Gerd Reinhardt
Bürgermeister Leinefelde
Situation/Ausgangspunkt
Leinefelde war bis in die frühe Nachkriegszeit ein Dorf, das sich im strukturschwachen Eichsfeld dank seiner günstigen Verkehrslage als Standort für Handel und Handwerk profiliert hatte. Die Teilung Deutschlands in Folge des zweiten Weltkriegs hatte Leinefelde von seinen traditionellen Einzugsbereichen in den Räumen Kassel und Göttingen abgeschnitten und damit seine neben der Landwirtschaft und dem Eigenverbrauch wesentliche Wirtschaftsgrundlage zerstört.
In dem kurzen Zeitraum zwischen 1961 und 1989 wurde auf der Grundlage des Eichsfeldplanes der Regierung der DDR eine grundlegende neue Wirtschaftsstruktur aufgebaut. Die Ansiedlung des Textilkombinats "Spinne", die Entwicklung des Kalibergbaus und der Aufbau einer Zementproduktion in unmittelbarer Nachbarschaft hatten Arbeitsplätze in einem Umfang geschaffen, der über den regionalen Bedarf deutlich hinausging. So waren aus allen Teilen der Republik junge Menschen nach Leinefelde gezogen, um an dieser großen Aufbauleistung mitzuwirken. Bereits 1962 lief der erste Bauabschnitt der Wohnungsproduktion an, zwischen 1961 und 1989 mutierte das Dorf mit ursprünglich 2.300 Seelen zur Industriestadt mit mehr als 15.000 Bürgern.
Entsprechend den damaligen Maximen des DDR-Städtebaus und der Entwicklung der Technologien im Wohnungsbau wurden die Wohnungen in Block- und Plattenbauweise errichtet, wobei eine klare Trennung zwischen den Wohnbereichen und den riesigen Produktionshallen verfolgt wurde: Die Birkunger Straße liegt als Haupterschließungsachse und städtebauliche Trennung an der Nahtstelle dieser zwei Funktionsbereiche. Selbstverständlich war die Südstadt mit allen Infrastrukturen ausgestattet, die für das Leben und Arbeiten der jungen Familien erforderlich waren, so konnte Leinefelde als Prototyp der sozialistischen Idealstadt betrachtet werden.
Die Entwicklung der Südstadt in baulichen und städtebaulichen Abschnitten ist heute noch ablesbar und in den Köpfen der Bewohner tief verankert. Dabei sind die jüngeren Entwicklungen aufgrund der zunehmend reduzierten "optimierten" Grundrisse und der höheren baulichen Dichte bei den Bewohnern am wenigsten beliebt. Dies wird verstärkt dadurch, dass das Wohnumfeld in diesen Bereichen in seiner Gestaltung und Ausstattung weit hinter den Erfordernissen zurückblieb, die Südstadt war in diesem Sinne nicht zu Ende gebaut.
Mit dem politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Umbruch haben sich 1989 die Rahmenbedingungen für Leinefelde und die Südstadt radikal verändert. Der Wegbruch des größten Teils der industriellen Arbeitsplätze in der Region stellte die Bewohner vor die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit, Pendeln in die benachbarten Wirtschaftsräume, Abwanderung, Umlernen und Selbständigkeit. Neue Beschäftigung war angesichts der wirtschaftlichen Monostrukturen nicht vorhanden und musste erst aufgebaut werden. In den ersten Jahren nach der Wende hat Leinefelde in der Südstadt regelmäßig jährlich ca. 1.000 Einwohner verloren. Die Abwanderung wäre noch erheblich größer ausgefallen, wenn die Bemühungen der Stadt um den Aufbau einer vielfältigeren Wirtschaftsstruktur mit neuen und damit weniger krisenanfälligen Arbeitsplätzen nicht relativ schnell erste Erfolge gezeigt hätten. Damit allein waren aber die Probleme der Südstadt nicht gelöst, trotz verlangsamter Abwanderung stiegen die Leerstandsquoten.
Eine Analyse der Situation ergab folgende Einschätzung: Mit dem Wegfall des staatlichen Monopols der Wohnungsversorgung haben sich Rolle und Akzeptanz der Plattenbauwohnungen grundlegend verändert.
Unter sozialistischen Verhältnissen musste das Wohnen in der Platte mit dem gebotenen technische Standard und dem infrastrukturellen Komfort mangels besserer Alternativen gerade auch im Vergleich zu Altbauten als Privileg betrachtet werden. Standardisierung der städtebaulichen Ausdrucksformen, der Wohnform, der Wohnungsgrundrisse und der Wohnungsgrößen waren vor diesem Hintergrund kein Problem, die soziale Durchmischung war dementsprechend ausgewogen, in der Platte wohnten der Arzt und der Fließbandarbeiter in guter Nachbarschaft.
Nach der Wende hat sich die soziale Differenzierung ebenso wie die Individualisierung der Ansprüche an das Wohnen mit hoher Dynamik durchgesetzt. Und der nunmehr offene Markt bietet alle Möglichkeiten, diese neuen Bedürfnisse zu realisieren, sofern das nötige Einkommen verfügbar ist.
Die Südstadt verliert damit nicht nur die Menschen, die in die wirtschaftlich attraktiven Ballungsräume abwandern, sie verliert auch diejenigen, die sich vor Ort ökonomisch stabilisieren und ihren neuen Anspruch an Wohnen bezahlen können. Gerade im ländlichen Raum muss das Wohnen im neuen Einfamilienhaus oder im alten dörflichen Kern, vor allem aber das Wohnen im Eigentum als die naheliegende Alternative zur Mietwohnung im Geschosswohnungsbau betrachtet werden.
Verstärkt wird dieser Prozess durch Mängel am Wohnumfeld sowie durch die soziale Erosion, die die ehemals funktionsfähigen Nachbarschaften schnell ausgelöst hat bzw. stark belastet. Es ist paradox: Je besser es den Menschen in Leinefelde wirtschaftlich geht, desto problematischer wird sich die Situation in der Südstadt darstellen. Langfristige Trendanalysen machten deutlich, dass der Bedarf an Plattenbauwohnungen sich um bis zu 50% reduzieren kann, sofern sich die Qualitäten der Südstadt nicht grundlegend ändern. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der Einwohner Leinefeldes, nicht zuletzt wegen der rückläufigen natürlichen Bevölkerungsentwicklung, langfristig auf einem niedrigeren Niveau als heute einpegeln wird. Für diesen Strukturwandel muss von Zeiträumen ausgegangen werden, die zumindest eine Generation umfassen.
Ziele und Planungen
Nachhaltige Stadtentwicklung in Leinefelde muss demnach gleichzeitig
Das ist die Grundidee der ZukunftsWerkStadt Leinefelde.
Dies kann nur im engen Zusammenwirken von Politik, Verwaltung, Bürgern, Kirchen, Verbänden, Vereinen, Wohnungseigentümern und Wirtschaft gelingen. Mit dem Start der Rahmenplanung im Jahr 1994 wurde der Grundstein gelegt für einen partizipativen Prozess der Stadtentwicklung.
Wesentliche Elemente dieses Arbeitsansatzes waren:
Entsprechend der in Leinefelde anstehenden Probleme setzt die ZukunftsWerkStadt drei thematische Schwerpunkte:
Arbeiten
Ziel ist der Aufbau einer nachhaltigen, vielfältigen Wirtschaftsstruktur unter Nutzung der regionalen Standortfaktoren und der endogenen Potentiale in Leinefelde und in der Südstadt.
Wohnen
Ziel ist die Weiterentwicklung der Südstadt zu einem hochwertigen, lebendigen und sozial stabilen Stadtteil, der im Zusammenwirken mit dem alten Ortskern die heutigen Erwartungen der Menschen an Lebensumfeld und Lebensqualität erfüllt.
Natur
Ziel ist, den notwendigen ökonomischen und städtebaulichen Strukturwandel so zu vollziehen, dass er einen positiven Beitrag zur Erhaltung und Entwicklung der natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen leistet.
Welche Strategien, Prozesse und Maßnahmen nutzen wir?
Praktizierter Strukturwandel
Die Entwicklungsstrategie der ZukunftsWerkStadt basiert auf der Überzeugung, dass in Leinefelde nur durch die Bündelung und sorgfältige Koordination vielfältiger Maßnahmen in den drei Themenfeldern Arbeiten, Wohnen und Natur eine langfristig tragfähige soziale, ökonomische und ökologische Stabilität erreicht werden kann. Entsprechend zahlreich und bunt sind die einzelnen Projekte, sie alle sind aber eingebunden in den Prozess des gemeinsamen Planens und Handelns, der sich in den verschiedenen Arbeitsgruppen artikuliert und von der Stadt koordiniert wird. Denn nur wenn die Bürger den Veränderungsprozess mitgestalten können, werden sie die schwierigen Transformationsphasen akzeptieren und ihrer Südstadt als alte und neue Heimat treu bleiben.
Neben den gängigen Formen der Bürgerinformation und Beteiligung wurden auch neue Wege gewählt, um den Kontakt mit den Bürgern zu suchen und zu intensivieren:
Themenfeld Arbeiten
Grundlage der Entwicklung Leinefeldes zum attraktiven Wirtschaftsstandort ist die Stärkung der regionalen Standortfaktoren. Der Bau der neuen A 38 sowie die direkte Anbindung Leinefeldes an diesen Verkehrsweg hat hier hohe Priorität.
Die Ortsumgehung der B 247 wird das zunehmende Verkehrsaufkommen vom Kernbereich Leinefeldes fernhalten und damit einen wesentlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit und Attraktivität des zentralen Wohn- und Einkaufsbereiches leisten.
Eine weitere wichtige Maßnahme ist die Verbesserung der Schienenanbindung insbesondere durch den Ausbau der Eichenberger Kurve und der Streckenverbindung nach Gotha.
Die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen innerhalb einer vielfältigen Wirtschaftsstruktur ist die Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Stadt Leinefelde. Dabei galt es vor allem, das Potential der vorhandenen, teilweise brachgefallenen Hallen und Infrastrukturen einer sinnvollen neuen Nutzung zuzuführen. In intensiver Abstimmung mit den neuen Eigentümern wurde ein Konzept entwickelt, das eine Neuordnung der Infrastrukturen unter Berücksichtigung der neuen funktionalen und eigentumsberechtigten Anforderungen ermöglicht. Die ist im Bebauungsplan Nr. 6 "Pfaffenstieg" planungsrechtlich abgesichert, die Modernisierung der Infrastrukturen ist weitgehend abgeschlossen.
Parallel dazu wurden neue Gewerbeflächen nördlich der Bahngleise erschlossen, eine geplante Straßenbrücke soll den funktionalen Zusammenhang zwischen altem Industriestandort und ergänzenden Gewerbeflächen sichern.
Nicht zu unterschätzen ist die mögliche Beschäftigungswirkung des Erneuerungsprozesses im örtlichen Handwerk, das sich längst auf die besonderen Anforderungen der Aufwertung von Plattenbauten und Wohnumfeld eingestellt hat. So bleibt ein nicht unerheblicher Teil der Investitionen und Fördergelder vor Ort, sichert Arbeitsplätze und belebt die Nachfrage auch in anderen Wirtschaftssektoren.
Ein wesentlicher Standortfaktor ist die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Umschulungen entsprechend den veränderten Anforderungsprofilen haben in den ersten Jahren nach der Wende die Wiedereingliederung von Arbeitslosen in die Erwerbstätigkeit erleichtert. Besondere Anstrengungen hat die Stadt Leinefelde unternommen, um die Benachteiligung arbeitsloser Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu kompensieren. So wurde in mehreren Projekten Beschäftigungsförderung mit Qualifizierungsmaßnahmen verbunden und gleichzeitig das Leistungsangebot der Stadt für Bürger und Besucher deutlich erweitert, z. B. durch die Vorbereitung und Durchführung von kulturellen Veranstaltungen und die systematische Aufbereitung und Vermarktung von touristischen Angeboten. Hierzu gehören auch die Qualifizierung des Personals für das Leinefelder Infozentrum der EXPO 2000 und die Bereitstellung der Informationsmaterialien und Dienstleistungen.
Entscheidend ist nunmehr, die jungen Menschen auf die Anforderungen des Berufslebens vorzubereiten. Der Ausbau des berufsbildenden Zentrums des Landkreises Eichsfeld unter weitgehender Nutzung vorhandener Schulbauten setzt hier ein deutliches Signal in der Region und bereichert gleichzeitig das Funktionsspektrum in der Südstadt. Die gemeinsame Nutzung der neuen Lunapark-Halle für Schul- und Vereinssport sowie für öffentliche Veranstaltungen intensiviert die Verflechtung zwischen Berufsbildendem Zentrum und den Bürgern in Leinefelde und kann damit weitere Synergien freisetzen.
Vertrauen, Kommunikation und Kooperation zwischen der Stadt und den Wirtschaftsakteuren sind neben den objektiven Voraussetzungen, wie sie durch die Stadt Leinefelde geschaffen werden können, eine zentrale Voraussetzung für eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Der von der Stadt initiierte Arbeitskreis Wirtschaft hat sich hier als Forum zur Klärung wichtiger Fragen und zur Dynamisierung des Entwicklungsprozesses bewährt. In weiteren Arbeitskreisen wird mit den unmittelbar Betroffenen an der Aufwertung und besseren Vermarktung des Einkaufsstandortes Leinefelde, gearbeitet. Arbeitskreis Stadtmarketing.
Trotz der Erfolge bei der Schaffung von Arbeitsplätzen muss davon ausgegangen werden, dass der erste Arbeitsmarkt keine Beschäftigung für alle sichern kann. Damit kommen Maßnahmen zur Förderung der endogenen Potentiale wachsende Bedeutung zu. Die Voraussetzungen für die Entwicklung einer standortbezogenen Mikroökonomie scheinen günstig, da in der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen und den Bereichen sozialer und kultureller Dienste Defizite erkennbar sind und preisgünstige Flächen (z. B. unvermietbare Erdgeschosswohnungen) zur Verfügung stehen. Erste Versuche laufen in Richtung Aufbau eines Tauschringes, wobei die notwendige Infrastruktur im Rahmen des Projektes "Öko-soziale Aufwertung von Großsiedlungen" bereitgestellt wird. Die Stadt fühlt sich als Wegbegleiter.
Themenfeld Wohnen
Die Aufgabenstellung in der Südstadt war und ist vielfältig.
Zum einen gilt es, die gravierenden Mängel im Wohnumfeld zu beseitigen, die insbesondere durch die starke Zunahme der Motorisierung und durch fehlende Ausstattung und Gestaltung bedingt sind. Dabei ist besonders auf eine deutlichere Differenzierung des Charakters und der Zuordnung der öffentlichen und privaten Freiflächen hinzuwirken, um ihre Aneignung durch die jeweiligen Zielgruppen zu erleichtern. In diesem Zusammenhang ist auch die unübersichtliche und umwegige Erschließungsstruktur der Südstadt für Fahrzeuge neu zu organisieren.
Zum zweiten ist ein Wohnungsangebot zu entwickeln, das in seiner Qualität, seiner Struktur und in seinen Quantitäten der veränderten Bedarfslage angepasst ist. Dabei ist mit den sozialen Zusammenhängen und dem Bestand schonend umzugehen, auch im Hinblick auf die Finanzierbarkeit der Maßnahmen. Zum dritten sind die kommerziellen und sozialen Infrastrukturen so zu qualifizieren, dass das Wohnen in der Südstadt gegenüber anderen Standorten als besonders attraktiv erlebt wird.
Grundlage des damit vorskizzierten Veränderungsprozesses ist der mit den wesentlichen Akteuren entwickelte und vereinbarte Rahmenplan, die kontinuierliche Begleitung seiner Umsetzung durch den Arbeitskreis Wohnen sowie erforderlichenfalls seine Aktualisierung.
Die generelle Strategie zielt dabei in zwei Richtungen:
Angesichts der hohen prognostischen Unsicherheiten hinsichtlich der langfristigen Wohnungsnachfrage als Spiegel von Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung wurde mit dem Rahmenplan 1995 vereinbart, alle Aufwertungsmaßnahmen zunächst auf einen zentralen Bereich zu konzentrieren, der mit den hier angelagerten Versorgungseinrichtungen das verbindende Element zwischen den verschiedenen Abschnitten der Südstadt und dem alten Ort darstellt. Mit der Aufwertung dieses Bereiches erhält die Südstadt frühzeitig einen stabilen Kern, ein "Rückgrat", das den Bewohnern die neue Qualität quer durch die gesamte Südstadt vermittelt.
Durch die Beschränkung der Investitionen in den peripheren Lagen der Südstadt auf reine Erhaltungsmaßnahmen werden hier ökonomische Spielräume offengehalten für eventuelle Umstrukturierungsmaßnahmen wie Abriss, Umbau oder Neubau, die je nach Erfordernis umgesetzt werden können; die Lebensqualität im Kernbereich der Südstadt wird davon nicht beeinträchtigt, sie kann vielmehr von der Umstrukturierung in ihrer Nachbarschaft qualitative Impulse erwarten.
Parallel zur Umsetzung der städtebaulichen und baulichen Konsolidierung im Kernbereich der Südstadt wird der Bereich des Lunaparks zu einem attraktiven Sport- Freizeit und Naherholungsbereich ausgebaut und als zusammenhängender Grünzug durch die Südstadt geführt, eine Maßnahme, die nicht nur den Wohnstandort Südstadt aufwertet, sondern allen Bürgern der Stadt Leinefelde und des Umlandes zugute kommt.
Um die wesentlichen hochbaulichen Maßnahmen innerhalb dieser Strategie der Kernstabilisierung der Südstadt in der gewünschten hohen Qualität zu sichern, wurden drei Architekturwettbewerbe ausgelobt; der Umbau von zwei Wohnquartieren sowie die Erweiterung der Obereichsfeldhalle sind auf der Grundlage der preisgekrönten Entwürfe realisiert, das Projekt "Wohnen am Teich" wird vom ersten Preisträger noch im Jahr 2000 fertiggestellt. Die mit diesem Vorgehen gemachten sehr guten Erfahrungen haben dazu geführt, dass nunmehr auch für Aufgaben außerhalb der Südstadt Architekturwettbewerbe durchgeführt werden: Architektonische Qualität ist in Leinefelde zu einem breit getragenen Anliegen geworden.
Die Projekte im Einzelnen:
Wohnungsbau
Wettbewerb Südstadt: Neue Qualitäten in der Platte
Die Aufgabe dieses Wettbewerbs bestand darin, für zwei Quartiere im Kernbereich der Südstadt auf der Grundlage des Rahmenplanes Konzepte zur Aufwertung und Differenzierung des Wohnungsangebotes und des Wohnumfeldes auszuarbeiten. Der 1996/97 durchgeführte internationale offene Wettbewerb hat 54 Beiträge gebracht. Die Arbeit des ersten Preisträgers Meier-Scupin & Petzet (München) legt den Akzent auf die Vielfalt des Wohnungsangebotes und die entsprechende Individualisierung der Zugangssituation und des Erscheinungsbildes der Wohnblöcke; in Verbindung mit einem Ergänzungsbau (Eckschließung) werden auch Laubengangtypen und Maisonetten angeboten. Dieses Konzept wird von der WVL flächendeckend für den Bestand im Bereich Hahn-/Hertz-Straße umgesetzt.
Der zweite Preisträger Forster und Schnorr (Frankfurt) intensiviert die Nahtstelle zwischen Innen und Außen und schafft durch Wintergärten, vor allem aber durch Vorbauten in der Erdgeschosszone hochwertige zusätzliche Nutzungsangebote ("Grüne Zimmer") und ein völlig neues architektonisches und städtebauliches Bild. Besonders attraktiv sind die Maisonetten-Wohnungen im Erdgeschoss, die die Qualität eines Reihenhauses bieten. Dieses Konzept wurde von der LWG im Bestand an der Lessingstraße umgesetzt, eine abgewandelte Version ist gegenwärtig in der Büchnerstraße in Bau.
Die mit den Projekten der WVL und der LWG verbundenen Rückbaumaßnahmen waren Anlass, unterschiedliche Abrisstechniken hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen, Ressourcenschonung und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen. Die wissenschaftliche Aus-wertung und eine Untersuchung eventueller Wiederverwendungsmöglichkeiten demontierter Fertigteilplatten erfolgte durch das IFF Weimar.
Wettbewerb Wohnen am Teich
An der zentralen Fuß- und Radwegeverbindung zwischen Südstadt und altem Ort bzw. Bahnhof kann ein ca. 6.000 m² großes Grundstück einer neuen Nutzung zugeführt werden. Die Attraktivität der zentralen Lage am Teich bietet gute Voraussetzungen für die Realisierung von hochwertigen Wohnungen, die in Leinefelde nachgefragt werden, in dieser Qualität und Lage aber in der Südstadt nicht angeboten werden können.
Das Konzept des ersten Preisträgers P.a.l.o.m.a (Weimar) fügt die neuen Gebäude sensibel in das städtebauliche Umfeld und in den vorhandenen Baumbestand ein und findet einen zeitgemäßen, selbstbewussten Ausdruck für diese Aufgabenstellung. Die Fertigstellung des Vorhabens ist noch im Jahr 2000 zu erwarten.
Bebauungsplan Heinestraße
In der Heinestraße stehen am Siedlungsrand hin zur Landschaft drei Wohnblöcke, die das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen. Im Zuge der weiteren baulichen Entwicklung Leinefeldes entstehen in der Nachbarschaft jenseits der Kallmeröder Straße Neubaugebiete für Einfamilienhäuser. Mit dem Bebauungsplan Heinestraße wird durch ergänzende Neubebauung und langfristig durch Umbau der vorhandenen Wohnblöcke zu Reihenhäusern das Zusammenwachsen der Südstadt mit den benachbarten Neubaugebieten und die Entwicklung eines abgestuften, in die Landschaft einbindbaren Ortsrandes bauleitplanerisch vorbereitet. Mit der direkten Anbindung des berufsbildenden Zentrums über die Heinestraße an die Kallmeröder Straße wird eine Entlastung der Südstadt von Durchgangsverkehr erreicht.
Öffentliche Gebäude
Wettbewerb Obereichsfeldhalle
Verbunden mit der Sanierung der wegen ihrer innovativen Konstruktion denkmalgeschützten Obereichsfeldhalle war die Aufgabe, den Zugangsbereich großzügiger und funktioneller zu gestalten. Aus dem Einladungswettbewerb ging das Büro Forster & Schnorr (Frankfurt) als Sieger hervor. Entscheidendes Merkmal des preisgekrönten und Ende 1999 fertiggestellten Entwurfes war die Einbindung der Halle und ihres neuen Foyers durch ein Torbauwerk in den Zusammenhang des Einkaufszentrums und damit die prägnante Markierung des Auftaktes der zentralen Achse der Südstadt. Das neue Foyer ist während der EXPO 2000 das Informationszentrum für die Besucher Leinefeldes.
Schulentwicklung
Angesichts der nach wie vor überdurchschnittlich jungen Bevölkerung in Leinefelde stellt die umfassende Versorgung mit Schulen aller Stufen, auch des berufsbildenden Sektors, eine Grundvoraussetzung für die Stabilisierung der Südstadt als Wohnstandort dar. Dem hat der Kreis als Schulträger in herausragender Weise Rechnung getragen und trotz rückläufiger Schülerzahlen in der Südstadt alle Schulformen gesichert. Gegenwärtig läuft in enger Abstimmung mit der Stadt Leinefelde und auf der Grundlage der gestalterischen Vorgaben der Rahmenplanung ein umfassendes Programm zur Sanierung und Modernisierung der Schulgebäude. Dieses wird ergänzt durch Projekte zur Schulhofgestaltung, an denen auch Eltern und Schüler mitwirken.
Jugend- und Freizeitzentrum
Die beiden Jugendclubs in der Südstadt haben wichtige Arbeit geleistet bei der Bewältigung der mit dem Strukturwandel verbundenen Problemen der Jugend. Allerdings führten die verfügbaren Räumlichkeiten und die sensiblen Standorte zu Nutzungs- und Nachbarschaftskonflikten. Aus diesem Grunde wurde gemeinsam mit den Trägern der Jugendarbeit und mit den Jugendlichen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Sportflächen des Lunaparks ein gemeinsames Jugend- und Freizeitzentrum geplant, das inzwischen seinen Betrieb aufnehmen konnte. Besonders hervorzuheben ist das innovative Energiekonzept des Büros H + H Gesellschafter für energieoptimiertes Bauen mbH, Leinefelde, das seinen Energiebedarf weitestgehend durch die Nutzung passiver Energiequellen (Sonnenwärme, Erdwärme und Pflanzenenergie) abdeckt. Die Integration der Pflanzen in das Foyer als sichtbare Elemente des Energiekonzeptes trägt zur Sensibilisierung der Jugendlichen für Umweltfragen bei.
Die Gestaltung der Freiflächen wird in Workshops mit den Jugendlichen soweit konkretisiert, dass ihre Fertigstellung noch im Jahr 2000 abgeschlossen werden kann.
Sport- und Freizeit
Mit der Verbesserung des Angebotes an Sport- und Freizeiteinrichtungen wird der Wohnstandort Südstadt zusätzlich stabilisiert. Da diese Einrichtungen ein gesamtstädtisches, teilweise auch regionales Angebot darstellen, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur sozialen Integration der Südstadt. Besonders hervorzuheben ist neben der Lunapark-Sporthalle das neue Familien- und Sportbad, das im Zusammenhang mit der geplanten Tennishalle, einer Erneuerung der Tribünenanlage im Stadion sowie weiteren Aufwertungsmaßnahmen in und um das Sportgelände einen Anziehungspunkt darstellt, dessen Ausstrahlung weit über Leinefelde hinauswirkt.
Nahversorgung
Der Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel am südlichen Siedlungsrand der Südstadt hat innerhalb weniger Jahre die Versorgungslage in Leinefelde und in der Region spürbar verbessert. Dies kann aber nicht eine kleinteilige Mikrostruktur von Handel und Dienstleistung ersetzen, die die Nahversorgung vielfältiger und besser erreichbar macht. Das Konzept der Stabilisierung des Kernbereiches der Südstadt, der Konzentration der Wegeführung auf die Verbindungsachse zwischen den verschiedenen Abschnitten der Südstadt und dem alten Ortskern schafft Standortqualitäten und damit Voraussetzungen für die Stärkung der an dieser Achse liegenden Unterzentren der Nahversorgung sowie für die Ansiedlung neuer, kleinerer Einrichtungen, die sich in die als Wohnung eher schlecht vermietbaren Erdgeschosswohnungen einmieten können. In der Käthe-Kollwitz-Straße hat die WVL das Angebot von gewerblichen Flächen im Erdgeschoss durch Vorbauten noch erweitert. Sie schaffen eine Kontinuität des Angebotes auch zwischen den Unterzentren und erhöhen damit die Attraktivität der zentralen Achse.
Themenfeld Natur
Schutz der Ressourcen und Verbesserung der ökologischen Qualität sind Grundforderungen, die den Strukturwandel in Leinefelde maßgeblich bestimmen. Die vielfältigen Baumaßnahmen bieten eine Fülle von Anlässen, diesen Anspruch einzulösen.
Ökologische Aufwertung und Vernetzung der Freiflächen
Die generellen Qualitätsdefizite der Freiflächen werden sowohl im privaten wie im öffentlichen Freiraum schrittweise abgebaut. Die Verbesserung der Benutzungs- und Gestaltungsqualität steht im Einklang mit der Stärkung der ökologischen Leistungsfähigkeit beispielsweise durch Intensivierung der Pflanzendichte mit standortgerechten Arten, durch Entsiegelung bzw. den Einbau wasserdurchlässiger Oberflächenbefestigungen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Begrünung der Straßenräume und Stellplätze mit Alleebäumen zu.
Die Vernetzung der innerörtlichen Freiflächen mit dem Landschaftsraum über den Aufbau eines durchgrünten Siedlungsrandes ist das langfristige Ziel. Der Abbau der harten städtebaulichen Kante zur Landschaft durch Rücknahme der Höherentwicklung und der baulichen Dichte der Wohngebäude schafft hier ebenso Voraussetzungen wie landschaftsseitig die Maßnahmen zur ökologischen Anreicherung der Kulturlandschaft z.B. im Zuge des Flurordnungsverfahrens im Bereich des Birkunger Speichers.
Bilanz und Vision
Die Stadt Leinefelde hat mit der ZukunftsWerkStadt den ökonomischen, sozialen und ökologischen Strukturwandel in der Folge der Wiedervereinigung Deutschlands lokal konkretisiert und die daraus resultierenden städtebaulichen und landschaftsplanerischen Maßnahmen in Gang gesetzt. Die Organisation der Veränderungen als partizipativen Prozess sichert das konzertierte Handeln aller Akteure und hat eine solche Dynamik entfaltet, dass nach nur wenigen Jahren das Bild einer neuen Südstadt Konturen gewinnt und für die Menschen in Leinefelde und Umgebung als spürbare Verbesserung ihrer Wohn- und Arbeitssituation erlebbar wird. Das gemeinsame Ziel, zur EXPO 2000 eine erste Etappe des langen Weges präsentieren zu können, hat mit der Unterstützung von Bund und Land alle Beteiligten zu großen Anstrengungen motiviert. Deutlich wurde dabei die entscheidende Bedeutung der Kommune als selbstverantwortliche, zielbestimmende und steuernde Kraft. Das Engagement der Stadt Leinefelde für die Zukunft ihrer Bürger ist sicherlich beispielgebend, gerade auch für die Transformationsgesellschaften, die die kommunale Autonomie noch nicht in vollem Umfang umsetzen konnten.
Leinefelde wird seinen Weg zu einem neuen, nachhaltigen Gleichgewicht zwischen Wohnen und Arbeiten noch lange fortsetzen müssen und es wird zur Bewältigung seines problematischen Erbes auch weiterhin Unterstützung von außen benötigen. Entscheidend wird aber sein, dass die Menschen vor Ort auch weiterhin die Dinge in die Hand nehmen und gemeinsam die Richtung des Weges und die hohe Qualität des Ergebnisses bestimmen, gestalten und verantworten. Dann wird in Leinefelde mehr entstehen als nur schöne Häuser, angenehme Parks und ein prosperierendes Wirtschaftsleben, dann entstehen im Ergebnis eines demokratischen Prozesses ein neues Bewusstsein, neue Offenheit, Selbstvertrauen, eine neue Gemeinschaft: Es entsteht möglicherweise Stadt.