Von Sommer 2000 bis Ende April 2002 fand in den 16 Modellgebieten des Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf die soziale Stadt" (für jedes Bundesland ein Gebiet) die so genannte Programmbegleitung vor Ort (PvO) statt. Die zentralen Aufgaben der PvO bestanden in der begleitenden und dokumentierenden Untersuchung der Programmumsetzung sowie der Übernahme von unterstützenden Funktionen für die Arbeit vor Ort. Die Ergebnisse sind in dem Begleitband zum Zwischenbilanz-Kongress Soziale Stadt im Mai 2002 (1) sowie in den Endberichten der PvO-Teams dokumentiert. Weitere Berichte und Bilanzen zum Programm Soziale Stadt sind an anderer Stelle veröffentlicht oder zur Veröffentlichung vorgesehen und daher nicht Gegenstand dieses Beitrags.
Ziel des vorliegenden Textes ist es, im Sinne einer Zusammenfassung von Erfahrungswerten einige wesentliche von den PvO-Teams festgestellten Hindernisse und Erschwernisse für eine effektive Umsetzung des Programms Soziale Stadt sowie denkbare Maßnahmen zu ihrer Überwindung aufzuzeigen. Dass die hier aufgestellten Anforderungen in nicht wenigen Gebieten bereits erfüllt sind, nimmt ihnen nichts von ihrer generellen Bedeutung. Wir richten uns daher an alle für die Soziale Stadt verantwortlichen Personen auf den Ebenen des Bundes, der Länder sowie der Städte und Gemeinden mit dem Ziel, Impulse für die effektive Umsetzung des Programms und seine Weiterentwicklung zu geben.
Die noch kurze Programmlaufzeit (seit 1999) ist Grund dafür, dass Erfolge und Wirkungen in den meisten Modellgebieten erst in Ansätzen erkennbar sind. Eine Ausnahme bilden Gebiete, in denen ein Vorlauf durch die Umsetzung eines vergleichbaren Landesprogramms oder von Sanierungsmaßnahmen mit integrierten Erneuerungsansätzen bestand. Hier wurden bereits vor dem Start des Bund-Länder-Programms die örtlichen Lebensverhältnisse durch zahlreiche innovative und integrierte Maßnahmen sowie Projekte verbessert oder zumindest der Grundstein hierfür gelegt.
In den Programmgebieten ohne Vorlauf führen die neue Aufmerksamkeit für die Lebens- und Wohnverhältnisse in den Quartieren der Sozialen Stadt und die intensivere öffentliche Diskussion von Problemen und Potenzialen vielerorts zu einer Aufbruchstimmung. Diese Stimmung wird vor allem dort noch zusätzlich unterstützt, wo Netzwerke innerhalb der Bevölkerung und zwischen den lokalen Akteuren entstanden sind sowie weiterentwickelt werden oder wo die Realisierung von Maßnahmen bis hin zu Schlüsselprojekten bereits zu einer sichtbaren Verbesserung der Situation in den Gebieten geführt hat.
In den kommunalen Verwaltungen werden durch das Programm initiiert oder unterstützt neue Organisations-, Kooperations- und Managementformen erprobt. Hierzu gehören vor allem die Einrichtung von ressortübergreifenden Arbeitsgruppen sowie von lokalem Quartier- bzw. Stadtteilmanagement eine Voraussetzung für den Aufbau problemadäquater und längerfristig tragfähiger Organisationsstrukturen und damit Motor und Schlüsselinstrument für die Umsetzung des Programms. Dabei werden Lernprozesse in Gang gesetzt, die sich auf das Miteinander im Quartier, auf integrierte Ansätze zur Problemlösung beispielsweise durch die gezielte Verknüpfung von baulichen Projekten mit Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und auf die Erarbeitung und Fortschreibung von Integrierten Handlungskonzepten beziehen. In diesem Zusammenhang findet eine deutliche Ausweitung der Handlungsfelder gegenüber der traditionellen Stadterneuerung statt: soziale, beschäftigungspolitische, wirtschaftliche und kulturelle Projekte gewinnen neben baulich-städtebaulichen Maßnahmen zunehmend an Bedeutung.
Aktivierungs- und Beteiligungsstrukturen sind in allen Gebieten aufgebaut worden. Dort, wo bereits Verfügungsfonds eingerichtet wurden und dadurch die schnelle und unbürokratische Umsetzung von kleineren Projekten und Maßnahmen ermöglicht wird, zeigt sich, dass eine Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen in die Quartiere Aktivitäten und Engagement in der Bevölkerung weckt und stützt. Verfügungsfonds erweisen sich als ein wichtiges Element für eine längerfristige Aktivierung der Bevölkerung.
Häufig ist es gelungen, für die Finanzierung von Maßnahmen und Projekten zusätzlich zu den Mitteln aus dem Programm Soziale Stadt eine Vielzahl unterschiedlicher Förderprogramme mit zum Teil erheblichem Finanzumfang in die Gebiete zu lenken. Deren Bündelung ist allerdings für die zuständigen Akteure auf kommunaler Ebene in der Regel mit einem sehr hohen Koordinationsaufwand verbunden.
Neben diesen Erfolgen des Programms lassen sich aber auch einige Probleme und Restriktionen bei der Umsetzung identifizieren, denen mit veränderten Herangehensweisen auf allen daran beteiligten Ebenen von Bund, Ländern und Gemeinden sowie von lokal relevanten Akteuren begegnet werden kann.
Auf Verwaltungsebene ist der Umgang zwischen den Ämtern, Bereichen oder Abteilungen in vielen Gemeinden nach wie vor zu stark darauf ausgerichtet, die jeweils eigenen Ressortinteressen durchzusetzen. Der Lernprozess hinsichtlich neuer Kooperations- und Organisationsformen scheint in diesen Verwaltungen noch nicht abgeschlossen zu sein. Ziel muss es daher sein, in allen beteiligten Kommunen ein ressortübergreifendes gebietsbezogenes Verständnis von Verwaltungshandeln zu etablieren.
Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg des Programms Soziale Stadt ist die Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren in der Verwaltung, im intermediären Bereich sowie zwischen Verwaltung und Quartier. Dazu gehört unter anderem die Verlagerung von bestimmten Entscheidungskompetenzen auf Institutionen oder Gremien vor Ort, damit diese beispielsweise über kleinere Investitionen oder sonstige quartiersbezogene Maßnahmen eigenständig befinden können.
Zur Sicherung der nötigen politischen Rückendeckung für die oft unkonventionellen Maßnahmen und Vorgehensweisen zur Umsetzung des Programms ist eine Einbeziehung der örtlichen Politik unabdingbar.
Verstärkte Anstrengungen in Richtung Aktivierung sind nötig, weil es in allen Modellgebieten nach wie vor Bevölkerungsgruppen gibt, die bisher schwer oder gar nicht erreicht worden sind. Außerdem kann in einigen Gebieten beobachtet werden, dass von mehr oder weniger herkömmlichen Beteiligungsangeboten wie beispielsweise Foren in starkem Maße aktivierende Effekte erhofft werden, die sich in der Realität allerdings meist nur spärlich einstellen. Daher muss mehr als bisher und in jeweils angemessener Weise z.B. im Rahmen einer aktivierenden Gemeinwesenarbeit auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zugegangen werden, um die Interessen möglichst der gesamten Quartiersbevölkerung organisieren zu können. Möglichkeiten, kleinere Maßnahmen schnell zu realisieren (Verfügungsfonds), sind hierfür ein wichtiges Hilfsmittel.
Eine weitere unabdingbare Voraussetzung für Aktivierung ist die Einrichtung eines Vor-Ort-Büros mit qualifiziertem Personal, Personalkontinuität und anforderungsgerechter Ausstattung; Erreichbarkeit vor Ort muss gewährleistet sein. Darüber hinaus sind quartiersbezogene Beteiligungsstrukturen unter Einbezug von Politik, Verwaltung, Wohnungsunternehmen, Trägern der freien Wohlfahrtspflege, Markt und "Zivilgesellschaft" notwendig, um unterschiedliche Interessen im und am Quartier abgleichen und die verschiedenen Handlungspotenziale aktivieren zu können.
Insbesondere die Erstellung Integrierter Handlungskonzepte wird von vielen Gemeinden bislang noch zu wenig als dialogorientierter Prozess zwischen allen Beteiligten verstanden. Wenn eine Rückkoppelung mit den lokalen und lokal wirksamen Akteuren erfolgt, ist sie häufig zu wenig ergebnisoffen. Auch die Einbindung der Integrierten Handlungskonzepte in gesamtstädtische Perspektiven muss in den meisten Fällen noch deutlich verbessert werden.
Sehr hinderlich für die Umsetzung des Programms ist die Unsicherheit in vielen Kommunen, inwieweit Mittel der Sozialen Stadt auch für bestimmte nicht-investive Maßnahmen eingesetzt werden können. Es sollte daher generell von Landesseite klar gestellt werden, dass die Möglichkeit des Mitteleinsatzes nicht auf die Finanzierung von Quartier- bzw. Stadtteilmanagement beschränkt ist, sondern auch für Verfügungsfonds, Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildungsveranstaltungen besteht, wenn dies zur Vorbereitung, Begleitung und langfristigen Absicherung sowie Akzeptanz von Investitionen erforderlich ist.
Deutlich sichtbar sind Defizite im Bereich der Mittelbündelung: Hinderlich ist hier vor allem die Nicht-Kompatibilität verschiedener Fördermittel, die unterschiedliche und teilweise kurze Laufzeit der Förderprogramme, aber auch eine mangelhafte Transparenz der Mittelflüsse. Dadurch kommt es auf kommunaler und auf Gebietsebene zu erheblichem Koordinationsaufwand und Personalbedarf. Notwendig ist daher eine stärkere Harmonisierung der relevanten Politikbereiche und Förderprogramme auf Landesebene sowie eine größere Bereitschaft insbesondere der für soziale Belange verantwortlichen Ressorts, Maßnahmen und Projekte im Rahmen Integrierter Stadtteilprogramme mit eigenen Mitteln zu fördern.
Da das Aufbringen der kommunalen Komplementärfinanzierung für einige Gemeinden wegen ihrer prekären Finanzsituation schwierig ist, sollte erwogen werden, in diesen Fällen den Eigenanteil zu verringern oder zu erlauben, sich der finanziellen Hilfe Dritter, etwa von Wohnungsunternehmen, zu bedienen.
Um einen höheren Qualitätsstandard der Programmumsetzung zu erreichen, sollten die Länder Fördervoraussetzungen aufstellen, mit denen stärker als bisher darauf hingewirkt wird, dass die Erarbeitung und Fortschreibung eines Integrierten Handlungskonzeptes, der Aufbau bürgerorientierter Management- und Organisationsformen sowie Monitoring und Evaluation tatsächlich realisiert werden.
Um die Städte und Gemeinden bei der Programmumsetzung stärker konzeptionell zu unterstützen, sollten von Landesseite Strukturen für einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch geschaffen, systematische Informationen über Förderungs- und Finanzierungsmöglichkeiten sowie Arbeitshilfen unter anderem zur Erstellung Integrierter Handlungskonzepte und zum Aufbau von Monitoringsystemen und Evaluationsinstrumenten bereitgestellt werden.
Die Erfahrungen haben gezeigt, dass aufgrund der teilweise sehr schwierigen Ausgangslage in den Gebieten eine vergleichsweise lange Umsetzungsphase notwendig ist. Auch besteht in vielen anderen, bisher nicht in das Programm Soziale Stadt aufgenommenen Gebieten ebenfalls ein Bedarf an finanzieller Unterstützung integrierter Stadtteilentwicklung. Deshalb sollten sowohl eine Verstetigung als auch eine Mittelerhöhung des Programms angestrebt werden. Entscheidendes Ziel muss es dabei bleiben, in den Programmgebieten den Einsatz von Fördermitteln aus allen relevanten Fachressorts zu erreichen und die Soziale Stadt damit auf eine breite ressortübergreifende Finanzierungsbasis zu stellen.
Zu diesem Zweck ist auch auf Bundesebene eine stärkere Harmonisierung und Raumorientierung verschiedener Politikbereiche und Förderprogramme notwendig. An die Vergabe von Fördermitteln, die sich auf die Problemlagen in benachteiligten Quartieren beziehen, sollte verstärkt die Auflage geknüpft werden, diese vorrangig in Programmgebieten der Sozialen Stadt einzusetzen. Auch sollte der Bund die Vergabe von Mitteln aus dem Programm Soziale Stadt an die Länder ausdrücklich an die im Leitfaden der ARGEBAU (2) enthaltenen Anforderungen zur Umsetzung des Programms knüpfen.
Für die Umsetzung und Weiterentwicklung des Bund-Länder-Programms sollten schließlich die Unterstützungsangebote des Bundes zum bundesweiten und internationalen Erfahrungs- und Informationsaustausch aufrecht erhalten und erweitert werden.
Berlin, Oktober 2002
Stadtforschung + Sozialplanung, Kurfürstendamm 123, 10711 Berlin
Dr. Ingeborg Beer
Musch Unternehmensberatung, Linienstraße 21, 10178 Berlin
Dr. Reinfried Musch
Deutsches Institut für Urbanistik, Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin
Dipl.-Geogr. Thomas Franke,
Dipl.-Ing. Ulrike Meyer.
Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Flakenstraße 28-31, 15537 Erkner
Dipl.-Ing. Kerstin Jahnke,
Thomas Knorr-Siedow M.A.,
Dipl.-Geogr. Britta Trostorff.
plankontor GmbH, Am Born 6B, 22765 Hamburg
Dipl.-Ing. Matthias Frinken,
Helga Rake.
Arbeitsgruppe Bestandsverbesserung (AGB) am Institut für Raumplanung (IRPUD) der Universität Dortmund, 44221 Dortmund
Dipl.-Ing. Marcelo Ruiz,
Dipl.-Ing. Matthias Sauter.
Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Deutsche Straße 5, 44339 Dortmund
Dipl.-Ing. Klaus Austermann
empirica GmbH, Kurfürstendamm 234, 10719 Berlin
Dipl.-Biol. Stefan Geiss,
Dipl.-Geogr. Julia Kemper,
Dr. Marie-Therese Krings-Heckemeier.
Technische Universität Hamburg-Harburg, Arbeitsbereich 1-06, Stadt- und Regionalsoziologie, Woellmerstraße 1, 21071 Hamburg
Prof. Dr. Ingrid Breckner,
Dipl.-Soz. Toralf Gonzalez,
Dr. Heike Herrmann,
Prof. Dr. Dieter Läpple.
Arbeitsgruppe für interdisziplinäre Sozialstrukturforschung der Universität Hannover (agis), An der Christuskirche 18, 30167 Hannover
Dipl.-Geogr. Esther Bartnick,
Prof. Dr. Heiko Geiling,
Dipl.-Sozialwiss. Claudia Heinzelmann,
Thomas Schwarzer M.A.
Arbeitsgruppe Dialogische Planung, Fachbereich Stadt- und Landschaftsplanung, Universität Gesamthochschule Kassel, Henschelstraße 2, 34127 Kassel
Dr. Christine Mussel,
Antonia Vettermann.
Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft Hessen mbH (FEH), Abraham-Lincoln-Straße 38-42, 65189 Wiesbaden
Dipl.-Ing. Peter Kreisl
Weeber + Partner Institut für Stadtplanung und Sozialforschung, Emser Straße 18, 10719 Berlin; Mühlrain 9, 70180 Stuttgart
Dr. Martina Buhtz,
Dr. Heike Gerth,
Dr. Margit Lindner,
Dr. Rotraut Weeber.
Deutsches Institut für Urbanistik, Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin
Dipl.-Ing. Christa Böhme,
Dipl.-Geogr. Thomas Franke.
Institut für Entwicklungsforschung, Wirtschafts- und Sozialplanung (isoplan), Martin-Luther-Straße 20, 66111 Saarbrücken
Dipl.-Soz. Delia Schröder,
Dr. Manfred Werth.
Forschungs- und Informations-Gesellschaft für Fach- und Rechtsfragen der Raum- und Umweltplanung mbH (FIRU), Karl-Marx-Straße 27b, 67665 Kaiserslautern
Dipl.-Ing. Sabine Herz,
Dipl.-Ing. Andreas Jacob,
Dipl.-Ing. Sonja Mazak,
Dipl.-Ing. Martina Pauly.
Deutsches Institut für Urbanistik, Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin
Dipl.-Geogr. Cathy Cramer,
Dipl.-Ing. Wolf-Christian Strauss.
Deutsches Institut für Urbanistik, Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin
Dipl.-Geogr. Cathy Cramer,
Dipl.-Volksw. Ulla-Kristina Schuleri-Hartje.
empirica GmbH, Kurfürstendamm 234, 10719 Berlin
Dipl.-Biol. Stefan Geiss,
Dipl.-Geogr. Meike Heckenroth,
Dr. Marie-Therese Krings-Heckemeier.
(1) Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.), Die Soziale Stadt. Eine erste Bilanz des Bund-Länder-Programms Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf die soziale Stadt, Berlin 2002; siehe auch sozialestadt.de/veroeffentlichungen/zwischenbilanz/index.shtml.
(2) Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.), Programmgrundlagen, Arbeitspapiere zum Programm Soziale Stadt Nr. 3, Berlin 2000; siehe auch sozialestadt.de/veroeffentlichungen/arbeitspapiere/band3/.