finanzhilfeprogramms erscheint es sinnvoll, das Programm mit dem Ziel eines "einheitlichen Designs" zu begleiten und im Bewusstsein der öffentlichkeit zu verankern. Diese Funktion wird das Deutsche Institut für Urbanistik (difu), Berlin, als überregionale Vermittlungs-, Informations- und Beratungsagentur von Beginn an programmbegleitend übernehmen. Das difu organisiert insbesondere
Im Rahmen dieser "operativ-experimentellen" Begleitung können richtungsweisend in die Maßnahmen verschiedenste Bausteine integriert werden, z. B. lokale Beratungsstellen für arbeitslose Jugendliche. Einige ausgewählte Städte werden noch intensiver betreut.
Tabelle I.Verteilung der Bundesmittel des Programms "Soziale Stadt" auf die einzelnen BundesländerLand | Anteil i. v. H. | in TDM |
Baden-Württemberg | 11,27 | 11217 |
Bayern | 12,911 | 12911 |
Berlin | 5,132 | 5132 |
Brandenburg | 3,777 | 3777 |
Bremen | 0,941 | 941 |
Hamburg | 2,168 | 2168 |
Hessen | 6,811 | 6811 |
Mecklenburg-Vorpommern | 2,729 | 2729 |
Niedersachsen | 9,370 | 9370 |
Nordrhein-Westfalen | 21,293 | 21293 |
Rheinland-Pfalz | 4,428 | 4428 |
Saarland | 1,305 | 1305 |
Sachsen | 6,703 | 6703 |
Sachsen-Anhalt | 4,332 | 4332 |
Schleswig-Holstein | 3,226 | 3226 |
Thüringen | 3,657 | 3657 |
insgesamt | 100,000 | 100 000 |
Wege zu einer neuen Stadtentwicklungspolitik
Eingangs haben wir bereits angedeutet, dass dem neuen stadtentwicklungspolitischen Programmansatz, wie er sich in der Verwaltungsvereinbarung operativ und administrativ niederschlägt, rund zwei Jahre gemeinsamer Vorarbeiten der ARGEBAU mit dem BMVBW vorausgegangen sind. Die Umsetzung der "politischen Idee" wird gleichwohl wesentlich mehr Zeit und - vor allem - Geduld, Kontinuität und Beharrlichkeit brauchen.
Den Erfolg aktiv und sozial verantwortungsbewusst mitzugestalten, sind nicht nur die staatlichen Ebenen, Organisationen und Institutionen aufgefordert. Gerade die Kräfte außerhalb der staatlichen Funktionsträger werden beweisen müssen, dass das städtebaulichökonomisch-soziale Gesamtgefüge mehr braucht als öffentliche Förderung. Alle "vor Ort" verantwortlichen und zur Hilfe bereiten Kräfte sind aufgerufen, sich der neuen Aufgabe in ihrer ganzen Problem-, aber auch möglichen Lösungsvielfalt zu stellen: Sanierungsträger, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Ausländerorganisationen ebenso wie die Jugend-, Alten- und Arbeitslosenverbände. Der pessimistische Volksmund ist überzeugt, dass der Teufel im Detail steckt - wer aber optimistisch hinsieht, wird im Detail eher die Chance erkennen.
Gelingt eine breite übereinstimmung zwischen allen Beteiligten, kann aus dem integrierten Programm "Die soziale Stadt" - mittel- oder längerfristig - ein Grundmodell für die gesamte Stadtentwicklungspolitik werden.
MR Dr. Hans-Jochen Döhne leitet das Referat "Stadtentwicklung", MR Dr. Kurt Walter das Referat "Städtebaufinanzierung" im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Artikel aus: Bundesbaublatt, Heft 5/99, S.24-29