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Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"

Quartiersmanagement Kottbusser Tor, KonTOR


Sylvia Kahle
Quartiersmanagement Kottbusser Tor


Frau Schümer-Strucksberg hat Ihnen einen kurzen Überblick über die Aktivitäten des Quartiersmanagements Kottbusser Tor gegeben. Ich werde Ihnen nun anhand einiger ausgewählter Praxisbeispiele verschiedene Methoden der Bürgeraktivierung vorstellen.

Zur Strategie nur soviel: Die Aktivierung erfolgt weitgehend über Einzelprojekte. Diese alle zu erwähnen, würde an dieser Stelle zu weit führen. Deshalb haben Sie bitte Verständnis, wenn ich mich auf einige wesentliche beschränke und andere Verfahren wie z.B. Bürgerbefragungen und Bürgerforen beiseite lasse. Das bedeutet nicht, dass sie nicht auch wichtig sind. Geographisch betrachtet beschränke ich mich auf den Nordteil des Quartiersmanagements Kottbusser Tor, das sich in einen Nord- und einen Südteil gliedert.

Auf dem Hintergrund eines großen Medieninteresses an den Vorgängen am Kottbusser Tor und damit einhergehend einer gewissen Gewöhnung der Bevölkerung im Umgang mit den Medien entschieden wir uns zu Beginn unserer Arbeit, Anfang 1999, die Quartiersbevölkerung durch das Medium Film bzw. Video einzufangen. Gemeinsam mit der Kreuzberger Filmproduktion MPS erstellten wir zwei Tapes, in denen sich verschiedene Bevölkerungsgruppen, Alte, Junge, Aktive und Nichtaktive in ihrem Alltag am Kottbusser Tor darstellen. Titel des einen "Wir vom Kotti", befasst sich mit Bewohnerinnen und Bewohnern des Zentrum Kreuzberg, damals noch Neues Kreuzberger Zentrum. Der andere zeigt Jugendliche aus dem Quartier und trägt den Titel "Polizistin hat nicht geklappt". Der mediale Ansatz wurde von allen Beteiligten, Bewohnern, Vor-Ort-Initiativen, Arbeitsgruppen und anderen bereitwillig getragen, wobei besonders die jungen Leute wenig Scheu zeigten, auch negative Aspekte ihres Daseins wie Arbeits- oder Ausbildungslosigkeit oder auch kriminelle Seiten schonungslos offenzulegen. Beide Filme bringen deutlich zum Ausdruck, dass die Menschen gerne am Kottbusser Tor leben, wohnen und arbeiten, und artikulieren gleichzeitig ihren Unmut über die Zustände vor der Tür.

Der Erwachsenen Film spricht die starke Vermüllung an; an normalen Werktagen wirkt der Ort wie sonst nach einem Straßenfest. Unübersehbare Vandalismusschäden werden genannt, zu denen auch die Tags wenig begnadeter Sprayer zählen, Verunreinigungen durch körperliche Entäußerungen wie Erbrochenes, Urin, Verkotungen und durch Junkies verursachte Blutspritzer in den Fluren und Eingangsbereichen, aber auch Belästigungen durch sich in den Häusern aufhaltende Fixer. Denn das Kottbusser Tor ist ein Treffpunkt von etlichen der Berliner Drogenszene .

Der Jugendfilm zeigt die Jugendlichen an ihren Aufenthaltsorten Straße, Jugendfreizeiteinrichtung und Zuhause. Ausbildung und Arbeit kommen in den Schilderungen weitgehend fernab der Realität als Wunschfaktor vor. Der sehr bewusst wahrgenommenen Stigmatisierung gibt der häufig gehörte Satz "Was, da wohnst Du"? immer neue Nahrung. Die jungen Leute sind sich in außerordentlich hohem Maße ihrer geringen Chancen aufgrund von mittlerweile wenig anerkannten oder gar keinen Schulabschlüssen bewusst, ohne dass sie eine Stimmung von Ausweglosigkeit ausstrahlen. Der Film zeigt sie im selbst gestalteten Lebensraum, beim Breakdance oder beim Rap, in dem sie sich selbst die Auswertung geben, die ihnen die Gesellschaft vorenthält. Beide Filme präsentierten wir in einer breit angelegten Videoinstallation auf der Straße. Diese Aktion hatte u.a. zur Folge, dass die in den Filmen geäußerten Vorschläge zu diversen Umbauvorhaben am Zentrum Kreuzberg einflossen und Mieter sich sowohl in einem Mieterbeirat als auch in einem im Herbst letzten Jahres installierten so genannten Gestaltbeirat engagierten und auf diese Weise die in den Filmen geäußerten Vorschläge in die realisierten Umbauten einfließen konnten. Der Gestaltbeirat setzt sich aus fast 30 Fachleuten verschiedener Fachrichtungen wie z.B. Architekten, Stadtplaner, Eigentümer, Hausverwaltungen, Vereine, Techniker etc. zusammen und zielt auf die verbindliche Konsensfindung der Akteure.

Am Beispiel der Treppe an der Adalbertstraße können wir das Vorher/Nachher veranschaulichen. Die Treppe war vielen ein Dorn im Auge: wuchtig, monströs, uneinsehbar, als Mülleimer benutzt, über und über beklebt mit Werbematerial. So sieht sie heute aus: fast filigran, transparent, als Informationsträger ungeeignet. Letzten Freitag wurde sie mit dem Senator für Stadtentwicklung, Herrn Strieder, dem Bezirksbürgermeister Dr. Schulz und anderen feierlich eingeweiht. Sämtliche Akteure sind zufrieden und wir gehen davon aus, dass auf der Grundlage dieser Aktion weitere Akteure gewonnen werden. Hinsichtlich der Vermüllung und Verschmutzung vor Ort konnte die Eigentümerin dahingehend überzeugt werden, zusätzliche Reinigungskräfte einzustellen und in Kooperation mit einem Qualifizierungsträger ein Malerprojekt zu starten, das bereits im zweiten Durchlauf mit Sozialhilfeempfängern aus dem Gebiet die Flure und Eingangsbereiche verschönert.

Im Zusammenhang mit einer der nächsten Baumaßnahmen, einem Spielplatzbau kümmert sich der seit Jahren im Gebiet agierende und bekannte Nachbarschaftsverein Kotti e.V. um die Aktivierung der Bewohner, die noch stärker als bisher z.B. in die Gestaltung der Grünflächen einbezogen werden sollen. Zu diesem Zweck bezieht der Verein das so genannte Cafe Aktuell im Zentrum Kreuzberg, das als Anlaufstelle für die Bevölkerung demnächst eröffnet wird. Eine ganz besondere Art der Beteiligung gelang im Zentrum Kreuzberg im Bereich der Lokalen Ökonomie mit den ausschließlich türkischen Gewerbemietern, die sich vor kurzem zur Interessengemeinschaft Kottbusser Tor zusammenschlossen. Unseres Wissens ist dies der erste Zusammenschluss dieser Art in Berlin, wenn nicht gar in Deutschland. Angeschoben wurde das Treffen durch eine gemeinsame Einladung zu einem Gewerbe-Brunch von der Eigentümergesellschaft und dem Quartiersmanagement, das im Bereich der Lokalen Ökonomie mit der mpr Unternehmensberatung zusammenarbeitet. Die türkischen Gewerbetreibenden organisierten selbst Nachfolgetreffen, derzeit agieren sie als Verein in Gründung. Nun darf man sich diese IG nicht nach dem Muster, verzeihen Sie bitte den Begriff, deutscher Vereinsmeierei, vorstellen, sondern aufgrund des kulturell-bedingten anderen Verhaltenskodex mehr als Informations- und Entscheidungsbörse in lockerer Atmosphäre. Vieles wird gemeinsam beim Tee besprochen, die Angelegenheiten, wenn möglich, auf informellen Wege, ohne großen Behördenaufwand geregelt. Bei der nichtgewerblichen nichtdeutschen Bevölkerung gelingt die Aktivierung in der Regel über die Kinder und Jugendlichen, über die wiederum die Eltern erreicht werden. In diesem Zusammenhang sind der geplante Spielplatzbau sowie die geplante Kinderbetreuung außerordentlich wichtig, um die Aktivierung zu forcieren. Es bleibt abzuwarten, ob uns dieser Schritt auch gelingt.

Noch ein letztes: Ein oft unterschätzter hoher Anteil des Erfolges in der Bevölkerungsaktivierung liegt im Einzelgespräch. Deshalb ist ein Großteil unserer Arbeit vor Ort täglich praktiziertes Open Space.

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