soziale stadt - bundestransferstelle

Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit
besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt"
Sperrfrist: Beginn der Rede! Es gilt das gesprochene Wort!!

Rede der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann, auf der Starterkonferenz "Soziale Stadt" am 1. März 2000 in Berlin

Sehr geehrter Herr Kollege Klimmt,
sehr geehrter Herr Wagner,
sehr geehrte Damen und Herren,

gerne bin ich der Einladung gefolgt, heute hier zu Ihnen zu sprechen und den Beitrag der Jugendpolitik zum Programm "Stadteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" darzustellen.

Dieses Programm steht für ein neues Politikverständnis:
Über verschiedene Politikbereiche hinweg koordinieren wir unsere Arbeit.

Mit der Bündelung von Ressourcen wollen wir es schaffen, dass nicht Einzelinteressen von Institutionen und Verwaltungen das Handeln bestimmen.Wenn wir uns die Entwicklung in unseren Städten anschauen, dann müssen wir feststellen, dass sich in den letzten Jahren immer mehr soziale Brennpunkte entwickelt haben.Zu wenig Arbeits- und Ausbildungsplätze, Schwierigkeiten in Schulen, erhöhte Gewalt- und Kriminalitätsbelastung, Alkohol- und Drogenmißbrauch, die Verwahrlosung von Gebäuden, Straßen und öffentlichen Plätzen drohen nicht mehr länger Einzelerscheinungen zu bleiben, sondern konzentrieren sich in einzelnen Stadtteilen.Mit dieser Kumulation von sozialen Problemen sind Entwicklungen erkennbar, die dazu führen können, dass die Bewohner, die dazu in der Lage sind, diese Quartiere verlassen. Die, die zurückbleiben, sind dann immer mehr auf staatliche Hilfen angewiesen. Dieser vielfach schleichende Prozess der Segregation läuft hier in Berlin seit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung gleichsam in Zeitraffer ab. Vor allem junge Familien verlassen problembelastete Stadtteile, wenn sie erkennen müssen, dass Kinder und Jugendliche hier stärkeren und vielfältigeren Gefahren ausgesetzt sind als in anderen Sozialräumen. Wenn Eltern bewusst wird, dass die Zukunftschancen ihrer Kinder gefährdet sind, dann beschließen sie häufig weg zu ziehen. In den belasteten Stadtteilen und Quartieren bleiben dann die zurück, die nicht wegziehen können und das sind die Menschen, die mit Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung zu kämpfen haben. Dies wiederum bedeutet für die Kinder und Jugendlichen, die in solchen segregierten Stadteilen und Quartieren zurück bleiben, dass sie immer mehr von der gleichberechtigten Teilhabe an unserer Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung werden für sie zur gesellschaftlichen Normalität.Sie lernen unsere Gesellschaft als unsolidarisch, als ein System kennen, das keine oder nur geringe Zukunftschancen bietet.

Diese Dynamik kennen wir aus anderen Ländern.
Die Politik darf vor diesen Entwicklungen nicht die Augen verschließen.

Die sozialen Probleme haben in den letzten Jahren unzweifelhaft zugenommen. Aber noch ist die soziale und räumliche Polarisierung noch nicht so weit fortgeschritten wie in anderen - auch europäischen - Ländern. Wir haben in Deutschland die Chance, diesen Prozess zu stoppen, wenn jetzt entschlossen gehandelt wird. Deshalb ist das Eindämmen von sozialer Ausgrenzung eine zentrale gesellschaftspolitische Aufgabe in unserem Land. Wir müssen jetzt eingreifen und dafür sorgen, dass diese Abwärtsspirale gestoppt wird. Wir müssen in die Menschen, in ihre Entwicklungspotentiale, investieren.

Dies kann nur gelingen, wenn wir alle gemeinsam auf Bundesebene, in den Ländern und den Kommunen unsere Möglichkeiten nutzen, konzentriert und konzertiert unsere Ressourcen einsetzen.

Familien- und Jugendpolitik kann hier nur gemeinsam mit Stadtentwicklung, Wohnungsbauförderung, Wirtschaftsförderung, Schule, Arbeitsmarktpolitik und weiteren Politikbereichen erfolgreich sein. Ich habe deshalb als Bundesjugendministerin mit dem Programm "Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten" (kurz E & C genannt) einen neuen Schwerpunkt gesetzt. Unser Programm E & C ist ganz bewusst auf das parallel laufende Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf - die Soziale Stadt" bezogen und mit ihm vernetzt. Es wird in den Stadtteilen der "Sozialen Stadt" durchgeführt, um Synergieeffekte zu erzielen.

Wir setzen kinder- und jugendspezifische Prioritäten, um gerade in diesen Sozialräumen die Lebensbedingungen und Chancen von Kindern und Jugendlichen, von Familien zu verbessern, den Niedergang von Stadtteilen mit ihnen gemeinsam aufzuhalten und nachhaltige Entwicklungen anzustoßen.

Eigeninitiative fördern und Selbstverantwortung stärken - das ist die Maxime unseres Programms.
Wir wollen mit dem Programm E & C

Im vergangenen Jahr haben wir in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe 13 Fachforen durchgeführt, die die Fachdiskussion auf die Probleme der belasteten Stadtteile und Quartiere fokussiert haben. Ich wage inzwischen zu behaupten, dass unser Programm E & C mit seiner Philosophie der ganzheitlichen Sicht der Probleme und der Vernetzung der Ressourcen bei der Fachöffentlichkeit und den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe angekommen ist. In der Jugendhilfe ist das Echo groß und positiv. Wir wissen, dass nur dann, wenn alle Akteure zur Kooperation bereit sind, die Abwärtsentwicklung gestoppt werden kann. Betriebe, Arbeitsämter, Schulen, Kommunen und freie Träger müssen deshalb motiviert werden, lokale Pakte zu bilden und zusammenzuarbeiten.

Ein ermutigendes Beispiel auf Bundesebene ist z.B., wenn die Dresdner Bank Schulen Computer für 4,9 Mio. DM spendet oder die Telekom kostenlos Internetzugänge einrichtet.

Kein Bereich unserer Gesellschaft darf sich entziehen.
E & C setzt hier an: Durch die Vernetzung und Bündelung unterschiedlicher jugendpolitischer Ressourcen wird die Jugendhilfe ihren Beitrag leisten.

Mit dem Programm verfolgen wir drei zentrale Ziele:

Nur so können wir dazu beitragen, dass alle Jugendlichen ihren Platz in der Gesellschaft finden und auch die benachteiligten jungen Menschen nicht im Abseits gelassen, sondern in unsere Gesellschaft integriert werden.

Wir wissen jedoch auch, dass mit diesem Maßnahmebündel Ausgrenzungsprozesse nicht automatisch und wie von selbst gestoppt und alle Probleme junger Menschen gelöst werden können. Die notwendige Integration junger Menschen in die Gesellschaft kann nur gelingen, wenn die Kinder und Jugendlichen selbst zum Mitmachen gewonnen werden. Die Beteiligung und Partizipation der Kinder und Jugendlichen steht für mich im Zentrum, ist Methode und Ziel zugleich. Dazu gehört auch, dass Erwachsene sich für sie engagieren, sie ernstnehmen und zu Vorbildern werden. Nur wenn Kinder und junge Heranwachsende praktisch erfahren, dass sie nicht am Rande stehen, sondern einbezogen werden, können sie ihre Chancen zur Entwicklung und Integration auch nutzen. Alarmierend ist, dass eine wachsende Zahl Jugendlicher die Teilnahme an vorhandenen schulischen und außerschulischen Förderangeboten verweigert, weil diese ihren Voraussetzungen, Zielen und Erwartungen nicht entsprechen.

Für diese - besonders benachteiligten - Jugendlichen haben wir mit dem Freiwilligen Sozialen Trainingsjahr ein neues, maßgeschneidertes Angebot entwickelt, das ihnen die fehlenden sozialen und beruflichen Schlüsselqualifikationen vermittelt.

Beispielhaft ist schon jetzt die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit einschließlich der lokalen Arbeitsämter und den Kommunen, die gemeinsam mit uns dieses neue Angebot finanzieren. Die Jugendlichen sollen Qualifikationen erwerben können, die auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich nachgefragt werden. Dafür wird mit ihnen gemeinsam ein persönlicher Qualifizierungsplan entwickelt und als Vertrag festgehalten.

Ziel des Angebotes ist es, eine Orientierung und Motivation für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder aber auch die Rückkehr zur Schule zu schaffen. Den Kern des pädagogischen Konzepts bildet die Verbindung von Arbeitserfahrungen mit externen Qualifizierungsbausteinen. Die Arbeitserfahrungen finden unter realen Bedingungen statt, nicht in pädagogischen Schonräumen.

Die Arbeit soll der Orientierung dienen, Lernen am Arbeitsplatz ermöglichen und Motivation für weitere Qualifizierungsschritte wecken. Hierfür ist eine enge Kooperation mit Schulen, Sozialamt, Jugendamt und der Arbeitsverwaltung erforderlich und hat sich in den ersten Stadtteilen bereits bewährt.

Das Soziale Trainingsjahr wird zunächst bundesweit in 20 bis 40 Stadtteilen eingerichtet und soll in einem ersten Schritt bis zu 1000 Jugendliche erreichen.

In den Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf lebt vielfach ein hoher Anteil an ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Bei den Unterstützungsangeboten im schulischen, beruflichen und sozialen Bereich müssen daher die speziellen Anliegen von jungen Ausländerinnen und Ausländern besonders berücksichtigt werden. Eine erfolgreiche Integration der Zuwandererinnen und Zuwanderer ist zur Sicherung des sozialen Friedens in diesen Stadtteilen unerlässlich.

Im Rahmen von E & C sollen modellhaft Jugendgemeinschaftswerke und andere Stellen in sozialen Brennpunkten als zentrale Ansprechpartner für junge Migranten weiterentwickelt werden. Sie werden damit zentrale Anlaufstelle und Anwalt für alle jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die auf entsprechende Integrationshilfen angewiesen sind. Diese Anlaufstellen sollen vor allem die speziellen Gesichtspunkte von zugewanderten Kindern und Jugendlichen in die Stadtentwicklungs- und Jugendhilfeplanung einbringen. In der Regel fehlt ein umfassendes Integrationskonzept, das bereits bei der Planung ansetzt, um den jungen Menschen den gleichen Zugang zu den Angeboten wie einheimischen Jugendlichen zu ermöglichen.

Nur durch eine stärkere Öffnung der bestehenden Leistungen und Hilfen können auch ausländische Kinder und Jugendliche erreicht werden. Auf diese Weise können zudem die zugewanderten jungen Menschen aus ihren Nischen herausgeholt werden. Zur Integration aller Jugendlichen gehört auch, dass wir das vorhandene Wissen und die Praxiserfahrungen besser zugänglich machen.

Mit unserem Wettbewerb "Fit für Leben und Arbeit - neue Praxismodelle zur sozialen und beruflichen Integration von Jugendlichen" haben wir in Zusammenarbeit mit den kommunalen Spitzenverbänden 100 Praxismodelle prämiert, die wegweisend für viele stehen und Beispiele dafür sind, was praktisch möglich ist. So hat das Projekt Batman in Potsdam damit begonnen, nicht nur benachteiligte Jugendliche auf die Anforderungen der betrieblichen Ausbildung vorzubereiten. Sie unterstützen zunehmend auch Betriebe bei der Ausbildung dieser Jugendlichen: bei der Auswahl der geeigneten Bewerber/innen, bei der Bereitstellung von Stützunterricht, bei der Lösung von Konflikten im Betrieb.

In der Stadt Senftenberg läuft ein Projekt, das die Ausbildung benachteiligter Jugendlicher mit der baulichen Sanierung eines Stadtteils und der besseren Vernetzung der sozialen Dienste für dessen Bewohner verknüpft. Die Jugendlichen werden im Zuge der Sanierungsmaßen in Bauberufen qualifiziert und erwerben Abschlüsse als Fachkräfte.

Die Wohn- und Wohnumfeldqualität wird nachhaltig verbessert. Und in einem der hergerichteten Gebäude bieten die Träger der Sozialarbeit kooperativ ihre Leistungen an. Möglich war dies durch eine konzertierte Aktion von Kommune und Freien Trägern, die in diesem Vorhaben Wege erproben, unfruchtbare Konkurrenz zu überwinden und zum Nutzen von Familien und Jugendlichen ihre Leistungen abstimmen und dort anbieten, wo sie benötigt werden.

Dies sind nur zwei von 100 prämierten Praxismodellen.
Die meisten Praxismodelle zeigen, dass maßgeschneiderte Unterstützungsangebote effektiver sein können als die Subventionierung von Ausbildungsplätzen.

Wir werden die Preisträger unseres Wettbewerbs am 9. und 10. Mai in der Kulturfabrik in Leipzig präsentieren.
Ich darf Sie herzlich dazu einladen.

Damit das Jugendprogramm E & C gelingt und dem Anspruch, bessere Chancen für junge Menschen in sozialen Brennpunkten zu eröffnen, gerecht wird, bin ich, sind wir alle, sind die Kinder und Jugendlichen, sind die Familien ganz besonders auf Ihre Bereitschaft mitzumachen, Barrieren abzubauen und zu kooperieren, angewiesen.

Ich appelliere an Sie, lassen Sie uns gemeinsam für die Menschen in diesen Sozialräumen eine bessere, eine menschenwürdige Zukunft schaffen.

Lassen Sie uns mehr Solidarität in unserer Gesellschaft mobilisieren.

Sorgen wir dafür, dass Entwicklung in unseren Städten eine soziale Stadtentwicklung wird.

Soziale Stadt © 2000-2007 Deutsches Institut für Urbanistik
Im Auftrag des BMVBS vertreten durch das BBR. Zuletzt geändert am 14.04.2004