Städte-Netzwerk für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf
Positionspapier
Essen, den 25. Oktober 2001
3. Raumorientierung der kommunalen Selbstverwaltung - das operative Konzept
5. Plädoyer für eine Weiterentwicklung des Neuen Steuerungsmodells
1. Einleitung
Spätestens seit dem Start des Bund/Länder-Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" im Jahr 1999 hat das Thema "integrierte Stadtteilentwicklung" in Stadträumen mit besonders starken ökonomischen, sozialen, städtebaulichen und ökologischen Problemen Hochkonjunktur. Die wissenschaftlich analytische Befassung mit diesem Thema ist sehr viel älter. In Deutschland gibt es sie seit Beginn der achtziger Jahre. Zeitgleich veröffentlichten die Städte München und Essen 1987 jeweils eine Untersuchung über die sozialräumlichen Disparitäten in ihrem Stadtgebiet. In Nordrhein-Westfalen wurden diese vereinzelten Bemühungen um eine integrierte Stadtteilentwicklung mit dem 1993 beschlossenen Handlungsprogramm der Landesregierung "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" auf eine breitere Grundlage gestellt. Dadurch erfuhren diese Ansätze eine zusätzliche politische Legitimation. In manchen Städten wurden bis dahin Sozialraumanalysen und ressortübergreifende, gebietsbezogene Handlungsansätze von der Ortspolitik unterbunden, weil Imageschäden befürchtet wurden. Mittlerweile sind 33 Stadtteile in 25 nordrhein-westfälischen Städten in diesem Programm.
Zu den Rahmenbedingungen des Ansatzes gehört die zeitliche Beschränkung der Erneuerungsvorhaben. In einigen Fällen werden drei Jahre, in vielen fünf Jahre für ausreichend gehalten, um die Lebensbedingungen der Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadtteile mit einem besonderen finanziellen, personellen und organisatorischen Aufwand der Verwaltung zu verbessern. In einigen Städten wird die Bearbeitung des Themas auch außerhalb der regulären Verwaltungsstrukturen vorgenommen, ein Beispiel ist hier die Entwicklungsgesellschaft Duisburg mbH, oder auch durch damit zeitlich befristet beauftragte Büros, die mit der Verwaltung kooperieren. Selten wird jedoch der systematische Versuch unternommen, das Problem sozialräumlicher Disparitäten dadurch zu bearbeiten, dass Verwaltungsstrukturen umgebaut, vorhandene Mittel gebündelt, Infrastrukturen umgenutzt und die Entscheidungsverfahren anders, d.h. transparenter, partizipativer, dialogorientierter organisiert werden. Die positiven Erfahrungen und Lösungen der Programmphase "Soziale Stadt/Stadtteile mit besonderem Erneuerungs- bzw. Entwicklungsbedarf" müssen in das Regelverhalten der kommunalen Verwaltung und der lokalen Partner eingehen: die Verwaltungsreform und das Neue Steuerungsmodell müssen eine räumliche Dimension bekommen.
Mit diesem Positionspapier möchte sich das Städte-Netzwerk für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf in die vielerorts aktuellen Bestrebungen zur Verwaltungsmodernisierung einmischen, um folgendes deutlich zu machen:
Von der zeitlich befristeten Stadterneuerung zu dauerhafter Stadtteilentwicklung
Das Problem kleinräumiger Problemkonzentrationen ist weder ein vorübergehendes, noch kann es in wenigen Jahren durch entschlossenes Handeln beseitigt werden. Es handelt sich vielmehr um ein komplexes strukturelles Problem, das nur durch dauerhafte Veränderungen kommunaler Steuerungsformen tatsächlich wirksam angegangen werden kann. Die zeitlich befristete Stadtteilerneuerung muss sich zu einer dauerhaften integrierten Stadtteilentwicklung weiterentwickeln.
Vom Sonderprojekt zu regulären Gebietsteams
Eine dauerhafte Stadtteilentwicklung kann in organisatorischer Hinsicht nicht mit dem Status eines Sonderprojekts, wie er den bisherigen Stadtteilprogrammen zu eigen ist, erreicht werden. Voraussetzung der effektiven gebietsbezogenen und integrierten Arbeit ist eine fachbereichsübergreifende Organisationsstruktur der Verwaltung in Form von Gebietsteams. Diese Gebietsteams setzen sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedener Fachbereiche zusammen, die ihre sektorale Sichtweise zugunsten einer interdisziplinären und raumbezogenen Arbeitsweise aufgeben.
Von der Sonderförderung zum Raumhaushalt
Wenn die Stadtteilebene an Bedeutung gewinnen soll, dann sollte das Gebietsteam mit einem eigenen Haushalt arbeiten können. Die Verwendung des Raumhaushalts bietet darüber hinaus die Möglichkeit einer breiteren Beteiligung der Bürgerschaft und insbesondere der intensiven Einbeziehung der Bezirksvertretungen als politisch legitimierte Interessensvertretungen in die Entwicklung der Stadtteile.
Dieses Positionspapier möchte zugleich die Stellung derjenigen Akteure stärken, die verhindern wollen, dass die in den Stadtteilen zumeist mit großem Engagement und intensiver Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner aufgebauten Strukturen und erreichten Projekterfolge nach dem Ende der Stadtteilprogramme wieder wegbrechen.
Das vorliegende Papier reflektiert zunächst in Kapitel 2 die positiven Erfahrungen der bisherigen nordrhein-westfälischen Praxis, bevor in Kapitel 3 das operative Konzept einer raumorientierten Verwaltung erläutert wird. In Kapitel 4 werden die Motive der verschiedenen an der Umsetzung der Stadtteilprogramme beteiligten Akteure geschildert, um zum Schluss in Kapitel 5 einen Ausblick auf die Konsequenzen des von uns vorgeschlagenen Konzepts auf die aktuelle Modernisierung der Verwaltung im Zusammenhang mit dem "Neuen Steuerungsmodell" zu werfen.
2. Würdigung der Erfahrungen mit dem NRW-Landesprogramm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf"
Mit dem Kabinettsbeschluss der nordrhein-westfälischen Landesregierung vom 4. Mai 1993 wurde eine ressortübergreifende Initiative mit dem Ziel gestartet, zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen in den sogenannten Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf beizutragen. Es geht dabei um die Entwicklung einer präventiven Politik, die der zunehmenden Polarisierung und sozialräumlichen Segregation städtischer Gesellschaften entgegensteuern soll. Sowohl auf der Ebene des Landes als auch in den Kommunen werden Ressourcen und verschiedene Förderprogramme - die Städtebauförderung übernimmt dabei eine Leitfunktion - gebündelt, um durch die Verknüpfung städtebaulicher, sozialer, beschäftigungspolitischer, kulturpolitischer und umweltrelevanter Handlungsansätze eine stärkere Wirkung der Maßnahmen zu erreichen. Die Weiterentwicklung städtebaulicher Erneuerungsverfahren wurde von den größeren Kommunen des Landes u.a. von Duisburg, Essen, Köln, Dortmund und auch Hamm angestoßen. Dem zugrunde lag die Erkenntnis, dass eine sektoral organisierte Herangehensweise an die komplexen sozialräumlichen Problemlagen in benachteiligten Stadtgebieten nicht mehr angemessen war, sondern dass es eines neuen ebenso komplexen Handlungsansatzes bedurfte.
Zu den wesentlichen Qualitätsstandards des NRW-Landesprogramms zählen:
Zur Umsetzung dieses Ansatzes und insbesondere zur Koordination der bislang sektoral organisierten und z.T. ohne jeglichen Raumbezug handelnden Fachressorts, wird ein Stadtteilmanagement als dezentrale Steuerungseinheit aus Städtebaumitteln gefördert. In NRW haben oftmals interdisziplinär besetzte "Stadtteilbüros" diese Steuerungsaufgabe übernommen. Die Grundlage für die koordinierte ressortübergreifende Förderung des Landes bildet dabei ein im Vorfeld für den betreffenden Stadtteil zu erarbeitendes "integriertes Handlungskonzept", das von der interministeriellen Arbeitsgruppe der Landesregierung, der sogenannten INTERMAG, anerkannt werden muss.
Mittlerweile gelten eine Vielzahl derjenigen Handlungsansätze und Projekte, die in den nordrhein-westfälischen "Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf" entwickelt wurden, über alle Politikfelder hinweg als hoch innovativ. Die Palette reicht von Projekten, in denen Antworten auf den Wandel moderner Gesellschaften in den Bereichen Zuwanderung, Familie, Ökologie, Verkehr und soziale Infrastruktur gegeben werden, bis hin zu neuen Beteiligungs- und Partizipationsstrukturen, in denen die lokale Demokratie (wieder-)belebt wird. Integrierte und räumliche Ansätze in der sozialen Arbeit sowie der lokalen Ökonomie zählen ebenso zu den wichtigen Elementen des gebietsbezogenen Ansatzes. Mittlerweile dürften 1.000 Projekte in den 33 Stadtteilen des Landesprogramms entwickelt und durchgeführt worden sein, die dazu beitragen, Aufbruchstimmung und neues Selbstbewusstsein in den Stadtteilen zu wecken.
Die positiven Erfahrungen, die in NRW (und auch in Hamburg) mit gebietsbezogenen und integrierten Erneuerungsansätzen gemacht wurden, führten dazu, dass in weiteren Bundesländern (u.a. in Hessen, Bremen und Berlin) vergleichbare Programme aufgelegt wurden. Seit 1999 unterstützt auch der Bund im Rahmen des Bund-Länder-Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" diesen Ansatz.
Ebenso deutlich wie sich der innovative Charakter des NRW-Landesprogramms gezeigt hat, werden nach sieben Jahren Erfahrung mit diesem Politikansatz seine Grenzen sichtbar. Diese Grenzen hängen zum einen mit der zeitlichen Beschränkung der öffentlichen Förderung zusammen, bei deren Auslaufen sich die Frage stellt, wie die durch das Programm initiierten Aktivitäten und Strukturen verstetigt werden können. Zum anderen resultieren aus dem Gebietsbezug und dem integrativen Ansatz zur Bündelung von Ressourcen eine Reihe von Organisationsfragen, die auf die Notwendigkeit der Modernisierung des Verwaltungshandelns verweisen. Ein zentraler Aspekt ist die Rolle der Stadtteilprojekte als "Sonderprojekte"; innerhalb der kommunalen Verwaltung. Im Gegensatz zu den ständigen Aufgabenbereichen der Verwaltung, kennzeichnet die "Sonderprojekte" der zeitlich befristete Mitteleinsatz. Das führt dazu, dass ein häufig auftauchendes Problem stadtteilbezogener Ansätze in der fehlenden Institutionalisierung von Zuständigkeiten für den Erneuerungsprozess liegt, z.B. bei der Entwicklung und Betreuung von Projekten. Dieses Problem lastet dann zumeist allein auf den Schultern des jeweiligen Stadtteilmanagements. Als schwierig erweist es sich darüber hinaus, das Ressortdenken in der Verwaltung zu überwinden und zu einer ganzheitlichen Sichtweise zu gelangen. Ein ebenso gravierendes Defizit aus der Perspektive der Bewohner/innen ist es, dass nur in wenigen Fällen eine substanzielle Delegation von Entscheidungsmacht an die Stadtteilebene erfolgt ist.
3. Raumorientierung der kommunalen Selbstverwaltung - das operative Konzept
Das Handeln der Verwaltung stärker am Raum auszurichten, kann in unterschiedlicher Intensität geschehen. Im Folgenden wird ein Konzept vorgestellt, das hinsichtlich seiner Konsequenzen für den Umbau der bestehenden Verwaltungsstrukturen relativ weitreichend ist. Damit lässt es mögliche organisatorische Zwischenformen aus, die ebenfalls auf eine stärkere Ausrichtung der Verwaltung auf konkrete Sozialräume abzielen. Dies können - je nach Stadt Stadtteile oder Bezirke sein. Deswegen soll das im Anschluss vorgestellte operative Konzept keineswegs als einzige mögliche Antwort auf die Frage nach der "richtigen" Organisationsform für eine stärker am Raum orientierte Verwaltung verstanden werden. Dazu wird in jeder Kommune "lokale Maßarbeit" notwendig sein.
Mit dem Beitrag soll ein umfassendes Konzept in die Diskussion eingebracht werden, das darauf abzielt, den Sonderstatus von Handlungsprogrammen für "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" aufzuheben und statt dessen Regelstrukturen für ein Verwaltungshandeln zu etablieren, das sich auf die positiven Erfahrungen langjähriger Stadtteilentwicklungspraxis stützt. Bevor das skizzierte Konzept jedoch umgesetzt werden kann, sollte es in einigen Modellräumen - evtl. in einem Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf und einem Normalstadtteil - in einem wissenschaftlich begleiteten Modellversuch erprobt werden. Dieser Modellversuch sollte mit gezielten Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen vorbereitet und begleitet werden.
Die Raumorientierung der Verwaltung hat u.E.
Bei der thematisch/inhaltlichen Dimension geht es darum, integriert, problem- und lösungsorientiert zu arbeiten. Die Themen, die es zu bearbeiten gilt, orientieren sich nicht am Zuschnitt von Verwaltungseinheiten. Häufig liegen sie quer dazu. Also müssen die personellen und finanziellen Ressourcen der Fachressorts gebietsbezogen gebündelt werden und die externen Akteure, das sind Bürgerinnen und Bürger, Wohlfahrtsverbände, lokale Unternehmen, Vereine, Initiativen, Kirchengemeinden und sonstige gesellschaftliche Gruppen, zur Mitarbeit gewonnen werden. Sichergestellt werden muss bei der Raumorientierung der Verwaltung auch, dass die auf gesamtstädtischer Ebene formulierten Ziele mit ihren Wechselwirkungen für die betroffenen Stadtteile oder Bezirke im Blick gehalten werden und eine gegenseitige Rückkopplung der politisch-administrativen Ebenen erfolgt.
Eine solche Neuorientierung hat organisatorische Lösungen auf Seiten der Verwaltung zur Voraussetzung. Es müssen Teams gebildet werden, die voll verantwortlich sind für Stadträume und die dort zu bearbeiteten Themen der Verwaltung: z.B. die bauliche Unterhaltung von Schulen, Straßenunterhaltung und -reinigung, Grünflächenpflege, Stadtteilkulturarbeit, Bauleitplanung, Kindergartenbau und -unterhaltung, Jugendarbeit. Diese "Gebietsteams" werden von einem Beauftragten geleitet, der ausschließlich diese Arbeit macht, die anderen Mitglieder der Teams sind eingebunden in die klassischen "Zentralämter", widmen aber einen definierten Teil ihrer Arbeitszeit einem bestimmten Stadtraum.
Damit die Gebietsteams ihrer Aufgabe in finanzieller Hinsicht gerecht werden können, verfügen sie über die Mittel, die regelmäßig Jahr für Jahr für ihre Themen (Grün, Schule ...) im Stadtteil/Bezirk ausgegeben werden, d.h. es existiert ein teilräumlicher Haushaltsplan ("Raumhaushalt") als Teil des gesamtstädtischen Haushalts. Aufgestellt wird er (erstmals) auf der Basis des Rechungsjahres, das vor Beginn der Modellphase liegt. Ein (kleiner) Teil der aufgabenspezifischen Mittel sollte zudem in einem "Free money budget" gebündelt werden, das für innovative, ressortübergreifende, nicht geplante Projekte vom Gebietsteam auf der Basis transparenter Vergaberichtlinien vergeben werden kann. Ein Raumhaushalt ermöglicht darüber hinaus neue Formen intensiver Bürgerbeteiligung, weil die (interessierten) Bürger und Bürgerinnen ihren Ortsteil kennen und darum wissen, worüber zu reden ist. Darüber hinaus bestehen hier Verknüpfungsmöglichkeiten zur aktuellen Debatte zum Thema "kommunaler Bürgerhaushalt", die vom nordrhein-westfälischen Innenministerium angestoßen wurde (vgl. www.buergerhaushalt.de).
Die organisatorische Bündelung des Verwaltungshandelns durch die verantwortlichen Gebietsteams stellt sicher, dass thematisch integriert gearbeitet wird. Durch die Verfügung des Gebietsteams über einen eigenen Raumhaushalt können die finanziellen Mittel gebündelt eingesetzt werden. Die Grundidee dabei ist, dass kein zusätzliches Geld benötigt wird, sondern dass die normalen Mittel gebündelt - und darin liegt ihr "Mehrwert" - zur Problemlösung eingesetzt werden. Weitreichende, wechselseitige Deckungsmöglichkeiten der Mittel müssten erprobt werden.
Ein derartiges Modell hat auch in politischer Hinsicht Konsequenzen für lokale Akteure, Bürgerschaft und politische Gruppierungen. Vor allem die lokalen Akteure und die Bürgerschaft sollten mit entsprechender Unterstützung in die Lage versetzt werden, nicht nur in den Debatten um einen "Raumhaushalt", sondern auch in den durch dieses Modell unterstützten "lokalen Partnerschaften" ihre Bedürfnisse, Kompetenzen und Ressourcen als artikulationsfähige Kooperationspartner einzubringen. Den politischen Gruppierungen eröffnet dieses Modell, das in transparenten und geregelten Verfahren umgesetzt werden muss, zusätzliche Legitimationschancen. Bei konkreten Fragen der Stadtteilentwicklung können sie sich im direkten Kontakt mit der Bewohnerschaft und ihrer Lebenswelt wieder als Interessensvertretung profilieren. Die Umsetzung des Modells der Gebietsteams sollte sich auf die Bezirksebene beziehen, da durch die vorhandene demokratische Entscheidungsebene der Bezirksvertretung die politische Legitimation des räumlichen Ansatzes gestärkt wird.
4. Zur Motivlage der Akteure
Nur allzu oft ist die in den letzten Jahren in den Kommunen erprobte und oft hochgelobte Praxis des integrierten Verwaltungshandelns auf der räumlich und zeitlich beschränkten Ebene einzelner (Stadtteil-)Projekte verblieben. Dass es bisher nicht zu einer weitergehenden stadtteilbezogenen Umstrukturierung des Verwaltungshandelns, zu einer Bündelung verschiedener Ressourcen und zur Verbreitung neuer Entscheidungsverfahren kommen konnte, ist begründet in Unsicherheiten, Ängsten, Überforderungen, aber auch in mangelnder Kenntnis der Vorteile dieses "neuen" raumbezogenen Problemlösungsansatzes.
Aus Sicht der gesamtstädtischen Politik wird eine Stärkung der lokalen Ebene oft mit eigenem Einflussverlust gleichgesetzt. Auch die lokale politische Ebene sieht sich häufig mit dem erhöhten Arbeits-, Kommunikations-, Koordinationsaufwand überfordert, den stadtteilorientierte Arbeit mit sich bringt. Beide Ebenen übersehen dabei, dass sie durch Bürgernähe zum einen eine größere politische Legitimation erfahren und zum anderen eine Unterstützung durch eine engagierte Bürgerschaft erhalten können. In Essen beispielsweise mobilisiert die Katernberg-Konferenz regelmäßig rund 150 Besucher und übertrifft damit deutlich die Resonanz lokalpolitischer Veranstaltungen. Diese Politik vor Ort, die sich an den Interessen der Bewohner/innen (die gleichzeitig zu einem Großteil Wähler/innen sind) ausrichtet, ermöglicht ein frühzeitiges präventives Handeln und kann das Entstehen neuer sozialer Brennpunkte "im Verborgenen" verhindern.
Verwaltungsintern fällt es ebenfalls schwer, eine stärkere Orientierung auf den Raum eines Stadtteils oder eines Bezirks als eine selbstverständliche Ausrichtung der Verwaltungsarbeit zu akzeptieren und entsprechende Umstrukturierungen durchzusetzen. Auf der Ebene der Verwaltungsspitze (Dezernenten, Amtsleitungen) wird durch das ämterübergreifende Handeln, das durchaus Abstimmung auf kurzem Wege zulässt, eine Auflösung der Verwaltungshierarchie, d.h. auch Machtverlust befürchtet. Aus dieser Sicht scheint dezentralisiertes Handeln mehr Steuerungsaufwand mit mehr Personalkosten zu bedeuten und die Kontrolle problematischer zu machen.
Hier gilt es immer wieder nicht nur der Verwaltung sondern auch der Politik - deutlich zu machen, wie viel effektiver ein solches auf konkrete Gebiete hin orientiertes Handeln sein kann. Koordiniertes, vernetztes und ämterübergreifendes Arbeiten kann ungeahnte Flexibilität schaffen. Im Netzwerk zu arbeiten, heißt oftmals für die in ihren Zuständigkeiten bisher eingeschränkten Fachbereiche bzw. -ämter, dass Probleme in ganzheitlichen Ursachezusammenhängen wahrgenommen werden und in fachlich umfassenderen Kooperationen gelöst werden können. Eine gebietsbezogene Verfolgung von Entwicklungsprozessen ermöglicht eine Planung mit realitätsnahen und pragmatischen Ziel- und Zeitkonzepten.
Gerade die Einbeziehung örtlicher Interessensgruppen in die Planung und Entwicklung erhöht den Wissensstand über lokale Prozesse bei Verwaltung und Politik und die Kommunikationsbereitschaft aller Beteiligten. Dabei können durch eine solch intensive Arbeit auch bislang nicht erkannte Mängel und Bedarfe aufgedeckt werden, die ansonsten im Verborgenen geblieben wären. Damit wäre durch die Orientierung des Verwaltungshandelns an Stadtteilen (Bezirken) ein erhöhter Kostenaufwand zu befürchten. Langfristig betrachtet, und nur dies ist wichtig, ist die frühzeitige Verhinderung solcher Mängel jedoch wegen der besseren Reaktionsfähigkeit der Verwaltung auf akute Probleme erheblich kostengünstiger als deren spätere Behebung. Außerdem lassen sich gerade durch die Einbeziehung lokaler Interessensgruppen zusätzliche Ressourcen mobilisieren.
Auch für die Mitarbeiter/innen der Verwaltung ergibt sich durch den größeren Ortsbezug der Vorteil der besseren Vernetzung mit anderen Fachbereichen und nichtkommunalen Kooperationspartnern. Darüber hinaus nimmt aufgrund der gestiegenen Ergebnisverantwortung, gegebenenfalls auch aufgrund des größeren Gestaltungsspielraums, die Motivation der Mitarbeiter/innen zu. Der direkte Kontakt zur Bewohnerschaft verlangt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aber auch hohe kommunikative und moderierende Kompetenzen ab. In diesem Bereich ist eine Unterstützung durch Schulungen o.ä. erforderlich, ansonsten wird die Motivation nach den ersten frustrierenden Konfrontationen mit dem Willen und Unwillen der Bewohnerschaft wieder sinken.
Der regelmäßige (ernst genommene) Dialog aller innerhalb und außerhalb der Verwaltung an den Planungen und der Entwicklung des Stadtteils (Bezirks) teilhabenden Gruppierungen eröffnet die Chance einer dauerhaft besseren Verständigungsbasis. In der Bewohnerschaft ist ein erhöhtes Verständnis für gesamtstädtische Prioritätensetzungen möglich. Freie Träger erleben sozialräumliche Ansätze der Verwaltung nicht mehr nur als Ausnahmesituation. Daneben ermöglicht der Dialog der Akteure vor Ort ein erhöhtes Bewusstsein für die gemeinsamen Problemlagen und Belange in den Stadtteilen (Bezirken). Bewohnerschaft und freie Träger erleben sich nicht mehr als Konfliktparteien, sondern als Kooperationspartner gemeinsamen Handelns. Gleichzeitig erfahren alle an diesem Prozess Beteiligten, dass sie für eine effektive Arbeit in besonderem Maße aufeinander angewiesen sind.
5. Plädoyer für eine Weiterentwicklung des Neuen Steuerungsmodells
Die konzeptionellen Überlegungen dieses Papiers knüpfen an eine Debatte über die Modernisierung der öffentlichen Verwaltungen an, die in Deutschland seit Beginn der 90er Jahre unter dem Leitbegriff des "Neuen Steuerungsmodells" (NSM) geführt wird. Ausgangspunkt dieser Reformdebatte war eine zunehmende Unzufriedenheit mit der Funktionsweise und den Leistungen v.a. der kommunalen Verwaltungen, für die hier stellvertretend das polemische Schlagwort der "organisierten Unverantwortlichkeit" (Gerhard Banner) genannt werden soll. Im Kern richtete sich die Kritik der Reformer gegen das klassische Leitbild der "bürokratischen und zentralistischen Steuerung", die immer weniger in der Lage schien, auf den dynamischen Wandel der Gesellschaft und die damit einhergehenden Folgeprobleme flexibel und zeitnah zu reagieren. Als strategischen Gegenentwurf entwickelten deshalb Verwaltungsfachleute aus Wissenschaft und Praxis unter maßgeblicher Beteiligung der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) das Leitbild der "ergebnisorientierten und dezentralen Steuerung", das inzwischen als sog. "Neues Steuerungsmodell" auf breiter Front Einzug in die Modernisierungsdiskussion und -praxis der deutschen Städte gehalten hat.
Das Konzept des "Neuen Steuerungsmodells" besteht - bei allen Unterschieden in der Umsetzung auf kommunaler Ebene - im Wesentlichen aus drei eng miteinander verbundenen Bausteinen (bzw. Leitprinzipien), die zur Erinnerung noch einmal stichwortartig aufgeführt werden sollen:
Dezentrale Führungs- und Organisationsstruktur
Output-Steuerung und Transparenz
Wettbewerb, Kundenorientierung und Personalentwicklung
Das in den voranstehenden Kapiteln vorgetragene Plädoyer für eine stärkere Raum- und Stadtteilorientierung des kommunalen Verwaltungshandelns weist wichtige Gemeinsamkeiten mit den Leitprinzipien des "Neuen Steuerungsmodells" auf. Zu nennen sind hier v.a. die ziel- und ergebnisorientierte Steuerung der Verwaltung ("Output- bzw. Leistungsorientierung") im Gegensatz zu der bislang dominanten Steuerung über Input-Vorgaben, die weitgehende Verlagerung der Ergebnis- und Ressourcenverantwortung auf dezentrale Einheiten der Fachverwaltung und - damit einhergehend - die Konzentration des zentralen Steuerungs- und Controllingbereichs auf die Bearbeitung strategisch bedeutsamer Fragen ("Abkehr vom bürokratischen Zentralismus") sowie - nicht zuletzt - die explizite Ausrichtung des Verwaltungshandelns an den Interessen der Bevölkerung ("Kundenorientierung") und an verbindlichen Qualitätsstandards.
So wichtig diese Gemeinsamkeiten sind, so wenig darf übersehen werden, dass einzelne Aspekte des Neuen Steuerungsmodells auch in einem deutlichen Widerspruch zu einer Raumorientierung des Verwaltungshandelns stehen. Problematisch ist hier insbesondere, dass die angestrebte Dezentralisierung der Ergebnis- und Ressourcenverantwortung und die ressortspezifische Definition der Verwaltungsleistungen als "Produkte" ("Output-Steuerung") zu einer weiteren Abschottung der Fachabteilungen ("Fragmentierung der Verwaltung") und zu einem generellen Rückgang ressortübergreifender Aktivitäten führen könnte. Die Bearbeitung komplexer stadtpolitischer Aufgaben, wie z.B. die Entwicklung benachteiligter Stadtgebiete im Rahmen eines integrierten Handlungsansatzes, erfordert hingegen eine systematische Zusammenarbeit der verschiedenen Verwaltungsabteilungen.
Ein weiteres Hemmnis für eine stärkere Raumorientierung der Verwaltung ist darin zu sehen, dass sich die aktuelle Modernisierungspraxis in vielen Städten angesichts der kommunalen Finanzkrise v.a. auf Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung konzentriert und dabei inhaltlich-konzeptionelle Fragen zunehmend aus dem Blick geraten, selbst wenn sie ein hohes Innovationspotenzial aufweisen.
Insgesamt ist das Neue Steuerungsmodell in seinen heutigen Ausprägungen also keineswegs identisch mit dem Konzept einer stärkeren Raum- und Stadtteilorientierung des Verwaltungshandels, auch wenn zwischen den beiden Ansätzen eine gewisse Nähe und Überschneidungen bestehen. In Zukunft muss es deshalb vor allem darum gehen, dem Neuen Steuerungsmodell eine "sozial-räumliche Kompetenz" zu verleihen, um der drohenden Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung aus der städtischen Gesellschaft und einem weiteren Voranschreiten sozial-räumlicher Segregationsprozesse wirksamer entgegenarbeiten zu können. Wichtige Kernelemente und Rahmenbedingungen einer solchen sozial-räumlichen Profilierung des Neuen Steuerungsmodells sollen hier als Grundlage für die weitere Diskussion noch einmal stichwortartig benannt werden:
Perspektivisch - und das darf in der Diskussion um die Modernisierung der Verwaltung nicht vergessen werden - muss es einer explizit an den Bedürfnissen und Fähigkeiten eines Stadtteils und seiner Bewohnerschaft orientierten Verwaltung darum gehen, vorhandene Armutsrisiken zu verhindern und die strukturellen Integrationschancen der mit unterschiedlichen Ressourcen ausgestatteten Bevölkerungsgruppen und Stadträume zu erhöhen. Die dafür notwendigen Umstrukturierungen von Verwaltungen dürfen nicht zum Selbstzweck werden, im Vordergrund stehen muss vielmehr ihre integrative Wirkung für die Bewohner/innen.
Dazu möchte dieses Diskussionspapier einen Beitrag leisten.
6. Impressum der gedruckten Ausgabe
Herausgeber
Städte-Netzwerk für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf
Geschäftsstelle
Stadt Essen, Büro Stadtentwicklung
Rathaus Porscheplatz, 45121 Essen
Tel. +49 (0)201/88-88730, Fax. +49 (0)201/88-88702
staedte-netzwerk@stadtentwicklung.essen.de
V.i.S.d.P.
Michael von der Mühlen, Gelsenkirchen
Klaus Wermker, Essen
Verfasser aus der Arbeitsgruppe Stadtteilorientierung
Gerd Grzella und Anna Kranz, Düren
Michael Preis, Essen
Marcelo Ruiz, Arbeitsgruppe Bestandsverbesserung, Universität Dortmund
Matthias Sauter, AGB, Universität Dortmund
Irmgard Schiller, Gelsenkirchen
Klaus Wermker, Essen
Redaktion
Marcelo Ruiz, AGB, Universität Dortmund
Bearbeitung und Produktion
Hedwig Drehsen
Gestaltung
Akif Candemir, Gelsenkirchen
Bildernachweis
Entwicklungsgesellschaft Duisburg mbH, Medienentwicklung
Stadt Essen, Büro für Stadtentwicklung, EMG
Stadt Gelsenkirchen, Stadtteilbüro Gelsenkirchen Bismarck/Schalke-Nord
Universität Essen
Stadt Oberhausen, Stadtteilbüro Brücktorstraße
Druck mediapex Essen
Zu bestellen bei:
Städte-Netzwerk für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf
Geschäftsstelle Stadt Essen
Rathaus Porscheplatz
45121 Essen
Tel 0201/88-88 730
Fax 0201/88-88 702
E-mail: