Karl Jasper
Ministerium für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung,
Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen
Seit 1993 gibt es in Nordrhein-Westfalen das ressortübergreifende Handlungsprogramm der Landesregierung für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Ziel dieses Programms ist die Stabilisierung und Aufwertung schwieriger Stadtteile, um soziale Brüche in unseren Städten zu verhindern oder zumindest abzumildern. Dazu werden sowohl auf der Ebene der Landesregierung als auch der Kommunen Ressourcen und verschiedene Förderprogramme in einem integrierten Ansatz im Sinne eines modernen Verwaltungsmanagements gebündelt, um vor Ort nachhaltige Verbesserungen der Lebenssituation der in den Stadtteilen wohnenden Menschen zu erzielen. Hierzu werden Maßnahmen der Stadterneuerung mit Maßnahmen der Qualifizierung und Beschäftigung kombiniert und ebenso wie Maßnahmen des Wohnungsbaus, der lokalen Wirtschaftsentwicklung, der Weiterbildung, der Gesundheitsförderung und der Kinder- und Jugendpolitik gezielt in den Erneuerungsprozess vor Ort verknüpft.
Die Ministerkonferenz der ARGEBAU hat am 29. November 1998 in Potsdam die Bund-Länder-Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt" beschlossen, um der drohenden sozialen Polarisierung in den Städten Einhalt zu gebieten. Mit dieser Initiative ist ein nationales Aktionsprogramm ins Leben gerufen worden, das eine nachhaltige Entwicklung in Stadt- und Ortsteilen mit besonderen sozialen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Problemen sicherstellen soll. Die Initiative soll den Rahmen bilden für eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte Strategie gegen die soziale Polarisierung in den Städten.
Die Bundesregierung hat die Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt" zum Anlass genommen, die Städtebauförderung ab 1999 um das eigenständige neue Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - "Die soziale Stadt" zu ergänzen. Das Programm ist in diesem Jahr mit einer Ausstattung von zunächst 300 Mio. DM (davon 100 Mio. DM Bundesanteil) angelaufen.
Nordrhein-Westfalen erhält rd. 21 Mio. DM aus dem Bundesprogramm "Soziale Stadt" in 1999. Mit der Komplementärfinanzierung aus dem nordrhein-westfälischen Stadterneuerungsprogramm werden rund 63. Mio. DM in das Bund-Länder-Programm für 26 Stadtteile aus Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr eingestellt.
Die Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern zur Umsetzung des Programms "Die soziale Stadt" ist im Kabinett beraten und beschlossen worden und am 7. September 1999 von der Ministerin für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen unterschrieben worden.
Bis heute sind 31 Stadtteile in das Landesprogramm aufgenommen worden. Dabei gibt es eine Konzentration innerhalb der Verdichtungsräume an Rhein und Ruhr. Schwerpunkte sind das Ruhrgebiet mit 15 Stadtteilen und die Rheinschiene mit 8 Stadtteilen. Bei rd. 2/3 der aufgenommenen Stadtteile handelt es sich um innerstädtische, altindustrialisierte Quartiere überwiegend aus der Gründerzeit (22 Stadtteile), während 1/3 (9 Stadtteile) auf hochverdichtete Wohnsiedlungen der 60er und 70er Jahre entfällt.
Gemeinsame Merkmale aller betroffenen Stadtteile sind die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, der überdurchschnittlich hohe Anteil an Sozialhilfeempfängern in der Bevölkerung, ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen und kinderreichen Familien sowie ein überdurchschnittlich hoher Anteil von Migrantinnen und Migranten; die ökonomisch und sozial angespannte Situation in den Städten wird zudem verschärft durch die ökologischen, städtebaulichen und infrastrukturellen Defizite in den Stadtteilen.
Wesentliche Kennzeichen des integrierten Handlungsprogramms sind:
Wesentliche Handlungsfelder integrierter Konzepte sind
Der Einstieg in die Umsetzung integrierter Erneuerungsprojekte beginnt meist mit Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung, vor allen Dingen mit Maßnahmen zur Gestaltung von öffentlichen Räumen einschließlich der Umgestaltung von Spielplätzen, Schulhöfen und Grünanlagen. Daneben wird der Umbau von Denkmälern und stadtbildprägenden Gebäuden für soziale und kulturelle Zwecke sowie die Anreizfinanzierung für die Gestaltung privater Haus- und Hofflächen von der Stadterneuerung initiiert.
Nachdem fast alle im Handlungsprogramm befindlichen Stadtteile integrierte Handlungskonzepte mit umfassenden Lösungsansätzen vorgelegt haben, erweist sich die Prozesssteuerung vor Ort als wesentliche Voraussetzung für eine konzentrierte und erfolgsorientierte Umsetzung. In allen 31 Stadtteilen sind dementsprechende organisatorische Vorkehrungen getroffen, die mit dem Oberbegriff "Stadtteilbüro" am treffendsten gekennzeichnet sind. Diese organisieren in allen Stadtteilen Stadtteilkonferenzen unter weitgehender Beteiligung der betroffenen Menschen, der Verbände, der Vereine, Initiativen, der Wirtschaft und Gewerkschaften. Die Prozesssteuerung vor Ort ist nicht nur wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz und das Gelingen von investiven Maßnahmen, sondern auch für die Förderung privaten, gerade auch finanziellen Engagements in den Stadtteilen.
Prozesssteuerung vor Ort beinhaltet auch die Möglichkeit, akute Finanzierungsbedürfnisse in einzelnen Handlungsfeldern zu überbrücken (z.B. Eigenanteil bei Qualifizierungsmaßnahmen für arbeitslose Jugendliche, Selbsthilfeprojekte im Bereich Gesundheit, Sozialprävention, Migration oder Schuldnerberatung). Die Prozesssteuerung vor Ort umfasst einen großen nicht investiven Bereich. Ferner ist sie zwingende Voraussetzung dafür, dass Stadtteile ein eigenes Profil entwickeln. Die Überwindung des vorhandenen Negativimages durch die Herausarbeitung eines eigenen identitätsstiftenden Profils für den Stadtteil ist neben der Stabilisierung der Stadtteile und der nachhaltigen Verbesserung der Lebensverhältnisse für die dort lebenden arbeitenden Menschen wesentliches Ziel für einen nachhaltigen Erneuerungsprozess.
Die Erfahrungen aus allen Stadtteilen zeigen, dass je nach Identifikation mit dem eigenen Wohnort auch die Verantwortung für eine positive Entwicklung im jeweiligen Stadtteil wächst. Dies hat Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche Klima in einem solchen Stadtteil; je positiver ein solches gesellschaftliches Klima im Stadtteil ist, um so größer sind die erhofften Wirkungen für das Gelingen in den unterschiedlichen Handlungsfeldern der integrierten Stadtteilkonzepte.
Die Handlungskonzepte zeichnen sich durch vielfach sehr kleinteilige Maßnahmen aus, die mit sehr geringem Mitteleinsatz große Erfolge erzielen. Hierfür werden von den Kommunen und externen Fachleuten kleinere Pauschalbeträge für kleinteilige Sofortmaßnahmen gefordert, die wir normalerweise durch die Roste der etablierten Förderprogramme fallen. Mit der Einführung der Pauschalförderung durch die Stadterneuerungsrichtlinien NRW ist ein wesentlicher Beitrag zur Unterstützung bewohnergetragener Initiativen und Projekte ermöglicht.
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat in ihrer Kabinettsitzung am 4. Mai 1993 das ressortübergreifende integrierte Handlungsprogramm für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf beschlossen und das damalige Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr beauftragt, dass Handlungsprogramm in Abstimmung mit den fachlich beteiligten Ressorts weiter zu konkretisieren. In weiteren Kabinettbeschlüssen aus dem Jahre 1994 und nochmals im Jahre 1997 hat die Landesregierung für die Umsetzung integrierter Handlungskonzepte für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf für alle berührten Förderbereiche des Landes besondere Priorität beschlossen. Vorhandene Förderinstrumentarien und -modalitäten sind bezogen auf diese Stadtteile deutlich zu flexibilisieren, um gezielt, koordiniert und schnell wirksam Situationsverbesserungen zu erzielen.
Damit hat die Landesregierung per Kabinettbeschlüsse alle Ressorts zur Mitarbeit an dem Programm sowie zu einem prioritären Einsatz vorhandener Mittel für diese Stadtteile verpflichtet. Darüber hinaus wurde mit Kabinettbeschluss vom 6. September 1994 als Instrument zur Programmsteuerung auf Landesebene die Bildung einer interministeriellen Arbeitsgruppe auf Ressortebene mit Beteiligung der Staatskanzlei unter Federführung des damaligen Ministeriums für Stadtentwicklung und Verkehr zur koordinierten Umsetzung und Förderung der kommunalen Handlungskonzepte beschlossen. Im Laufe der Jahre wurde jedoch deutlich, dass es im Interesse einer tatsächlichen integrierten und zielgenauen Förderung einer Stärkung der Arbeit der INTERMAG bedarf. Hierzu wurde vor allem die genauere Aufgabendefinition für erforderlich gehalten, die in der Kabinettvorlage vom 28. Oktober 1997 wie folgt definiert wurde:
"Der INTERMAG obliegen die Entscheidung über Aufnahme von Stadtteilen in das Programm sowie die Abstimmung und Koordinierung der Förderprogramme und Öffentlichkeitsdarstellung der beteiligten Ressorts.
Die Aufnahme in das ressortübergreifende Programm erfolgt auf der Grundlage
Die Entscheidung der INTERMAG über die Aufnahme kann verbunden werden mit Aufforderungen zur Nachbesserung und Anregungen sowie Fristsetzung, bis zu deren Ablauf die Städte zur Berichterstattung über die Umsetzung gebeten werden. Die Entscheidung der INTERMAG wird durch die jeweils zuständige Bezirksregierung umgesetzt.
Um den zielgenauen Einsatz von Fördermitteln abzustimmen und ggf. zu verbessern, berät die INTERMAG die maßnahmebezogenen Förderprogramme und Finanzierungskonzepte der beteiligten Ressorts. Entscheidungen der INTERMAG haben empfehlenden Charakter. Die INTERMAG berät die Durchführung und finanzielle Unterstützung von Einzelprojekten in den Stadtteilen, die wegen
im Sinne eines "best-practice-Beispiels" in besonderer Weise geeignet sind, den Handlungsansatz des ressortübergreifenden Programms anschaulich zu machen, eine stadtteilbezogene Identität zu stiften oder auf andere Stadtteile übertragen werden zu können.
Die INTERMAG berät zur Erfolgskontrolle die von den Städten vorzulegenden Evaluierungsberichte; da die Evaluierung erst in Ansätzen von einigen Städten durchgeführt wird, soll die INTERMAG das Anforderungsprofil für eine Evaluierung formulieren, um landesweit vergleichbare Kriterien für die Beurteilung der durchgeführten Maßnahmen zu entwickeln. Die Zuständigkeiten der Ressorts bleiben im Übrigen unberührt.In den Fällen, in denen die INTERMAG die Aufnahme eines Stadtteils in das ressortübergreifende Programm ablehnt, soll die Entscheidung mit einer Empfehlung verbunden werden, in welcher Weise in dem betroffenen Stadtteil vorhandener Handlungsansätze unterstützt werden können, um die von einer Aufnahme in das ressortübergreifende Programm erwartete Motivation für ein Tätigwerden im Stadtteil zu fördern. Das MASSKS wird der INTERMAG eine entsprechende Entscheidungsgrundlage vorlegen. Die Entscheidung der INTERMAG wird durch die jeweils zuständige Bezirksregierung umgesetzt. Die Sitzungen der INTERMAG werden durch das MASSKS als federführendes Ressorts für das ressortübergreifende Programm vorbereitet.
Es kommt in nicht wenigen Fällen immer noch zu unabgestimmten Aktivitäten einzelner Ressorts in den Stadtteilen. Hier bedarf es einer weiteren Verbesserung der Ressortkoordination und einer Stärkung der Funktion der mit der Koordinierung in den einzelnen Ressorts beauftragten Mitglieder der INTERMAG. Zur Stärkung der Koordinatoren/des Koordinators wurde deshalb gezielt in der Kabinettsitzung am 04.11.1997 nochmals folgender Beschluss gefasst: "Die beteiligten Ressorts benennen eine Koordinatorin oder einen Koordinator in ihren Häusern, die/der zugleich Ansprechpartnerin/Ansprechpartner für das federführende Ressorts ist."
Um Mitnahmeeffekte auszuschließen und sicherzustellen, dass das Programm tatsächlich auf die wirklich bedürftigen Stadtteile konzentriert und für die Landesregierung umsetzungsfähig bleibt, ist im Kabinett am 4. November 1997 noch folgender Beschluss gefasst worden: "Die Landesregierung bekräftigt grundsätzlich die Offenheit des Programms. Bei der weiteren Aufnahme von Stadtteilen sollen jedoch strenge Maßstäbe angelegt werden, um das Programm überschaubar und umsetzungsfähig zu halten. Für Stadtteile, die nicht die strengen Aufnahmekriterien erfüllen und dennoch ein integriertes Handeln verlangen und die guten Erfahrungen von Stadtteilen innerhalb des Handlungsprogramms nutzen wollen, soll die Entscheidung mit einer Empfehlung verbunden werden, in welcher Weise in dem betroffenen Stadtteil vorhandene Handlungsansätze unterstützt werden können."
Die Projektorganisation vor Ort wurde von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen nicht festgelegt, da aus den bereits zuvor gesammelten Erfahrungen mit integrierter Stadtteilerneuerung deutlich geworden war, dass der probate Ansatz abhängig ist von den jeweiligen Verhältnissen vor Ort, der Größe des Stadtteils, den handelnden Personen, der Verwaltungsstruktur, den politischen Verhältnissen sowie der Situation im Stadtteil. So haben sich in Nordrhein-Westfalen bei den 31 anerkannten Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf fast ebenso viele verschiedene Projektorganisationsstrukturen entwickelt. Aus den Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Projekten lassen sich jedoch folgende Gemeinsamkeiten bzw. verallgemeinerbare Erfahrungen festhalten:
Auf der Kommunalebene ist zumindest in der Phase der Erarbeitung eines integrierten Handlungskonzeptes eine ämterübergreifende Arbeitsgruppe erforderlich, die sich sinnvollerweise auch zur weiteren Fortschreibung des Programms zusammenfindet. Ansonsten ist zur weiteren Abwicklung nach Aufstellung des integrierten kommunalen Konzeptes zumindest ein federführender Verantwortlicher innerhalb der Verwaltung, der als Ansprechpartner und Koordinator bzw. Vermittler innerhalb der Verwaltung dient, zwingend erforderlich.
Darüber hinaus hat sich bewährt, auf der Stadtteilebene ein Stadtteilbüro einzurichten, das einerseits Anlauf- und Beratungsstelle ist und für Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit, Bürgerbeteiligung, vor allem aktivierende Maßnahmen im Stadtteil usw. zuständig ist. Darüber hinaus kommt den Stadtteilbüros je nach fachlicher Besetzung vielfach auch die Aufgabe der Projektentwicklung und -durchführung, der Akquirierung von Sponsoren, Fördergeldern, z.B. auch Koordination/Kombination mit Mitteln der Arbeitsverwaltung, Imagekampagnen, Stadtteilzeitung usw. zu.
Außerdem ist zur Sicherstellung einer koordinierten und effizienten Arbeit aller Akteure vor Ort, der Ausrichtung der Aktivitäten des Einzelnen auf die gesteckten Ziele, die Aktivierung privaten Engagements und Kapitals ein Gremium mit den Schlüsselpersonen und weiteren Akteuren im Stadtteil zu bilden. Auch hier haben sich unterschiedliche Organisationsformen von Stadtteilkonferenzen, runden Tischen, Stadtteilforen gebildet. Wichtig hierbei ist, dass die lokale Politik (Bezirksvertretung) mit eingebunden ist, um die entscheidende politische Akzeptanz des Projektes sicherzustellen.
Der Erfolg der Arbeit eines Stadtteilbüros oder einer örtlichen Entwicklungsgesellschaft ist bei noch so großem Engagement ihrer Mitarbeiter zwingend darauf angewiesen, dass es einen Ansprechpartner/Koordinator ("Kümmerer") in der Verwaltung gibt, der Projektideen, Umsetzungsprobleme, Fragen der politischen Beschlussfassung und der Antragstellung für Fördermittel regelt.
Andererseits ist gerade die in diesem Programm beabsichtigte Stärkung bürgerschaftlichen Engagements, Koordinierung verschiedener Akteure vor Ort, Aufbau neuer Kooperationen zwischen unterschiedlichsten Akteuren im Stadtteil usw. aus der Verwaltung heraus (selbst bei noch so gutem Personalbestand) nicht zu leisten, sondern es ist ein Büro bzw. ein Stadtteilmanager vor Ort erforderlich.
Abbildungen (pdf, 136 kB)
Quelle: Programmgrundlagen, Deutsches Institut für Urbanistik, Arbeitspapiere zum Programm Soziale Stadt Bd. 3, Berlin, 2000 |