Karin Schmalriede, Lawaetz-Stiftung, Hamburg
Die Lawaetz-Stiftung ist ein intermediärer Träger, der - hauptsächlich in Hamburg - an der Schnittstelle zwischen Politik und Verwaltung auf der einen Seite sowie bei Projekten, Initiativen, Bürgern und Bürgerinnen auf der anderen Seite im Bereich Arbeitsmarkt, Stadtentwicklung und Sozialpolitik arbeitet, um Projekte, Initiativen und Quartiere in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Wir waren fünf Jahre in einem Gebiet des Programms "Soziale Stadtteilentwicklung" in Hamburg tätig, haben das im Dezember abgeschlossen und arbeiten nunmehr in drei weiteren Gebieten. Unser Leitsatz ist "Hilfe zur Selbsthilfe". Deswegen ist uns die Aktivierung der Quartiersbevölkerung ein ganz spezielles Anliegen. Und das ist nun auch das Thema des heutigen Nachmittages. Für eine erfolgreiche und nachhaltige Entwicklung von Gebieten, die im Bund-Länder-Programm gefördert werden, wird es ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein, inwieweit es in diesen Gebieten gelingt, die lokale Bevölkerung zur Beteiligung oder besser noch zur Mitarbeit zu aktivieren. Das ist in vielen Fällen sicher leichter gesagt als getan, aber auch nicht unmöglich, wie eine ganze Reihe von Beispielen in der Republik hier, aber auch im Ausland zeigt.
Bei der Aktivierung von Quartiersbevölkerung sind nach unseren Erfahrungen unter anderem fünf Punkte wichtig. Der erste ist die Mobilisierung von Eigeninitiative. (Da fällt mir ein: Wir alle sollten, möglichst wenige oder so gut wie gar keine Fremdwörter benutzen, weil das ein Punkt ist, der zu Ausgrenzung führt: Denn für die einen ist das alltägliches Geschäft, für die anderen sind es böhmische Dörfer. Aber auch ich merke, dass ich zu sehr in diesem Fachjargon drin bin.) Durch Mobilisierung von Eigeninitiative oder Eigenengagement soll die Fähigkeit zur Selbstorganisation von Personen und Quartieren gestärkt werden. Von Selbstorganisation lässt sich ernsthaft nur sprechen, wenn die Betroffenen in die Zielformulierung und Umsetzung dieser Initiativen partizipativ einbezogen sind. Drittens brauchen wir Zusammenarbeit, um bereits vorhandene, aber nicht ausreichend genutzte Fähigkeiten und Stärken oder - wie wir neudeutsch sagen - Potenziale mobilisieren und aktivieren zu können. Wir nennen das heutzutage Kooperation; die Zusammenarbeit lässt sich fast überall verbessern. Viertens müssen die Prinzipien der Beteiligung und der Zusammenarbeit unbedingt unterstützt werden durch eine breite Thematisierung in der Öffentlichkeit. Und fünftens: Obwohl Mobilisierung, Aktivierung, Anregung zur Beteiligung auf Selbstorganisation hin angelegt sind, vollziehen sie sich in der Regel nicht spontan von selbst, sondern sie bedürfen der speziellen Unterstützung von Akteuren, die sich von Berufs wegen mit dieser Arbeit beschäftigen und die vor Ort tätig sind.
Ich möchte Ihnen allen einige sehr persönliche Fragen stellen: Leben Sie in einem Gebiet der "Sozialen Stadt"? Mal angenommen, Sie würden in einem Gebiet der "Sozialen Stadt" leben, was müsste passieren, damit Sie sich für Ihr Gebiet einsetzen? Wie könnte man Sie mobilisieren? Wozu wären Sie zu aktivieren? Oder mal ganz anders angenommen, das hier wäre ein Gebiet der "Sozialen Stadt", Sie alleine hätten die Aufgabe, die anderen zu mobilisieren: Was würden Sie tun, wo würden Sie anfangen? Was müssten Sie bedenken? Wer könnte Ihnen helfen? Haben Sie schon mal vor einem ähnlichen Problem gestanden? Und was haben Sie damals getan, um erfolgreich zu sein? Diese Fragen möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben, wenn Sie jetzt der Reihe nach die Vorstellungen der Gebiete hören. Wäre das, was da vorgetragen wird, bei Ihnen anschlussfähig, würde Sie das erreichen? Oder welche anderen Vorstellungen hätten Sie?
Karsten Brieger, Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg
Eine Anmerkung zu Frau Kahle: Das Beispiel der Brücke am Kottbusser Tor fand ich sehr gut obwohl es um Quartiersentwicklung geht, um Bürgeraktivierung. Ich finde das deshalb gut, weil bauliche Maßnahmen auch soziale Prozesse begleiten können. Dafür gibt es reichlich Beispiele. Es wäre gut, wenn im Rahmen der Projektbegleitung auch die Akteure vor Ort auf Kenntnisse zurückgreifen können, die schon seit Jahren in Deutschland und im Ausland gemacht wurden. Noch ein Hinweis für Herrn Prügel: Es gibt in Baden-Württemberg, in Mannheim, die Ludwig-Frank-Siedlung (Vermietungsge-nossenschaft Ludwig Frank). Die ist Anfang der 90er Jahre saniert worden. Die Problemlage war ähnlich wie bei Ihnen in Singen. Es wäre für Ihr Projekt sehr empfehlenswert, mit den Initiatoren Kontakt aufzunehmen, die mit geringen Mitteln bei ähnlicher sozialer Problemlage sehr gute Effekte erzielt haben.
Christa Kliemke, Technische Universität Berlin
Ich möchte zwei Punkte ergänzen. Zu Ihrem Bericht aus Cottbus-Sachsendorf: Sie bezeichneten es als erstaunlich, dass das Sicherheitsbedürfnis an erster Stelle steht. Wir haben diverse Untersuchungen in Quartieren durchgeführt und dies ebenfalls herausgefunden. Dieses Gefühl korreliert niemals mit der Kriminalitätsrate.
Zweitens: Es gibt ja nun jahrzehntelange Erfahrungen aufgrund der Ottawa-Karte, die für das Wohlbefinden der Bürger in Städten entwickelt worden ist. Viele haben sich im "Gesunde Städtenetzwerk" dem angeschlossen und zahlreiche Projekte in Quartieren durchgeführt. Da fiel mir bei dem Beitrag aus Nürnberg - einer Stadt, die sich dem "Gesunde Städtenetzwerk" angeschlossen hat - auf, dass das von Ihnen vorgestellte Quartier Fehlentwicklungen durchgemacht hat auch schon im Rahmen des "Gesunde Städtenetzwerkes", deshalb auch vieles entwickelt hat, z.B. die Gesundheitswerkstatt, das Projekt des Bolz- oder Sportplatzes sowie des Quartiersplatzes, die auch schon im "Gesunde Städtenetzwerk" vorgestellt worden sind. Ich finde es gut, dass wir hier eine Fortsetzung haben oder sogar eine Kopplung an viele andere Programme mit vergleichbarem Inhalt, nämlich das Wohlbefinden von Menschen in der Stadt, speziell in Quartieren zu fördern.
Thomas Sauer, Projekt "Entwicklung kommunaler Integrationsstrukturen" des Landes Brandenburg
Das Projekt ist bei der ARWO des Landes Brandenburg angesiedelt. Ich möchte der Diskussion einen weiteren Aspekt hinzufügen. Es ist ein paar mal gesagt worden, dass sehr viele Spätaussiedler und jüdische Migranten gerade in Gebiete ziehen, die Gegenstand der "Sozialen Stadt" sind. Meine konkrete Aufgabe im Land Brandenburg ist es, unsererseits für Netzwerke der Integration zu werben. Diese Idee der Netzwerke der Integration kommt von Jochen Welt, dem Bundesbeauftragten für Aussiedlerfragen. Man geht jetzt praktisch hinaus in die Lande und wirbt für den Netzwerkgedanken, einmal für die Integration, einmal für die Stadtteilentwicklung. Ich denke, wenn beides zusammengeht, kann das ideal wirken. Ein ganz konkreter Punkt im Land Brandenburg ist zum Beispiel die Stadt Schwedt. Ganz besonders interessiert wäre ich daran, wie es in Cottbus diesbezüglich aussieht. Also: Von dieser Bundesregierung gehen mehrere Impulse zu dieser "Basiszusammenarbeit" aus, Vernetzung einmal zur Integration und einmal zur Stadtteilentwicklung. Das betrifft oft dieselben Gebiete. Ich bitte, darauf zu achten, dass man da zusammenkommt; ein Erfahrungsaustausch diesbezüglich wäre sehr wichtig.
Stephan Westermann, Stadtbüro Hunger, Berlin
Ich habe mich heute sehr gefreut, dass nicht nur die Baudezernentin von Cottbus, Frau Kraft, hier sitzt, sondern auch die Sozialdezernentin Frau Giesecke. Ich nehme das als hoffnungsvolles Zeichen. Ich erlebe auch vor Ort, dass das Thema Vernetzung schon viel weiter fortgeschritten ist, als wir dachten. Ich weiß, dass Sie aber in eine etwas andere Richtung wollen. Ich weiß aus Großsiedlungen beispielsweise in Magdeburg oder Chemnitz, dass in bestimmten Bauabschnitten eine Aussiedlerkonzentration, stattfindet und dass damit ein besonders brisantes Thema aufgeworfen ist, wenn ein gewisser Prozentsatz überschritten wird. Dann empfindet die angestammte deutsche Bevölkerung das Ganze plötzlich als Bedrohung und nicht als Bereicherung. In diesem Zusammenhang muss es um das besondere Thema der Integration gehen.
Wolfgang Hahn, Geschäftsführer des Nachbarschaftshauses, Berlin-Kreuzberg
Was mir bei den einzelnen Darstellungen auffiel ist, dass Sie sehr stark auf der institutionellen und auf der interinstitutionellen Ebene tätig sind und von dort aus versuchen Mitbestimmung und Aktivierung anzugehen und voranzutreiben. Es geht mir darum, neben den freien Trägern, neben den Initiativen, neben lokalen Akteuren vor Ort sich direkten Zugang zu der Bevölkerung durch aktivierende Befragung zu schaffen. Es gibt verschiedene Methoden, die ich hier nicht aufzählen will. Aber ich denke, die Verpflichtung der lokalen Akteure vor Ort, die Bevölkerung selber zu fragen, was ihre Bedürfnisse, was ihre Wünsche, was ihre Verbesserungsvorschläge sind und dann in einem besonderen Maße auch mal interkulturelle Konzepte zu entwickeln, das finde ich sehr wichtig. Das möchte ich Ihnen gerne auf den Weg mitgeben, weil das eigentlich die Arbeit der Nachbarschaftshäuser ist.
Hans-Georg Rennert, Quartiersmanagement, Sparrplatz, Berlin-Wedding
Ich möchte auf einen Aspekt hinweisen, der so noch nicht genannt worden ist, der aber auch sehr gut zur Bemerkung von Herrn Hahn passt. Wir haben von unterschiedlichsten Formen der Beteiligung von Bewohnern gehört, auch von unterschiedlichen Erfahrungen, wie Bewohner sich einmischen. Ich wünsche mir im Verlaufe der Programmbegleitung, dass diese Erfahrungen ausgewertet werden und danach geguckt wird, was an Unterstützung für Selbstorganisationen und für den Aufbau von einem eigenständigen Stadtteilleben nötig ist. Es gibt die These, dass für die Selbstorganisation von Bewohnern vielfältige Aktivitäten eine wichtige Voraussetzung sind, nämlich dass Programme richtig greifen und dass Mittel effizient eingesetzt werden können. Das ist das Konzept von dem sozialen Kapital. Ich würde mir wünschen, dass das in der Programmbegleitung genauer untersucht wird und man dann eine Bestätigung oder eine Differenzierung der These hätte. Wenn das zutrifft, dann hat das auch Folgen für den Stellenwert der Arbeit von Nachbarschaftszentren, von gemeinwesenorientierten Organisationen. Die bieten dann eine wesentliche Voraussetzung, dass die Programme greifen können und sie müssten dann auch entsprechend einbezogen und gefördert werden.
Karsten Gerkens, Amt für Sanierung und Wohnungswesen, Leipzig
Wenn die Frage von Integration, Mitwirkung, Aktivierung so wichtig ist, wäre doch zu überlegen, ob es - hier sitzen jetzt wie beim Bock-Gärtner-Prinzip zum größten Teil Leute, die im institutionellen Zusammenhang tätig sind - nicht auch möglich ist, eine Konferenz zu veranstalten, auf der es darum geht, dass sich die Bürger aus unseren Quartieren der "Sozialen Stadt" darüber austauschen, wie hier gearbeitet wird und welche Erfahrungen sie mit der institutionellen Ebene gemacht haben. Wir haben 1996 - finanziert durch die EU - eine Bewohnerkonferenz "Lebenslanges Lernen" mit Bewohnern großer Siedlungen europaweit im Zusammenhang mit Erneuerungsmaßnahmen in Grünau durchgeführt. Sie ist unheimlich positiv aufgenommen worden und hat die Arbeit sehr befruchtet. Das wurde nicht weitergeführt, aber ich glaube, dass dieses "Sich gegenseitig Mut machen" ein wichtiger Punkt wäre.
Karin Schmalriede, Lawaetz-Stiftung, Hamburg
Eine kurze Anmerkung zur aktivierenden Befragung, weil das gern missverstanden wird. So wie wir aktivierende Befragung verstehen, heißt das nicht nur, zu fragen, was wollt Ihr, was wünscht Ihr, sondern: Was wäret Ihr bereit, mitzuverändern, was seid Ihr bereit, mitzutun, mitzuwirken, mitzuarbeiten. Der zentrale Unterschied ist gerade, nicht nur Informationen abzufragen, sondern Informationen zu erzeugen, dass es nämlich ein Handlungsfeld gibt, in dem die Bürger etwas tun können.
Als Schlussbemerkung greife ich drei Punkte heraus: Einmal möchte ich Sie bitten, bei Ihrer Arbeit vor Ort den Spaß nicht zu vergessen, weil Menschen nicht mitmachen, wenn es keinen Spaß macht. Und der zweite Punkt: Seien Sie mutig, haben Sie viele Flausen, weil das, was alle schon gemacht haben, ist nicht immer das, was richtig ist; man kann auch mal etwas ganz anderes machen. Und der dritte Punkt, der fast vollständig vergessen wird: Organisieren Sie die Anerkennung für Ihre Menschen vor Ort. Es wird erwartet, dass die Leute, die Sie aktivieren sollen, etwas tun sollen. Organisieren Sie die Bestätigung, schmücken Sie die Menschen vor Ort mit den Federn des Erfolgs, ihres gemeinsamen Erfolges. Denn wenn Menschen am Erfolg beteiligt sind und der ihnen auch zugerechnet wird, dann haben sie um so mehr Interesse, auch weiterhin am Erfolg der Quartiere mitzuwirken. Und ein weiterer Aspekt ist der, auch die Bürger in einen Austausch über ihren Erfolg zu bringen. Was haben sie denn gemacht, um noch mehr Leute zu aktivieren etc. Das ist in dieser Thematik bislang so gut wie gar nicht berücksichtigt. Politik beschwert sich oft über die Passivhaltung ihrer Bewohner und Bewohnerinnen. Wenn diese sich dann erfolgreich einmischen, dann vergessen sie es gerne. Der einzige Erfolg, den es zu verkaufen gibt, ist der eigene.