Sprecherin: Cornelia Cremer, Berlin
Berichterstatter: Stefan Rommelfanger, Gelsenkirchen
In der kleinsten Arbeitsgruppe des Kongresses fanden sich vier engagierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Berlin, Gelsenkirchen und Lüneburg zusammen. Alle konnten auf langjährige Erfahrungen in der Projekt- und Stadtteilarbeit zurückgreifen und hatten ein sehr großes "qualitatives Interesse" am Thema "Kunst & Kultur in der Sozialen Stadt". Das Thema Bildung war in der zu Beginn durchgeführten Vorstellungsrunde eher nebensächlich, daher wurde die Bezeichnung der Arbeitsgruppe kurzerhand geändert.
In einer offenen, sehr lebhaft und produktiv geführten Aussprache wurden zu Beginn die folgenden Schlüsselfragen und Themenkomplexe formuliert:
- Welche Aufgabe hat Kulturpolitik? Was ist Kulturarbeit?
- Warum sind Kunst und Kultur im Zusammenhang mit Gemeinwesenarbeit und integrierter Stadtteilentwicklung wichtig?
- Was kann, soll und muss Kunst & Kultur in der "Sozialen Stadt" leisten?
- Welche Projektbeispiele aus der Kunst, Kultur und Stadtteilarbeit sind bekannt und für die soziale Stadtteilentwicklung nutzbar?
- Warum hat sich die Kommunikation in den Stadtteilen durch die in den letzten 30 Jahren praktizierte "Kunst im öffentlichen Raum" ("art goes public") nicht verbessert?
- Wie sollen "offene Räume der Kommunikation" in den Stadtteilen zukünftig aussehen?
- Was sind Schlüsselqualifikationen für die Kunst- und Kulturarbeit in den Stadtteilen?
Kunst & Kultur in der Sozialen Stadt – Ausgangslage
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass das Handlungsfeld Kunst & Kultur von großer Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung benachteiligter Stadtquartiere sein kann, dass es in der "Sozialen Stadt" aber bisher kaum wahrgenommen wird (warum sonst war z.B. die Resonanz auf das Thema bei der Arbeitsgruppenbildung so gering?). Mit dieser Ausgangsüberlegung wurde gleichzeitig die Hoffnung formuliert, dass die Stadtteil- und Quartiermanager in Zukunft das Kulturamt "entdecken" und dass umgekehrt auch die Kulturämter wieder die Förderung von Kunst und Kultur in den Stadtteilen als wahrzunehmende, dringende Aufgabe begreifen.
"In der 'Sozialen Stadt' haben sich Planung und Soziales gefunden, Kunst und Kultur spielen hier bisher nur eine unbedeutende Rolle!"
Im Zusammenhang dieser Diskussion wurde herausgestellt, dass sich rund 30(!) wissenschaftliche Disziplinen mit "Kunst & Kultur im Stadtteil" befassen. Diese zusammenzubringen und zu vernetzen und gemeinsam eine Begriffsklärung vorzunehmen, könnte das Thema sicher weiter befördern.
Einige Schlaglichter und Thesen aus der Diskussion
- "Der Begriff ‚Soziokultur' ist heute arg stigmatisiert und nicht mehr gefragt (‚Kultur für Arme'); die Schließung von Bürgerhäusern gilt als Indiz für diese These."
- "Künstler brauchen Gestaltungsraum, das heißt Ateliers. Das kreative Potenzial in den Städten fehlt heute, weil Räume fehlen; die Städte und Wohnungsgesellschaften bieten keine geeigneten Räume mehr an; in den Vorstellungen der Architekten und Planer kommen Räume für Künstler nicht mehr vor."
- "In den Großsiedlungen gibt es meist keine attraktiven Nischen für Künstler. Allen Räumen sind bereits Funktionen zugewiesen. Die Künstler zeigen auch kaum Interesse an Großsiedlungen, weil sie kein inspirierendes Umfeld darstellen – sie haben auch bei Künstlern ein negatives Image und liegen ‚weit draußen'. In Frankreich gehen Künstler demgegenüber gezielt in soziale Brennpunkte, um dort zu leben und zu arbeiten."
- "Die Kulturämter sehen die Stadtteilkulturarbeit nicht als ihre Aufgabe an. Symptomatisch dafür steht die Antwort eines Kulturamtsleiters auf die Frage, ob er sich am Stadtteilprojekt beteiligen will: ‚Kein Geld, kein Personal, keine Zeit'."
- "Die Verwaltung denkt überwiegend, dass Kunst sich einordnen muss, Kunst ist aber chaotisch und unstrukturiert (‚gute Kunst ist immer ärgerlich'), und gerade dieses Moment täte unseren Städten gut."
- "Eine Gesellschaft, die Kreativität fördert, stellt sich letztlich selbst in Frage; Kreativität (z.B. Graffitis sprayen) ist unbequem und deshalb politisch nicht gewünscht."
Welche Aufgaben hat Kulturpolitik, oder: Was können, sollen und müssen Kunst & Kultur in der "Sozialen Stadt" leisten?
Eine große Aufgabe von Kulturpolitik und Bildung besteht immer noch darin, Menschen an Kunst heranzuführen. Ausgehend von der Überlegung, dass Kunst und Kultur von großer Bedeutung für die nachhaltige Entwicklung von benachteiligten Stadtquartieren sind, lassen sich folgende grundlegende Begründungen und konkrete Aufgaben anführen, die Künstler im Zusammenhang mit der Sozialen Stadt übernehmen sollten:
- Kunst ist Aufklärung bzw. Ferment,
- Kunst als Möglichkeit, die Menschen anzusprechen,
- Kunst als Mittel zur Aktivierung von Menschen,
- Künstlerische Ansätze als Methode zur Beteiligung,
- Kunst als Mittel zur Verbesserung der Kommunikation im Stadtteil,
- Kommunikation mit Kunst bietet ein Wahrnehmungstraining,
- Kunst zur Förderung von Menschen, die sonst nie die Idee gehabt hätten, Kunst zu machen,
- Kunst bietet Schlüsselqualifikationen,
- Die Kreativität der Menschen fördern, damit sie sich selbst helfen ("Empowerment-Ansatz"),
- Kunst und Kultur können die Vereinzelung der Menschen und Gruppen ("bowling alone") aufheben und die Vernetzung fördern,
- Über Kunst kann sich Identifikation herstellen,
- Das Stadtteilimage aufpolieren/"Kulturpolitik ist Strukturpolitik",
- "Ausrufezeichen!" im Stadtteil setzen,
- Angsträume markieren,
- Stadtteil- und Ortsgeschichte aufarbeiten und sichtbar machen für die Bewohner,
- Spurensicherung: Historie des Quartiers sichtbar machen (Camera obscura),
- Vereinsleben ist eine Kultur ("Wo Vereine funktionieren, ist das Leben kommunikativer").
Sammlung von Ideen, Projekten und Aktionen
In der Diskussion stellten wir fest, dass jeder von uns gute Projektbeispiele kennt, und dass es ein großes Bedürfnis nach einem Austausch darüber gibt. Die folgende Beispielsammlung könnte für den Aufbau eines Archivs genutzt werden, sie zeigt das Spektrum der Möglichkeiten:
- Archiv der menschlichen Tätigkeit aufbauen (Kultur-Kunst-Bildung-Politik-Schule),
- Offene Ateliers und Werkstätten gründen (Produktionsstätten im Quartier),
- In Frankreich werden Künstlerateliers in Altenheimen eingerichtet,
- Kunst im urbanen Raum: Historie, Material, Fundstücke (z.B. die Sammlung Werner Thiel in Gelsenkirchen-Bismarck),
- Neue, offene Räume der Kommunikation im Stadtteil schaffen,
- Öffentliche Räume wie Kindergärten, Schulen, Schulhöfe nachmittags öffnen und für kreative Tätigkeiten und das Kinderspiel nutzen,
- Künstler in die Freiraumplanung und -gestaltung einbinden (z.B. bei der Spielplatz- und Schulhofgestaltung),
- Holzskulpturen bauen mit Schülern, Bildhauersymposium im Park ("es vermittelt sich viel über Material: Druckwerkstatt, Bildhauer, Schweißen, Steinhauer"),
- Rentner mit handwerklichen Fähigkeiten mit Künstlern zusammenbringen,
- Soziale Gärten für Fabriken anlegen,
- "Angsträume" im Stadtteil künstlerisch markieren,
- Landmarkenkunst im Ruhrgebiet,
- Lichtinstallation auf einem Fördergerüst,
- (Foto-)Ausstellung über Leben und Leute im Stadtteil,
- Foto-Kunstprojekte; z.B. "ein Brandenburger Dorf fotografiert sich selbst" (?),
- Camera-obscura-Projekt in Gelsenkirchen-Bismarck ("Der K-Mops rollt durch Bismarck"),
- Offene Stadtteilbibliothek,
- Lyrik nach Feierabend, Erzählcafé,
- Bewohner eines Altenheims in Amsterdam betreiben ein Feinschmecker-Restaurant,
- Theaterpädagogische Projekte mit Kindern,
- Projekt MUS-E (Zeit): "Multikulturelles, Soziales Schulprojekt für Europa"; Kooperationsprojekt der Yehudi-Menuhin-Stiftung mit dem Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein Westfalen; Modellprojekt zur Förderung von Kreativität und zur Überwindung sozialer Unterschiede im Rahmen des Schulunterrichts.
Fazit: Forderungen an die Kultur- und Stadtteilarbeit in benachteiligten Stadtquartieren
Aus dem bisher Dargestellten lassen sich Forderungen bzw. Handlungsempfehlungen für die Umsetzung des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt ableiten:
- Förderung nur, wenn sich der Künstler in die Gemeinde einbringt ("community-art")
- Keine "Versorgungskultur" fördern
- Räume mit Auflagen zur Verfügung stellen
- Kunstangebote durch Künstlerinnen und Künstler im öffentlichen Raum initiieren
- Künstlerinnen und Künstler verstärkt in Planungsprozesse einbinden
- Nicht das Kunstprodukt, sondern der Prozess der Kunstschaffung ist das Ziel
- Die vorhandene Laienkunst der Stadtteilbewohner "finden" und ausstellen
- Die Mischung ist wichtig: nicht nur Künstler von außen, sondern auch "Heimatkünstler" aus den Stadtteilen einbinden
- Vernetzung und Verknüpfung von Stadtteilkultur und Laienkunst mit professioneller Kunst (wichtig: "Professionelle" Künstlerinnen und Künstler in die Stadtteile bringen anstelle von "angelernten Sozialarbeiter-Künstlern")
- Formen der Kulturförderung laufend anpassen und ergänzen – und auch gut ausstatten
Schlussbemerkung
Alle an der Arbeitsgruppe Teilnehmenden sind sehr daran interessiert, am Thema "Kunst, Kultur & die Soziale Stadt" weiterzuarbeiten. Es besteht ein starkes Bedürfnis nach Vernetzung und einem Austausch über Aktionen. Die Zielperspektive dabei ist die Initiierung eines "community-art-networks". Wichtig ist, dass der Weg dahin gemeinsam mit dem Berufsverband bildender KünstlerInnen (BBK) gegangen wird.
Ein erster Schritt könnte sein, beispielhafte Projekte und Aktionen zu archivieren und zugänglich zu machen. An das Difu gerichtet schlagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor, das Handlungsfeld Kunst & Kultur in naher Zukunft zum Thema eines weiteren Kongresses zu machen.
Teilnehmerin und Teilnehmer der Arbeitsgruppe 7

Name
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Vorname
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Institution
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Cremer
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Cornelia
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Urbanplan GmbH
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Düwal
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Klaus
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Fachhochschule Nordostniedersachsen
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Krüger
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Jochen
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Fachhochschule Nordostniedersachsen
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Rommelfanger
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Stefan
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Stadt Gelsenkirchen
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Im Auftrag des BMVBS vertreten durch das BBR. Zuletzt geändert am 14.04.2004